Nach Gesprächen mit einer IWF Delegation präsentierte der rumänische Premierminister Emil Boc ein Sparpaket. Es ist die Voraussetzung dafür ist, dass das Land die nächste Tranche aus dem zwanzig Milliarden Euro Darlehen des IWF erhält. Obwohl schon Sparmaßnahmen erwartet wurden, löste die Grausamkeit der geplanten Angriffe einen Schock und Wut bei der Bevölkerung aus.
Zu den wichtigsten Punkten des Pakets gehören die Senkung der Gehälter im öffentlichen Dienst um fünfundzwanzig Prozent, eine Kürzung der Renten um fünfzehn Prozent und Einschnitte von ebenfalls fünfzehn Prozent bei den Leistungen im Falle von Arbeitslosigkeit. Die Maßnahmen werden durchgeführt um die Schulden, die die Regierung bei den internationalen Banken hat, auf den Rücken der Arbeiterklasse abzuwälzen. Schon für sich allein genommen wären sie ausreichend, um einen großen Teil der Bevölkerung ins Elend zu stoßen. Aber der Plan kommt mit Vorschlägen daher, durch die praktisch alles demontiert wird, was noch vom Sozialstaat übrig war.
Währen der letzten zwanzig Jahre war Rumänien, einer der früheren osteuropäischen Pufferstaaten, Ziel eines ununterbrochenen Sperrfeuers von Reformen für die "freie Marktwirtschaft", die Deregulierungsmaßnahmen, Privatisierung von Staatseigentum und Unternehmensschließungen beinhalteten. Nacheinander haben sozialdemokratische und extrem rechte Regierungen die Verelendung vorangetrieben, während gleichzeitig die internationalen Konzerne sowohl mit billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften als auch mit staatlichen Subventionen und Steuerbefreiungen bedient wurden.
Rumänien war schon vorher Ziel des IWF. Frühere IWF Diktate wurden von der berüchtigten "anti-kommunistischen" CDR-Koalitionsregierung der Jahre 1998-2000 durchgesetzt. Diese Regierung spielte schon bei den NATO-Angriffen auf Serbien im Jahr 1999 eine schändliche Rolle. Die Demontage des Berbau-Sektors und die gigantischen Privatisierungsprogramme sind noch gut in Erinnerung. Aber das Ausmaß der neuen Sparmaßnahmen ist sogar gemessen an diesen berüchtigten Standards einmalig. Unter der Bevölkerung breitet sich zunehmend das Gefühl aus, dass das politische Establishment dieses Mal einen größeren Bissen genommen hat, als es verdauen kann.
Zum neuen Sparpaket gehören Kürzungen von fünfundzwanzig Prozent beim Kindergeld, fünfzehnprozentige Einschnitte bei den Leistungen für die Pflege einer behinderten Person, die Beseitigung von Hilfen für junge Familien, die Abschaffung von Ausgleichszahlungen für Entlassene des öffentlichen Dienstes, das Einfrieren von Hilfen für Alleinerziehende, die Abschaffung von Vergünstigungen im öffentlichen Nahverkehr für Studenten und alte Menschen, und die ersatzlose Streichung von Energiebeihilfen für Haushalte.
Ein kurzer Blick auf die Zahlen zeigt das Ausmaß, mit dem sich diese neuen Maßnahmen auf die arbeitende Bevölkerung auswirken werden. Das durchschnittliche regelmäßige Einkommen eines Arbeiters im öffentlichen Dienst liegt in Rumänien bei ungefähr vierhundert Euro und würde durch diese Kürzungen auf dreihundert Euro fallen. Während eine durchschnittliche Miete bei dreihundert Euro liegt, werden die laufenden Kosten der Haushaltsführung aufgrund der Streichung der Energiebeihilfen - je nach Stadt um 133 bis 268 Prozent - steigen, das sind im Schnitt 250 Euro.
Die Regierung scheint auch blind zu sein gegenüber der Tatsache, dass es für Rentner, die bereits zu kämpfen hatten, um mit einer durchschnittlichen Rente von 160 Euro zurecht zu kommen, im wahrsten Sinne des Wortes unmöglich sein wird, mit einer Kürzung um fünfzehn Prozent zu leben.
Der dramatische Rückgang des Lebensstandards wird vom Verfall des öffentlichen Gesundheitssystems begleitet. Die fünfundzwanzigprozentigen Kürzungen beim Kindergeld werden sich unweigerlich auf die Kindersterblichkeit auswirken, die schon jetzt die höchste in Europa ist.
Das Impfprogramm wurde ebenfalls ausgesetzt. Das Cantacuzino National Institute, das Impfstoffe herstellt, hat vor kurzem seine Produktion eingestellt, was dazu führte, dass verzweifelte Eltern die Apotheken abgrasten, um den gegen Tuberkulose wirkenden BCG Impfstoff zu kaufen. Am 22. April sind Arbeiter des Instituts in einen spontanen Streik getreten, um gegen die Situation zu protestieren. Aber sie haben keine Antworten erhalten und noch wissen sie nicht, ob das Institut ganz geschlossen werden wird.
