Loveparade Duisburg: 19 Tote und rund 350 Verletzte

Die Loveparade in Duisburg hat am Samstag 19 Tote und rund 350 zum Teil schwer Verletzte gefordert. Diese Tragödie ist von den verantwortlichen Organisatoren bewusst in Kauf genommen worden.

Sowohl die Stadt Duisburg als auch der Loveparade-Veranstalter, die Fitness-Studio-Kette McFit, haben sich über alle Warnungen von Polizei, Feuerwehr, Bewohnern und Loveparade-Besuchern aus wirtschaftlichen Gründen hinweggesetzt.

Die 19 meist weiblichen Opfer im Alter von 20 bis 40 Jahren starben, als der einzige Zu- und Abgang des Festivalgeländes wegen großen Andrangs gegen 17 Uhr gesperrt wurde. Unter den Toten befinden sich auch Besucher aus den Niederlanden, Italien, Chinas und Australien.

Ort der diesjährigen Loveparade war das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs südlich des Duisburger Stadtzentrums und in der Nähe des Hauptbahnhofs. Das Gelände war hastig hergerichtet worden. Im Westen ist es durch die Stadtautobahn A 59 begrenzt, im Osten bilden die viel befahrenen Gleistrecken der Bahn die Begrenzung. Während alle bisherigen Loveparades zuvor in Berlin und 2007 in Essen und 2008 in Dortmund die ganze Stadt einnahmen und es aufgrund weiter Reserveflächen und keinerlei Zäunen oder Sperren kaum zu ernsten Zwischenfällen gekommen war, fand die Loveparade in Duisburg zum ersten Mal auf einem abgegrenzten Platz statt. Die Stadt Bochum hatte im letzten Jahr die Loveparade abgesagt, weil sie die Sicherheit der Menschen nicht gewährleisten konnte. In Duisburg wollte man von diesen Bedenken nichts wissen.

Während noch Hunderttausende darauf warteten, auf das Gelände zu gelangen, wollten die ersten Tausenden Loveparade-Besucher das Gelände schon wieder verlassen. Die Polizei sperrte daraufhin den einzigen Zu- und Abgang, der sich inmitten von zwei Tunneln befand. Hunderttausende, die von beiden Seiten durch den etwa 120 Meter langen, 16 Meter breiten und nur weniger als 4 Meter hohen Tunnel auf das Gelände drückten, versetzten die Menschenmenge am Zugang in Panik. Sie begannen, an Mauern, Leitern und Geländern hochzuklettern. Die Veranstalter behaupten, dass daraufhin einige zurück in die Menge stürzten und dadurch eine Massenpanik auslösten.

Augenzeugen im Internet können dies nicht bestätigen. Auch Bilder oder Videos gibt es trotz der Menge an Handy-Videos vom Zeitpunkt des Unglücks dazu nicht. Ein Schweizer, der anonym bleiben möchte, schrieb: “Die Menschen wurden gegen eine Mauer gedrückt. Ein ganzes Knäuel lag auf einer Fläche von vielleicht 15 mal 15 Metern übereinander, bestimmt einen Meter hoch. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis sich das wieder aufgelöst hat. Dass Menschen von einer Mauer gestürzt sind, stimmt einfach nicht.”

In ersten Stellungnahmen am Samstagabend haben die Verantwortlichen, darunter Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), von “individuellen Schwächen Einzelner” gesprochen, die die Panik auslösten. Die Stadt habe “im Vorfeld mit dem Veranstalter und allen beteiligten Partnern ein stichhaltiges Sicherheitskonzept ausgearbeitet”: “Wenn Sie jetzt hören, was wohl die Ursachen sind, dann lag es nicht am Sicherheitskonzept, was nicht gegriffen hat, sondern wahrscheinlich an individuellen Schwächen.”

Das Sicherheitskonzept hatte der Duisburger Panikforscher Michael Schreckenberg mitverantwortet. Er verteidigte sich und sein Konzept gegenüber Spiegel Online. Der Tunnel, in dem es zur Massenpanik gekommen war, sei groß genug ausgelegt gewesen, sagte er. Mit stürzenden Menschen hätten die Organisatoren nicht rechnen können: “Das ist das Werk von Einzelnen.” So etwas könne man nicht vorhersehen.

Offensichtlich wollen sie von ihrer eigenen Verantwortung ablenken und die Opfer selbst, die aufgrund von Platzangst sich Wege aus dem Gedränge suchten, verantwortlich machen.

