Der Fall Gustl Mollath

Die Einweisung politisch unangepasster Zeitgenossen in die geschlossene Psychiatrie galt lange Zeit als Merkmal autoritärer Regime. Der Fall Gustl Mollath zeigt, dass sie auch in Deutschland möglich ist.

Der 56-Jährige sitzt seit mehr als sieben Jahren in der geschlossenen Abteilung diverser psychiatrischer Einrichtungen in Bayern, weil er nicht von dem Vorwurf ablässt, bei der Hypo-Vereinsbank (HVB) habe es Schwarzgeldverschiebungen und andere Unregelmäßigkeiten gegeben, in die seine damalige Frau verwickelt war. Jahr für Jahr haben ihm Gutachter deshalb attestiert, er habe gefährliche Wahnvorstellungen.

Inzwischen haben sich Mollaths Vorwürfe weitgehend als richtig herausgestellt. Seit November letzten Jahres haben das ARD-Magazin Report Mainz, die Süddeutsche Zeitung und andere nationale Medien ausführlich über seinen Fall berichtet. Neben Mollaths Anwälten fordert inzwischen auch die Staatsanwaltschaft eine Wiederaufnahme des Verfahrens und im Bayrischen Landtag befasst sich seit April ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall. Mollath sprach am 11. Juni persönlich vor dem Ausschuss und machte einen durchaus vernünftigen Eindruck – und trotzdem sitzt er weiterhin in der geschlossenen Psychiatrie und wird, geht es nach den zuständigen Richtern, auch noch monatelang dort bleiben.

Gustl Mollath hatte ein hervorragendes Abitur gemacht und ein Maschinenbaustudium begonnen, dann aber zunächst bei MAN als Controller gearbeitet und sich später als Restaurator für Oldtimer selbständig gemacht. Seine Ehefrau Petra, mit der er seit 1978 zusammen war, arbeitete als Vermögensberaterin bei der HVB.

2001 kam es zu häufigen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten. Mollath warf seiner Frau vor, sie und ihr damaliger Arbeitsgeber HVB seien in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt, und sie solle damit aufhören. Petra Mollath soll, zum Teil auch hinter dem Rücken der Bank, hohe Summen in die Schweiz transferiert und teilweise auch persönlich über die Grenze gebracht haben. Sie bestreitet das bis heute. Später gab sie an, Mollath habe sie gewürgt und geschlagen, was er bestreitet. Sie legte dazu ein Attest vor, das erst mit dreivierteljähriger Verspätung ausgestellt worden war.

Im Mai 2002 zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus. Einen Monat später soll Mollath sie 90 Minuten gegen ihren Willen in der Wohnung festgehalten haben. Sie klagte ihn wegen angeblichen Verletzungen, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung an und verlangte, ihn auf seinen Geisteszustand untersuchen zu lassen.

2002 und 2003 schrieb Mollath dann mehrere Briefe an die Hypo-Vereinsbank, in denen er seine Beschuldigungen wiederholte. Die Bank setzte daraufhin eine interne Revision in Gang, die seine Vorwürfe weitgehend bestätigte. In dem Prüfbericht heißt es: „Alle nachprüfbaren Behauptungen [Mollaths] haben sich als zutreffend herausgestellt.“ Festgestellt wurden unter anderem Schwarzgeldgeschäfte, Geldwäsche, illegaler Aktienhandel und Beihilfe zu Steuerhinterziehung. Die Bank hielt den Bericht, der Mollath hätte entlasten können, jedoch jahrelang unter Verschluss.

Im Dezember 2004 wurde Mollath per Gerichtsbeschluss zur Feststellung seines Geisteszustands zunächst für fünf Wochen in die Psychiatrie eingewiesen. Im Januar 2005 soll er dann angeblich begonnen haben, Autoreifen von ihm verdächtigter Personen zu zerstechen. Dies steht in den Ermittlungsakten, tatsächlich bewiesen oder durch Zeugen bestätigt wurde es aber nie. Das Ermittlungsverfahren konzentrierte sich auf Hinweise, die Mollath belasten, während Entlastendes kaum beachtet wurde.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth sah die Vorwürfe als erwiesen an, sprach Mollath 2006 aber wegen Schuldunfähigkeit frei und wies ihn wegen angeblicher Gemeingefährlichkeit in die Psychiatrie ein.

