Italienische Regierung verhängt nationalen Notstand gegen Zustrom von Flüchtlingen

Am 25. Juli hat die Italienische Regierung Silvio Berlusconis beschlossen, wegen des anhaltend hohen Zustroms von Bootsflüchtlingen aus dem Mittelmeer den nationalen Notstand auszurufen. Damit wird der Notstand, der schon zuvor über die drei südlichsten Provinzen Sizilien, Apulien und Kalabrien verhängt worden war, auf ganz Italien ausgedehnt.

Schon 2002 hatte Berlusconi, damals in seiner zweiten Amtszeit, den so genannten "Flüchtlingsnotstand" im Süden eingeführt, der 2006 von der Regierung Prodi übernommen wurde. Prodi verhängte zudem im Mai 2007 einen "Wassernotstand" und später den "Müllnotstand" in Neapel. Doch der aktuelle nationale Notstand hat eine völlig neue, beunruhigende Dimension.

Seit seinem Amtsantritt vor drei Monaten geht Berlusconis Regierung systematisch und mit brutaler Härte gegen Einwanderer und Flüchtlinge vor, setzt verschärfte Sicherheitsgesetze und Dekrete in Kraft und begünstigt Überfälle und Gewalttaten gegen die "Illegalen". So wurde unter den Augen der Staatsmacht ein Roma-Lager in Neapel angezündet. Mit der Ausrufung des nationalen Notstands verschafft sich die Regierung jetzt sehr weitgehende polizeistaatliche Vollmachten.

Das Parlament wurde nicht an der Entscheidung beteiligt, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Abgeordneten erfuhren aus der Zeitung, dass der nationale Notstand verhängt sei. Vergangenen Dienstag erläuterte Innenminister Roberto Maroni (Lega Nord) die Maßnahme vor dem Abgeordnetenhaus, dessen Präsident heute Gianfranco Fini ist, der Führer der postfaschistischen Alleanza Nazionale.

Maroni begründete den Notstand mit dem "anhaltenden und außergewöhnlichen Zustrom von Nicht-EU-Bürgern". Zynisch behauptete er, die Regierung werde ihre Machtbefugnis nutzen, um "den illegalen Einwanderern besser zu helfen, sie in Gebäuden und nicht in Zelten unterzubringen und ihnen eine menschlichere Behandlung zu garantieren".

Internierungslager und Truppen im Innern

Tatsächlich geht es Maroni darum, möglichst viele Flüchtlinge so schnell wie möglich hinter Schloss und Riegel zu bringen. Er bestätigte den Plan, die Zahl der Internierungslager zu verdoppeln und ausgediente Kasernen im ganzen Land in so genannte "Identifikations- und Ausweisungs-Zentren" umzuwandeln. Diese Gefängnisse dienen der Umsetzung der neuen Sicherheitsgesetze, denen zufolge Menschen bis zu 18 Monate lang festgehalten werden können und die "illegale Einwanderung" zum Verbrechen erklären.

Verteidigungsminister Ignazio La Russa (Allenanza Nazionale) gab am selben Tag bekannt, dass diese Lager künftig von regulären Soldaten bewacht werden. Am Mittwoch unterzeichnete er ein Dekret, demzufolge ab Montag, 4. August, 3.000 Soldaten im Innern Italiens eingesetzt werden: Eintausend von ihnen werden in den Internierungslagern Dienst tun, weitere Tausend an neuralgischen öffentlichen Plätzen stehen (vor Hauptbahnhöfen, Botschaften, dem Petersdom, dem Mailänder Dom, etc.), und die restlichen Tausend gemeinsam mit Polizisten in den Straßen patrouillieren.

Die Soldaten seien zu Festnahmen "auf frischer Tat" berechtigt, erklärte der Verteidigungsminister. Er fügte hinzu: "Die Fußpatrouillen habe ich durchgesetzt. ... Die jungen Soldaten sind sehr erfahren, sie werden in Friedensmissionen eingesetzt, wo sie mit Situationen konfrontiert werden, die problematischer sind als in unsern Städten."

Mit andern Worten: hier werden Teile der Armee im Landesinnern eingesetzt, die bereits Kampf- und Bürgerkriegssituationen in Afghanistan, dem Libanon oder selbst dem Irak erlebt haben und entsprechend brutalisiert sind. Sie werden vorerst in die Städte Mailand, Rom, Neapel, Padua und Verona geschickt. Der Einsatz wird bis Ende 2008 über 31 Millionen Euro kosten.