Die Organisatoren wussten genau, dass nun offen wird, dass sie alle Sicherheitsbedenken aus dem Wind geschlagen haben. Auf einer eingezäunten Fläche, die gerade einmal 250.000 bis 350.000 Menschen fasst, sollten laut Sicherheitskonzept bis über eine Million Menschen “durchlaufen”. Auch die Einzelhandelsunternehmen in der Duisburger Innenstadt – in der genug Platz für die Loveparade gewesen wäre – sollten geöffnet bleiben und ihrem Geschäft nachgehen können. Vertreter der städtischen Duisburg Marketing Gesellschaft (DMG) hatten erklärt, 2007 in Essen sei es ein absolut schlechtes Zeichen gewesen, dass alle Geschäfte der Innenstadt geschlossen hatten.

Das sollte in Duisburg anders sein. Dazu wurde ein Zugangs- und Abgangskonzept entwickelt. Die Menschenmassen wurden vom Duisburger Hauptbahnhof in abgesperrten Routen zum Festivalgelände geschleust. Dort gab es allerdings dann nur den einen 16 Meter breiten Tunnel, durch den über eine Million erwartete Besucher hin- und zurückgeschleust werden sollten. An diesem Nadelöhr kam es dann zur Tragödie.

Polizei und Feuerwehr hatten im Vorfeld am Sicherheitskonzept, das Oberbürgermeister Sauerland vehement verteidigt, Kritik geübt. Ein Feuerwehrmann, dessen Kritik nicht beachtet wurde, hat inzwischen Strafanzeige gestellt, und die Staatsanwaltschaft hat bei einer Razzia im Rathaus der Stadt sämtliche Akten und Unterlagen zur Loveparade beschlagnahmt.

Die Polizeigewerkschaft GdP sieht die Schuld für die Tragödie bei der Stadt und dem Veranstalter. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Rainer Wendt sagte der Bild-Zeitung. “Ich habe schon vor einem Jahr gewarnt, Duisburg ist kein geeigneter Ort für die Loveparade. Die Stadt ist zu klein und eng für derartige Veranstaltungen.” Nach Angaben aus der Duisburger Polizeiführung wollte die Polizei die Teilnehmer “großflächiger” anreisen lassen und unbedingt verhindern, dass es zu einer Nadelöhrsituation wie geschehen kommen kann. Der Plan hätte aber einen weitaus größeren Personaleinsatz erfordert und sei von der Stadtverwaltung schließlich verworfen worden.

Auch die am Sonntagmittag einberufene Pressekonferenz der Verantwortlichen diente einzig und allein dazu, die eigenen Spuren zu verwischen. Die Fragen der versammelten Journalisten wurden mit dem Hinweis auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen nicht beantwortet. Dafür machte der anwesende Sicherheitsdezernent der Stadt Wolfgang Rabe (CDU) eine ganz neue Rechnung auf. Während Medien von 1,4 Millionen Besuchern der Loveparade berichten, behauptete Rabe, er habe dazu keine Zahlen. Einzig verlässlich seien die Angaben der Bahn, die von 9 bis 14 Uhr 105.000 Menschen nach Duisburg brachten. Das sei laut Rabe der Großteil der Besucher gewesen. Er schätzte die Besucherzahl auf ca. 150.000. Das ist offensichtlich eine Schutzbehauptung.

Der Duisburger Polizeipräsident Detlef Schmeling widersprach dem Ausdruck Massenpanik: “Massenpanik ist ein wertender Begriff. Nach meinen Erkenntnissen liegen keine Anzeichen einer Massenpanik vor.” Auch dies deutet auf den Versuch hin, “individuelle Schuld” für die Katastrophe verantwortlich zu machen, also die Opfer selbst.

Nicht nur, dass Augenzeugen am Unglückstag die Polizei bereits Stunden zuvor vor der Gefahr im Tunnel warnten. Jeder, der an diesem Tag dort war, war sich der Gefahren bewusst.

Auch im Internet gab es im Vorfeld eine Diskussion über die Sicherheit der Veranstaltung. Potentielle Besucher tauschten sich auf der Seite der größten regionalen Zeitung www.derwesten.de über die Gefahren aus.

