Der von den Medien einhellig als "Rettung" titulierte Einstieg Magnas bei Opel ist ein groß angelegtes Täuschungsmanöver. Die Bundesregierung, die IG Metall und die Betriebsräte bemühen sich, die Vereinbarungen mit General Motors, Magna und der russischen Staatsbank Sberbank als Erfolg darzustellen, obwohl 11.000 Arbeitsplätze abgebaut, drastische Lohnkürzungen durchgeführt und mehrere europäischen GM-Standorte stillgelegt werden sollen.
Zunächst muss festgehalten werden, dass alle Vereinbarungen über die künftige Unternehmensstruktur, die am vergangenen Wochenende getroffen wurden, nicht über rechtsunverbindliche Absichtserklärungen hinaus gehen. Das dreiseitige "Memorandum of Understanding" ist bewusst allgemein gehalten. Für rechtlich verbindliche Verträge wurde ein Termin kurz vor oder nach der Bundestagswahl im September vereinbart. Die Bundesregierung sprach von einem "Closing-Termin" im September. Mit anderen Worten: Das dicke Ende kommt erst nach der Bundestagswahl.
Die Opel-Betriebsräte, allen voran der Chef des Gesamtbetriebsrats Klaus Franz, der auch als stellvertretender Vorsitzender im Opel-Aufsichtsrat sitzt, kamen in den vergangenen Wochen regelmäßig im Berliner Kanzleramt mit der Bundesregierung, den Gesandten der Bundesländer mit Opel-Standorten und des Mutterkonzerns General Motors (GM) sowie mit Vertretern der möglichen Investoren zusammen, um die jetzige Vereinbarung auszuhandeln. Die Betriebsräte und die SPD haben sich schnell für das Magna-Konzept stark gemacht.
Dieses Konzept sieht den Abbau von jedem fünften GM-Arbeitsplatz in Europa vor, insgesamt 11.000. In Deutschland sollen rund 2.500 Arbeitsplätze abgebaut werden, fast ausschließlich im Werk in Bochum. Von den gegenwärtig noch 5.200 Arbeitsplätzen dort sollen mindestens 2.000 wegfallen. In Bochum soll das Modell Zafira gebaut werden und "übergangsweise" die dreitürige Version des Astra. Die Vereinbarung vom Wochenende bedeutet für die Bochumer Opel-Beschäftigten eine Schließung ihres Werks auf Raten.
Noch schlimmer steht es um Werke in anderen europäischen Ländern. Das GM-Werk im belgischen Antwerpen, wo 2.700 Beschäftigte arbeiten, sowie mindestens eines der zwei britischen Vauxhall-Standorte (insgesamt 5.500 Beschäftigte) und Saab in Schweden stehen vor dem sofortigen Aus. Im spanischen Saragossa, wo der Corsa gebaut wird, fragen sich die 7.000 Arbeiter, wie viele um ihren Job fürchten müssen.
Die IG Metall und die Betriebsräte haben systematisch daran gearbeitet die Hauptlast des GM-Bankrotts auf die europäischen Standorte außerhalb von Deutschland abzuwälzen. Nun feiern sie den Erhalt von 44.000 Arbeitsplätzen und allen deutschen (!) Standorten als Erfolg. Doch die Hoffnung, durch diese Spaltung der europäischen GM-Belegschaft die eigene Haut zu retten ist mehr als trügerisch. In einer Pressemitteilung erklärte der Magna-Konzern am Dienstag, dass ein "Rückzug von der Mitwirkung an der Opel-Rettung" möglich sei. "Dass sich aus der gegenwärtigen Mitwirkung tatsächlich eine Transaktion ergeben wird, kann nicht gewährleistet werden." Was es derzeit gebe, sei lediglich ein "Rahmenkonzept".
Die Eckpunkte der Vereinbarung
Magna geht keinerlei finanzielle Verpflichtung ein. Die Vereinbarung sieht vor, dass im nächsten halben Jahr eine Treuhandgesellschaft die weitere Geschäftstätigkeit des Konzerns überwacht und die Verhandlungen mit den Investoren führt.
