Gut vier Monate nach ihrer Vereidigung befindet sich die konservativ-sozialdemokratische Regierung Griechenlands in einer tiefen Krise. Angesichts täglicher Streiks und Proteste gegen die brutale Sparpolitik sowie sinkender Umfragewerte wachsen die Spannungen zwischen den drei Koalitionspartnern. Die Verabschiedung des fünften von der EU diktierten Sparpakets kann in den kommenden Wochen zu Massenaufständen und einem Bruch der Koalition führen.
In dieser Situation hat sich die größte Oppositionspartei, die Koalition der Alternativen Linken (SYRIZA), hinter die Regierung gestellt und ihr Rückendeckung gegeben. Ihr Vorsitzender Alexis Tsipras versicherte am Freitag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass seine Partei nicht daran interessiert sei, die Regierung zu Fall zu bringen. „Unser Hauptziel ist der Sturz dieser Politik“, sagte er „Es ist nicht die Zeit für Tricks, und es ist auch nicht die Zeit, die Regierung zu stürzen.“
Tsipras bezieht sich damit auf die Möglichkeit seiner Partei, das Sparpaket zu stoppen, indem sie die Auflösung des Parlaments provoziert. Das Wahlgesetz sieht nämlich Neuwahlen vor, wenn 60 der 300 Parlamentarier und deren Stellvertreter von ihren Sitzen zurücktreten. Seit 1974 hatten nur die sozialdemokratische PASOK und die konservative Nea Dimokratia (ND) genug Sitze, um eine solche Situation künstlich herbeizuführen. Nun wäre erstmalig SYRIZA mit ihren 71 Mandaten dazu in der Lage. Alle übrigen Oppositionsparteien hätten hingegen auch zusammen nicht genug Abgeordnete.
Umfragen zufolge würden die Regierungsparteien bei Neuwahlen wegen des neuen Sparpakets herbe Verluste erleiden, während SYRIZA die Mehrheit erlangen würde. Doch ein solches Vorgehen schloss Tsipras nun aus. Stattdessen schürte er in dem Interview die Illusion, dass Mitglieder der Regierungskoalition aus ND, PASOK und Demokratischer Linken (DIMAR) gegen das neue Sparpaket stimmen und es so stoppen könnten.
Tsipras feige und untertänige Haltung gegenüber der Regierung ergibt sich aus seiner grundlegenden Übereinstimmung mit ihr. Gegenüber Reuters unterstrich der SYRIZA-Vorsitzende noch einmal, dass er wie Regierungschef Andonis Samaras (ND) den Verbleib Griechenlands in der EU erreichen wolle. Er wolle die Kreditvereinbarungen, die unter anderem das aktuelle Sparpaket beinhalten, mit den EU-Vertretern neu verhandeln, damit Griechenland besser in der Lage sei, seine Schulden zurückzuzahlen.
Tsipras wiederholte auch noch einmal seine Forderung, die griechischen Banken zu verstaatlichen. Angesichts des völligen Bankrotts dieser Geldinstitute bedeutet dies nichts anderes, als deren Verluste zu sozialisieren. Schon von der aktuellen Tranche der Hilfskredite gehen etwa 85 Prozent direkt an die griechischen Banken. Die Bevölkerung muss dafür ein Sparpaket nach dem anderen über sich ergehen lassen.
SYRIZAs verbale Opposition gegen die Kürzungspolitik ist angesichts dieser Standpunkte nicht mehr als der Versuch, die Wut und den Widerstand der Arbeiter in harmlose, nämlich EU- und regierungsfreundliche Kanäle zu lenken. Tsipras Hauptaufgabe besteht darin, die Illusion zu schüren, dass innerhalb der EU und sogar unter der gegenwärtigen Regierung die sozialen Angriffe gestoppt oder gemäßigt werden können.
Diese Strategie gewinnt in dem Maße an Bedeutung, wie sich die sozialen Gegensätze verschärfen. Die herrschende Elite ist mit wachsenden Schwierigkeiten konfrontiert, die von der EU diktierten Kürzungsprogramme gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Die bisherigen Sparpakete haben bereits zu einer tiefen Rezession, einer Arbeitslosigkeit von über 24 Prozent sowie massiven Lohnverlusten geführt. 70.000 Unternehmen mussten seit Beginn der Krise schließen.
Nun plant die Regierung weitere Lohn- und Rentenkürzungen von bis zu 30 Prozent, die Senkung des Arbeitslosengelds in bestimmten Bereichen sowie Massenentlassungen. An den Universitäten sollen 13.000 der 15.000 Dozentenstellen gestrichen werden, und die ohnehin schon desolaten Krankenhäuser sollen auf zehn Prozent ihres gesamten Personals verzichten.
Die Wut über diesen sozialen Kahlschlag ist enorm. Im vergangenen Monat fanden bereits drei Massendemonstrationen mit bis zu hunderttausend Teilnehmern statt. Täglich brechen neue Streiks aus, und die Regierung kann sich längst nicht mehr darauf verlassen, dass die Arbeiter in den Ministerien und Ämtern ihre Beschlüsse tatsächlich ausführen.
Unter diesen Bedingungen ist innerhalb der Regierung ein offener Streit darüber ausgebrochen, wie die Kürzungen am besten durchzusetzen seien. Während die ND darauf besteht, die Vorgaben der Troika Wort für Wort umzusetzen, schlägt die DIMAR einige kosmetische Veränderungen und die stärkere Einbindung der Gewerkschaften vor. Sie droht damit, Teilen des Pakets sonst nicht zuzustimmen.
Die Funktion SYRIZAs besteht in dieser Situation darin, die Arbeiter politisch zu lähmen und zu verhindern, dass sich die massiven Proteste direkt gegen die Regierung und die EU-Institutionen wenden und so zum Ausgangspunkt einer europäischen Offensive der Arbeiterklasse werden. Deshalb kritisiert Tsipras zwar die Kürzungen, verhindert aber jede ernsthafte Initiative zur politischen Mobilisierung der Arbeiter.
Sollte es SYRIZA möglich sein, ihren lähmenden Einfluss auf die Arbeiter aufrecht zu erhalten und damit den einzig fortschrittlichen Ausweg aus der Krise zu blockieren, wächst die Gefahr extrem reaktionärer Kräfte.
Schon heute ist die faschistische Partei Chrysi Avgi in der Lage, verzweifelte und rückständige Schichten des Kleinbürgertums anzuziehen und gegen Migranten, Arbeiter und politische Gegner zu mobilisieren. Dass sie dabei von erheblichen Teilen der Polizei unterstützt wird, unterstreicht den reaktionären Charakter der derzeitigen Regierung, der SYRIZA nun ihre Unterstützung zugesichert hat.