Grundlage für diesen Beschluss war ein Gutachten des Chefarztes der forensischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth Dr. Klaus Leipziger, der das Gutachten aufgrund von Notizen von Ärzten und Pflegepersonal erstellte, ohne Mollath persönlich zu untersuchen oder mit ihm zu sprechen. Mollath hatte dies abgelehnt. Das Gericht folgte diesem Gutachten, obwohl ein anderes Mollath volle Geschäftsfähigkeit attestierte. Eine 106-seitige Verteidigungsschrift des Angeklagten, die den Vorwurf von Schwarzgeldgeschäften wiederholte, hatte der Richter Otto Brixner nicht gelesen.

Inzwischen sind vier Gutachter, zum Teil aufgrund eingehender Gespräche mit Mollath, zum Schluss gelangt, dass er nicht unter wahnhaften Vorstellungen leide und seine Einweisung daher nicht gerechtfertigt sei.

Am 13. November 2011 berichteten das ARD-Magazin Report Mainz und die Süddeutsche Zeitung erstmals über den internen Revisionsbericht der HVB, der Mollaths Vorwürfe bestätigte. Danach kamen etliche fragwürdige Einzelheiten des Verfahrens ans Licht. Es meldeten sich Zeugen, die Mollath entlasteten.

Unter anderem erklärte ein Schöffe, der Vorsitzende Richter habe Mollath kaum Gehör geschenkt und ihm gedroht, er müsse den Saal verlassen, wenn er wieder mit dem „Schwarzgeldkomplex“ anfange.

Ein Strafrechtsprofessor aus Regensburg fand in dem Urteil von 2006 zahlreiche Verfahrensfehler. Auch Mollaths Strafanzeigen aus den Jahren 2003 und 2004, denen die Staatsanwaltschaft nicht nachgegangen war, wurden erst jetzt bekannt.

Die verantwortliche bayerische Justizministerin Beate Merk stellte sich lange Zeit schützend vor die Justiz. Unter anderem leugnete sie, dass es einen Zusammenhang zwischen den von Mollath erhobenen Schwarzgeldvorwürfen und seiner Unterbringung in der Psychiatrie gäbe. Dies, obwohl ihm das Urteil von 2006 attestiert hatte, er habe ein „paranoides Gedankensystem“, weil er „unkorrigierbar“ der Ansicht sei, Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau seien in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt.

Erst am 30. November 2012 erklärte Merk aufgrund des wachsenden öffentlichen Drucks, sie wolle den Fall komplett neu aufrollen. Es dauerte weitere vier Monate, bis die Staatsanwaltschaft Regensburg am 18. März die Wiederaufnahme des Falls beantragte. Und seither liegt der Antrag beim Gericht, ohne dass dieses einen Termin festgesetzt hat.

Mollaths Anwalt Gerhard Strate, ein Spezialist für derartige Verfahren, hat die Entlassung seines Mandanten aus der Psychiatrie beantragt. Im Januar stellte er Strafanzeige gegen den Amtsrichter, der Mollath 2005 in die Psychiatrie in Bayreuth einwies, sowie gegen den Klinikchef und späteren Gutachter Mollaths. Die Augsburger Staatsanwaltschaft leitete jedoch kein Ermittlungsverfahren gegen die beiden ein, da „keine zureichenden Anhaltspunkte“ vorlägen.

Im Untersuchungsausschuss des Bayrischen Landtags, der seit dem 24. April tagt, wurden zusätzliche brisante Details bekannt.

Eine Oberstaatsanwältin hatte das Material Mollaths 2004 zwar gelesen, aber als „zu pauschal“ eingestuft. Sie gab zu, dass sich in dem Konvolut ein Schreiben der Bank an Mollath befand, das mit juristischen Schritten drohte, falls er mit seinen Vorwürfen nicht aufhöre. Der inzwischen pensionierte Richter Brixner hatte die Verteidigungsschrift Mollaths samt Anlagen dagegen nicht gelesen. „Ich lese doch keine 110 Seiten“, antwortete er auf eine entsprechende Frage.

Auch der Vertreter der Hypo-Vereinsbank, der 2003 den Revisionsbericht verfasst hatte, wurde vernommen. Er hatte gewarnt, Mollath verfüge möglicherweise über Insiderwissen und aus dem Bericht könne „eine große Story“ werden, wenn er an die Öffentlichkeit gelange. Daher sei der Bericht geheim gehalten worden. Für die Bank war es offensichtlich von Vorteil, wenn Mollath für geistesgestört erklärt wurde.