Ignazio Maria La Russa, der mit zweitem Vornamen wie der faschistische Diktator Mussolini Benito heißt, ist gleichzeitig Verteidigungsminister und Präsident der Alleanza Nazionale, Schwesterpartei von Berlusconis Forza Italia im Bündnis "Volk der Freiheit". Wie sein Vater war er im neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) aktiv, ehe er die Wendung dieser Partei zur Alleanza Nazionale mitorganisierte.

Vor zwei Wochen hatte La Russa für Schlagzeilen gesorgt, als er die Erfassung der Fingerabdrücke aller Einwohner Italiens vorschlug. Das Innenministerium war vom Europaparlament scharf gerügt worden, weil es begonnen hatte, die Fingerabdrücke von Sinti und Roma, darunter auch Minderjähriger, systematisch zu erfassen. Das Europaparlament bezeichnete diese Maßnahme als "Akt der Diskriminierung aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft".

La Russa reagierte mit dem zynischen Vorschlag: "Wir machen es so: wir beschließen ein Gesetz, das vorsieht, allen die Fingerabdrücke zu nehmen ... um uns von jedem möglichen Schatten von Rassismus zu distanzieren. Bei der Durchführung werden dann Prioritäten festgelegt und es könnte sein, dass unter den dringenden Fällen die Fingerabdrücke der Roma-Kinder sind."

Reaktionen der politischen Opposition

Obwohl die jüngsten Maßnahmen der Regierung eine Bedrohung für die Rechte der gesamten Bevölkerung darstellen, gibt es von Seiten der Opposition keinen prinzipiellen Widerstand.

Die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen Demokraten Walter Veltronis hatten zum Vorgehen der Regierung wenig zu sagen. Sie wiesen hauptsächlich darauf hin, dass der Einsatz von Soldaten in den historischen Stadtkernen auf dem Höhepunkt der Urlaubssaison dem Image Italiens bei den Touristen schaden könnte.

Ex-Staatsanwalt Antonio di Pietro (Italien der Werte) erklärte, Probleme der öffentlichen Sicherheit seien auf Etatkürzungen bei der Polizei zurückzuführen. Die jüngst beschlossenen Maßnahmen seien so Erfolg versprechend wie "Gesicht waschen mit schmutzigem Wasser". Di Pietro möchte die Krise mit den bisherigen Polizeimethoden lösen, ohne zu so drastischen Maßnahmen wie dem Einsatz der Armee auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu greifen.

Die Führer von Rifondazione Comunista verharmlosten das Problem und ließen jede aufrichtige Parteinahme für die betroffenen Einwanderer und Flüchtlinge vermissen. Paolo Ferrero, Nachfolger von Fausto Bertinotti und Franco Giordano im Amt des Parteisekretärs, erklärte, die Verhängung des Notstands sei "Rauch in die Augen der Italiener, um sie von den Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen abzulenken, die das Land und die schwachen Schichten aussaugen". Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien und führendes Rifondazione-Mitglied, wies die Notstandsmaßnahmen wortradikal als "ein weiteres Stück Faschismus" zurück.

Was beide verschweigen, ist die Tatsache, dass Rifondazione Comunista selbst einen großen Teil Verantwortung für die heutige Situation trägt. Die Regierung Prodi, der Rifondazione zwei Jahre lang angehörte, hat ein Dekret zur Abschiebung all jener verabschiedet, die angeblich "eine Gefahr für die öffentliche Ordnung" darstellen. Sie ließ die ersten Abschiebelisten von rumänischen Roma aufstellen. Paolo Ferrero, selbst Minister in der Regierung Prodi, hat die Dekrete gegen Sinti und Roma vom November 2007 mitgetragen und in der Öffentlichkeit verteidigt.

Um den Preis ihrer Regierungsbeteiligung hat Rifondazione Comunista jede Schandtat der Prodi-Regierung mitgetragen: ein Sparprogramm zur Sanierung des Staatshaushalts, Militärmissionen in Afghanistan und im Libanon, den Ausbau der amerikanischen Militärbasis von Vicenza und die Erhöhung der Rüstungsausgaben. Mit dem Standardargument, man müsse Prodi unterstützen, um Berlusconi zu verhindern, stimmte Rifondazione jedes Mal zu. Die Kosten wurden der arbeitenden Bevölkerung aufgebürdet.

Dies führte im Frühjahr 2008 zu einem Zusammenbruch der Partei von historischen Ausmaßen. Rifondazione büßte bei den Wahlen im April über zweieinhalb Millionen Stimmen und all ihre Abgeordnetensitze im Parlament ein und machte den Weg für Silvio Berlusconis Rechtsparteien frei.

