Nach den Wahlen in den USA macht sich das politische- und Wirtschaftsestablishment daran, über Kürzungen bei den staatlichen Gesundheits- und Rentensystemen zu verhandeln, während für die Großkonzerne und die Reichen immer neue Steuersenkungen durchgesetzt werden.
Mit Blick auf die „Haushaltsklippe“ am 31. Dezember wird Krisenstimmung geschürt, um die öffentliche Meinung darauf vorzubereiten, extrem unpopuläre Maßnahmen zu akzeptieren, darunter Haushaltskürzungen in Höhe von Billionen Dollar und einen historisch beispiellosen Angriff auf Medicare, Medicaid und die Renten.
Ohne eine Einigung werden am 1. Januar Haushaltskürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von etwa 700 Milliarden Dollar in Kraft treten, darunter Kürzungen bei den Militärausgaben und Erhöhungen der Einkommens-, Kapitalertrags- Dividenden-, Zins- und Erbschaftssteuern. So etwas ist für die herrschende Klasse inakzeptabel.
Die Medien waren voll mit düsteren Vorhersagen über einen weiteren Zusammenbruchs des Marktes, verheerende Steuererhöhungen für die arbeitende Bevölkerung und stark ansteigende Arbeitslosigkeit, wenn die beiden Parteien nicht zu einer Einigung kämen.
Am Donnerstag prangten auf den ersten Seiten der großen Tageszeitungen fette Schlagzeilen, um die passende Stimmung zu schaffen: „Zurück an die Arbeit: Auf Obama wartet eine drohende Haushaltskrise“ (New York Times) „Nach Obamas Sieg Gesprächsangebote zu den Schulden“ (Washington Post) „Auf Obamas Sieg folgt direkt neue Schlacht“ (Financial Times).
Obama setzte seine Prioritäten in der Siegesrede am Mittwochmorgen. Darin kündigte er ein Abkommen beider Parteien zur „Senkung des Defizits“ und einer „Reform unseres Steuersystems“ als wichtige Punkte auf seiner Agenda an. Der Präsident sollte am Freitag in einer Rede im Weißen Haus näher auf das Thema eingehen.
Nur Stunden nach Obamas Sieg warnte die Ratingagentur Fitch, es werde „beim Haushalt keine Flitterwochen für Präsident Obama geben.“ Am Mittwoch folgten große Verkäufe an der Wall Street, die die Regierung und den Kongress unter Druck setzen sollten.
Kongressführer beider Parteien stellten das Wahlergebnis, das Obama im Weißen Haus und das Repräsentantenhaus in der Hand der Republikaner ließ, als Mandat der Bevölkerung dar, dass beide Parteien einen „grand bargain“ (eine große Übereinkunft) für Sozialkürzungen finden sollten.
Tatsächlich ist die Stimmung der Wähler genau gegenteilig. Wählerbefragungen zeigten, dass nur zehn Prozent der Wähler die Senkung des Defizits für die Priorität der nächsten Regierung halten. Eine Umfrage im Auftrag des Gewerkschaftsbundes AFL-CIO kam zu dem Ergebnis, dass 64 Prozent der Wähler Social Security und Medicare erhalten und das Defizit statt durch Sozialabbau durch Steuererhöhungen für Reiche senken wollen, nur siebzehn Prozent sind dagegen.
Aber die Politik der Obama-Regierung wird nicht vom Willen des Volkes diktiert, wie es der AFL-CIO und verschiedene liberale und „linke“ Unterstützer Obamas behaupten, sondern von der Wirtschafts- und Finanzelite, die das ganze politische System kontrolliert.
Schon vor der Wahl am 6. November einigten sich Vertreter beider Parteien auf die Grundlagen von Kürzungen in Höhe von vier Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren. Diese wurden von der National Commission on Fiscal Responsibility and Reform entworfen, einem Ausschuss aus Angehörigen beider Parteien, den Obama eingesetzt hatte. Geführt wurde er vom ehemaligen Stabschef von Bill Clinton, Erskine Bowles, und dem ehemaligen republikanischen Senator von Wyoming Alan Simpson.