Als Mollath selbst am 11. Juni vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags erschien, wurde er mit Applaus begrüßt. Er erzählte ruhig und gefasst, dass er durch die dubiosen Geldgeschäfte seiner Frau beunruhigt war, die diese von zu Hause abgewickelt habe. „Ich habe gewusst, das muss aufhören – zum Schutz meiner damaligen Frau und zu meinem Schutz“, sage er. Die Medien berichteten überwiegend positiv über den Eindruck, den Mollath bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss machte.

Mollath berichtete auch, wie belastend für ihn der Psychiatrieaufenthalt sei. Trotzdem entschied die Strafvollstreckungskammer Bayreuth nur einen Tag später, er müsse in der Psychiatrie bleiben, weil er weiterhin als gefährlich einzustufen sei.

Das Gericht behauptete, es habe nicht anders entscheiden können, weil der Sachverständige, der das letzte Gutachten erstellt hatte, eine weitere gutachterliche Stellungnahme abgelehnt habe. Als Begründung nannte der Sachverständige die negativen Reaktionen auf seine Arbeit. Er sei „in der übelsten Weise als Verbrecher beschimpft“ worden.

Der innenpolitische Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, bezeichnete diese skandalöse Entscheidung als „Freiheitsberaubung durch Unterlassen“. Freiheitsberaubung ist ein Verbrechen, das mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Inzwischen sind zahlreiche beklemmende Einzelheiten über die Misshandlung Mollaths durch die bayrische Justiz bekannt, dessen Schicksal an eine Romanfigur Kafkas erinnert. Kaum bekannt ist dagegen, was die Hintergründe, Ursachen und Motive der Verantwortlichen sind, die offenbar ein Interesse daran hatten, Mollath sieben Jahre lang einzuschließen. Es gibt lediglich vereinzelte Hinweise.

In dem jahrelang geheim gehaltenen Revisionsbericht der Hypo-Vereinsbank heißt es, ein Vermögensberater der Nürnberger HVB-Filiale habe einer „allgemein bekannten Persönlichkeit“ dabei geholfen, Schwarzgeld zu waschen. Der Name dieser „allgemein bekannten Persönlichkeit“ wird nicht genannt, er unterliegt dem Bankgeheimnis. Es ist aber anzunehmen, dass auch weitere Prominente an dem Netzwerk profitierten, das nach Erkenntnis der Revisoren über Jahre hinweg unsaubere Geschäfte in Millionenhöhe machte. War dies möglicherweise der Grund, weshalb die Staatsanwaltschaft den Anzeigen nicht nach ging, die Mollath 2003 und 2004 machte?

Bayern, das seit 1957 ununterbrochen von der CSU regiert wird, ist für seine Seilschaften und Skandale bekannt. Die Hypo-Vereinsbank geht auf die Bayerische Staatsbank aus dem 18. Jahrhundert zurück und ist eng mit diesen Seilschaften verflochten. Ihre 2003 abgespaltene Immobilientochter Hypo Real Estate machte in der Finanzkrise 2008 die mit Abstand höchsten Verluste aller deutschen Banken. Sie musste schließlich verstaatlicht und mit 130 Milliarden Euro vor dem Bankrott gerettet werden.

Verdächtig ist auch die persönliche Beziehung zwischen dem Richter Otto Brixner, der Mollath 2006 in die Psychiatrie eingewiesen hat, und dem damaligen Liebhaber und heutigen Ehemann von Mollaths Frau Petra, dem Banker Martin Maske. Brixner hatte Maske in den 1980er Jahren als Handballtrainer betreut.

Wie empfindlich die bayrischen Behörden nach wie vor auf den Fall Mollath reagieren, zeigt ein Zwischenfall in München. Die Medizin-Professorin Ursula Gresser, seit 20 Jahren CSU-Mitglied, hatte in einer Twitter-Nachricht geschrieben, man könne die bayrische Justizministerin anlässlich eines öffentlichen Auftritts fragen, wann Mollath frei komme. Daraufhin erhielt sie Besuch von zwei Polizeibeamten in Zivil, die Bedenken wegen der Sicherheit der Veranstaltung der Justizministerin äußerten. Gresser empfand dies als Einschüchterungsversuch.

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