Die europäischen Regierungschefs und Finanzminister haben am Wochenende ein Rettungspaket für den Euro beschlossen, das die umfassendste Offensive gegen die Arbeiterklasse seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eröffnet. Diese Offensive muss durch den gemeinsamen Widerstand der europäischen Arbeiterklasse zurückgewiesen werden.
Am Freitagabend trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder in Brüssel, um das im Laufe der Woche beschlossene 110-Milliarden-Euro-Paket für Griechenland förmlich auf den Weg zu bringen. Doch aus dem geplanten zweistündigen Abendessen wurde eine sechsstündige Krisensitzung.
Zwei Tage vorher hatte ein Generalstreik in Griechenland deutlich gemacht, wie groß der Widerstand gegen die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung ist. An den Finanzmärkten, wo mit Spekulationen auf die griechischen Staatsschulden gewaltige Summen verdient wurden, brach daraufhin Panik aus. Der amerikanische Aktienindex Dow Jones brach am Donnerstag zeitweise bis zu neun Prozent ein.
Nun wuchs der Druck auf die europäischen Regierungen, nicht nur für Griechenland, sondern auch für alle anderen hochdefizitären Euro-Länder eine Schuldengarantie zu übernehmen. US-Präsident Obama griff persönlich zum Telefon, um die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zu überzeugen, ihre ablehnende Haltung aufzugeben.
In einer Nachtsitzung stellten die Staats- und Regierungschefs dann die Weichen für ein umfassendes Finanzpaket, das die Finanzminister auf einem weiteren Gipfeltreffen am Sonntag unter großem Zeitdruck ausarbeiteten. Es sollte in den frühen Morgenstunden des Montags vorliegen, bevor die japanischen Börsen öffneten und die Spekulationswelle gegen den Euro weiter ging.
Die Mitglieder der Währungsunion, die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds stellen einen Fonds von insgesamt 750 Milliarden Euro zur Verfügung, aus dem Euro-Länder mit Zahlungsschwierigkeiten ihre Schulden zinsgünstig refinanzieren können. Außerdem kauft die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsanleihen hoch verschuldeter Länder auf, um den Anstieg der Zinsen zu bremsen.
Die Regierungschefs und Finanzminister haben dieses gewaltige Finanzpaket als unumgängliche Maßnahme zur Rettung der Währungsunion, bzw. als Hilfe für die hoch verschuldeten Euro-Länder dargestellt. In Wirklichkeit ist es ein Geldgeschenk an die internationalen Banken und Investmentfonds. Es soll, wie es in der verharmlosenden Sprache der offiziellen Politik heißt, "die Märkte beruhigen" und ihr "Vertrauen zurückgewinnen". Die Spekulanten, die mit Wetten auf griechische Staatschulden und den Euro riesige Summen verdient haben, werden auf Kosten der öffentlichen Haushalte von allen Risiken befreit.
Aus diesem Grund feierten die Börsen den neuen Rettungsfonds am Montag denn auch mit einem riesigen Kursfeuerwerk. Nach der Panik vom Donnerstag hatten sie nun die Gewissheit, dass die europäischen Regierungen auf ihrer Seite stehen und der Arbeiterklasse in ihrem Interesse den Krieg erklären.
Wie gewaltig die Spekulationswelle gegen den Euro war, hat der Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin letzte Woche vor dem Haushaltsausschuss des Bundestags deutlich gemacht. Jochen Sanio sprach von einem "Angriffskrieg der Spekulanten gegen die Euro-Zone", bei der es um "irrsinnige Summen" im zweistelligen Billionenbereich gehe. Im Falle Griechenlands hätten Spekulanten mit CDS (Kreditausfallversicherungen) in drei bis vier Monaten rund 500 Prozent Gewinn einstreichen können.
Diese Rekordgewinne spiegeln sich auch in den Bilanzen der großen Investmentbanken wieder. So verzeichnete die Deutsche Bank im ersten Quartal 2010 einen Vorsteuergewinn von 2,8 Milliarden Euro und damit eine Eigenkapitalrendite von 30 Prozent. Die US-Bank Goldman Sachs verzeichnete im selben Quartal erstmals in ihrer Geschichte an jedem einzelnen Geschäftstag einen Gewinn; an den meisten Tagen waren es über 100 Millionen Dollar.
Diese riesigen Summen soll nun die Arbeiterklasse in Form von Sozialabbau, Lohnsenkungen und Arbeitslosigkeit bezahlen. Mit dem neuen Euro-Hilfspaket haben sich die europäischen Regierungen völlig in die Hand des internationalen Finanzkapitals begeben. Bauen sie die Haushaltsdefizite nicht drastisch ab, folgt unweigerlich die nächste Spekulationswelle. Werden die Hilfsgarantien dann fällig, wachsen die Haushaltslöcher weiter, und es werden noch massivere Sparmaßnahmen erforderlich.
Experten sind sich deshalb einig, dass das Euro-Rettungspaket nur der Auftakt zu einem massiven, europaweiten Sparprogramm ist, an dessen Ende vom europäischen Sozialstaat nichts mehr übrig sein wird. Die Europäische Union zeigt damit ihren wahren Charakter als Werkzeug der Banken und der mächtigsten Teile der europäischen Bourgeoisie.
