Irland: Gewerkschaften reagieren auf drohenden Staatsbankrott mit Streikverzicht

Die irische Wirtschaft befindet sich in einer solch desolaten Lage, dass sich der so genannte "Croke Park Deal" zwischen den irischen Gewerkschaften, der Regierung und den öffentlichen Arbeitgebern jetzt schon als glatter Betrug erwiesen hat.

Im "Croke Park"-Vertrag stimmten die Gewerkschaften einem Streikverzicht für die nächsten vier Jahre zu, wie auch enormen Produktivitätssteigerungen, flexiblen Arbeitszeiten und Stellenkürzungen auf "Freiwilligen"-Basis. Als Gegenleistung sollen die Gehaltskürzungen, die für Angestellte im öffentlichen Dienst vorgesehen sind, nur mäßig ausfallen. Die Behauptung, dies würde in irgendeiner Form den wirtschaftlichen Zusammenbruch verhindern, wurde inzwischen völlig widerlegt. In Wirklichkeit entlarvt die Vereinbarung die Gewerkschaften als Werkzeug der Finanzaristokratie, das dazu dient, die Kosten für die Finanzkrise auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Sie bereitet den Weg für kommende, noch stärkere Angriffe vor.

Genau aus diesem Grund wurde die Zusage, auf weitere Gehaltskürzungen zu verzichten, an die Bedingung geknüpft, dass im irischen Staatshaushalt keine unvorhergesehenen Finanzierungslücken mehr auftauchen.

Morgan Kelly, ein Wirtschaftsprofessor an der Hochschule von Dublin, wies in einem Kommentar der irischen Zeitung Times darauf hin, dass sich die Finanzlage Irlands rapide verschlechtert. Kelly zufolge, der angeblich den Zusammenbruch der irischen Immobilienblase vorhergesehen hat, "lautet die Frage nicht, ob Irland Pleite gehen wird, sondern wann".

Kelly vertritt den Standpunkt, dass die Banken-Rettungsgelder das Land in den Ruin treiben. Die Regierung unter Fianna Fail, die diese Gelder aus den Mitteln der irischen Staatskasse bewilligt hat, ist eng mit der halbkriminellen irischen Bankiervereinigung verstrickt. Zur gleichen Zeit haben die Vereinigten Staaten um die 700 Milliarden US-Dollar zur Rettung der Banken aufgebracht, um wertlose Anlagen aufzukaufen. Ungefähr 150 Milliarden US-Dollar können voraussichtlich nicht mehr zurückbezahlt werden.

Irland hat sich verpflichtet, die Banken mit mindestens 70 Milliarden Euro zu unterstützen, was pro Kopf gegenüber den Vereinigten Staaten zehnmal mehr ausmacht.

Kelly zeigt auf, dass von der gewaltigen Summe von 100 Milliarden Euro für Hypotheken auf Immobilien, welche die Regierung über eine "bad bank" in Form einer nationalen Anlageverwaltungsagentur übernommen hat, mindestens 33 Prozent nie zurückbezahlt werden können. Das gleiche trifft auf zwanzig Prozent der Geschäftsdarlehen in Höhe von 35 Milliarden Euro zu, wie auch auf fünf Prozent der 160 Milliarden Euro in Privathypotheken und persönlichen Darlehen.

Die Summe der Abschreibungen beläuft sich auf fast 50 Milliarden Euro oder 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Kelly glaubt, dass diese Summe eher 70 Milliarden Euro betragen wird. Bis zum Jahr 2012 wird Irland Gesamtschulden in der Höhe von 115 Prozent des Bruttoinlandproduktes anhäufen. Da das Bruttoinlandprodukt sinkt und die Arbeitslosigkeit um bis zu 6.000 Arbeitslose pro Monat steigt, wird sich dieses Verhältnis noch verschlimmern.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt werden die internationalen Kapitalmärkte Irlands Schulden kaum mehr weiterfinanzieren, so dass die Regierung gezwungen sein wird, sich an die Europäische Zentralbank (EZB) zu wenden. Kelly schreibt, die EZB werde im Austausch für ein Rettungspaket drastische Kürzungen im Wohlfahrtsbereich fordern, die weit über das hinausgehen, was jetzt schon umgesetzt wird.

