Mit brutaler Gewalt ging am Samstag in Dessau die Polizei gegen mehr als 200 Teilnehmer einer Demonstration zum Gedenken an Oury Jalloh vor und verletzte mehr als 30 von ihnen zum Teil schwer. Darunter Mouctar Bah, den Gründer der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“, der den Protestzug ordnungsgemäß angemeldet hatte. Die Protestierenden gedachten dem Todestag des aus Sierra Leone stammenden Asylbewerbers, der auf den Tag genau vor sieben Jahren in einer Zelle im Dessauer Polizeigewahrsam verbrannt war, und verlangten endlich Aufklärung über die Umstände seines Todes.
Schon zu Beginn wurde der Protestzug von 240 in voller Kampfmontur aufmarschierenden Polizisten aufgehalten. Die Polizei nahm Anstoß an einem Plakat mit dem Slogan „Oury Jalloh – das war Mord!“ und versuchte, Transparente und Schilder wegen angeblich „übler Nachrede“ zu beschlagnahmen. Eine Frau, die den Slogan mit Kreide auf den Asphalt malte, wurde geschlagen.
Hernach versuchte die Polizei immer wieder den Demonstrationszug aufzuhalten, doch die Demonstrierenden ließen sich nicht auf die Provokationen der Polizei ein und setzten ihren Protestzug friedlich bis zum Dessauer Polizeirevier fort.
Als sich im Anschluss an die Demonstration Teilnehmer auf den Weg zum Dessauer Bahnhofsgebäude machten, wurden sie dort von einem Polizeikordon in Empfang genommen. Es setzte eine Jagd auf langjährige afrikanische Aktivisten der Oury-Jalloh-Initiave ein. Die Polizisten schlugen Mouctar Bah bewusstlos, verletzten zwei weitere Vorstandsmitglieder der Initiative schwer am Kopf und sprühten anderen Pfefferspray direkt in die Augen.
Verletzten, die sich vor Schmerzen am Boden krümmten, wurde jede Hilfe verweigert, stattdessen wurden sie aufgefordert sich auszuweisen. Mehrere Personen wurden in Gewahrsam genommen, und die Polizei leitete 23 Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Verleumdung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ein. Dabei war die Polizei selbst mit überzogener Härte gegen eine friedliche Demonstration vorgegangen.
Seit Jahren sind Gedenk- und Protestveranstaltungen unter gleichen oder ähnlichen Parolen weder beanstandet noch verhindert worden. Doch diesmal erschienen wenige Tage vor der Demonstration Polizisten bei Mouctar Bah und teilten ihm mit, dass Plakate mit dem besagten Spruch von der Polizei nicht geduldet würden. Bei Zuwiderhandlung drohten sie ihm mit einer Strafanzeige.
Doch Mouctar Bah ließ sich nicht einschüchtern. Die als Mitveranstalter der Demonstration auftretende „Liga für Menschenrechte“ teilte der Polizeidirektion noch am Freitag ihr Befremden darüber mit, dass nun zur Straftat erklärt werde, was jahrelang geduldete Praxis gewesen sei. Sie verwies gleichzeitig darauf, dass hier offenbar bereits im Vorfeld ein Vorwand geschaffen werden solle, um der Polizei Eingriffsrechte zu verschaffen und Grundrechte außer Kraft zu setzen.
Die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ wandte sich derweil an die Dessauer Versammlungsbehörde, die die Demonstration genehmigt hatte. Sie nahm Bezug auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes des Landes Sachsen-Anhalt. Das Gericht hatte am 31. März 2006 festgestellt, dass das Verbot von schriftlichen oder mündlichen Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, rechtswidrig sei.
Doch die Versammlungsbehörde redete sich damit heraus, dass sie nicht gegen Maßnahmen der Polizei vorgehen könne, wenn diese bestimmte Verhaltensweisen als Straftatbestände ansehe. Wie zur Verhöhnung der Opfer des Gewaltexzesses der Polizei kündigte der Innenminister Sachsen-Anhalts, Holger Stahlknecht (CDU), dann am Montag an, die Polizei werde keinen Strafantrag wegen des Slogans stellen, „um eine weitere Eskalation zu verhindern“.
