CERN bestätigt Higgs-Entdeckung

Physiker der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) gaben bekannt, dass es sich bei dem im vergangenen Jahr neu entdeckten Elementarteilchen um das langgesuchte Higgs-Boson handelt, jenes Teilchen, das Materie ihre Masse verleiht. Die Ergebnisse wurden gemeinsam von den beiden Hauptgruppen vorgestellt, die am Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) arbeiten und die als CMS und ATLAS bekannten Experimente betreuen.

Die Ergebnisse wurden auf der diesjährigen Moriond-Konferenz (einer alljährlichen Konferenz zur Teilchenphysik) bekanntgegeben, die vom 9.-16. März in Italien stattfand. Die nun analysierte Datenmenge ist zweieinhalbmal so groß wie die im letzten Juli zugrunde gelegte, und zeigt ein Higgs von annähernd 125 Gigaelektronenvolt (GeV – eine Masse/Energie-Einheit in der Teilchenphysik) auf, womit sie vollständig mit dem vorhergehenden Ergebnis übereinstimmt. Zum Vergleich: ein einzelnes Wasserstoffatom liegt knapp unter einem GeV.

Dieses Ergebnis zeigt sowohl die Verlässlichkeit des aktuellen Modells des materiellen Universums (das Standardmodell der Teilchenphysik) auf, als es anderseits neue Perspektiven zu weitergehendem Verständnis eröffnet.

CMS und ATLAS sind die beiden Universaldetektoren, welche die Physiker am Large Hadron Collider einsetzen und deren primäre Aufgabe darin bestand, das Higgs zu suchen. Es sind riesige Maschinen, die kraftvolle Magneten und hochempfindliche Elektronik zur Aufzeichnung von Kollisionen nutzen, die von zwei aufeinander prallenden Protonenstrahlen des LHC erzeugt werden. Die Protonenstrahlen in den beiden Detektoren, deren Geschwindigkeit nur minimal unterhalb der Lichtgeschwindigkeit liegt, sind so fokussiert, dass sie Hunderte Millionen mal pro Sekunde kollidieren. Es wird geschätzt, dass ein Ereignis, das ein Higgs produziert, nur in einer von einer Billion Protoneninteraktionen auftritt. Um diese seltenen Ereignisse aufzunehmen, ist eine solch hohe Kollisionsrate notwendig.

Anschließend untersucht eine Reihe eigens dafür entwickelter Detektoren und Computer, welche der Ereignisse voneinander abprallende Teilchen sind und welche frontal kollidieren, indem sie die Energie jeder Kollision berechnen. Die frontalen Interaktionen sind Hochenergieereignisse, die für die Suche nach bisher unbestätigten physikalischen Ereignissen verwendet werden können, zum Beispiel die Entstehung eines Higgs-Bosons.

Das Higgs-Boson war das letzte unbeobachtete Teilchen des Standardmodells der Teilchenphysik, welches die weitest entwickelte Theorie der Elementarteilchen der Natur sowie deren Wechselwirkungen beschreibt. Das Standardmodell der modernen Physik ähnelt dem Periodensystem der chemischen Elemente. Seine jüngste Fassung erhielt es in den 1970er Jahren, als die Quarks entdeckt wurden, die konstituierenden Partikel der Protonen und Neutronen.

Es gibt drei Elementarteilchenkategorien im Standardmodell: Quarks, welche die Bausteine der alltäglichen Materie darstellen; Leptonen, darunter Elektronen, die Atomkerne umkreisen und chemische Reaktionen herbeiführen; und Austauschteilchen (Eichbosonen), welche die Grundkräfte der Natur zwischen Partikeln übermitteln.

Zu den (Eich-)Bosonen zählen Gluonen, Photonen und die W- und Z-Bosonen. Gluonen sind verantwortlich für die Zusammenbindung von Quarks, die größere Partikel bilden, Photonen bestimmen elektrische und magnetische Wechselwirkungen und die W- und Z-Bosonen übermitteln die schwache Kraft, welche für den radioaktiven Zerfall verantwortlich ist, die in schweren Atomkernen beobachtet wird.

Die Entdeckung des Higgs-Bosons steht im Zusammenhang mit der Theorie, die Elektromagnetismus und schwache Kraft umfasst. In den 1960er Jahren zeigten die Physiker Abdus Salam, Sheldon Glashow und Steven Weinberg auf, dass diese beiden Kräfte sich bei bestimmten hohen Energien in eine einzige „elektroschwache“ Kraft vereinen. Außerhalb von Kollisionen in Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider treten solche hohen Energien im gegenwärtigen Universum nicht auf. Indes wurde bald erkannt, dass die Theorie auf die frühesten Momente des Universums anwendbar ist, als solche Energien kurz nach dem Urknall existierten, wenn auch nur kurzfristig.