Diese Treuhandgesellschaft ist seit Montag neuer Mehrheitseigner von Opel. Sie wird von deutscher Seite aus bezeichnenderweise von einem Insolvenz-Anwalt geleitet. Rechtsanwalt Alfred Hagebusch ist Partner der Heidelberger Kanzlei Wellensiek, die auf die Insolvenz- und Sanierungsberatung spezialisiert ist. Seine Arbeitsschwerpunkte sind "Insolvenzrecht, Krisen- und Sanierungsberatung sowie Restrukturierungskonzepte für insolvente Unternehmen", heißt es in Presseberichten. Zuletzt bereitete er unter anderem die Insolvenz von Woolworth als Berater mit vor.
Gemeinsam mit Hagebusch und gleichberechtigt mit ihm bestimmt der Europa-Vizechef von GM Eric Stevens die Zukunft der neuen Treuhandgesellschaft.
Hagebusch und Stevens steht ein fünfköpfiger Beirat zur Seite, der von Fred Irwin geleitet wird, dem Chef der Amerikanischen Handelskammer in Deutschland sowie Geschäftsführer der Citigroup Global Markets Deutschland AG in Frankfurt. Zudem schickt GM seine beiden Spitzenmanager Enrico Digirolamo, Finanzchef von GM, und John F. Smith (bei GM für die internationale Produktplanung verantwortlich) in den Verwaltungsrat. Zwei weitere Mitglieder müssen noch von der Bundesregierung benannt werden.
Die so genannten Treuhänder sind also handverlesene Vertreter der Kapitalinteressen - ein Insolvenz-Anwalt, zwei GM-Manager und zwei Vertreter aus dem Finanz- oder Wirtschaftsministerium. Sie überwachen den Einsatz der 1,5 Milliarden Euro Überbrückungskredit, den der Bund und die Bundesländer mit Opel-Standorten dem Unternehmen zur Verfügung stellen. Sollte Opel doch noch in die Insolvenz getrieben werden, tragen Bund und Länder das alleinige Ausfallrisiko. Zudem vergeben sie weitere 4,5 Milliarden Euro an Bürgschaften für die nächsten vier bis fünf Jahre.
Ursprünglich sah die am Wochenende ausgehandelte Vereinbarung vor, dass Magna am Dienstag kurzfristig 300 Millionen Euro für Opel bereitstellen müsse. Diese Zahlung übernahm die Bundesregierung. "Es hat eine Veränderung gegeben", kommentierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) lapidar.
Magna und die Sberbank werden ihre versprochenen 500 bis 700 Millionen Euro Investitionen auch nicht als Firmenkapital an Opel geben, sondern zum Großteil als so genannte "Wandelschuldverschreibung" einbringen, was bedeutet, dass diese Gelder jederzeit umgebucht, oder anders deklariert werden können.
Der marode russische Autoproduzent GAZ wird sich überhaupt nicht beteiligen, sondern fungiert als "industrieller Partner" auf dem russischen Markt. Gaz gehört dem russischen Milliardär Oleg Deripaska.
Am Ende sollen der GM-Mutterkonzern 35 Prozent Anteile an der neuen Opel Europe AG halten, genauso viel wie die russische Staatsbank Sberbank. Magna will 20 Prozent übernehmen, die restlichen 10 Prozent sollen die "Arbeitnehmer" halten. Im Gespräch ist hier eine "Mitarbeiterbeteiligung", die Lohnsenkungen in Anteile am Konzern umwandelt und die Arbeiter an den Konzern kettet.
Womöglich ist hier von der IG Metall und den Opel-Betriebsräten aber auch ein ähnliches Modell wie in den USA geplant. Dort hält die Gewerkschaft United Auto Workes (UAW) bald 55 Prozent an Chrysler und 17,5 Prozent an GM und hat damit ein direktes Eigeninteresse an der Profitsteigerung durch Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen der Autoarbeiter.
An der Spitze des neuen Unternehmens soll im Anschluss an die Arbeit der Treuhandgesellschaft der bisherige GM-Europa-Chef Carl-Peter Forster stehen. Noch zwei weitere Vereinbarungen machen deutlich, dass es sich bei der gegenwärtigen Übergangslösung nur um eine verzögerte und schrittweise durchgeführte Insolvenz handeln könnte. Erstens muss das neue Unternehmen an die amerikanische GM-Nachfolgegesellschaft weiterhin Lizenzgebühren zahlen. Und zweitens darf Opel über einen längeren Zeitraum weder in den USA, noch in Kanada und nur unter großen Einschränkungen in China seine PKW verkaufen.