Bowles schrieb am Donnerstag in einem Leitartikel in der Washington Post: „Beide Seiten müssen den Wahlkampf beiseite legen und im Namen einer funktionierenden Regierung in einer Weise zusammenarbeiten, wie wir es nie zuvor gesehen haben...“
Bowles erklärte, die Kommission habe ein Paket empfohlen, das „groß genug ist, um die Schulden eindeutig nach unten zu drücken, relativ zur Wirtschaft und gut genug ausgearbeitet, um Wirtschaftswachstum zu fördern statt zu behindern. Zu diesem Paket gehören reale Kürzungen der Ausgaben und strukturelle Sozialreformen, um die Renten flüssig zu halten, während das Wachstum der staatlichen Gesundheitskosten verlangsamt und bedürftige Teile der Bevölkerung geschützt werden.“
Außerdem erklärte Bowles, das vorgeschlagene Paket „führt eine grundlegende Steuerreform ein, die das System vereinfacht und Wirtschaftswachstum durch Senkung der Ausgaben im Steuersystem anregt. Steuersätze sollen gesenkt werden und damit zusätzliche Einnahmen zur Bekämpfung des Defizits erwirtschaftet werden.“
Bowles wurde in den Medien als möglicher Nachfolger von Finanzminister Timothy Geithner in Obamas zweitem Kabinett genannt. Ein weiterer Kandidat für das Amt ist Jacob Lew, derzeit Obamas Stabschef im Weißen Haus und ehemaliger Haushaltsdirektor. Laut der New York Times hat Lew „Erfahrung im Aushandeln von Kompromissen. Vor 30 Jahren war er für die Demokraten im Kongress als hochrangiger Berater bei Verhandlungen mit Präsident Ronald Reagan tätig.“
Lew diente dem damaligen demokratischen Sprecher des Repräsentantenhauses Tip O’Neill als hochrangiger Berater, der 1983 mit der Reagan-Regierung ein Abkommen ausgehandelt hatte, das die Renten verschlechterte. Das Abkommen wurde nach einer Kampagne erzielt, die den Zusammenbruch des staatlichen Rentensystems für unmittelbar bevorstehend erklärte. Die regressive Lohnsteuer wurde erhöht, ebenso das Renteneintrittsalter um zwei auf 67 Jahre.
Führende Konzernvorstände und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft haben bereits erklärt, Obama in seinen Verhandlungen mit den Republikanern unterstützen zu wollen. Der ehemalige republikanische Gouverneur von Michigan und derzeitige Präsident des Runden Tischs der Wirtschaft John Engler erklärte am Mittwoch, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses John Boehner wird erkennen müssen, dass er „in der Regierung eine Minderheit darstellt. Man kann sich nicht zurücklehnen und sagen: Entweder es geht, wie ich will, oder gar nicht.“
„Wir freuen uns darauf, echten Meinungsaustausch, einen echten Dialog mit der Regierung zu haben“, erklärte Jay Timmons, der Präsident der National Association of Manufacturers, laut einem Bericht des Wall Street Journal.
Obamas Vorschläge entsprechen größtenteils den Empfehlungen, die 80 Vorstandschefs im sogenannten „Defizit-Manifest“ kurz vor der Wahl veröffentlichten, die ausdrücklich den Bowles-Simpson-Plan unterstützten.
Die Regierung erwägt angeblich auch, mehr Republikaner und Unternehmensführer ins Kabinett und andere hohe Beraterposten zu berufen, um „die Beziehungen zwischen beiden Lagern zu verbessern,“ wie es in der New York Times hieß.
Präsident Obama und die Demokraten haben im Wahlkampf im Rahmen des „Grand Bargain“ ausdrücklich ein Ende der Steuersenkungen aus der Zeit der Bush-Regierung als Teil der Haushaltskürzungen und der Erleichterungen für Unternehmen gefordert. Das würde eine relativ kleine Steuererhöhung von 35 auf 39,6 Prozent ab einem Jahresgehalt von mehr als 250.000 Dollar bedeuten. Der höhere Steuersatz ist wenig im Vergleich zu dem Steuersatz von 50 Prozent, den die Reichen unter Reagan zahlten, ganz abgesehen von den 90 Prozent, die sie 1950 unter Eisenhower zahlten.
Dennoch haben die Republikaner jegliche Steuererhöhung abgelehnt und erklärt, sie würden nur Erhöhungen der Einnahmen durch die Schließung von „Schlupflöchern“ unterstützen – dazu würde vermutlich die Abschaffung von Abschreibungen auf Immobilienhypotheken gehören, die viele Familien aus der Arbeiterklasse und der Mittelschicht erhalten – oder höhere Steuereinnahmen, die durch einen angeblichen Wirtschaftsaufschwung geschaffen würden, der ihrer Meinung nach durch niedrigere Defizite entstehen werde.
Die Forderung der Demokraten nach einer geringen Steuererhöhung für Reiche ist nur ein politisches Feigenblatt. Egal ob sie letzten Endes fallengelassen wird, um einen Kompromiss mit den Republikanern zu schließen oder nicht, wird diese Erhöhung mehr als ausgeglichen durch den Plan beider Parteien für eine „Steuerreform“. Ein solcher Plan wird die Steuern für Unternehmen und reiche Personen senken und ein regressiveres Steuersystem einführen, das die arbeitende Bevölkerung benachteiligt.