Griechenland errichtet Grenzzaun zur Flüchtlingsabwehr

Im Umgang mit Flüchtlingen offenbart sich der Charakter einer Gesellschaft. Die Ankündigung der griechischen Regierung, bis April an der Grenze zur Türkei einen drei Meter hohen Grenzzaun zu errichten, um Flüchtlinge an der Einreise in die EU zu hindern, zeigt beispielhaft, mit welcher Verachtung die herrschende Klasse in Europa auf die Bevölkerung herabsieht.

Der Grenzzaun symbolisiert nicht nur die Festung Europa, sondern ist ein Musterbeispiel für die Angriffe der europäischen Regierungen auf die demokratischen Rechte der gesamten Bevölkerung. Nicht zuletzt stellt der Grenzzaun zwischen den Nato-Staaten Griechenland und Türkei eine gezielte Provokation des EU-Anrainerstaates am Bosporus dar, dessen Beitrittsersuchen zur EU seit Jahren blockiert und mit fadenscheinigen Argumenten hinausgezögert wird.

Am vergangenen Samstag erklärte der griechische Zivilschutzminister Christos Papoutsis von der regierenden sozialdemokratischen PASOK gegenüber der Nachrichtenagentur ANA: „Die Grenzen der Geduld der griechischen Gesellschaft sind längst überschritten. Jetzt planen wir einen Zaun zu bauen, um die illegale Einwanderung abzuwehren.“

Tatsächlich ist es aber weniger die griechische Bevölkerung, die zu dieser Maßnahme drängt, als die EU, die von der Regierung in Athen verlangt, dass „das größte Loch in Europas Außengrenze“ gestopft wird, wie ein griechischer Grenzpolizist die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland bezeichnete.

Der geplante Zaun soll dabei nicht die ganze Grenze entlang führen, sondern den neuralgischen Punkt sichern. Der Grenzverlauf zwischen den beiden Mittelmeerstaaten verläuft entlang des Flusses Evros, der in der Türkei Meric genannt wird. Umsäumt wird der Fluss von Minenfeldern, die zum Teil noch aus den Balkankriegen im Zuge des ersten Weltkriegs stammen, zum Teil aber auch erst während der Zypern-Krise in den 1970er Jahren angelegt wurden.

Nur zwischen den beiden Städten Orestiada auf griechischer und Edirne auf türkischer Seite knickt der Fluss nach Osten ab und beschreibt einen großen Bogen. Hier kann der Evros auf türkischem Gebiet bequem über eine Brücke passiert und die Grenze zwischen der EU und der Türkei auf dem Landweg erreicht werden. Und genau hier soll nun ein scharf bewachter Zaun mit Wärmebildkameras und Bewegungsmeldern entstehen, dessen Vorbilder in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika und an der Grenze zwischen den USA und Mexiko stehen.

Diese Art der Grenzbefestigung verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, nach der kein Schutzsuchender an der Grenze zurückgewiesen werden darf ohne seine Schutzbedürftigkeit zu prüfen, wie der Europäische Gerichtshof in einem Grundsatzurteil entschieden hatte. Obwohl beide Konventionen für die EU-Mitgliedsstaaten bindend sind und der Grenzzaun einen eklatanten Bruch geltenden EU-Rechts darstellt, hält sich die EU-Kommission auffallend zurück.

Ein Sprecher der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hat die griechischen Pläne zwar offiziell kritisiert und die Einhaltung geltender Standards angemahnt, griechische Regierungskreise ließen jedoch verbreiten, dass es Malmström selbst gewesen sei, die erst kürzlich bei einem Besuch an der griechisch-türkischen Grenze die Errichtung von Sperranlagen zur Flüchtlingsabwehr vorgeschlagen habe.

Bereits seit dem 1. November wird die Grenze durch eine schnelle Eingreiftruppe („Rapid Border Intervention Team“ – Rabit) der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gesichert. Es ist der erste Einsatz einer solchen Truppe, die aus rund 200 schwer bewaffneten Grenzschützern aus 25 EU-Staaten besteht, darunter etwa 40 aus Deutschland. Deren Mandat wurde erst kürzlich bis Ende März verlängert, bis dahin soll dann auch der Grenzzaun fertig gestellt sein.

Die Europäische Union hat den Frontex-Einsatz beschlossen nachdem immer mehr Flüchtlinge den Weg über die Türkei in die EU wählen. Die Seegrenzen von Spanien, Frankreich und Italien sowie in der Ägäis werden mittlerweile so scharf bewacht, dass kaum noch Flüchtlinge das Mittelmeer per Boot überqueren können.

