Deutschland: Kluft zwischen Arm und Reich wächst rasant

Die soziale Ungleichheit in Deutschland wächst im Rekordtempo. Dies belegen zwei in der letzten Woche veröffentlichte Studien.

Der aktuelle Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung meldet einen neuen Höchststand der Gewinnquote am privat verfügbaren Volkseinkommen. Die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen, die an den relativ kleinen Personenkreis der Kapitalbesitzer und Unternehmenschefs gehen, sind brutto wie netto in 2008 noch einmal gestiegen. 2007 machten sie netto 34 Prozent des Volkseinkommens aus, im ersten Halbjahr 2008 waren es schon 35,8 Prozent.

Vor fast 50 Jahren, 1960, hatte die Quote noch bei 24,4 Prozent gelegen. In den dreißig Jahren bis 1990 wuchs der Anteil dann auf knapp 30 Prozent und stieg 2005 auf 32 Prozent. "Besonders stark wuchsen dabei zuletzt die Unternehmensgewinne", heißt es in einer Pressemeldung der Hans-Böckler-Stiftung.

Was die Spitzenverdiener gewinnen, verliert die große Mehrheit der Lohnempfänger. Die Lohnquote - der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen - ging brutto weiter zurück. Die Netto-Lohnquote, die den Anteil der Löhne und Gehälter am Gesamteinkommen nach Abzug der Sozialabgaben und der Lohnsteuer angibt und ungefähr aussagt, wie viel den Arbeitern übrig bleibt, stieg 2007 im Vergleich zu 2006 zwar leicht an, aber nur, um im ersten Halbjahr 2008 mit 39,3 Prozent wieder unter das Niveau von 2006 zu sinken.

Vor 1990 erreichte sie jahrzehntelang noch über 50 Prozent (1960: knapp 56 Prozent).

Zum neuerlichen Rückgang der Arbeitseinkommen und dem Anstieg der Einkommen aus Unternehmensgewinnen und Vermögen habe vor allem die Steuer- und Abgabenpolitik der Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beigetragen, erklären die WSI-Forscher. Wobei die Sprecher der gewerkschaftseigenen Stiftung geflissentlich darüber hinweg sehen, dass sowohl das Arbeits- und Sozialministerium, wie auch das Finanzministerium seit zehn Jahren von Sozialdemokraten geführt wird. Deren Entscheidungen trugen maßgeblich zum Ansteigen der Ungleichheit bei.

Die Senkung der Steuern auf Gewinn- und Vermögenseinkommen haben dazu geführt, dass die Unternehmen und Reichen lediglich zu einem guten Fünftel des gesamten Steuervolumens beitragen. Anfang der 60er-Jahre lag der Anteil noch bei einem guten Drittel. Die Bundesregierung von SPD und Grünen unter Gerhard Schröder (SPD) hatte 1998 eine vorher nie gesehene soziale Umverteilung eingeleitet. Der Sozialstaat wurde vor allem durch die Hartz-Gesetze geschliffen, während die Steuern der Unternehmen und Reichen gesenkt wurden. Die SPD führt diese Politik in der Großen Koalition mit Merkel unbeirrt fort.

Der Anteil der Steuern aus Unternehmens- und Kapitalgewinnen werde aufgrund der letzten Reformen bei Unternehmen-, Erbschaft- und Abgeltungsteuer für eine weitere Entlastung der Unternehmen und Wohlhabenden sorgen, erklärt WSI-Forscher Claus Schäfer.

Die sich spreizende Schere zwischen Gewinnen und Vermögen auf der einen Seite sowie Arbeitseinkommen auf der anderen belegt das Anwachsen der sozialen Ungleichheit.

Auch innerhalb der Lohneinkommen ist eine wachsende Ungleichheit zu beobachten. Die Schere zwischen den Löhnen der am besten verdienenden Arbeitnehmer und den Beschäftigten am unteren Ende der Lohnskala ist zwischen 2001 und 2007 deutlich auseinandergegangen, meldete die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) in ihrem ebenfalls letzte Woche vorgelegten Globalen Lohnreport 2008/2009.

Im Vergleich der Industriestaaten sei nur in Polen das Lohngefälle noch deutlicher angestiegen.

Ohnehin seien die Löhne in den vergangenen Jahren in Deutschland insgesamt sehr gering gestiegen. So gab es zwischen 2001 und 2007 im Schnitt ein Lohnplus von 0,51 Prozent - ähnlich wie in Frankreich.

Der ILO-Report vergleicht die Löhne abgestuft in zehn Stufen. Danach betragen die Löhne der am besten verdienenden zehn Prozent rund 3,26mal soviel wie diejenigen der zehn Prozent am unteren Ende der Lohnskala. Würde man das obere eine Prozent der Lohn- und Gehaltsempfänger mit den Niedrigverdienern vergleichen, wäre die Quote mit Sicherheit eine andere.

Denn während die Manager und Hochverdiener Millionen scheffeln, ist der Niedriglohnsektor angestiegen. Hauptursache für die steigende Lohnkluft sei "die deutliche Zunahme des Niedriglohnsektors in Deutschland in den vergangenen Jahren", sagt Claus Schäfer vom WSI. Minijobs, Teilzeitstellen und die Zunahme der Leiharbeit seien für die rasch anwachsende Lohnkluft in Deutschland verantwortlich.

Der Tarifexperte des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Reinhard Dombre nennt die Zahl von mittlerweile 30 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse, die im "prekären Bereich" angesiedelt sind - etwa als 400-Euro-Jobs oder Praktika. Weit mehr als 1,5 Millionen Menschen arbeiten in Jobs für weniger als das in Deutschland festgesetzte Existenzminimum und sind gezwungen ihren Niedriglohn durch Hartz-IV aufzustocken.

Die Zahl dieser "Aufstocker" sei in den vergangenen Jahren trotz Wirtschaftswachstum stark gestiegen, berichtet die S üddeutsche Zeitung. Seit Beginn der Großen Koalition im September 2005 bis Ende 2007 habe sich die Zahl der "Aufstocker" mit einem Bruttolohn von 400 bis 800 Euro um mehr als 50 Prozent und die mit über 800 Euro Einkommen um fast 40 Prozent erhöht. Damit werde Lohndumping staatlich gefördert, heißt es in dem Bericht.

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise prognostiziert die ILO-Studie vor allem in den Industriestaaten im nächsten Jahr weitere "schmerzhafte Einschnitte" bei den Reallöhnen und warnt vor zunehmenden sozialen Spannungen.

Siehe auch:
Aufschwung nur für Reiche
(3. September 2008)
Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung - Schere zwischen Arm und Reich erneut gewachsen
( 23. Mai 2008)
Managergehälter und Mindestlohn
( 19. Dezember 2007)
Das Resultat langjähriger Gewerkschaftspolitik: Arbeiterlöhne sinken, Managergehälter steigen
( 13. April 2007)
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