Während sich die amerikanische Regierung weigert, 23 verurteilte Entführer von der CIA und der Air Force nach Italien auszuliefern, verlangt sie unerbittlich die Auslieferung des Regisseurs Roman Polanski nach Los Angeles, um der "Gerechtigkeit Genüge zu tun". Der Kontrast zwischen diesen zwei Fällen ist wahrhaftig augenfällig.
Die CIA-Agenten und ein Oberst der Air Force haben in Zusammenarbeit mit den italienischen Nachrichtendiensten den ägyptischen Kleriker Osama Moustafa Hassan Nasr, genannt Abu Omar, entführt. Sie überfielen ihn im Februar 2003 auf offener Straße in Mailand und flogen ihn nach Ägypten, wo er mehrere Jahre lang sadistisch gefoltert wurde. Nasr wurde nie eines Verbrechens angeklagt oder vor Gericht gestellt.
Die World Socialist Web Site hat über die schrecklichen Details dieses Falles berichtet. Aber rekapitulieren wir kurz: Nach Abu Omars Aussage ist er von seinen CIA-Häschern brutal geschlagen und anschließend in Ägypten in einer unterirdischen Zelle eingesperrt worden, "wo man den Tag nicht von der Nacht unterscheiden konnte, wo Kakerlaken, Ratten und anderes Getier über einen krabbelte". Er sei "an den Füßen aufgehängt worden, Kopf über wie ein geschlachtetes Schwein, die Hände auf den Rücken gebunden. Ich erhielt am ganzen Körper Elektroschocks, aber besonders am Kopf, um das Gehirn zu schwächen..."
Die Staatsanwälte in Italien lieferten Beweise, dass die Rolle der USA nicht mit der Übergabe Nasrs an die ägyptischen Behörden endete. Die Staatsanwälte legten Handy-Abhörprotokolle und Hotelabrechnungen vor, die zeigen, dass Robert Seldon Lady, Bürochef der CIA in Mailand und Angeklagter in dem Prozess (er erhielt in Abwesenheit eine Gefängnisstrafe von acht Jahren), vier Tage nach Abu Omars Verschleppung nach Kairo gereist war und sich zwei Wochen lang dort aufgehalten hatte - zweifellos um zu sehen, ob die Folterungen Erfolge zeitigten.
Als die Untersuchungen im Fall Abu Omar in Gang kamen, floh Lady aus seiner Villa in Norditalien, wo er sich zur Ruhe gesetzt hatte. Er wird heute in den USA vermutet. In den amerikanischen Medien sind keine Forderungen laut geworden, dass Lady für seine schweren Verbrechen "zur Verantwortung gezogen" werden müsse.
Als im Februar 2007 ein Richter in Mailand angeordnet hatte, die Gruppe amerikanischer Agenten wegen Entführung vor Gericht zu stellen, erklärte die Bush-Regierung, sie werde die CIA-Leute schützen. Der Rechtsberater des Außenministeriums, John Bellinger, erklärte in einer Presseinformation: "Wir haben noch kein Auslieferungsersuchen von Italien erhalten... Doch auch wenn wir eines erhalten hätten, würden wir keine Amerikaner an Italien ausliefern."
Auch die italienische Regierung hat sich den Forderungen der Staatsanwälte hartnäckig verweigert, die Auslieferung zu beantragen. Staatsanwalt Armando Spataro sagte den Medien, er denke daran, "auf der Grundlage der Verurteilungen in Rom einen internationalen Haftbefehl gegen die flüchtigen Amerikaner zu beantragen". Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die rechte Berlusconi-Regierung diesem Begehren folgen wird.
Die Obama-Regierung setzt die Politik von George W. Bush fort. Sie äußerte ihre "Enttäuschung" über das Urteil in Italien und erklärte, sie werde die CIA-Verbrecher nicht überstellen.
Über einen eventuellen Auslieferungsantrag Italiens müsste das Internationale Büro des amerikanischen Justizministeriums (OIA) entscheiden. Dieses Büro ging mit dem Fall Polanski völlig anders um. Die Agenten des Büros überwachten mindestens seit Dezember letzten Jahres jede Bewegung des Regisseurs in Europa. Aus Emails, die Associated Press in die Hände fielen, geht hervor, dass Österreich als möglicher Zugriffsort abgelehnt wurde und man sich schließlich auf die Schweiz einigte, nachdem die dortigen Behörden einen Tipp gegeben hatten.
Am 25. September zeigten sich OIA-Beamte in einer Email an den Staatsanwalt in Los Angeles zuversichtlich, dass die Schweiz Polanski festhalten werde. "Die Schweiz lässt im Allgemeinen Auslieferungshäftlinge nicht auf freien Fuß", hieß es in der Email. "In der Regel wird ein Flüchtling in der Schweiz festgehalten, bis er oder sie ausgeliefert ist, oder bis das oberste Schweizer Bundesgericht festgestellt hat, dass er oder sie nicht ausgeliefert werden kann."
Polanski hatte sich 1977 schuldig bekannt, Sex mit einer Jugendlichen gehabt zu haben, und floh dann aus den USA, als sich abzeichnete, dass ein Richter sich nicht an die Prozessabsprache halten würde. Die Kampagne gegen ist ein reiner Rachefeldzug. Sie ist eine Art Knochen, den man der rechten Bande der "Familienwerte"-Anhänger hinwirft, weil diese Elemente inzwischen erheblichen Einfluss auf die amerikanische Gesellschaftspolitik haben.
Am 2. Oktober trafen Polanskis Anwälte mit Vertretern des Justizministeriums zusammen, auch mit dem von Clinton ernannten stellvertretenden Generalstaatsanwalt Bruce Swartz, der für das OIA zuständig ist. Die Anwälte versuchten, Swartz zu überzeugen, das Auslieferungsbegehren fallen zulassen, und lieferten der Obama-Regierung Argumente gegen eine Rückführung Polanskis nach Los Angeles. Sie fassten noch einmal die Vorwürfe zusammen, die damals gegen den Staatsanwalt und den Richter erhoben wurden, denen im Fall von 1977 Verstöße gegen die Strafprozessordnung angelastet wurden. Sie argumentierten, falls Polanski in die USA ausgeliefert werde, werde er in Kalifornien kaum Chancen auf ein faires Verfahren haben.
Aus dem Büro des Bezirksstaatsanwalts von Los Angeles verlautete, diese Art von Druck werde keinerlei Auswirkungen auf den weiteren Fortgang haben. Pressesprecher Sandi Gibbons erklärte: "Wir werden in gleicher Weise vorgehen wie bei allen internationalen Auslieferungen. Wir schicken das Material nach Washington, und von dort wird die Auslieferung beantragt."
Am 23. Oktober gaben die Schweizer bekannt, die US-Regierung habe am Vorabend tatsächlich Polanskis Auslieferung beantragt.
Wenn es um Geheimdienstleute und Militärs geht, die schwerer Verbrechen schuldig sind, setzt sich die Obama-Regierung - genau wie vorher das Bush-Regime - über internationales Recht hinweg und schützt die Täter. Dagegen geht sie mit Eifer gegen einen Regisseur vor, der wegen einer Straftat gesucht wird, die er vor dreißig Jahren begangen hat. Der Grund ist, dass Polanskis Verfolgung nützlich ist, um die Rückständigkeit in der Gesellschaft zu fördern und die Staatsmacht zu stärken. Die Doppelmoral könnte kaum deutlicher sein.