In Griechenland hingegen sollen laut Statistik in den ersten neun Monaten 2010 mehr als 130.000 Flüchtlinge ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung aufgegriffen und verhaftet worden sein. Mehr als 30.000 waren es auf dem kurzen Grenzstück zwischen Orestiada und Edirne, viermal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Durch den Einsatz der Frontex-Truppe hat sich die Zahl der täglich aufgegriffenen Flüchtlinge inzwischen halbiert, in den Augen der EU ist deren Anzahl aber immer noch viel zu hoch.

Die Frontex-Truppe dient dabei nicht nur der Zurückweisung von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze, sie ist auch direkt an Menschenrechtsverletzungen in Griechenland beteiligt, dessen Asylsystem nur auf dem Papier existiert. Ein deutscher Grenzschützer hat gegenüber einer Delegation der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erklärt, dass man bei diesem Einsatz in ein „moralisches Loch“ falle. Er habe Skrupel, Aufgegriffene den griechischen Behörden zu überstellen.

Die Flüchtlinge stammen zu einem überwiegenden Teil aus Afghanistan, dem Iran, Irak, Somalia und aus Nordafrika. Gleichgültig ob sie an der Grenze aufgegriffen werden oder selbst bei den Behörden ein Asylgesuch stellen, sie werden umgehend unter dem Vorwurf der „illegalen Einreise“ festgenommen und in spezielle Flüchtlingslager gesteckt. Abgesehen davon, dass Flüchtlinge keinerlei Chancen haben, anders als „illegal“ in die EU einzureisen, da sie kaum in der Lage sind, vorher offiziell ein Visum und eine Ausreisegenehmigung zu beantragen, ist die Kriminalisierung und willkürliche Verhaftung ein Skandal.

Die Zustände in den Lagern und auf den Polizeidienststellen in Griechenland sind katastrophal. Erst im November hatte das Antifolterkomitee des Europarates schwere Vorwürfe gegen die griechischen Behörden erhoben und zahlreiche Fälle von Misshandlungen und Folter in den Flüchtlingslagern dokumentiert.

Auch andere Organisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch, Pro Asyl und Welcome to Europe haben die menschenverachtenden Zustände in den griechischen Lagern dokumentiert. Es gibt keine Dolmetscher für die Flüchtlinge, die dadurch in der Regel nicht einmal wissen, warum und wie lange sie inhaftiert werden, wobei eine Haftdauer von mehreren Monaten keine Seltenheit ist. Ihnen wird jede Möglichkeit genommen, einen regulären Asylantrag zu stellen.

Die Lager am Evros bestehen oftmals aus ehemaligen Lagerhallen, in die Gitter eingezogen wurden, die die Zellen abtrennen, und die hoffnungslos überfüllt sind. Unbegleitete Minderjährige, Familien, Frauen und Männer werden wahllos zusammengepfercht.

In dem mittlerweile geschlossenen Lager Pagani auf Lesbos gab es für über 250 Inhaftierte gerade einmal 39 Doppelstockbetten aus Metall mit dünnen zerschlissenen Matratzen. Der Großteil der Flüchtlinge musste auf dem Fußboden schlafen. „Die Toiletten sind ständig übergelaufen, dann floss Wasser über den Boden, auf dem die Menschen lagen, für die es keine Betten mehr gab“, berichtete der afghanische Flüchtling Aziz Sultani gegenüber der tageszeitung.

In anderen Lagern gibt es nicht genug Lebensmittel für die Gestrandeten, eine medizinische Versorgung ist unbekannt. Im Lager Pagani wurden die Zustände so unerträglich, dass die Insassen schließlich Feuer in ihren Zellen legten, um die sozialdemokratische PASOK-Regierung zu zwingen, das Lager aufzulösen.

Die europäischen Frontex-Beamten beteiligen sich nun an diesen eklatanten Menschenrechtsverletzungen. Sie überstellen aufgegriffene Flüchtlinge an die griechischen Behörden unter dem Wissen der katastrophalen Zustände in den Abschiebelagern, und sie sind auch direkt in den Prozess involviert.