Darüber hinaus hat die Regierung in Übereinstimmung mit dem IWF Abkommen beschlossen, die Dezentralisierung des Gesundheitswesens abzuschließen. Das bedeutet die Schließung von 150 der ungefähr vierhundert Krankenhäuser Rumäniens und die Übergabe der übrig gebliebenen an die kommunalen Verwaltungen. Seit dem Aufkommen der Finanzkrise konnten viele Kommunen nicht einmal mehr ihre Verwaltungsangestellten bezahlen und haben Pläne für die Privatisierung der Krankenhäuser bekannt gegeben. Die Regierung hat auch erklärt, dass die überlebenden Krankenhäuser ihre Schulden beim Staat bezahlen müssen, bevor sie an die kommunalen Träger übergeben werden. Ein Schritt, der auf eine eventuelle Privatisierung ausgerichtet ist
Schon seit Jahren befinden sich die Krankenhäuser in einem Zustand stetigen Verfalls. Patienten und Personal kaufen Arznei- und Hilfsmittel auf eigene Rechnung, was auf das nahezu vollständige Fehlen von Mitteln zurückzuführen ist. Die Situation hat im April und Mai diesen Jahres einen kritischen Punkt erreicht, als immer mehr Krankenhausdirektoren, auch solche aus der Landeshauptstadt Bukarest, bekannt gaben, dass ihre Krankenhäuser keine Operationen mehr durchführen oder Notfälle aufnehmen könnten.
Ein weiterer Vorschlag der Regierung ist die Einführung von Zuzahlungen im Gesundheitswesen, ohne, wie ursprünglich geplant, Rentner oder Sozialhilfe-Empfänger davon auszunehmen. Diese Maßnahmen sind jedoch maßgeschneidert auf den schrumpfenden Privatsektor im Gesundheitswesen. Die privaten Kliniken, von denen viele bereits Gebäude, die formal zu staatlichen Krankenhäusern gehören, in Beschlag genommen und es geschafft haben, niedrig bezahlte Arbeitskräfte aus dem öffentlichen Sektor zu rekrutieren, werden die "dezentralisierten" Krankenhäuser oder Teile von ihnen übernehmen.
Der Millionär und Geschäftsmann Adrian Dumbrava, Besitzer einer Kette von medizinischen Zentren, sagte, er habe "bereits Angebote von örtlichen Behörden erhalten, Krankenhauseinheiten nach der Dezentralisierung in Konzession oder im Zuge einer öffentlich-privaten Partnerschaft" zu übernehmen. Die Sprecherin des Gesundheitsministers, Oana Grigore lobte die Entwicklungen in der Manier eines privaten Versicherers: "Der Versicherer kann auf eine Person zu gehen und sagen: Gib mir 2 Lei im Monat und ich werde einen gleichwertigen Anteil der Zuzahlung übernehmen, falls Du medizinische Leistungen benötigst."
Der Regierungssprecher scheint das Problem tatsächlich gut begriffen zu haben. Im November 2009 erklärte Theodor Alexandrescu, der Generaldirektor von American Life Insurance Company (ALICO), eine Tochtergesellschaft der AIG Life, wie das staatliche Gesundheitssystem zu reformieren sei: "Das Erste und das Wichtigste, was getan werden muss, ist die Einführung der Zuzahlung." Es ist ein altbekanntes Bild, dass sich da abzeichnet, nur dass es diesmal auf das Gesundheitswesen eines ganzen Staates angewendet wird: Der Abwertung folgt die Übernahme durch die Privatwirtschaft, und das Ganze in der Weise, dass Geschäftsinteressen nicht mehr von denen der Regierungsbehörden unterscheidbar sind.
Die mörderischen Konsequenzen wurden im März und April unübersehbar, als Tausende von HIV-Patienten für Wochen nicht mit Medikamenten versorgt wurden. Viele von ihnen, die sich in den frühen 1990er Jahren in rumänischen Krankenhäusern infiziert haben, haben sich bereits mehreren Behandlungszyklen unterzogen, und die Verzögerung bedeutet, dass sich für viele der Betroffenen der Virus als tödlich erweisen könnte.
Der Wirtschaftsplan der Regierung hat bereits empörte Reaktionen der Bevölkerung hervorgerufen. Szenen, bei denen verzweifelte Rentner Polizeiabsperrungen durchbrachen, und tagtägliche Proteste von Arbeitern aus dem Öffentlichen Dienst schockierten die Regierung. Präsident Traian Basescu beschuldigt die Rentner, "von gewalttätigen Elementen unterwandert worden zu sein" und drohte, er werde nicht zulassen dass "griechische Verhältnisse" im Land die Oberhand gewinnen.
Gewerkschaftsführer befürchten immer mehr, dass sie dieses Mal die Arbeiter nicht unter Kontrolle halten können, und fordern die Regierung eindringlich zu Verhandlungen auf. Ein Gewerkschaftsführer war vor laufenden TV-Kameras ungewöhnlich offen und bat den Premierminister eindringlich, mit ihnen zu reden, weil "wir der einzige Weg sind, dass diese Gefühle [der Bevölkerung] demokratisch ausgedrückt werden können. Gott verhüte, daß sie andere Formen annehmen."
Die Arbeitnehmer haben geschworen bis zum 19. Mai jeden Tag auf die Straße zu gehen, wenn 40.000 zur Teilnahme an der größten Kundgebung seit 1989 erwartet werden.