Vom 9. bis zum 14. Oktober fand in Karlsruhe der 22. Ordentliche Gewerkschaftstag der IG Metall statt. Inmitten der tiefsten internationalen Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren ließ sich der Gewerkschaftsvorstand dort für seine Politik der Klassenzusammenarbeit feiern. Neben Bundespräsident Christian Wulff machte auch Kanzlerin Angela Merkel (beide CDU) dem Kongress ihre Aufwartung.
Opposition gegen den rechten Kurs des Vorstands gab es nicht. 96,2 Prozent der Delegierten bestätigten den Vorsitzenden Berthold Huber, der ohne Gegenkandidat antrat, im Amt. Ein solches Ergebnis für einen IGM-Vorsitzenden hatte es zuletzt im Jahr 1965 gegeben. Damals hatte Otto Brenner über 98 Prozent erhalten. Auch der Zweite Vorsitzende Detlef Wetzel wurde auf seinem Posten bestätigt.
Die IG Metall ist mit knapp 2,3 Millionen Mitgliedern die größte Einzelgewerkschaft in Deutschland. Nachdem sie in den vergangenen 20 Jahren rund 400.000 Mitglieder verloren hat, kann sie in diesem Jahr ein leichtes Plus von 4.000 Mitgliedern verzeichnen. Die IG Metall rechnet für das Jahr 2011 mit Einnahmen von rund 457 Millionen Euro. Insgesamt nahmen 481 stimmberechtigte Delegierte, weitere 120 IGM-Funktionäre und fast 600 zum Teil internationale Gäste am Gewerkschaftstag teil.
Den hauptsächlichen Arbeitsbereich der Gewerkschaft bildet die Metall- und Elektroindustrie. Diese ist mit 22.000 Betrieben und 3,45 Millionen Beschäftigten ein Schlüsselbereich der Wirtschaft.
Unter den beiden Vorsitzenden Berthold Huber und Detlef Wetzel hatte die IG Metall in der letzten Lohntarifrunde ausdrücklich auf eine Lohnforderung verzichtet. Damit wirkte die Gewerkschaft nach Jahren des Stillhaltens und Abbaus von Arbeitsplätzen aktiv daran mit, die Folgen der internationalen Wirtschaftskrise auf die Beschäftigten abzuwälzen.
Huber sagte dazu, eine Krise sei „für die Gewerkschaften nie der Fanfarenstoß für Erfolge an der Entgeltfront“. In Zeiten, in denen die Verteidigung von Arbeiterinteressen am dringendsten ist, erklärte der IG-Metall-Chef dies für unmöglich.
Huber wurde für diese Politik von breiten Teilen der herrschenden Klasse gelobt. Schon im März des vergangenen Jahres hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Feier zu Hubers 60. Geburtstag im Kanzleramt veranstaltet, eine Ehre, die nur wenigen zuteilwird, wie etwa dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Josef Ackermann. Zu Hubers Geburtstagstafel waren damals auch Metall-Arbeitgeber-Präsident Martin Kannegiesser, Siemens-Chef Peter Löscher und VW-Chef Martin Winterkorn sowie die Betriebsräte großer Konzerne wie Klaus Franz von Opel und Uwe Hück von Porsche im Kanzleramt erschienen.
In seinen Kongress-Reden betonte Huber mehrfach, die Gewerkschaft kümmere sich um „den Zusammenhalt der Gesellschaft“. Dass er und sein Stellvertreter Wetzel darunter eine enge Zusammenarbeit mit der Regierung verstehen, unterstrich der hochrangige Besuch.
Bundespräsident Wulff kam bereits am zweiten Tag zum Kongress. Drei Wochen zuvor hatte er auf dem Kongress der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft, Verdi im Besonderen und den Gewerkschaften im Allgemeinen für ihre Arbeit in den letzten Jahren gedankt.
Auch in Karlsruhe betonte er nun: „Unsere Demokratie, unsere Gesellschaft kann ich mir nur mit freien, kraftvollen Gewerkschaften vorstellen.“ Es sei auch das Verdienst der Gewerkschaften, dass Deutschland in dieser Krise bislang gut dastehe. „Ich denke an Jahre der Lohnzurückhaltung, an Teilzeit- und Kurzarbeiterreglungen.“
Betriebliche Absprachen ließen den „strukturellen Wandel“ zu, umschrieb Wulff wohlwollend die enge Zusammenarbeit der IGM-Betriebsräte mit den Unternehmensspitzen vor Ort. Die Gewerkschaft hatte bereits 2004 in dem so genannten Pforzheimer Abkommen Abweichungen vom Tarifvertrag in einzelnen Unternehmen zugestimmt, die von den Betriebsräten auch ohne wirtschaftliche Notlage vereinbart werden können.