Wie außerdem bekannt wurde, hat die Polizei bereits vor einem halben Jahr gedroht, der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ die „Grenzen aufzuzeigen“. Die Gewerkschaft der Polizei hatte sich in einer Pressemitteilung darüber beklagt, dass der Polizei in Sachsen-Anhalt eine rassistische Kontrollpraxis vorgeworfen werde. Am Ende der Pressemitteilung heißt es: „Diese unhaltbaren Vorwürfe sind nicht hinnehmbar. Wer Amtsträgern solche negativen Ideologien unterstellt, dem muss man die Grenzen aufzeigen. Unsere Empörung über diese Äußerungen werden wir der ‘Initiative in Gedenken an Oury Jalloh’ deutlich mitteilen.“
Die Demonstration vom Samstag erschien da wohl als willkommene Gelegenheit, der Drohung Taten folgen zu lassen. Drei führende Vertreter der „Initiative Oury Jalloh“, die seit Jahren dafür kämpft, die tatsächlichen Umstände des grausamen Verbrennungstodes von Oury Jalloh aufzuklären, wurden am schwersten durch Polizeischläge verletzt.
Dabei gibt es gute Gründe für die Vermutung, beim Tod von Oury Jalloh hätten rassistische Motive eine Rolle gespielt. Er wurde am 7. Januar 2005 zur Identitätsfeststellung in Polizeigewahrsam genommen, obwohl er sich zuvor ausgewiesen hatte und keiner Straftat beschuldigt wurde. Auf der Polizeiwache wurde er allem Anschein nach zunächst misshandelt, darauf deuten ein gebrochenes Nasenbein und ein gerissenes Trommelfell hin. Schließlich wurde er auf eine Matratze gefesselt, wo er unter Umständen, die bis heute nicht aufgeklärt sind, wehrlos verbrannte.
Der Gründer und Vorsitzende der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh, Mouctar Bah, wurde von der Polizei mehrfach drangsaliert und mit gegenstandslosen Straftatvorwürfen konfrontiert. Afrikanische Aktivisten der Initiative wurden immer wieder gezielt kontrolliert. Asylbewerber in Dessau können ebenfalls ein Lied über die alltägliche erniedrigende Praxis der dortigen Polizei singen.
Das Revisionsverfahren vor dem Magdeburger Landgericht neigt sich inzwischen dem Ende zu. Um den Beweisanträgen der Nebenkläger Raum zu geben, wurden allerdings kurzfristig neue Sitzungstermine anberaumt und die Urteilsverkündung auf den 13. März verschoben.
Auch dieses Gerichtsverfahren konnte bislang kaum Licht in das Dunkel des Verbrennungstodes bringen. Trotz zahlreicher Ungereimtheiten und widersprüchlicher Zeugenaussagen folgt das Gericht weiter nur der Hypothese, dass sich der an den Händen gefesselte und auf eine feuerfeste Matratze fixierte Oury Jalloh selbst verbrannt habe.
Brandgutachter konnten bis heute nicht nachvollziehbar zeigen, wie dies überhaupt möglich wäre. Sie erhielten stets nur den Auftrag, den Brandverlauf so zu rekonstruieren, als habe sich Oury Jalloh selbst in Brand gesetzt. Dabei musste der Gutachter vor Gericht schließlich kleinlaut einräumen, dass der Zustand der Leiche so nicht zu erklären sei.
Wichtige Beweismittel wie Einsatzpläne, Gewahrsamsprotokolle und Videoaufnahmen sind von der Polizei vernichtet worden. Der Nachweis von Brandbeschleunigern wurde durch schlampiges Vorgehen bei der Aufbewahrung sichergestellter Asservate verunmöglicht, das plötzliche Auftauchen eines Feuerzeugs lange nachdem die Spurensicherung den Tatort begutachtet hatte, wurde nicht weiter verfolgt, und neuen Zeugenaussagen, dass die Polizisten Hans-Ulrich M. und Udo S. gegen 11.30 – eine halbe Stunde vor dem Brandausbruch – noch einmal bei Oury Jalloh in der Zelle gewesen seien, wurde nicht weiter nachgegangen.
Die Anklage gegen diese beiden Polizisten wurde sogar ganz fallen gelassen. Vor Gericht steht nur noch der Dienststellenleiter Andreas S. wegen fahrlässiger Tötung, da er den Brandmelder ausgeschaltet und dadurch die Hilfeleistung für den verzweifelt um sein Leben kämpfenden Oury Jalloh verhindert hatte.