So kommentierte die britische Financial Times das Finanzpaket mit den Worten: "Der größte Teile der Europäischen Union lebt über seine Verhältnisse ... Viele Europäer haben sich daran gewöhnt, Frührente, freie öffentliche Gesundheitsversorgung und großzügige Arbeitslosenunterstützung als Grundrechte zu betrachten ... Aber wenn die Europäer jetzt keine Sparmaßnahmen hinnehmen, steht ihnen etwas viel Schlimmeres bevor - Staatsbankrott und Bankenzusammenbrüche."
Auch in Deutschland forderten zahlreiche Wirtschaftsexperten harte Sparmaßnahmen. So erklärte der Chef der so genannten Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, mit dem Rettungspaket sei lediglich der "Brand im Euro-Haus" gelöscht worden, jetzt müssten "die Aufräumarbeiten beherzt und zügig angegangen werden". Der Ifo-Experte Kai Carstensen forderte radikale Sparpläne der Euro-Staaten. "Wenn sie nicht alle die Verschuldung zurückfahren, werden die Probleme in drei Jahren umso größer sein", sagte er.
Was in Griechenland begonnen hat - Senkung der Löhne um 30 Prozent, Abbau von Renten und Sozialleistungen, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst - wird nun zum Vorbild für ganz Europa. Dagegen muss europaweit Widerstand organisiert werden. Die Arbeiter aller europäischen Länder müssen die griechischen Arbeiter unterstützen und sich mit der internationalen Arbeiterklasse zusammenschließen.
Das erfordert den völligen Bruch mit den sozialdemokratischen Parteien und mit den Gewerkschaften, die den Ruf nach Haushaltskonsolidierung als alternativlos bezeichnen und dem Finanzkapital ihre Dienste anbieten, um sie gegen die Arbeiterklasse durchzusetzen. In Griechenland hat die sozialdemokratische PASOK die Aufgabe übernommen, ein drastisches Kürzungsprogramm zu verwirklichen. In Spanien hat der sozialdemokratische Regierungschef Zapatero sofort nach Verabschiedung des EU-Finanzpakets Lohnsenkungen im öffentlichen Dienst angekündigt. In Portugal hat sein sozialistischer Amtskollege Sócrates dieselbe Aufgabe übernommen.
In Großbritannien haben die Tories und Liberal-Demokraten mit Unterstützung der Labour Party die Regierung übernommen, um ein drastisches Sparprogramm zu verwirklichen. Und in Deutschland gibt es nach der Landtagswahl in Nordrein-Westfalen Bemühungen, die SPD wieder an der Regierung zu beteiligen, um eine neue Runde von Sparmaßnahmen durchzusetzen. Auch die Grünen unterstützen die Bankenrettungspakete und die damit verbundenen Sparmaßnahmen ohne Einschränkung. Der CDU-Rechte Roland Koch, der als zukünftiger Finanzminister im Gespräch ist, drängt bereits auf einen strikten Sparkurs und den Verzicht auf alle Reformen im Bildungssystem, die in den letzten Jahren beschlossen wurden.
Die Gewerkschaften spielen in all diesen Ländern eine Schlüsselrolle, den Widerstand gegen die Sparmaßnahmen zu unterdrücken, zu spalten oder auf Sparflamme zu halten. Unterstützt werden sie dabei von den zahlreichen kleinbürgerlichen Organisationen, die sich einst als "links" bezeichneten und heute eine revolutionäre, sozialistische Perspektive strikt ablehnen.
Mit dem Hilfspaket vom Wochenende nimmt der Angriff auf die Arbeiterklasse gesamteuropäische Formen an. Mehrere Regeln der Währungsunion - wie das Verbot gegenseitiger Finanzhilfen und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank - sind außer Kraft gesetzt worden. Hält sich eine Regierung nicht an die Sparvorgaben, sind alle anderen unmittelbar davon betroffen. Das wird die Spannungen innerhalb der Europäischen Union merklich verschärfen.
Die Arbeiterklasse muss sich politisch auf die bevorstehenden Klassenkämpfe vorbereiten. Sie muss mit den politischen Parteien und Organisationen brechen, die die Rettungspakete für die Banken und die damit verbundenen Sparprogramme unterstützen, oder - wie die Gewerkschaften und viele kleinbürgerliche Organisationen - Nationalismus schüren, um von den Klassenfragen abzulenken. Der Konflikt verläuft nicht zwischen Deutschen und Griechen oder Europäern und Amerikanern, sondern zwischen der internationalen Arbeiterklasse auf der einen und dem Kapital und seinen politischen Lakaien auf der anderen Seite.
Gegen die Angriffe muss auf allen Ebenen der Widerstand organisiert werden. Die einzige Alternative zu einer Zukunft in Armut, Unterdrückung, Arbeitslosigkeit und wachsenden nationalen Spannungen ist der Zusammenschluss der europäischen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms: Nichtanerkennung der Staatsschulden, Verstaatlichung von Banken und Großkonzernen unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse, Beschlagnahme von Spekulationsgewinnen und hohe Besteuerung großer Einkommen und Vermögen.
Die fortschrittliche Einigung Europas ist nur auf der Grundlage eines solchen revolutionären sozialistischen Programms möglich, in Form Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale ist weltweit die einzige politische Tendenz, die ein solches Programm vertritt. Wir appellieren an Arbeiter und Arbeiterinnen, Studierende und kritische Intellektuelle, unser Programm zu studieren, die WSWS zu lesen und sich dem Internationalen Komitee anzuschließen.