Bereits am 4. Juni schrieb “ein Anwohner” die Organisation sei “nicht zu fassen: “Da provoziert die Verwaltung Zwischenfälle.” Eine andere Userin erwiderte darauf, sie wolle sich nicht wie Vieh eindrängen lassen: “Da bleib ich zu Hause! Tottrampeln lassen wollte ich mich eigentlich nicht!”

Drei Tage später fragte ungläubig ein User: “Sehe ich das richtig, dass die versuchen, eine Million Menschen über die einspurige Tunnelstraße Karl-Lehr-Straße mit zwischendurch zwei kleinen Trampelpfaden hoch zum Veranstaltungsgelände zu führen? Also, in meinen Augen ist das eine Falle. Das kann doch nie und nimmer gut gehen. Ich fasse es nicht! Ich sehe schon Tote.”

Noch am 22. Juli, zwei Tage zuvor, schrieb ein “Duisburger”: “Es wird das größte Chaos geben. Die Stadt wäre besser beraten gewesen, die Loveparade abzusagen. […] Über diese Love Parade wird man noch lange reden – leider nur in negativer Form.”

Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Deutschen Polizei Gewerkschaft im Beamtenbund (DPolG) Erich Rettinghaus machte Wirtschaftsinteressen für die Katastrophe verantwortlich: “Letztlich aber darf die Sicherheit nie zu Gunsten des Kommerzes auf der Strecke bleiben.”

Doch genau das ist hier passiert.

Spiegel Online berichtet, “ein hochrangiger Kriminalpolizist aus Duisburg hat den Eindruck, die Stadt habe die Veranstaltung ‚allen Sicherheitsbedenken zum Trotz‘ durchgeboxt. ‚Man wollte sich damit unbedingt schmücken. Doch es ist eine Tragödie geworden. Ein Schandfleck.‘”

Der Vizelandeschef der DPolG Wolfgang Orscheschek sagt, die Menschen seien “Opfer materieller Interessen” geworden. Die Stadt sei bei der Planung der Love Parade vom Veranstalter so in die Enge getrieben worden, dass sie trotz “eindringlicher Warnungen aus dem Sicherheitsbereich” nur Ja habe sagen können.

Lange Zeit war die Loveparade unsicher. Der Stadt, die die höchste Arbeitslosigkeit in Nordrhein-Westfalen aufweist und ein drastisches Sparpaket beschlossen hat, war nicht in der Lage, die von ihr erwarteten 840.000 Euro für die Großveranstaltung zu finanzieren. Doch schließlich haben das Land Nordrhein-Westfalen und private Sponsoren die Finanzierung übernommen. Die Loveparade sollte als ein Projekt der Kulturhauptstadt Europas Ruhr.2010 für das Ruhrgebiet und die Stadt Duisburg werben. Die Fitnessstudiokette McFit war wieder Hauptsponsor und finanzierte diese mit rund drei Millionen Euro. Sinalco war ein weiterer Hauptsponsor.

Sechs Millionen Euro sollten durch Merchandising erwirtschaftet werden. Die Duisburg Marketing Gesellschaft verkaufte beispielsweise über das Internet an Loveparade-Fans ein “Bekennerabzeichen”.

Oberbürgermeister Sauerland sagte im Vorfeld: “Eine Veranstaltung, die bis zu einer Million Menschen mobilisiert, die dann zusammen mit den weltweit angesagtesten DJs friedlich Party feiern, kann nicht verkehrt sein. Ich betrachte die Loveparade als eine gute Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie weltoffen, tolerant und insbesondere spannend unsere Stadt ist.”

Oliver Scheytt, Geschäftsführer der Ruhr.2010: “Die Loveparade erzeugt weltweit ein starkes, neues Bild des Ruhrgebiets.” Sie sei einzigartig und mache Kreative aufmerksam auf die Metropole Ruhr. “Das sind wichtige Faktoren für die Kulturhauptstadt, für die wir wie keine andere zuvor die Kreativwirtschaft weiterentwickeln und zu einem Standortvorteil ausbauen.” Die Loveparade habe wichtige, internationale Strahlkraft.

Eva-Maria Kießler, Pressesprecherin der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH, sagte, das Ruhrgebiet brauche solche weltweit wahrgenommenen Veranstaltungen, “um ihr Image als offener und toleranter Lebensraum zu festigen”.

19 Menschen zahlten für diese Image-Kampagne zum Ausbau von “Standortvorteilen” und die damit verbundenen Profitinteressen mit ihrem Leben.