Tausende Milchbauern aus ganz Deutschland versammelten sich am Mittwoch in Berlin, um gegen die niedrigen Preise zu protestieren, die ihnen die großen Molkereien und Einzelhandelsketten für ihr Produkt bezahlen. Zwanzig Traktoren bauten sich vor dem Brandenburger Tor auf, während die Menge, darunter viele junge Bauern, den Reden der Verbandsvertreter der Milchbauern zuhörten.
Auf Plakaten und Transparenten drückten die Bauern ihre Kampfbereitschaft aus. Sie klagten die gegenwärtige Preispolitik der großen Supermarktketten und der Europäischen Union an, die die Existenz Tausender Klein- und Mittelbauern bedrohe.
Redner aus Frankreich, der Schweiz und Holland überbrachten auf der Kundgebung Solidaritätsgrüße und machten deutlich, dass das Problem steigender Produktionskosten und sinkender Preise ein europäisches Problem ist. Die Preise, die die Bauern in der Europäischen Union für ihre Milch erzielen, sind im letzten halben Jahr um etwa 30 Prozent gefallen, während die Produktionskosten dramatisch gestiegen sind.
Viele Jahre lang sorgte das EU-Preissystem in der Landwirtschaft für garantierte Preise und Subventionen. So sicherte die EU einerseits den großen Molkerei-Konzernen wie Friesland und Campina in Holland und Arlka in Dänemark hohe Profite, andererseits Tausenden kleinen und mittleren Bauern in ganz Europa ihre Existenz.
Die gegenwärtigen Pläne der EU, sämtliche Subventionen auslaufen zu lassen und die europäischen Bauern der vollen Marktkonkurrenz auszusetzen, bedeuten zwangsläufig den Ruin für viele kleine Höfe. Die EU reduzierte die Milchquote jüngst um zwei Prozent und sieht eine weitere Senkung um ein Prozent in den nächsten fünf Jahren vor. Bis 2014 sollen die Milchquoten völlig abgeschafft werden. Mitte 2007 waren die Exportsubventionen für die europäischen Milchbauern völlig gestrichen worden.
Die europäischen Bauern sind auf der einen Seite dem Druck der EU-Politik und auf der anderen Seite dem Druck international steigender Treibstoffpreise ausgesetzt. Der jüngste starke Anstieg der Dieselpreise verteuert den Betrieb landwirtschaftlicher Maschinen beträchtlich und wirkt sich auch in steigenden Preisen für Düngemittel und Viehfutter aus. Gleichzeitig sind die deutschen Bauern mit der Marktmacht der Supermarktketten konfrontiert, die ihren Einfluss nutzen, die Preise und damit die Einkommen der Bauern niedrig zu halten. Für sie hat sich diese Politik ausgezahlt. Die Liste der reichsten Unternehmer Deutschlands wird von den Besitzern und Aktionären der großen Lebensmittel-Discounter wie Aldi, Lidl und REWE angeführt.
Das ist der Hintergrund für den Lieferboykott der deutschen Milchbauern, der am 27. Mai begonnen hat. In einer beispiellosen Aktion stellten die Milchbauern ihre Lieferungen ein und blockierten in einigen Regionen Molkereien, um zu verhindern, dass Lieferungen von anderen Produzenten die Betriebe erreichten. Gegen die Blockade eines Werks der Nordmilch-Gruppe in Norddeutschland drohte die Firma den Blockierern mit einer Schadensersatzklage über 500.000 Euro. Am Montag zerrten Polizisten Blockierer gewaltsam vom Gelände einer Molkerei nördlich von Hamburg.
Mehrere Sprecher des etablierten Deutschen Bauernverbands (DBV) verurteilten die radikalen Aktionen jener Bauern, die im kleineren Bund Deutscher Milchbauern (BDM) organisiert sind.
Der Vorsitzende des DBV, Bernd Sonnleitner, machte von Anfang an klar, dass er einen Lieferstreik der Milchbauern ablehnte. Während des Boykotts stellte sich der DBV gegen so genannte "illegale" Aktionen und Blockaden. Auf der Kundgebung in Berlin wurde ein Sprecher des DBV ausgebuht und durch Zwischenrufe gestört.
Die Militanz und Zuversicht der Bauern war im Verlauf der zehntägigen Aktionen gewachsen, und in Berlin erklärten die Bauern, sie seien positiv überrascht von der Welle der Sympathie und Solidarität aus der breiten Bevölkerung.
