Kita-Streik: 30.000 demonstrieren in Köln

30.000 Erzieherinnen, Sozialarbeiter und -pädagogen, weit mehr als erwartet, kamen am Montag zu einer bundesweiten Kundgebung nach Köln, um für eine Erhöhung ihrer Löhne und Gehälter sowie für eine Verbesserung des betrieblichen Gesundheitsschutzes zu demonstrieren.

Auf der Demonstration in Köln Auf der Demonstration in Köln

Mit zahlreichen Transparenten und jeder Menge Fahnen zog der lange Demonstrationszug vom Stadtteil Ehrenfeld aus durch die Innenstadt in Richtung Rhein. Der Kundgebungsort, der Heumarkt, war angesichts der großen Teilnehmerzahl der meist weiblichen Demonstranten, die sich selbstbewusst rote T-Shirts mit der Aufschrift "Zukunftsgestalterin" übergezogen hatten, zu klein. Die Polizei hatte deshalb zusätzlich die Deutzer Brücke halbseitig gesperrt. Von dort übertrugen Leinwände die Kundgebung.

Die Demonstranten forderten für die Erzieherinnen in den Kitas eine bessere Eingruppierung im Gehaltstarif sowie einen besseren Gesundheitsschutz. Die Techniker Krankenkasse berichtete aus einer Studie, dass Erzieherinnen überdurchschnittlich oft krank sind, fast 14 Tage im Jahr. Auch der Lohn jüngerer Erzieherinnen ist eine Anklage. Seit der Einführung des Tarifvertrags des öffentlichen Dienstes (TVöD) 2006 durch Gewerkschaften und Arbeitgeber erhalten neu eingestellte Erzieherinnen bis zu 700 Euro brutto weniger Geld.

Die 220.000 Beschäftigten in Kindergärten und Kindertagesstätten (Kita) sowie Jugendhilfe- und Sozialdienststellen streiken seit über einem Monat für ihre Forderungen. Bei der Urabstimmung hatten sich 90 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für Arbeitskampfmaßnahmen ausgesprochen. Seither haben sich Zigtausend an den Streiks beteiligt.

Nach Gewerkschaftsangaben blieben auch am Montag wieder viele hundert Einrichtungen geschlossen. Allein in Nordrhein-Westfalen bestreikten 9.000 Erzieherinnen und Sozialarbeiter die Kindertagesstätten (Kitas). In Hessen beteiligten sich 4.500, in Rheinland-Pfalz 1.600 und in Baden-Württemberg rund 3.000 Beschäftigte.

Doch die Gewerkschaften Verdi und GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) beschränkten die Kampfmaßnahmen auf eintägige, isolierte Aktionen und taten alles, um zu verhindern, dass sich die Auseinandersetzung zu einer offenen Konfrontation mit der Bundesregierung und den Parteien der Großen Koalition, der SPD und der CDU/CSU, entwickelt.

Vieles deutet darauf hin, dass die bundesweite Demonstration in Köln von den Gewerkschaften lediglich als Deckmantel für einen Ausverkauf organisiert wurde. Noch am Montagabend nahmen sie die Verhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) wieder auf, und bis zum heutigen Mittwoch wollen beide Seiten zu einer Einigung kommen.

Dass Verdi und GEW eine politische Konfrontation mit den Berliner Regierungsparteien unter allen Umständen vermeiden wollen, zeigt schon die Tatsache, dass sie ihnen in Köln eine Bühne boten. Es wäre ein Leichtes gewesen, Beschäftigte von Karstadt/Quelle, von Opel, aus anderen Bereichen des öffentlichen Diensts, oder Kollegen aus Frankreich und Polen als Kundgebungsredner zu gewinnen und eine machtvolle Solidaritätsdemonstration gegen Niedriglöhne, Unterbeschäftigung und Entlassungen zu organisieren. Stattdessen luden die Gewerkschaften führende Politiker derselben Berliner Parteien ein, die für die Situation der Erzieherinnen und Sozialarbeiter verantwortlich sind.

Ausgerechnet Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) unterstützte in salbvollen Worten die versammelten Demonstrierenden und klagte, sie hätten seit 1991 nicht mehr Geld im Portemonnaie. Ihre Anliegen seien "berechtigt". "Das kostet jedoch Geld. Es ist die Frage, was ist uns gute Förderung wert?" Eine Antwort darauf gab sie nicht.

Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering versprach, er wolle sich "einmischen". Bund, Länder und Kommunen müssten gemeinsam an einem Strang ziehen. Das klang wie eine Drohung. Müntefering gehört zu den Hauptverantwortlichen für Hartz IV.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast plädierte für "einen Krippengipfel", Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, klagte, dass wir "weit entfernt von einer Chancengleichheit für alle Neugeborenen" sind.