Die Theorie postulierte außerdem, dass alle vier Teilchen, welche die elektroschwache Kraft bestimmen, infolge einer von der Theorie vorhergesehenen „Symmetrie“ masselos sein müssten. Von diesen Teilchen waren bereits das Photon und zwei Typen des W-Bosons entdeckt worden, allerdings war bekannt, dass das W-Boson eine Masse von 80 GeV hat. Für ein viertes Teilchen, das Z-Boson, wurde vorhergesagt (und innerhalb weniger Jahre auch bestätigt), dass es eine Masse von etwa 90 GeV haben müsste. Anschließend wurde eine Theorie ausgearbeitet, die dieses Phänomen, bekannt als „Symmetriebruch“, erklären sollte.

Symmetriebruch kann verglichen werden mit einem Blick in den Spiegel und gleichzeitigem Heben der rechten Hand. Man stelle sich vor, dass anstelle des erwarteten Spiegelbildes der gehobenen rechten Hand, sich im Spiegel die linke Hand erhebt. Im Reich der Teilchenphysik ist dies möglich und stellt gebrochene Symmetrie dar. Dieses Konzept wurde erfolgreich zur Erklärung verschiedener anderer seltsamer Prozesse genutzt, die in der Teilchenphysik auftreten.

Das Higgs-Boson ist das Teilchen, welches diesen Mechanismus des „Symmetriebruchs“ bestimmt. Es wurde erstmals 1964 von Peter Higgs, Robert Brout, Francois Englert, Gerald Guralnik, C. Richard Hagen und Tom Kibble formuliert. In dem von ihnen entwickelten System dehnt sich ein „Higgs-Feld“ über das gesamte Universum aus. Hinsichtlich der Energien, die erforderlich sind, um Elektromagnetismus und schwache Kraft zu vereinen, erscheinen die vier Teilchen übereinstimmend, das heißt, unter ihnen herrscht Symmetrie. Unterhalb dieser Energien indessen ist die Symmetrie gebrochen; das Photon ist masselos und die anderen sehr schwer.

Sofort schien es, als ob die Theorie dabei dienlich sein könnte, eine viel grundlegendere Frage zu beantworten: Woher kommt Materie? Alle gegenwärtig bekannten Teilchenmassen sind experimentell bestimmte Parameter, die in das Standardmodell aufgenommen wurden. Sie entstammen nicht der Theorie selbst. Es wird vermutet, dass die Masse aller Teilchen auf der Wechselwirkung des Higgs-Feldes und seines Vermittlers, des Higgs-Bosons, basiert. Die Entdeckung wird helfen, dieses Problem zu klären.

Eine letzte, etwas subtilere, Frage verbleibt. Das Standardmodell, wiewohl beeindruckend, ist keine vollständige Beschreibung der Materie auf fundamentaler Ebene. Außer der Suche nach dem Higgs besteht eine der Hauptaufgaben des Large Hadron Collider darin, in mögliche Bereiche über das Standardmodell hinaus zu blicken. In einem dieser Modelle, bekannt als Supersymmetrie, gibt es potenziell fünf Typen des Higgs-Bosons. Einzig weitere Untersuchungen des Zerfallsprozesses des Higgs werden darüber entscheiden können, ob es sich bei dem entdeckten Teilchen um ein Higgs des Standardmodells handelt oder um eines, das den Gesetzmäßigkeiten der Supersymmetriephysik unterliegt. Jeder der möglichen Ausgänge wird einen gewaltigen Fortschritt für unser Verständnis der Physik darstellen und neue Perspektiven für die Forschung eröffnen.

Die bestätigte Entdeckung des Higgs-Bosons ist ein großer Schritt vorwärts für die Physik und für wissenschaftlich geplante Arbeit im Großmaßstab. Zehntausend der klügsten Köpfe des Planeten bedienen und warten den Large Hadron Collider und die Experimente, die in seinem Umkreis durchgeführt werden. Die Ressourcen von 100 Nationen trugen zu seiner Konstruktion bei. Die Entdeckung des Higgs ist ein Meilenstein innerhalb der kreativen Leistungen der Menschheit, die ein Jahrhundert umspannen.

Außerdem ist dies ein Schlag gegen alle postmodernistischen und anti-wissenschaftlichen Tendenzen. Er zeigt nicht nur auf, dass die materielle Welt verstanden und vorhergesagt werden kann, sondern ebenso, dass Menschen dazu befähigt sind. Darüber hinaus demonstriert er das außergewöhnliche menschliche Fassungsvermögen für das Verständnis der materiellen Welt – weiterhin wird der Platz verständlich, den die Menschheit in dieser Welt einnimmt, wenn die kollektiven Ressourcen der Erde nicht für Profitstreben und Militarismus aufgewendet werden, sondern vielmehr für den grundlegenden menschlichen Antrieb, die Natur zu verstehen.

Die Daten zum Higgs liefern sowohl bestimmte Antworten, werfen anderseits auch sehr viele Fragen auf. Wie bereits erwähnt, müssen die präzisen Charakteristika des Higgs bestimmt werden. Das Teilchen muss entweder sauber in die vorhandene Theorie eingearbeitet werden oder als Ausgangspunkt für ein fundamental neues Verständnis des Universums dienen. Wie auch immer dies ausfällt, der Prozess der Entdeckungen wird sich fortsetzen.

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