Polizeispitzel als Agents Provocateurs

In den vergangenen Wochen wurden mehrere Spitzel von Polizei und Geheimdienst entlarvt. Dabei zeigte sich, dass sogenannte verdeckte Ermittler in der deutschen und europäischen linken Szene systematisch aktiv sind. Ihr Auftrag besteht offensichtlich nicht nur darin, möglichst viele Informationen über oppositionelle Gruppierungen zu sammeln und detaillierte Personenprofile anzulegen. Sie handeln auch als Agents Provocateurs und stiften zu Straftaten an, die dann zur Rechtfertigung staatlicher Angriffe benutzt werden.

Zwei dieser Spitzel, die jetzt aufgeflogen sind, arbeiteten in verschiedenen linken Organisationen, an Universitäten, unter Umweltschutzaktivisten und unter anderen Protestgruppen. Namentlich handelt es sich um den Briten Mark Kennedy, der unter dem Decknamen Mark Stone über sieben Jahre lang die linke Szene in zwanzig Ländern ausspionierte und mehrfach zu illegalen Aktionen aufrief. Unter anderem war er in Deutschland 2007 an den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm beteiligt.

Bei dem zweiten Fall geht es um einen Spitzel des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, der fast ein Jahr lang an der Uni Heidelberg linke Studentengruppen ausforschte.

Der Polizist Mark Kennedy war über acht Jahre lang als verdeckter Ermittler in der Umweltaktivisten-Bewegung tätig und trat dort als besonders militanter Kämpfer auf. Unter seinem Decknamen Mark Stone hängte er Transparente an Kräne und beteiligte sich an der Blockade von Zügen und Straßen. Wenn es irgendwo zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam, war er mitten drin.

Nach Angaben von Spiegel Online spielte der 41-Jährige über viele Jahre ein übles und provokatives Doppelspiel. „Von 2002 bis 2009 war er als verdeckter Ermittler im Auftrag von Scotland Yard in der militanten Umweltszene aktiv, zunächst in Großbritannien, danach in ganz Europa. Nach Angaben von Mitstreitern hat er als Agent Provocateur viele Proteste noch angeheizt.“

Kennedy arbeitete für die National Public Order Intelligence Unit (NPOIU), eine von mehreren Anti-Terror-Einheiten, die im Laufe des letzten Jahrzehnts in Großbritannien geschaffen worden sind. Die NPOIU ist wiederum der Association of Chief Police Officers (Acpo) unterstellt. Die Acpo ist keine staatliche Behörde, sondern eine private Firma hochrangiger Polizeibeamter, an die Scotland Yard im Rahmen des so genannten Outsourcings heikle Aufträge überträgt, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren soll.

Laut der britischen Zeitung Guardian hat die NPOIU eine Datenbank mit rund 2.000 Profilen von Aktivisten angelegt, auf die nicht nur die Polizei Zugriff hat. Die Acpo verkauft ihre Daten auch an Kraftwerksbetreiber und andere interessierte Firmen, um damit Profit zu machen.

Kennedy, alias Mark Stone, benutzte einen gefälschten Reisepass und versuchte sich mit langen Haaren, Bart, großflächigen Tätowierungen und seiner Kleidung fast perfekt an das Protestmilieu anzupassen. Er war in über zwanzig Ländern aktiv. Unter anderem beteiligte er sich an Protesten gegen den Bau eines Staudamms in Island, reiste mit Ökoaktivisten durch Spanien und infiltrierte anarchistische Netzwerke in Deutschland und Italien.

In einem Telefongespräch zwischen Kennedy und einem Mitglied der Umweltschutzgruppe, in der er aktiv war, das aufgenommen und von BBC Newsnight gesendet wurde, bestätigte Kennedy, dass er nicht der einzige Polizist war, der als verdeckter Ermittler in der Gruppe arbeitete.

Später wurde bekannt, dass die „Mark Stone“-Operation pro Jahr 250.000 britische Pfund kostete, darin eingeschlossen 50.000 Pfund Jahresgehalt für Kennedy. Kennedy beteiligte sich seit 2003 an fast allen größeren Umweltprotesten in Großbritannien und infiltrierte auch antirassistische Gruppen, Anarchisten und Tierschutzaktivisten.