Die Mehrheit der Demonstranten lehnte offensichtlich den Auftritt dieser hochrangigen Politiker ab. Insbesondere von der Leyen und Müntefering wurden auch mit Buh- und Pfui-Rufen begrüßt.

Großen Applaus bekam dagegen der Kölner Kabarettist Wilfried Schmickler, der den Kundgebungsteilnehmern mit derben Breitseite gegen "all die Von-der-Leyens" offenbar aus dem Herzen sprach. "Das sind dieselben Leute, die den Steuerabzockern zurzeit den Zucker kiloweise in den... blasen. Jetzt machen sie auf tief betroffen." Der Kabarettist sprach auch den Grund für den Auftritt der Politikerschar aus: "Die haben Angst, dass etwas in naher Zukunft den Bach runter geht: Das ist der viel beschworene soziale Friede. Aber der Krieg ist längst da."

Reporter der World Socialist Website sprachen mit zahlreichen Demonstrationsteilnehmern. Sie berichteten von überfüllten Gruppen, Lärmbelastungen, Stress und Armutslöhnen.

Chung-Hi Chung-Hi

Un Chung-Hi (Foto) arbeitet seit 1997/98 in einem städtischen Kindergarten in einem ärmeren Viertel von Reutlingen als Zeitarbeitskraft. "Ich bin Kinderpflegerin und gehöre zu den Armen. Ich arbeite nur 60 Prozent oder gut 23,5 Stunden in der Woche. Ich würde gerne mehr arbeiten, aber das geht angeblich nicht. In unserem Kindergarten betreuen wir 44 Kinder von drei bis sechs Jahren. Wir sind nur fünf Kolleginnen, zum Teil 75-Prozent-Kräfte. Zweimal in der Woche sind uns Kolleginnen von der Sprachförderung behilflich. Wir arbeiten unter sehr schwierigen Bedingungen. Wenn etwa Kolleginnen krank sind, ist die Springerkraft nicht immer vorhanden. Das Personal ist eng bemessen und wir können den Anforderungen der Kinder nicht so nachkommen, wie wir das möchten."

Sarah Vetter (mit Kolleginnen, rechts im Bild) ist 22 Jahre alt. "Ich arbeite in der Kindertagesstätte in Kreuztal", sagt sie. "Ich bin jetzt im Sommer fertig geworden mit der Ausbildung und habe einen Vertrag über 15 Stunden in der Woche und knapp 550 Euro im Monat zum Leben. Das ist nicht viel, um als junger Mensch etwas aufzubauen."

Sarah Vetter (rechts im Bild) Sarah Vetter (rechts im Bild)

Sie berichtet von beengten Räumlichkeiten. "Wir haben im Moment 24 Tagesstättenkinder und im Sommer sollen wir 31 Kinder kriegen. Wir essen momentan im Flur mit den Mittagskindern, und bräuchten dringend Räumlichkeiten, um die Kinder besser fördern zu können. Dann schlafen wir in einem noch nicht einmal 4 x 4 Meter großem Raum. Da bringen wir derzeit 24 Kinder unter zum Schlafen oder Ruhen - und im Sommer sollen da 31 rein."

Sie seien zwar "neun Kolleginnen mit mir zusammen, aber davon sind nur zwei Vollzeitkräfte. Wir müssen daher im Schichtdienst arbeiten. Wir würden gern anders arbeiten, mehr Personal haben, mehr Räume, weniger Lärm, ich würde auch gern mehr Stunden haben. Aber es lohnt sich erst gar nicht nachzufragen. Jeder der mich fragt, ob ich noch einmal diese Lehre machen würde, dem sage ich, ich würde es mir überlegen, diesen Beruf zu wählen. Denn es gibt keine Zukunftschancen."

Sarah nahm an der Demonstration teil, weil sie fordert, dass "die Arbeitgeber sich endlich bewegen sollen, damit es uns allen besser geht". Es gehe "nicht nur immer um Banken oder sonst irgendetwas. Es geht um unsere Zukunft. Es geht um die Menschen. Jeder hat es verdient, für seine Arbeit richtig entlohnt zu werden. Die Arbeitsbedingungen, die sind ja nicht nur bei uns schlecht, sie sind überall schlecht, und es wird Zeit in dieser Wirtschaftskrise alles rumzureißen und ganz von neu anzufangen."

Sie fügt hinzu: "Es geht mir um meine Gesundheit, um die Rahmenbedingungen. Viele Leute sagen, du spielst doch nur mit den Kindern. Aber das ist nicht so. Wir müssen ja die Kinder für die Schule vorbereiten und deswegen ist es sinnvoll dementsprechend entlohnt zu werden. Nicht nur Manager haben Verantwortung. Wir haben meiner Meinung nach eine größere Verantwortung, weil es kleine Menschen sind, mit denen wir arbeiten. Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft."

