Hunderttausende nahmen am Mittwoch in Griechenland an Protesten gegen das jüngste Sparpaket der Koalitionsregierung von Andonis Samaras, dem Vorsitzenden der konservativen Nea Dimokratia, teil. Die Demonstrationen sind die ersten größeren Massenbewegungen, seit Samaras vor drei Monaten Premierminister wurde.
Millionen Arbeiter folgten außerdem dem Aufruf zu einem 24-stündigen Generalstreik, zu dem die beiden Dachgewerkschaften des privaten und öffentlichen Sektors, der Allgemeine Arbeiterbund Griechenlands (GSEE) und der Beamtenbund (ADEDY), aufgerufen hatten. In vielen Teilen des Landes stellten die Verkehrsbetriebe und der öffentlich Dienst, darunter Schulen, Universitäten und Krankenhäuser, die Arbeit ein. Zahlreiche Flüge wurden abgesagt und Fährdienste zum Erliegen gebracht. Die Angestellten der Steuer-, Zoll- und Finanzministerien erklärten, sie würden ihren Streik bis Freitag fortsetzen.
Zu Beginn der Woche hatten die griechische Polizei, die Feuerwehr, die Ärzte und die Küstenwache gestreikt.
Das Ausmaß und die Auswirkungen des Streiks und der Proteste bekunden die wachsende Opposition in der Arbeiterklasse gegen die Kampagne der europäischen und griechischen Bourgeoisie, die Arbeiter in die Armut zu treiben, um die Banken und Finanzhäuser mit Billionen Euro öffentlicher Gelder zu retten. Die vorhergehenden Sparmaßnahmen haben die griechische Wirtschaft bereits in eine Wirtschaftskrise gestürzt: die Arbeitslosigkeitsrate liegt bei 25 Prozent, 30 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Die Regierung schätzt, dass die Wirtschaft bis 2014 um weitere 25 Prozent schrumpfen wird.
In der vergangenen Woche gab es ebenso Massenproteste in Portugal und Spanien, wo die von der „Troika“ (Europäische Union, Internationaler Währungsfond und Europäische Zentralbank) verlangten Sparmaßnahmen eine ähnliche soziale Katastrophe anbahnen.
Die größte Demonstration fand in Athen statt, wo etwa 70.000 Menschen durch das Zentrum der Stadt marschierten und skandierten: „Wir kuschen nicht vor der Troika!“ und „EU und IWF raus!“ Eine Reihe von Plakaten auf den Demonstrationen drückte Solidarität mit den Protesten in Spanien und Portugal aus.
Der Staat hatte sich auf die Demonstrationen in Athen vorbereitet, indem er 5.000 Polizeibeamten und Spezialeinheiten in das Stadtzentrum abkommandierte und neue kugelsichere Barrikaden um das Nationalparlament errichtete. Als ein Teil der Demonstranten versuchte, die Polizeiabsperrung zu durchbrechen, feuerte die Polizei Tränengas in die Menge.
Dutzende Demonstranten wurden außerdem von Bereitschaftspolizisten verhaftet, als Menschenmassen sich in Richtung des Omonia-Platzes bewegten, dem zweiten zentralen Platz der Hauptstadt, wo die der kommunistischen Partei nahestehende Militante Gesamt-Arbeiterfront (PAME) ihre eigene Demonstration abhielt.
Auffallend bei den Demonstrationen waren die großen Delegationen aus dem griechischen öffentlichen Dienst, Beamte, Ärzte und Lehrer. Ihnen schlossen sich eine große Anzahl von Rentnern, Studenten und Jugendlichen an.
Professoren griechischer Universitäten und Technischer Hochschulen hielten ihre eigene Demonstration ab, um gegen weitere Kürzungen des Bildungsetats zu protestieren. Sie versammelten sich vor den Ministerien für Finanzen und Entwicklung am Syntagma-Platz, bevor sie zum Hauptgebäude der Athener Universität marschierten.
Alle diese Teile der Arbeiterklasse und Jugendlichen wurden in den vergangenen vier Jahren durch aufeinander folgende griechische Regierungen, sowohl sozialdemokratischen als auch konservativen, wie nie zuvor in ihrem Lebensstandard angegriffen. Jetzt wurden sie mit dem neuen Sparpaket erneut ins Visier genommen. Der Staatshaushalt soll um 11,5 Milliarden Euro gekürzt werden. Am Donnerstag soll das griechische Parlament den Kürzungen zustimmen.