Betriebsratsvorsitzender fungiert als Personalchef
Betriebsratschef Franz hatte schon vor Wochen angekündigt, dass die Kürzungen bei den Arbeitern eine Milliarde Euro umfassen werden. Franz agiert bereits, als wäre er der Personalchef des neuen Unternehmens und fordert bei jeder Gelegenheit neue Opfer von den Beschäftigten. Mit Magna werde Opel "kein Land, in dem Milch und Honig fließt", sagte er der Rheinischen Post. Opel habe einen harten Sanierungsweg vor sich. "Der wird Arbeitsplätze kosten, der wird Einsparungen kosten. Es werden schwierige, komplizierte Verhandlungen", sagte Franz.
Vieles deutet darauf hin, dass die eigentlichen Angriffe erst nach der Bundestagswahl am 27. September durchgedrückt werden. Der Überbrückungskredit für Opel soll ein halbes Jahr Zeit geben. Was dann - nach den Wahlen - geschieht, wird für die Beschäftigten katastrophale Auswirkungen haben. Und dann werden diejenigen das Wort ergreifen, die schon jetzt gegen die aktuelle Opel-Vereinbarung zu Felde ziehen.
In der Bundesregierung gehört Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) zu den Wortführern dieser rechten Wirtschaftsclique. Er hatte sich wie die FDP von Anfang an gegen eine Unterstützung Opels ausgesprochen und bis zuletzt eine Insolvenz befürwortet. Nach Angaben aus Koalitionskreisen drohte er zwischenzeitlich sogar mit seinem Rücktritt.
Inzwischen wird er von zahlreichen Wirtschaftssprechern und -experten unterstützt. Bei der Rettung würden Steuergelder mit einer "Freibier-für-alle-Mentalität" ausgegeben, monierte der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs in der Welt am Sonntag. Der Präsident der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) Eric Schweitzer sagte: "Unternehmen, die falsch kalkulieren, müssen schon zum Schutz der Arbeitsplätze in gesunden Unternehmen vom Markt verschwinden."
Auch Bundesfinanzminister Steinbrück (SPD) schloss am Dienstag eine spätere Insolvenz Opels nicht aus.
Nach der Bundestagswahl, unabhängig welche Parteien dann die Regierung stellen, werden die Vertreter der Wirtschaftsverbände dafür sorgen, dass enorme Angriffe - nicht nur auf die Opel-Arbeiter - geführt werden. Ähnlich wie die Obama-Regierung in den USA wollen sie die Krise nutzen, um Löhne und Sozialstandards der vergangenen Jahrzehnte abzuschaffen und massive Angriffe auf den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung durchzusetzen.
Um das zu verhindern, ist es notwendig der reaktionären Politik der Gewerkschaften entschlossen entgegenzutreten. Arbeiter müssen den gesamten Rahmen der derzeitigen "Opel-Rettung" zurückweisen, der nichts als Nationalismus, Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen vorsieht. Die Opel-Beschäftigten müssen den Kampf zur Verteidigung ihrer Arbeitsplätze, Löhne und ihres Lebensstandards in die eigenen Hände nehmen, indem sie mit ihren Kollegen in Europa, den USA und weltweit Verbindung aufnehmen.
Im Mittelpunkt eines solchen Kampfes muss ein internationales sozialistisches Programm stehen. Das Privateigentum an den großen Konzernen und Banken muss abgeschafft und sie müssen in Gemeineigentum überführt werden. Die Betriebe müssen demokratisch geleitet und kontrolliert werden. Um dies zu erreichen, muss eine internationale, sozialistische Arbeiterpartei aufgebaut werden, die für die weltweite Vereinigung der Arbeiter im Kampf gegen den Kapitalismus und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa eintritt. Das ist das Ziel des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und seiner deutschen Sektion, der Partei für Soziale Gleichheit.