Kellys Einschätzung wurde von der internationalen Wirtschaftskommentarseite "Baseline Scenario" aufgegriffen, die von Peter Boone und Simon Johnson betrieben wird. Johnson ist ein ehemaliger Wirtschaftsdirektor beim Internationalen Währungsfond. Wie es hieß, droht Irland entweder der Staatsbankrott oder ein vollständiger Zusammenbruch des Bankensystems, was einschneidende Haushaltskürzungen und schließlich die Entscheidung zur Folge hat, ob eine weitere Mitgliedschaft beim Euro möglich sei.

Die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor reagieren auf die Verschlechterung der Situation, indem sie sich weiter nach rechts bewegen. Anfangs widersetzte sich der Vorstand von Impact, der zweitgrößten Gewerkschaft im öffentlichen Sektor, dem "Croke Park"-Vertrag. Doch am siebten Mai wechselte er seine Position und verlangt nun von seinen 65.000 Mitgliedern, die Vereinbarung anzunehmen.

Die Ursache für den Richtungswechsel waren mehrere Präzisierungen des Vertrages, einschließlich der sogenannten "Rücktrittsklausel". Sie betrifft nicht vorhersehbare Finanzierungslücken. Die Gewerkschaft Impact hat mit der Regierung und einer staatlichen Kommission namens Labour Relation Commission vereinbart, dass keine weiteren Lohnkürzungen vorgenommen werden, wobei die Regierung "beabsichtigt und erwartet", dass solche nicht notwendig sein würden. Sollten jedoch wider Erwarten weitere Gehaltskürzungen vorgenommen werden, behält sich die Gewerkschaft das Recht vor, von dem Vertrag zurückzutreten.

Shay Cody, Generalsekretär der Gewerkschaft Impact, beschreibt diese kleine Vertragsänderung, sowie bestimmte Zugeständnisse bei den Rentenleistungen seitens der Regierung, als Zeichen ihres guten Willens. Cody behauptete außerdem, die Verlegung von Arbeitsplätzen, die Arbeiter zu einem Wechsel des Arbeitsorts innerhalb eines 45-Kilometer-Radius zwingt, werde künftig "auf vernünftige Art und Weise" umgesetzt werden.

Diese Wende bringt die Gewerkschaft Impact auf dieselbe Linie wie die Gewerkschaft SIPTU (Service, Industrial, Professional and Technical Union), die größte Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, deren 300.000 Angestellte gerade über den Vertrag abstimmen. Vertreter der jeweiligen Gewerkschaft werden anschließend das Ergebnis dem irischen Gewerkschaftskongress (ICTU) vortragen, wo die Stimmen entsprechend der Anzahl Mitglieder in der jeweiligen Gewerkschaft gewichtet werden.

Welche Bedeutung die irische Wirtschaft dieser Vereinbarung beimisst, sieht man daran, dass das einflussreiche Wirtschafts- und Finanzmagazin Business and Finance dem Vorsitzenden der Gewerkschaft SIPTU, Jack O'Connor, den Titel "Geschäftsmann des Monats" verlieh. Zu den früheren Gewinnern der Auszeichnung zählte zum Beispiel Mathew Elderfield, der erst kürzlich ernannte irische Chef der Börsen-Aufsichtsbehörde, Brian Lenihan, der amtierende Finanzminister, sowie Aidan Heavey, der Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Tullow Oil.

Zahlreiche Vertreter kleinerer Gewerkschaften lehnen bisher die Vereinbarung ab und sind bezüglich ihrer Auswirkungen etwas ehrlicher. Sie tun dies, um sich nicht allzu weit vom breiten Widerstand der Gewerkschaftsmitglieder zu entfernen. Dave Hughes, Stellvertretender Generalsekretär der irischen Krankenschwestern- und Hebammen-Organisation (INMO), beklagte sich über die Tyrannei der Vereinbarung. Er wies darauf hin, dass der "Croke Park Deal" verlangt, "dass wir bindende Regierungsvorgaben akzeptieren und im Gegenzug bloße Versprechen erhalten, die an Bedingungen geknüpft sind. ... Diese Vereinbarung verlangt, dass wir jene, die ihre Arbeitsbedingungen, den Arbeitsplatz oder die Kollegen verteidigen, zum Schweigen bringen."