Die Frontex-Truppe führt nämlich ein Screening-Verfahren durch, mit dem bei den Flüchtlingen die Identität und vor allem deren Herkunft ermittelt werden soll. Dieses Verfahren, das in Deutschland zum Teil Tage dauern kann und dann immer noch fehlerhaft ist, wird an der griechischen Grenze in wenigen Minuten durchgeführt. Das Ziel ist dabei, möglichst viele Flüchtlinge als Iraner, Iraker oder Syrer zu identifizieren, da diese Flüchtlinge umgehend wieder in die Türkei abgeschoben werden können.

Seit Mai 2010 besteht zwischen Griechenland und der Türkei ein Rücknahmeabkommen für illegal eingereiste Flüchtlinge, die Griechenland über die Türkei erreicht haben. Doch die Türkei nimmt nur die Flüchtlinge zurück, die sie selbst in angrenzende Länder zurückschicken kann. Dadurch geraten die Flüchtlinge alsbald wieder in die Hände der Schergen, denen sie sich nach dem Erreichen der EU entkommen wähnten. Es werden auch Pakistani und Afghanen kurzerhand zu Irakern erklärt, um sie schnellstmöglich abschieben zu können.

Trotz der Harmonisierung des Asylrechts durch die EU ist das Asylsystem in Griechenland weiterhin nur ein schlechter Witz. Knapp 50.000 Fälle warten seit Jahren auf eine Entscheidung, nur 0,3 Prozent aller Anträge werden genehmigt, alle anderen werden als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen. Die Flüchtlinge werden mit der Aufforderung, Griechenland innerhalb von 30 Tagen zu verlassen, mittellos auf die Straße gesetzt und illegalisiert.

Ein Teil der Flüchtlinge versucht, sich in andere EU-Staaten durchzuschlagen, um erneut einen Asylantrag zu stellen. Diese Staaten berufen sich dann aber auf das Dublin-II-Abkommen, nach dem Asyl nur in dem EU-Land beantragt werden kann, in das die Flüchtlinge zuerst eingereist sind.

Die Abschiebung nach Griechenland wird allerdings aufgrund der unmenschlichen Zustände in den dortigen Lagern immer häufiger durch Gerichte verhindert. 2010 hat etwa Deutschland mehr als 2.000 Übernahmeersuchen an Griechenland gerichtet, aber nur 49 Abschiebungen sind tatsächlich erfolgt. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat zudem ein Grundsatzurteil zu der Frage angekündigt, ob die Abschiebung von Asylsuchenden in andere Staaten ohne Prüfung rechtmäßig ist.

Die unklare Rechtslage hat inzwischen dazu geführt, dass die EU-Kommission die Regierung in Athen aufgefordert hat, mehr Anstrengungen beim Ausbau des Asylsystems zu unternehmen, da die humanitäre Lage der Flüchtlinge „besorgniserregend“ sei, wie EU-Innenkommissarin Malmström sagte.

Unter dem Deckmantel der Humanität verbirgt sich jedoch eine knallharte Durchsetzung der Interessen der binneneuropäischen Staaten, in erster Linie Deutschlands. Der Anstieg der Asylbewerberzahlen in Deutschland wird von der deutschen Regierung direkt den griechischen Behörden angelastet. Stellvertretend erklärte Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses, dass die „EU und Deutschland ein überragendes Interesse daran haben, dass die Drittstaatenregelung nicht ausgehebelt wird“.

Bosbach sieht wie Malmström im geplanten Grenzzaun nur einen Mosaikstein in der Flüchtlingsabwehr. „Ob der Zaun dauerhaft ein geeignetes Mittel ist, um der Flüchtlingsströme Herr zu werden, dahinter mache ich ein großes Fragezeichen“, erklärte Bosbach gegenüber der Frankfurter Rundschau. Die EU müsse „die Ursachen für Flucht an der Wurzel packen“.

Gemeint ist damit eine vollständige Abschottung der Grenze und die Abwehr der Flüchtlinge, bevor sie überhaupt die EU erreichen. Notwendig sei, so Bosbach, eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU, Griechenland und Drittstaaten, wobei er der Türkei vorwarf, „kein gesteigertes Bedürfnis zu haben, dass die Migrantenströme nicht nach Griechenland kommen“. Die türkische Regierung wird dabei gezielt unter Druck gesetzt, konsequent gegen Flüchtlinge vorzugehen, um die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei weiter zu verschleppen.

Für die Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Flüchtlingen sind die europäischen Staaten, die auf Durchsetzung des Dublin-II-Abkommen pochen und vor den Zuständen in den griechischen Lagern und an der Grenze die Augen verschließen, genauso verantwortlich wie die griechische Regierung.