Deswegen solle jeder auf die Straße gehen und für seine Rechte einstehen. "Und wenn die Grenze erreicht ist, dann ist die Grenze erreicht. Egal in welchem Land oder welche Hautfarbe - irgendwo ist die Grenze bei jedem Menschen erreicht und die soll akzeptiert werden."

Peter arbeitet als Erzieher in einem Hort in Oldenburg. "Wir sind in einer Einrichtung mit 50 Kindern, aufgeteilt in zweieinhalb Gruppen im Alter von sechs bis zehn Jahren, also Grundschulalter."

Peter hat vor fünf Jahren ausgelernt und arbeitet seit eineinhalb Jahren mit fünf Kolleginnen in zwei zwanzig- und einer zehnköpfigen Gruppe. "Ich bin eine Springerkraft und arbeite 3,5 Stunden am Tag für netto etwas mehr als 700 Euro. Das liegt nach der neuesten Studie unterhalb der Armutsgrenze. Schon gut wenn man da einen zweiten Job hat, der mir aber fehlt. Ich bin alleinstehend, aber selbst Leute, die in Leitungspositionen sind, können trotzdem nicht ihre Kinder ernähren."

Frau Brauckstadt aus Hagen arbeitet seit 32 Jahren als Erzieherin, derzeit in einer Kita mit 110 Kindern und zahlreichen Halbtagskräften, die sich jeweils eine Stelle teilen müssen. "Früher hatten wir für die altersgemischten Gruppen drei Erzieher, jetzt haben wir in der Gruppe der Zwei- bis Sechsjährigen nur noch zwei Erzieher. Dazu haben wir jetzt noch sechs bis zehn Kinder unter drei Jahren. Da sie gewickelt werden müssen, ist das mit zwei Personen über sieben Stunden lang eigentlich nicht leistbar. Denn immer ist einer allein, wenn der andere wickelt. Durch Krankheit, ab und zu Fortbildung und ein bisschen Urlaub, haben wir häufig Tage, an denen einer alleine ist in einer Gruppe mit zwanzig Kindern und zehn Kindern, die noch gewickelt werden müssen."

"Durch KiBiz haben wir noch mal schlechtere Bedingungen bekommen, zusätzlich zu den Verschlechterungen von Verdi", womit sie die Einführung des TvÖD durch Gewerkschaft und Arbeitgeber meint. Das neue Kinderbildungsgesetz der CDU-FDP-Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (KiBiz) enthält neue Methoden der Personalberechnung und zusätzliche Aufgaben für die Erzieherinnen.

Sie beklagte auch die meist auf zwei Jahre befristeten Arbeitsverträge. "Wir kommen gar nicht mehr richtig in den Beziehungsaufbau. Ein Kind, das mit zwei Jahren in den Kindergarten kommt und mit sechs in die Schule, schafft es durchaus, drei Erzieher zu erleben. Das würde man keinem Grundschulkind zumuten, einen dreimaligen Wechsel der Lehrer innerhalb von vier Jahren."

Sie registriert auch den Anstieg der Unzufriedenheit: "Man merkt, dass die soziale Unzufriedenheit der Menschen immer mehr wird, und ich glaube, dass wir das irgendwann nicht mehr mitmachen."

"Es wäre auch sinnvoll die ganzen Arbeitskämpfe zusammenzulegen. Ich würde mich mit den Opelanern, mit den Karstadt-Mitarbeitern, ja über die Grenzen hinaus solidarisieren und ich denke, dass wird eines Tages auch so kommen. Das sind ja erst Anfänge der sozialen Unzufriedenheit, die es landauf, landab gibt. Diese ständige Angst um Arbeitsplätze macht ja die Arbeit nicht besser."

Während die Beschäftigten also wütend sind wegen der unhaltbaren Zustände und nennenswerte Verbesserungen fordern, bereitete sie Verdi schon vorsichtig auf einen Kompromiss vor. Kurz vor der sechsten Verhandlungsrunde, die am Montagabend in Fulda begann, erklärte Verdi-Chef Frank Bsirske, man versuche "ernsthaft und konstruktiv" zu einer Einigung zu kommen.

Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), Manfred Hoffmann, gab sich siegesbewusst: "Wir haben den festen Willen weiterzukommen, damit diese unseligen, völlig ungerechtfertigten Streiks endlich aufhören."

Beide Seiten wollen sich bis Mittwoch einigen. Notfalls wollten VKA und Gewerkschaften aber auch bis zum Wochenende weiterverhandeln, dann in Berlin, sagte ein Sprecher von Verdi.

Siehe auch:
Erzieherinnen kämpfen für bessere Bezahlung und Gesundheitsschutz
(13. Juni 2009)
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