Er hatte viele Kontakte in Deutschland und spielte im Vorfeld und während der Protestdemonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 eine besonders üble Rolle. Später wurde sein Einsatz auch Thema in einer vertraulichen Sitzung des Bundestags-Innenausschusses.

Die Süddeutschen Zeitung berichtete Ende Januar, wie BKA-Chef Jörg Ziercke auf entsprechende Nachfragen in diesem Gremium versuchte, den Einsatz zu beschönigen. Auf Fragen der Abgeordneten antwortete er, Kennedy alias Stone sei vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm von den Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern angefordert worden. Es sei in solchen Fällen üblich, dass ein Vertrag zwischen dem Land und den Briten geschlossen werde. Das BKA habe nur vermittelt.

Kennedy nahm auch sehr häufig an Aktionen in Berlin teil. Dort wollte er vor allem die Antifa-Szene ausspionieren und zu gewalttätigen Aktionen anstiften. Etwa zeitgleich mit den Protesten in Heiligendamm 2007 soll Kennedy in Berlin am Rosenthaler Platz einen Müllcontainer angezündet haben. Ein Verfahren wegen Sachbeschädigung wurde eingestellt.

Der amerikanische Aktivist Jason Kirkpatrick, der in Berlin lebt und Kennedy unter seinem Tarnnamen Mark Stone seit 2004 kannte, erhebt laut Spiegel schwere Vorwürfe: Mindestens zweimal habe Kennedy in Deutschland an Vorbereitungstreffen des autonomen „Dissent“-Netzwerkes teilgenommen, auch während des Gipfels an der Ostseeküste sei der Brite vor Ort gewesen. „Mark war eindeutig ein Agent Provocateur“, so Kirkpatrick.

Laut BKA-Chef Ziercke gab es allerdings keinen Vertrag von Kennedy mit den Berliner Behörden.

Dagegen wisse man vom Bundesland Baden-Württemberg, so Ziercke, dass es Kennedy als verdeckten Ermittler angefordert habe und dass einen entsprechenden Vertrag mit ihm unterschrieben worden sei. Über Kennedys Aufgabe und Rolle in Baden-Württemberg ist bis jetzt nichts an die Öffentlichkeit gedrungen.

In diesem Zusammenhang ist eine Pressemitteilung der „Bundesgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten“ vom Oktober vergangenen Jahres interessant. (http://www.kritische-polizisten.de/stuttgart_21/pressemitteilung_stuttgart-21_2010-10-23.pdf) Darin wehren sich Polizeibeamte gegen den Einsatz von Lockspitzeln und Provokateuren. Sie decken auf, dass Angriffe auf die Polizei, die dann medienwirksam eingesetzt wurden, von Beamten selbst inszeniert worden sind. In der Pressemitteilung heißt es:

„Auf dem Video, das von der Homepage des Polizeipräsidiums in Stuttgart mit dem Titel ‚Gewalt gegen Polizeibeamte‘ angeklickt, geöffnet und angesehen werden kann, geht nicht die ganze Wahrheit hervor. Dort ist nach einer Minute und 3 Sekunden bis zu 1:11 zu sehen, wie sich aus den Reihen der Demonstranten plötzlich eine vermummte Person auf die Polizeibeamten – perfekt für die Aufnahmen durch die Polizeikamera, also wie ‚gestellt‘ – zubewegt und diese unvermittelt mit Pfefferspray (?) attackiert. Diese Person taucht sofort wieder ab. – Dort endet die Sequenz, die die Stuttgarter Polizei unter anderem den Parlamentariern zeigte, um den Titel des Videos ‚Gewalt gegen Polizeibeamte‘ zu belegen.“