Huges wies darauf hin, dass zusätzlich zu den 2.000 Stellen, die bereits während den letzten zwei Jahren abgebaut wurden, weitere 6.000 Krankenschwestern vom Stellenabbau bedroht sind. Gleichzeitig könnten 3.500 Notfallbetten verschwinden. Er stellte jedoch klar, dass die Vereinigung INMO nicht daran denke, eine Kampagne gegen die Regierung zu führen. "Eine Nein-Stimme wird nicht zu einem Streik der Krankenschwestern und Hebammen führen", sagte er, denn dafür wäre "ein neues Mandat" nötig.

Bei der INMO-Jahreskonferenz wurde ein alternativer Plan vorgestellt, der ein eigenes Programm zur Kostensenkung im Gesundheitsbereich vorsieht. Demzufolge sollen Patienten schneller wieder nachhause geschickt, leichte Verletzungen nicht von Fachpersonal behandelt und generell weniger Dienstleistungen von Fachkräften ausgeführt werden.

Hughes moderate Kritik rief eine wütende Antwort von anderen Vertretern der Gewerkschaftsbürokratie hervor.

Louise O'Reilly, die nationale Verantwortliche für die Krankenschwestern innerhalb der SIPTU und eine Verhandlungsführerin bei der Vereinbarung, bestand darauf, dass der "Croke Park Deal" Sicherheit in einer unsicheren Zeit garantiere und das bestmögliche Ergebnis heraushole.

Wie sie klarstellte, lehnt SIPTU jegliche Kampagne ab, die darauf abzielt, die Arbeiterklasse zu mobilisieren: "Nur sehr wenige sprechen sich dafür aus, dass eine massive Eskalation von Arbeitskämpfen der einzige Weg sei, um die Regierung von weiteren, durch Privatinteressen geschürten Kürzungen abzuhalten."

Auf die starke Kritik von den eigenen SIPTU-Gewerkschaftsmitgliedern antwortete O'Reilly mit dem Vorwurf, es sei unfair, die aktuelle Abstimmung als eine Art Referendum gegen die Regierung hinzustellen.

Die Medien unterstützen allesamt die "Croke Park"-Vereinbarung. Alan Ruddock schimpfte in einem Kommentar in der Zeitung Irish Independent über die Angestellten im öffentlichen Sektor. Sie seien vor einem Gang zum Arbeitsamt geschützt, und ihre Renten würden nicht von den Launen der Kapitalmärkte beeinflusst. Ruddock beschwerte sich auch über jene, welche Widerstand gegen den "Croke Park Deal" leisten und die Abmachung immer noch nicht akzeptieren würden. Mit diesen Leuten hätte man gar nicht erst verhandeln sollen.

Bis jetzt haben zahlreiche Gruppen von Arbeitern die Vereinbarung abgelehnt.

Die weniger gut bezahlten öffentlichen Bediensteten, die von der Gewerkschaft "Civil and Public Services Union" (CPSU) mit 13.000 Mitgliedern vertreten werden, haben den Vertrag mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt, wobei 74 Prozent an der Wahl teilnahmen. CPSU Mitglieder haben sich zuvor mit 86 Prozent der Stimmen für einen Streik gegen die Ausgabenkürzungen der Regierung ausgesprochen.

Zwei Lehrergewerkschaften, die Vereinigung der Sekundarlehrer mit 18.000 Mitgliedern und die Lehrergewerkschaft von Irland, die 14.500 Lehrer vertritt, haben den Vertrag mit 60 Prozent, beziehungsweise 75 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt.

Die Ergebnisse der größten Gewerkschaftsorganisationen, allen voran SIPTU und Impact, werden nicht vor Ende Juni erwartet. Aber auch wenn das allgemeine Ergebnis ein klares "Nein" ergibt, können die Arbeiter nichts verteidigen, solange sie sich im Rahmen dieser todgeweihten und unternehmerfreundlichen Organisationen bewegen. Es werden dringend neue Kampforganisationen benötigt, die vom unabhängigen Standpunkt der Arbeiterklasse in Irland und international ausgehen und sich weigern, auch nur einen Cent an Irlands kriminelle und parasitäre Oligarchie abzugeben.

Siehe auch:
Euro-Hilfspaket eröffnet europaweite Offensive gegen Arbeiterklasse
(13. Mai 2010)
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