Während seiner Kampagne zu den Präsidentschaftswahlen versprach Barack Obama, das berüchtigte Gefängnis in Guantánamo Bay auf Kuba zu schließen und die Häftlinge vor amerikanische Gerichte zu stellen, statt vor Militärkommissionen. Obama wiederholte dieses Vorhaben bei einem Auftritt in einer Fernsehsendung am 16. November. Wenn es allerdings um die Frage geht, was mit den 250 Gefangenen geschehen soll, sind er und seine Mitarbeiter nicht sehr gesprächig und wenig mitteilsam.
Etwa 80 Gefangene sollen vor die Militärkommissionen gebracht werden, die vom US-Kongress im Jahr 2006 eingerichtet wurden. Zirka 125 Gefangene fallen durch das Raster - man hält sie für zu gefährlich, um sie zu entlassen, aber für nicht schuldig genug, um sie anzuklagen. Die restlichen ca. 50 Gefangenen sind so weit entlastet, dass sie entlassen oder abgeschoben werden können. In vielen Fällen jedoch könnte eine Rückkehr in ihre Heimatländer weiteren Gefängnisaufenthalt oder Folter bedeuten.
Laut einem Artikel, der am 14. November in der New York Times erschien, gibt es unter Obamas Anhängern eine erbitterte Diskussion über dieses Thema. Laut Times "erklären Leute mit Verbindungen zu Obamas Übergangs-Team, am meisten beunruhige sie die Frage: Was passiert, wenn einige Gefangene freigesprochen werden oder gar nicht strafrechtlich belangt werden können?"
Mehrere Verfahren könnten scheitern, weil Aussagen durch Folter oder andere Zwangsmaßnahmen erpresst wurden, oder konkrete Beweise für Kriegsverbrechen ganz fehlen.
Dem Times -Artikel zufolge drängen "sogar einige Liberale" die neue Regierung, die Zustimmung des Kongresses für eine Sicherheitsverwahrung derjenigen Terrorverdächtigen einzuholen, die man für zu gefährlich hält, um sie zu entlassen, bei denen aber keine Aussicht auf eine Verurteilung besteht. Die Times zitiert Ken Gude, einen Wissenschaftler des liberalen Center for American Progress. Gude erklärt, die Einführung einer Sicherheitsverwahrung und andere Probleme bei der Behandlung von angeblichen Terroristen und Terrorverdächtigen habe eine "sehr hitzige und ernste Debatte" ausgelöst.
Ein Gesetz, das die Sicherheitsverwahrung erlaubt, läge auf einer Linie mit der Politik und Praxis der Bush-Regierung. Im Juli forderte Bushs Justizminister Michael Mukasey den Kongress auf, ein neues Gesetz zu verabschieden. Das Gesetz sollte nochmals bekräftigen, dass sich die USA weiterhin in einem "bewaffneten Konflikt" befinden und dass der Präsident für die Dauer dieses Konflikts feindliche Kämpfer internieren darf, wenn sie "sich an Feindseligkeiten beteiligt oder bewusst al-Qaida, die Taliban und angegliederte Organisationen unterstützt haben".
2004 billigte der Oberste Gerichtshof der USA den Kurs der Bush-Regierung, so genannte "feindliche Kämpfer" in Haft zu nehmen. Das Gericht akzeptierte die Rechtmäßigkeit des nie vom Kongress erklärten "Kriegs gegen den Terror" ohne zeitliche oder geographische Begrenzung. Es berief sich dabei auf internationales Kriegsrecht, das den Regierungen das Recht zugestehe, gefangen genommene feindliche Kämpfer bis zur Beendigung eines Konflikts festzuhalten. Das Gericht wies jedoch das Ansinnen der Bush-Regierung zurück, den Gefangenen das Recht zu verweigern, diese Klassifikation entsprechend der Genfer Konvention vor einem Gericht anzufechten
Der US-Kongress verabschiedete zwei Gesetze, die den amerikanischen Gerichten die Vollmacht entzogen, Haftprüfungsanträge angeblicher feindlicher Kämpfern zu verhandeln. 2007 entschied das Oberste Bundesgericht jedoch, dass Häftlinge ein verfassungsmäßiges Recht auf eine richterliche Überprüfung des Freiheitsentzugs aufgrund ihrer Einordnung als feindliche Kämpfer haben. Die vom US-Militär eingerichteten Combatant Status Review Tribunals (CSRTs) [Tribunale zur Überprüfung des Kämpfer-Status] würden rechtsstaatlichen Prinzipien nicht gerecht.
In der Praxis haben die CSRTs die Häftlinge gehindert, einen Rechtsanwalt einzuschalten, ihnen die Möglichkeit vorenthalten, Beweise oder Zeugen zu ihrer Verteidigung vorzubringen und gegen sie vorliegende Beweise zu hören oder zu sehen. 2007 verurteilte der Geheimdienst-Veteran Oberstleutnant Stephen Abraham die Tribunale nach eingehender Prüfung als eine Instanz, die nur dazu diene, eine bereits feststehende Einordnung eines Häftlings als feindlicher Kämpfer durch das Militär abzusegnen.