Das neue Sparpaket umfasst:
- weitere gewaltige Lohn- und Rentenkürzungen;
- Steuererhöhungen und die Abschaffung von Steuerausnahmen für sozial Bedürftige;
- eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67;
- Gesetzesänderungen im Arbeitsrecht, die flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen und es den Arbeitgebern erelichtern, Arbeiter zu entlassen;
- die Reduzierung oder Abschaffung von Sondersozialleistungen für Rentner, Behinderte und Großfamilien;
- die Schließung oder Zusammenlegung hunderter öffentlicher Einrichtungen (darunter Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten);
- die Vernichtung von 150.000 Arbeitsstellen im öffentlichen Bereich bis zum Jahr 2015;
- dramatische Kürzungen bei Bildung und Gesundheitsvorsorge.
Trotz der Tatsache, dass die vergangenen Regierungen alle Forderungen ignorierten, die Demonstranten in über einem Dutzend solcher Streiks und Aktionstage stellten, die von den Gewerkschaften in den vergangenen drei Jahren organisiert worden sind, versuchen die Gewerkschaftsbürokraten weiterhin Illusionen zu schüren, dass die Samaras-Regierung durch Druck zu einem Kurswechsel zu bewegen sei.
Ilias Iliopoulos vom Beamtenbund ADEDY erklärte, die Demonstrationen seien „eine Warnung an die Regierung, die Maßnahmen nicht zu verabschieden“. In einer weiteren hohlen Drohung von Seiten der Gewerkschaften sagte er: „Die Regierung sollte wissen, wenn sie uns weiter in die Ecke treiben will, werden wir reagieren.“ Dies war allerdings nur Teil des Appells an die Regierung, sie möge mit den Gewerkschaften über die Bedingungen der Kürzungen verhandeln.
Vor dem Finanzministerium bettelten die Gewerkschaften ganz ähnlich darum, bei der Formulierung der Kürzungen hinzugezogen zu werden. Die Gewerkschaften hatten einen unterwürfigen Brief an Finanzminister Giannis Stournaras und Kostis Chatzidakis, den Minister für Entwicklung, Wettbewerbsfähigkeit und Transport gesandt, und ein Treffen gefordert. Bei diesem Treffen sollten die Kürzungen der Professorengehälter und Etats für die Universitäten und Technischen Hochschulen diskutiert werden. Diese Kürzungen „machen den reibungslosen Betrieb der Einrichtungen für höhere Bildung und Forschung problematisch, wenn nicht unmöglich“.
In dem Brief bitten die Gewerkschaftsvertreter darum, „in die Mobilisierung aller wirtschaftlichen, produzierenden, wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und intellektuellen Kräfte des Landes” eingebunden zu werden, um „eine der größten Krisen der jüngsten Geschichte unseres Landes zu überwinden“.
Bei einer eigenen Kundgebung machten die Griechische Kommunistische Partei (KKE) und die ihr angeschlossene Gewerkschaft PAME klar, dass sie keine prinzipiellen Differenzen mit den beiden Hauptgewerkschaften haben. In einer Stellungnahme des politischen Büros der KKE, die vor der Demonstration veröffentlicht wurde, rief die stalinistische Partei zu einem „ menschenfreundlichen Ausweg aus der Krise“ auf. Sie unterstützte die Autorität der Gewerkschaften, forderte diese wenig überzeugend dazu auf „ihre Solidarität zu stärken“ und „militante Kampfformen zu wählen.“
Die Führung der wichtigsten „linken” Oppositionsorganisation, der griechischen Koalition der radikalen Linken (SYRIZA), beteuerte aufs Neue ihre Bekenntnis zur kapitalistischen Europäischen Union und deren gemeinsamer Währung.
Als er vor einer Woche einer argentinischen Zeitung ein Interview gab, lobte der SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras den Euro und machte eine Reihe von Vorschlägen, die in die gleiche Richtung gehen, wie diejenigen, die von bestimmten Kreisen bürgerlicher Ökonomen vorgelegt wurden. Er sagte der Zeitung Página: „Der Euro ist ein weltweit einzigartiges Phänomen. Wir haben eine gemeinsame Währung, das heißt eine Währungsunion, aber uns fehlt eine politische Union und eine Europäische Zentralbank, die jedem Land Europas Unterstützung gewähren kann.“
Jüngste Umfragen zeigen, dass der Rückhalt für SYRIZA in der Bevölkerung derjenigen für die regierende Nea Dimokratia entspricht. Tsipras hat sich mit führenden europäischen Vertretern getroffen, darunter mit Horst Reichenbach, dem Leiter der „Task Force Griechenland“ der Europäischen Kommission. Für den Fall, dass die jetzige Regierung nicht in der Lage sein sollte, der griechischen Arbeiterklasse das Diktat der Banken aufzuzwingen, wird der SYRIZA-Vorsitzenden als mögliche Alternative zu Samaras aufgebaut.