Soziale Dimension

Die Maßnahmen der rechten Berlusconi-Regierung richten sich nicht nur gegen Immigranten, sondern ganz unmittelbar auch gegen arme Italiener. Dies zeigt ein Zusatzantrag der Lega Nord zu einer Maßnahme der Armutsbekämpfung.

Die Lega Nord reichte einen Vorstoß ein, mit dem sie erreichen wollte, dass die Armenzulage der staatlichen Sozialversicherung INPS in Höhe von 400 Euro nur an jene Menschen ausbezahlt wird, die mindestens zehn Jahre in Italien gearbeitet und Sozialabgaben bezahlt haben. Der Zweck dieser Maßnahme bestand erklärtermaßen darin, Einwanderer vom Genuss der Zulage auszuschließen.

Als bekannt wurde, dass die von der Lega beabsichtigte Einschränkung auch bis zu 800.000 Rentner, Hausfrauen, alte Mönche und Nonnen und andere italienische Staatsbürger treffen würde, wurde die Angelegenheit in der Presse als peinlicher Fauxpas hingestellt.

In Wirklichkeit enthüllt sie den Klassencharakter der Regierungspolitik: Diese richtet sich als erstes gegen wehrlose Schichten, die keine Lobby haben, und bereitet gleichzeitig einen Frontalangriff auf die gesamte arbeitende Bevölkerung vor.

Auf die Probleme der Bevölkerung - steigende Preise, Rentnerarmut, Jugendarbeitslosigkeit, unsichere Lebensverhältnisse, Müllnotstand, etc. - hat die Regierung keine Antwort. Entgegen Berlusconis vollmundigen Wahlversprechungen hat sich die wirtschaftliche Lage des Landes drastisch verschlechtert.

Das Land steht am Rande einer Stagflation, einer Mischung aus Stagnation und Inflation. Die Zentralbank hat die Wachstumsprognose für 2008 und 2009 auf 0,4 Prozent gekürzt, d.h. sie rechnet praktisch mit einem Nullwachstum. Gleichzeitig erreichte der Preisauftrieb im Juli mit 4,1 Prozent den höchsten Stand seit zwölf Jahren. Dabei liegen die Einkommen in Italiener schon jetzt 20 Prozent unter dem Durchschnitt der Industrieländer der OECD.

Flüchtlinge und Immigranten, die zu Niedrigstlöhnen als Haushaltshilfen, Altenbetreuer oder Erntehelfer arbeiten und bis auf die Knochen ausgebeutet werden, dienen unter diesen Umständen als Sündenböcke, um von der sozialen Polarisierung abzulenken.

Die Regierung weist mafiöse Strukturen auf und verteidigt die Interessen der privilegierten Superreichen, vor allem diejenigen Silvio Berlusconis, der als reichster Mann Italiens gilt. Durch ein maßgeschneidertes Immunitätsgesetz hat sich der "Cavaliere" selbst Straflosigkeit verschafft.

Gleichzeitig ist die Regierung von inneren Widersprüchen zerrissen: Während die separatistische Lega Nord eine Abtrennung des wirtschaftlich stärkeren Nordens von den ärmeren südlichen Regionen anstrebt, verteidigt Alleanza Nazionale, deren Basis sich im Süden befindet, als Nachfolgepartei des faschistischen MSI den nationalen Zentralstaat.

Die politische Krise wird durch die internationale Finanzkrise und die hohen Energiepreise zusätzlich verschärft. Der Griff zu neuen Polizeistaatsmaßnahmen ist selbst Ausdruck dieser Zerrissenheit.

Die Art und Weise, wie die Berlusconi-Regierung mit Flüchtlingen und Einwanderern umgeht, ist eine Warnung an die ganze Arbeiterklasse: Indem sie Truppen im Innern einsetzt und eine "Zigeunerdatei" nach dem Muster von 1941 einrichtet, lässt sie die Gespenster der faschistischen Vergangenheit wieder aufleben. Die Regierung greift damit soziale und demokratische Grundrechte der gesamten Arbeiterklasse an.

Siehe auch:
Italien: Regierung Berlusconi verschärft Angriffe auf Roma und Ausländer
(3. Juli 2008)
Rassistische Pogrome begleiten Berlusconis Amtsantritt
( 27. Mai 2008)
Italien: Berlusconis neue Regierung schürt Fremdenhass
( 15. Mai 2008)
Der Preis des Opportunismus: Zum Kollaps von Rifondazione Comunista in Italien
( 24. April 2008)
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