Die überwiegende Mehrheit der Häftlinge wurde verhaftet, weil das US-Militär in Afghanistan and Pakistan Prämien für gefangene "Taliban" zahlte. Viele von ihnen hatten keine Verbindungen zu den Taliban oder al-Qaida oder nur flüchtigen Kontakt.
Nachdem sich herausgestellt hatte, dass mehrere Häftlinge keine feindlichen Kämpfer waren, eliminierte das Militär diese Unschuldsoption und begann, den Begriff "kein feindlicher Kämpfer mehr", auf diejenigen anzuwenden, die ohne jeden ersichtlichen Grund festgehalten wurden. Das erklärte Ziel der Annual Administrative Review Boards (ARBs) [Jährliche Überprüfungskommission], die als Nachfolger der CSRTs eingesetzt wurde, bestand darin, festzustellen, ob die Häftlinge immer noch eine Gefahr für die USA darstellten. Sie verzichteten sehr schnell auf die Feststellung, dass Häftlinge "keine feindlichen Kämpfer mehr" seien.
Dem britischen Journalisten Andy Worthington zufolge, der alles, was mit Guantánamo zu tun hat, genau verfolgt, wurden von den 207 Gefangenen, die nach den ersten drei Überprüfungsrunden des ARB Guantánamo verlassen konnten, nur vierzehn "nicht länger als feindliche Kämpfer" angesehen. Die übrigen wurden ausdrücklich weiterhin als "feindliche Kämpfer" eingestuft. Sie konnten Guantánamo nur verlassen, um in ihrem Heimatland oder einem Drittland weiter eingesperrt zu bleiben.
Bei seiner Ablehnung des Gesetzes über die Militärkommissionen im Jahre 2006 sagte Senator Obama im Kongress, sie ließen den Gefangenen keine faire Chance, ihre Unschuld zu beweisen. Auch seien sie nicht geeignet, verdächtige Terroristen von denen zu unterscheiden, die nur versehentlich beschuldigt werden. Er erklärte damals: "Wir haben hier einen Gesetzentwurf, der dem Top-Terroristen des 11. September seinen Auftritt vor einer Militärkommission gewährt, sie sind jedoch nichts für die Unschuldigen, die wir versehentlich gefasst und fälschlicherweise für Terroristen gehalten haben. Diese Leute werden womöglich bis ans Ende ihres Lebens im Gefängnis sitzen."
Heute denkt Obamas Übergangsteam über ein Gesetz nach, das die unbegrenzte Inhaftierung von Personen aufgrund eines noch nicht definierten Überprüfungsmechanismus erlauben soll.
Zur Erinnerung: Wenn jemand nach sieben Jahren Haft nicht mit den Mitteln der Strafprozessordnung des Terrorismus oder anderer Verbrechen überführt werden kann, dann gibt es nach geltendem Recht keine Grundlage mehr, ihn länger festzuhalten.
Im Juli legte Justizminister Mukasey dem Kongress einen Gesetzentwurf vor, dem zufolge die Haftprüfungsbegehren von Häftlingen nur noch von einem Sondergericht behandelt werden sollten. Das hätte unter anderem bedeutet, dass Anhörungen von Häftlingen nicht mehr vor ordentlichen Gerichten stattfinden würden, und dass der Beschuldigte und seine Verteidiger geheime Beweise nicht einsehen können. Ein solches Vorgehen würde möglicherweise dazu führen, dass die Beweislast umgekehrt würde und der Angeklagte seine Unschuld beweisen müsste, nicht jedoch die Regierung seine Schuld, und dass das Recht auf Berufung eingeschränkt werde. Die Diskussionen, die in Obamas Übergangsteam hinter den Kulissen stattfinden, drehen sich vermutlich um ähnliche Maßnahmen.
Die Militärkommissionen sind allerdings derart diskreditiert, dass Obama sich möglicherweise gezwungen sieht, sie fallen zu lassen, um der internationalen öffentlichen Meinung entgegenzukommen. Statt ihrer wird vermutlich ein neues Sondergericht ausgeheckt, um solche Prozesse weiter zu führen. Solche Ideen brachte Justizminister Mukasey vergangenes Jahr bei seinen Anhörungen im Senat ein.
Hier zeigt sich eine ernste Gefahr. Sie besteht darin, dass ein paralleles Gerichtssystem geschaffen wird, ein Gericht für Fragen der Nationalen Sicherheit, vor dem die üblichen verfassungsmäßigen Rechte nicht gelten und die Geheimhaltungsinteressen der Regierung und der so genannte "Krieg gegen den Terror" Vorrang haben.
