Linkspartei für Kriminalisierung der religiösen Beschneidung

Knapp drei Monate nachdem ein deutsches Gericht die religiöse Beschneidung von Jungen zur rechtswidrigen Körperverletzung erklärt und damit eine heftige Debatte ausgelöst hat, liegt ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor, in dem diese Praxis ausdrücklich für rechtmäßig erklärt wird. Der Entwurf soll am Mittwoch vom Bundekabinett verabschiedet und dann dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden.

Widerstand gegen das Gesetz, das eine seit Jahrtausenden ausgeübte und in keinem Land der Welt verbotene Praxis ausdrücklich erlaubt, kommt nicht nur von der extremen Rechten, sondern auch aus den Reihen der SPD, der Grünen und der Linkspartei.

Auslöser der Auseinandersetzung über die Beschneidung war ein Urteil des Kölner Landgerichts gegen einen muslimischen Arzt. Die Richter hatten erklärt, dass die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern die medizinisch nicht notwendige, religiös begründete Beschneidung ihres minderjährigen Sohnes nicht rechtfertige und der Eingriff daher eine Straftat darstelle. Die Vorinstanz hatte das noch anders gesehen, die Staatsanwaltschaft war dagegen in Berufung gegangen.

Angesichts der Tatsache, dass die Jungenbeschneidung zentraler Bestandteil der jüdischen wie muslimischen Religion ist, dass sie unabhängig davon von vielen Organisationen einschließlich der Weltgesundheitsorganisation als insgesamt eher vorteilhaft angesehen wird und dass etwa ein Drittel der männlichen Weltbevölkerung beschnitten ist, hatte das Urteil unter Juden und Muslimen Entrüstung und international zumindest Befremden ausgelöst.

In den USA hat erst kürzlich die American Academy of Pediatrics, eine der größten Vereinigungen von US-Kinderärzten, erklärt, bei einer Beschneidung von Neugeborenen überwögen die Vorteile der Gesundheitsvorsorge die Risiken. Die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie nennen als größere Risiken des Eingriffs hauptsächlich Nachblutungen oder Schwellungen, die unproblematisch behandelbar sind. Sie lehnen die religiös begründete Jungenbeschneidung nicht ab, sondern fordern lediglich, dass ihre Durchführung der uneingeschränkten ärztlichen Sorgfalt bedürfe.

Richtig ist, dass grundsätzlich jeglicher operative Eingriff ein allgemeines noch so geringes Risiko an Komplikationen mit sich bringt. Das ist aber sicher keine Rechtfertigung dafür, grundsätzlich jeglichen operative Eingriff bei Strafandrohung zu verbieten. Ein grundsätzliches Risiko einer psychischen Traumatisierung ist nicht seriös nachgewiesen. Es ist auch äußerst unwahrscheinlich, ansonsten müssten Milliarden von Männern psychisch traumatisiert oder sexuell gestört sein.

Schließlich bekundete die Bundeskanzlerin, Deutschland solle nicht das einzige Land der Welt sein, in dem Juden ihre Rituale nicht ausüben dürften. Es mache sich sonst zur „Komikernation“. Der Bundestag beschloss daraufhin im Juli in einer Resolution, die Beschneidung von Jungen solle auch künftig grundsätzlich straffrei bleiben. Dagegen stimmten vor allem die Mehrheit der Linkspartei und Teile der Grünen.

Ende September ist nun ein Gesetzentwurf aus dem Justizministerium bekannt geworden. Im Grunde ist er nur eine Fortschreibung der Rechtslage, wie sie ohne das Urteil des Landgerichts Köln schon bisher gegolten hat: Das Sorgerecht der Eltern umfasst grundsätzlich auch dann die Einwilligung in die Jungenbeschneidung, wenn diese nicht zwingend medizinisch notwendig ist, vorausgesetzt sie wird nach umfassender Aufklärung und medizinisch fachgerecht (was auch eine wirkungsvolle Schmerzbehandlung einschließt) vorgenommen.

Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Wenn keine seriös nachgewiesenen, schwerwiegenden Gründe gegen eine fachgerecht durchgeführte Jungenbeschneidung sprechen und es auf der anderen Seite gut möglich ist, dass die Beschneidung aus vorbeugenden medizinischen und hygienischen Gründen vorteilhaft sein kann, liegt die Entscheidung über ihre Durchführung im Rahmen des Sorgerechts der Eltern, wie dies auch bei vielen anderen mehr oder weniger bedeutenden Eingriffen in die weitere Entwicklung ihrer Kinder der Fall ist.

Die kinderpolitischen Fraktionssprecherinnen der SPD, Marlene Rupprecht, der Linkspartei, Diana Golze, und der Grünen, Katja Dörner, lehnten den vom Bundesjustizministerium vorgelegten Regelungsvorschlag trotzdem in einer gemeinsamen Erklärung ab und sprachen sich im Namen der Kinderrechte für ein Verbot der Jungenbeschneidung aus.