Wulff dankte der IG Metall, dass sie „Maß gehalten“ habe, und versicherte den Delegierten, er vertraue auch in Zukunft darauf, dass die IG Metall den weiter voranschreitenden „Strukturwandel“ – gemeint waren Arbeitsplatzabbau und Standortschließungen – mit gestalte, denn der Ausstieg aus der Atomindustrie werde den Strukturwandel weiter beschleunigen. „Manche Industriebereiche werden weniger rentabel, einige werden wohl auch wegfallen. Sie, die IG Metall, können bei diesem Wandel eine wichtige Rolle spielen.“
Ausdrücklich dankte er den Delegierten, von denen 88 Prozent älter als 35 Jahre waren, dass sie sich verstärkt Jugendlichen zuwenden wollten. Wenn die Gesellschaft Jugendliche vergesse, dann reiße „der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“. Es sei daher „extrem wichtig“, dass sich die IG Metall mit eigenen Programmen engagiere. „Dafür sage ich ausdrücklich Dank.“
Wulff spielte hier auf die mit viel Getöse umworbene Kampagne der IGM-Jugend für eine unbefristete Übernahme von Auszubildenden an. In Wirklichkeit soll diese Kampagne vor allem die Jugend ruhig halten. Wulff sprach dies auch unumwunden aus: „In vielen unserer europäischen Nachbarländer rebelliert die Jugend. Bei uns nicht. Das soll so bleiben.“
Er schloss mit den Worten: „Ihr Einsatz als größte deutsche Industriegewerkschaft ist unverzichtbar für unser Land!“
Auch Kanzlerin Merkel ließ es sich „trotz ihres engen Terminplans“ nicht nehmen, zum Gewerkschaftstag zu kommen. „Gestern noch in der Mongolei – heute in Karlsruhe“, jubelte das IGM-Pressebüro am Freitag.
Den Dank Hubers für ihren Besuch und „für eine faire und ehrliche Zusammenarbeit während der Wirtschaftskrise“ gab Merkel zurück. Auch sie lobte ausdrücklich die IG Metall für ihr „Maßhalten in der zurückliegenden Wirtschaftskrise“. Als erstes Industrieland habe Deutschland ein Produktionsniveau wie vor der Krise erreicht. „Das haben Wirtschaft, Gewerkschaften und die Politik gemeinsam geschafft.“ Die Sozialpartnerschaft – die enge Zusammenarbeit von „Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik“ – habe sich in Deutschland in Zeiten der Krise bewährt.
Auch für die gemeinsame Position in der Europafrage bedankte sich die Kanzlerin. Die IG Metall hatte gemeinsam mit sieben weiteren Einzelgewerkschaften und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in einer teuren Anzeigenkampagne für die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) geworben. Mit dem Rettungsschirm sollen die Profite der Banken erneut mit öffentlichen Geldern gesichert werden. Huber hatte seine uneingeschränkte Unterstützung für den EFSF ausgedrückt.
Merkel sicherte der IG Metall zu, auch weiterhin konstruktiv mit ihr zusammenzuarbeiten.
Sowohl Wulff als auch Merkel sprachen sich für eine Beibehaltung der Rente mit 67 und gegen Steuererhöhungen für Reiche und Unternehmen aus. Die IG Metall fordert offiziell die Rücknahme der Rente mit 67 und höhere Reichensteuern und Löhne. Auswirkungen auf ihre praktische Politik hat dies jedoch nicht.
Bundespräsident Wulff benutzte in seiner Rede denn auch eine Sprachregelung, die es der Gewerkschaft ermöglicht, bei der Erhöhung des Rentenalters mit der Regierung zusammenzuarbeiten. „Dabei muss sorgfältig abgewogen werden, was Menschen in unterschiedlichen Berufen und Lebensphasen leisten können“, sagte er. Entscheidend sei, „dass wir flexible Übergänge ermöglichen und praktikable Lösungen finden“.
Dass die IG Metall gemeinsam mit der Bundesregierung „praktikable Lösungen“ im Interesse der Wirtschaft finden wird, dass bewies einmal mehr der Kongress der letzten Woche.
Von der angeblichen Opposition in der IG Metall, auf die sich vor allem pseudolinke Gruppierungen immer wieder berufen, um ihre Unterstützung der Gewerkschaften zu rechtfertigen, war in Karlsruhe nicht zu spüren. Je weiter die IG Metall nach rechts rückt, desto geschlossener sind ihre Reihen.
Die einzige ernsthafte Meinungsverschiedenheit entwickelte sich über die Mitgliederzahl im hochdotierten Vorstand. Der ehemalige Maoist Huber verdient nach eigenen Angaben 261.000 Euro im Jahr, plus diverse Aufsichtsratstantiemen (allein bei Siemens waren es im letzten Jahr 253.000 Euro), von denen er 10 Prozent für sich behält.
Huber und Wetzel wollten den geschäftsführenden Vorstand per Satzungsänderung von sieben auf fünf Mitglieder verkleinern, nachdem der Vorstand in den vergangenen vier Jahren bereits 200 Stellen in der Verwaltung abgebaut hat, um jährlich 20 Millionen Euro an Gehältern einzusparen. Laut Huber soll die IG Metall dadurch „schlank und effizient“ werden.
Der Kongress lehnte die Reduzierung der Posten jedoch ab. Der Antrag verfehlte die notwendige Zweidrittel-Mehrheit. Viele der anwesenden Funktionäre sahen offenbar ihre eigenen Aufstiegschancen schwinden, wenn die Zahl der Vorstandsposten, die vorwiegend von über 60-Jährigen blockiert sind, auch noch reduziert werden.