So gut wie alle Verfahren vor den Militärkommissionen endeten bisher in einem Fiasko für die Regierung. Im ersten Prozess in diesem Sommer sprach ein Militärrichter Osama bin Ladens Fahrer, den US-Bürger Yaser Salim Hamdi, vom Anklagepunkt der Verschwörung frei und verurteilte ihn lediglich wegen Unterstützung des Terrorismus. Die Jury verhängte eine fünfeinhalbjährige Gefängnisstrafe, auf die seine fünfjährige Haft in Guantánamo angerechnet wurde, statt dreißig Jahre, wie der Staatsanwalt beantragt hatte. Das Verteidigungsministerium drohte daraufhin, Hamdi nach Verbüßung seiner Haftstrafe als feindlichen Kämpfer weiter festzuhalten.
Der zweite Prozess gegen den angeblichen Leibwächter bin Ladens und Video-Propagandisten Ali Hamza al-Bahlul endete im Oktober mit einer lebenslangen Haftstrafe. Aber der gesamte Fall beruhte ausschließlich auf Beweisen der Anklagevertretung, weil al-Bahlul aus Protest völliges Stillschweigen bewahrte. Sein ihm zugewiesener Anwalt, Major Frank Frakt, musste sich an die ethische Verpflichtung halten und den Wünschen seines Mandanten folgen, und nahm deswegen ebenfalls nicht aktiv an dem Verfahren teil. Aus diesem Grund hörte die Jury nichts von den Vorwürfen des Angeklagten, er sei gefoltert worden, oder von der Behauptung seines Anwalts, al-Bahlul sei kein aktiver Kämpfer gewesen und sei auch nicht an der Planung oder Ausführung von Terroraktivitäten beteiligt gewesen.
Vor einem Jahr war Chefankläger Oberst Morris Davis zurückgetreten. Er war zum Schluss gekommen, im Rahmen des geltenden, ausschließlich politischen Interessen verpflichteten Systems seien "korrekte, faire und offene Verfahren nicht möglich".
Oberstleutnant Darrel Vandefeld, Ankläger im Prozess gegen Afghani Mohamed Jawad, trat ebenfalls kürzlich zurück. Jawad behauptet, sein Geständnis, im jugendlichen Alter zwei Granaten auf amerikanische Soldaten geschleudert zu haben, sei unter Folter zustande gekommen. Vandeveld schimpfte, das System sei so konstruiert, dass entscheidende Beweise der Verteidigung nicht vorgebracht werden könnten.
In Jawads Fall geht es darum, dass Beweise unterdrückt wurden, die belegt hätten, dass Jawad vor dem Angriff unter Drogen gesetzt worden war und zwei andere Männer die Tat gestanden hatten. Um weiteren Vorwürfen Vandeveldes zuvorzukommen, ließ die Regierung daraufhin die Anklagen gegen fünf andere Gefangene fallen, gegen die Vandevelde die Anklage vertrat.
Weitere Zwischenfälle haben die Verfahren vor den Militärkommissionen ebenfalls als Farce entlarvt. Im Fall des Kanadiers Omar Khadr löste das Pentagon den Richter ab, weil er für die Verteidigung günstige Entscheidungen gefällt hatte.
Brigadegeneral Thomas Hartman, juristischer Berater von Susan Crawford, die im Auftrag des Verteidigungsministeriums die Arbeit der Militärkommissionen überwacht, bekam "andere Aufgaben" zugewiesen, nachdem drei Militärrichter ihm jede Einflussnahme auf die Prozesse gegen Hamdan, Jawad und Khadr untersagt hatten. Der Grund war, dass er ganz offen auf der Seite der Anklagevertretung interveniert hatte.
Gegen Hartmann läuft gegenwärtig eine Untersuchung der Air Force und des Generalinspekteurs des Verteidigungsministeriums, weil er Prozesse in einem unsinnig kurzen Zeitraum durchpauken wollte, und weil er entgegen den Empfehlungen der Anklagevertretung Beweise zulassen wollte, die unter Folter erlangt worden waren.
Man könnte die Liste noch fortsetzen.
Auch die Regeln, die der Kongress 2006 für die Arbeit der Staatsanwaltschaft beschlossen hat, lassen jede elementare Fairness vermissen. Zum Beispiel wird der Zugang der Öffentlichkeit zu den Verhandlungen eingeschränkt, wie auch der Zugang der Verteidigung zu angeblich heiklen Beweisen und Zeugen. Es besteht sogar die Möglichkeit, erzwungene Aussagen und Hörensagen zuzulassen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Obama-Regierung Schritte ergreifen wird, um die Kommissionen in den Augen der Welt zu rehabilitieren. Aber wer sich die Illusion macht, er werde das Gesetz über die Militärkommissionen rundheraus abschaffen und den Beschuldigten die üblichen Rechte von Angeklagten vor einem regulären amerikanischen Gericht gewähren, wird wahrscheinlich schwer enttäuscht werden.