Weiter heißt es in der Pressemeldung: „Es gibt glücklicherweise Filmaufnahmen von Versammlungsteilnehmern, die die Abläufe nach Ende des offiziellen Videos darstellen. Sie zeigen deutlich, wie der ‚Pfeffer‘sprayer nach seinem Angriff auf die Polizeibeamten und nach Abtauchen von anderen Vermummten an den Weg geleitet wird. Und wohin wird der Täter gebracht? Richtig: Zu Polizeibeamten. Mitten in die Reihen der Polizei hinein. War dies gar eine durchgeführte Festnahme? Natürlich nicht. Diese Vorgehensweise dient lediglich der Sicherung des Täters. Er wurde von seinen KollegInnen zu seinem Schutz in einen Schutzraum geleitet, weil er nur so tat, als würde er den Widerstand gegen ‚Stuttgart 21‘ unterstützen wollen. In Wahrheit handelt es sich um einen von Steuergeldern finanzierten Agent Provocateur der sogar noch selbst zum Täter geworden ist, aber straffrei bleiben ‚muss‘.“

Fast zeitgleich mit dem Fall Mark Kennedy ist auch in Heidelberg ein Polizeispitzel mit dem Namen Simon Brenner aufgeflogen. Simon Brenner war Beamter des Landeskriminalamts Baden-Württemberg und sollte linke Aktivisten ausspähen und die Antifa-Szene in Heidelberg infiltrieren.

Zu diesem Zweck schrieb er sich zum Sommersemester 2010 an der Uni Heidelberg für die Fächer Germanistik und Ethnologie ein und schloss sich der Hochschulgruppe Linke.SDS an Er beteiligte sich am Erstsemestergrillen, an Lesekreisen und Anti-Atom-Demonstrationen und fuhr am 1. Mai mit nach Berlin.

Im August wechselte er dann zu der „Kritischen Initiative“, einer Gruppe, die aus den Protesten gegen die Studiengebühren 2007 hervorgegangen war. Brenner soll immer nett und höflich und sehr hilfsbereit gewesen sein. Seine wirkliche Rolle bestand aber darin, die Szene auszuforschen und detailliert an das LKA zu berichten.

Seine Identität flog auf, als bei einer Party im Dezember eine Urlaubsbekanntschaft auftauchte und zu ihm sagte, „du bist doch der Simon von der Polizei“. Darauf habe er den Anwesenden eingestanden, dass er für das Landeskriminalamt, Abteilung „Verdeckte Ermittlungen“ arbeite.

Mitte Januar bestätigte der Innenminister von Baden-Württemberg Heribert Rech (CDU), dass ein verdeckter Ermittler neun Monate lang die linke Szene in Heidelberg ausspioniert habe. Angeblich sei es um „konkrete Zielpersonen aus der antifaschistischen/anarchistischen Szene aus dem Bereich Heidelberg Rhein-Neckar-Kreis“ gegangen.

Die Informationen über die Machenschaften von Mark Kennedy und Simon Brenner zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Die geheimdienstlichen Aktivitäten gegen Protestbewegungen und oppositionelle politische Organisationen in Europa und Deutschland haben ein weit verzweigtes und völlig unüberschaubares Ausmaß angenommen. Sie finden weitgehend ohne rechtliche Grundlage statt und nehmen mehr und mehr die Form einer Polizeistaatsverschwörung gegen die Bevölkerung an.

„Verlässliche Angaben darüber, wie viele verdeckte Ermittler im Bereich des Staatsschutzes spionieren oder provozieren, gibt es nicht“, schrieb die Süddeutscher Zeitung Ende vergangenen Monats und fügte hinzu, grenzüberschreitende Aktionen verdeckter Ermittler in Europa seien „Alltag geworden“. Die Zeitung zitiert einen hochrangigen Berliner Sicherheitsbeamten, der erklärt habe, beim G8-Gipfel in Heiligendamm sei eine „Internationale der verdeckten Ermittler im Einsatz gewesen“.

Doch die Forderung von SPD-Politikern, Grünen und Linkspartei – deren Abgeordnete im Innenausschuss noch detailliertere Angaben über die Aktivitäten der Geheimdienste erhalten – beschränkt sich auf darauf, die Aktivitäten der international agierenden verdeckten Ermittler müssten auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Mit anderen Worten: Durch neue Gesetze soll die kriminelle Praxis legalisiert werden.

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