Im August 2010 hatte der griechische Innenminister Giannis Ragousis der EU-Kommission ein Konzept für ein komplett neues Asylwesen und einen „nationalen Aktionsplan“ für die Steuerung der Migration vorgelegt. Doch das sind nur Lippenbekenntnisse. Dem bankrotten griechischen Staat fehlt nicht nur der Willen, sondern auch schlichtweg das Geld, diesen Plan umzusetzen.

Im Jahr 2010 hat die EU der griechischen Regierung zwar 46 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um das Grenzmanagement zu verbessern, und für dieses Jahr wurden weitere 9,8 Millionen Euro versprochen. Doch damit wird in erster Linie die weitere Aufrüstung an der Grenze finanziert, die Situation in den Lagern und den Asylbehörden wird sich kaum verbessern. Während über hundert Milliarden Euro bereit gestellt wurden, um die Gläubigerbanken Griechenlands zu befriedigen, müssen die Flüchtlinge weiter in unzumutbaren Lagern dahinvegetieren.

Die PASOK-Regierung war 2009 mit dem Ziel angetreten, „das Problem der Einwanderung“ zu lösen. Wer damals noch glaubte, dass damit Verbesserungen im Flüchtlingsschutz gemeint waren, sieht sich nun eines besseren belehrt.

Griechenland war bis in die 1980er Jahre ein Auswanderungsland, Gesetze zur Regelung der Einreise und Migration existierten faktisch nicht. Seit 1990 ist Griechenland aber immer stärker zum Ziel von Einwanderern geworden, die zuerst aus Albanien, Polen und anderen osteuropäischen Staaten sowie der Türkei kamen und illegal im Land lebten. Sie waren rechtlos und arbeiteten für Hungerlöhne auf Baustellen, in der Landwirtschaft, im Tourismusgewerbe und als Putzfrauen und Kindermädchen. Mit Ausnahme der albanischen Einwanderer, die sich von Beginn an einer rassistischen Hetzkampagne gegenübersahen und die als Kriminelle verunglimpft wurden, standen die Medien und die Bevölkerung der Anwesenheit der Migranten, die immerhin bis zu 10 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausmachten, relativ gleichgültig gegenüber. Als billige Arbeitskräfte waren sie zum Teil sogar willkommen.

Dieses Bild hat sich seit Beginn der dramatischen Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes schlagartig verändert. Die Medien haben das Thema Flucht und Migration entdeckt. Sie behandeln jedoch nicht die menschenunwürdigen Lebensumstände der Flüchtlinge und Migranten, sondern errechnen in erster Linie den wirtschaftlichen Schaden, den die illegalen Migranten angeblich verursachen. Die Flüchtlinge werden zu Sündenböcken abgestempelt, denen die drastischen Kürzungen und Sparmaßnahmen angelastet werden, die die sozialdemokratische PASOK-Regierung der Bevölkerung aufbürdet.

Die Saat geht inzwischen auf, es formieren sich immer mehr rechtsextreme Gruppen wie die Chrysi Avgi („Morgenröte“), die in einigen Vierteln Athens Schlägertrupps auf Migranten hetzen. Ein im Dezember von 100 Flüchtlingen errichtetes Zeltlager in der Nähe des Büros des UNHCR in Athen wurde von Sondereinheiten der Polizei nach wenigen Tagen gewaltsam wieder aufgelöst. Die Flüchtlinge protestierten gegen ihre menschenunwürdige Behandlung, einige nähten sich den Mund zu und gingen in den Hungerstreik.

Der geplante Grenzzaun ist in diesem Zusammenhang auch eine populistische Maßnahme der Regierung. Die Flüchtlinge und Migranten werden andere, gefährlichere Routen wählen, um nach Europa zu kommen.

Bereits jetzt ist der Blutzoll an der griechischen Außengrenze enorm. Auf den Minenfeldern am Evros sind nach offiziellen Zahlen zwischen 2000 und 2006 fast 100 Flüchtlinge zerfetzt worden. Alleine 2010 sind 41 Flüchtlinge am Evros ertrunken und an die griechische Seite gespült worden. Wie viele an die türkische Seite gespült werden, ist unbekannt. Im August wurde ein Massengrab mit 16 Afghanen entdeckt. Ein örtlicher Bestattungsunternehmer im Dorf Sidiro berichtete Aktivisten von der Menschenrechtsorganisation Welcome to Europe, er habe zwischen 150 und 200 ertrunkene Flüchtlinge anonym in dem Gebiet verscharrt.

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