„Kinder sind Träger eigener Rechte“, begründeten sie ihre Haltung. „Ihre Rechte dürfen nicht – weder religiös motiviert noch aus anderen Erwägungen – zur Disposition gestellt werden. Dies geschieht aber mit dem vorliegenden Regelungsvorschlag. Es ist erschreckend, dass das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit bei den Überlegungen der Bundesregierung offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle spielt.“

Die Linkspartei hat das Urteil des Landgerichts Köln als einzige Fraktion im Bundestag verteidigt und eine gesetzliche Entkriminalisierung der Jungenbeschneidung mehrheitlich abgelehnt. Sie forderte in der Begründung für ihr Abstimmungsverhalten eine „gesellschaftliche Debatte“ über ein Verbot der Jungenbeschneidung bis zum Alter von 14 Jahren. (Bei Juden ist die Beschneidung im Alter von acht Tagen nach der Geburt vorgeschrieben, bei Muslimen bis zum Alter von 7 bis 10, höchstens 13 Jahren üblich.)

Die in der Linkspartei aktive „Sozialistische Alternative Voran“ (SAV) lehnt ein Verbot der Jungenbeschneidung zwar halbherzig ab, übernimmt aber die Argumente ihrer Gegner und versucht diesen einen fortschrittlichen Anstrich zu geben, indem sie behauptet, eine „Aufklärungskampagne gegen die Beschneidung“ würde die „Säulen der bürgerliche Gesellschaft“, Familie und Religion, in Frage stellen.

Tatsächlich ist seit dem Kölner Urteil eine „gesellschaftliche Debatte“ über, bzw. eine Kampagne gegen die Jungenbeschneidung entbrannt. Mit Aufklärung oder gar einer Infragestellung der bürgerlichen Gesellschaft hat diese aber nichts zu tun. Sie wird vorwiegend von Vertretern akademisch gebildeter Mittelschichten getragen und zeichnet sich durch eine enorme Aggressivität der Befürworter einer Kriminalisierung der Beschneidung aus. Obwohl sie unter dem Deckmantel von Aufklärung, Säkularismus und Kinderrechten geführt wird, sind antisemitische und islamfeindliche Untertöne unüberhörbar. Es ist kaum eine Woche ohne Talkshow oder Zeitungsartikel vergangen, in denen sich Juden und Muslime gegen den Vorwurf verteidigen mussten, sie würden ihre Kinder quälen, verstümmeln oder traumatisieren.

Die Argumentation der Kriminalisierungsbefürworter ist dabei immer gleich und letztlich ausgesprochen primitiv: Mit der Beschneidung gehe ein Stück empfindlicher Haut unwiederbringlich verloren, deshalb sei sie Körperverletzung, die ohne eine zwingende medizinische Notwendigkeit nicht zu rechtfertigen sei. Religiöse Bräuche, „an den Genitalien kleiner Jungen herumzuschneiden“, seien barbarisch. Nicht selten wird die religiöse Beschneidung mit der Prügelstrafe, der weiblichen Genitalverstümmelung oder sexuellem Missbrauch verglichen.

Dass bei der Beschneidung unwiderruflich einige Millimeter Haut verloren gehen, ist nicht zu bestreiten. Dazu wird sie ja gerade vorgenommen. Die Frage ob sie deshalb schädlich ist, wird damit jedoch keineswegs beantwortet, sondern erst gestellt. Auch bei der Entfernung von Mandeln oder Leberflecken geht unwiderruflich ein Bestandteil des Körpers verloren, ohne dass eine Einwilligung des betroffenen Kindes oder eine eindeutige medizinische Indikation vorliegt. Deshalb sind sie aber keine rechtswidrige Körperverletzung.

Das Argument der körperlichen Unversehrtheit müsste beispielsweise das Stechen von Ohrlöchern viel eher als die Beschneidung treffen. Anders als die Jungenbeschneidung hat es keinerlei medizinische Vorteile, sondern gesundheitlich ausschließlich Nachteile: ein recht hohes Infektions- und Komplikationsrisiko einschließlich Rissgefahr; durch die ständige Reizung mittels Ohrschmuck kann sich ein anhaltender Entzündungsherd bilden. Kaum ein Befürworter der Kriminalisierung der Jungenbeschneidung würde aber diesen Eingriff gleichfalls zu einem strafbaren Vergehen stempeln wollen.

Ein elementarer religiöser Brauch von Juden und Muslimen, den historisch bzw. zahlenmäßig wichtigsten religiösen Minderheiten in Deutschland, soll auf einmal barbarisch und kriminell sein. Wie die WSWS bereits früher erklärt hat, ist damit die Seelenverwandtschaft von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit offen geworden. (Siehe: „Das Kölner Beschneidungsurteil und seine Folgen“)

Auch bürgerlichen Zeitungen ist aufgefallen, dass die „Beschneidungsdebatte“ dem Antisemitismus Vorschub geleistet und dieser gerade unter bildungsbürgerlichen SchichtenAnklang gefunden hat. So schreibt die Süddeutsche Zeitung: „Es erschrecken nicht so sehr die zittrigen Leserbriefe derer, die nun erklären, dass die Juden selber schuld an Auschwitz sind, weil man sie, beschnitten wie sie sind, so leicht selektieren konnte. Es erschrecken eher die wohlformulierten Briefe, vertraut mit Kommaregeln und Gerundium, die erklären, dass ‚die‘ Juden glaubten, es gebe immer Sonderrechte für sie, ob es um ihre Söhne oder um die Westbank geht – dass man das aber nicht sagen dürfe.“

Parteien wie die Linke und die Grünen leisten diesem Neuaufguss von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit mit ihrer Kampagne gegen einen weit verbreiteten und elementaren Brauch von Juden und Muslimen Vorschub – diesmal unter dem Deckmantel von Kinderrechten und nicht, wie bisher üblich, von Frauenrechten.

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