Aufgeschreckt von der Welle der Militanz, die ihrer Kontrolle zu entgleiten drohte, nutzte die BDM-Führung die Kundgebung in Berlin, um den Streik der Bauern und die Blockaden der Molkereien und Supermärkte zu beenden. BDM-Präsident Romuald Schaber begrüßte die breite Unterstützung für ihre Aktionen und das Ausmaß der europäischen Solidarität. In den vergangenen Wochen hatten Protestaktionen von Milchbauern in Frankreich, Österreich, der Schweiz und sogar Bulgarien stattgefunden. Er erklärte den Protest der Bauern zu einem vollen Erfolg und forderte sie auf, die Lieferungen umgehend wieder aufzunehmen.
Schon auf dem Höhepunkt der Aktionen hatte ein führender Vertreter des BDM, Franz Grosse, die Bereitschaft des BDM erkennen lassen, die Proteste zurückzufahren. "Wir empfehlen, die Aktionen vor den Betrieben nicht auszuweiten, so dass wir sachliche Verhandlungen führen können", sagte er.
Auf der Tribüne der Berliner Kundgebung lobte Schaber die Vereinbarung, die in den letzten Tagen mit Lidl ausgehandelt worden war. Der Discounter hatte einer Anhebung der Preise für Milchprodukte in seinen Läden zugestimmt. Weil andere Einzelhandelsketten ein ähnliches Vorgehen angekündigt hatten, erklärte Schaber: "Die letzte Bastion ist gefallen." Die Bauern könnten sich zu ihrem Sieg gratulieren.
Der Sieg, den Schaber reklamiert, ist allerdings vollkommen hohl. Andere große Einzelhandelsketten haben sich noch keineswegs klar geäußert, ob auch sie Zugeständnisse machen werden. Die Süddeutsche Zeitung schrieb in einem Kommentar mit dem Titel "Scheinerfolg", alles Gerede seitens der Bauernvertreter über einen Erfolg der Bauern sei völlig fehl am Platze. Keines ihrer grundlegenden Probleme sei gelöst. Es gebe keine feste Zusage der Mehrheit der Einzelhandelsketten, und es sei keineswegs sicher, dass eine Vereinbarung tatsächlich den Bauern nutzen werde. Stattdessen könnten die Preise der Milchprodukte auf Kosten der Verbraucher steigen, ohne dass die Bauern irgendetwas davon hätten.
Zu den Zugeständnissen, die Lidl gemacht hat, schreibt die SZ : "Es spricht daher einiges dafür, dass die Aktion von Lidl in erster Linie ein geschickter Marketing-Schachzug war. Umfragen hatten gezeigt, dass die Mehrheit der Verbraucher die Forderung der Bauern nach höheren Preisen unterstützt. Damit wusste Lidl: Der Erste, der einlenkt, ist in den Augen der Öffentlichkeit der Gute. Er setzt sich für faire Preise ein, während die anderen nur nachziehen. Nach dem Skandal um die Bespitzelung von Mitarbeitern kam Lidl solch eine Gelegenheit, das eigene soziale Image aufzupolieren, sicher sehr gelegen."
Reporter der WSWS sprachen auf der Kundgebung mit mehreren jungen Bauern.
Lars und Sören sind aus Schleswig-Holstein angereist, um an der Demonstration teilzunehmen. Sören arbeitet auf einer mittelgroßen Bauernkooperative mit 147 Kühen. Er erläuterte einige der Probleme, mit denen die Bauern konfrontiert sind:
"Wir haben mit ständig steigenden Preisen zu kämpfen, die die Produktionskosten in die Höhe treiben. Gleichzeitig gehen die Zahlungen der Molkereien zurück, die den Milchpreis mit den großen Supermarktketten aushandeln. Im vergangenen Herbst haben wir noch 47 Cent für den Liter bekommen. Jetzt werden uns 25 bis 33 Cent geboten. Gleichzeitig sind die Produktionskosten in die Höhe geschossen. Innerhalb eines Jahres sind die Futtermittel um 70 Prozent teurer geworden. Düngemittel sind teurer geworden und der Dieselpreis ist in den letzten Monaten dramatisch gestiegen. Wir können unmöglich so weiter machen. Das Preissystem muss reformiert werden."
Sören merkte an, dass Lidl einige Zugeständnisse gemacht habe, aber andere, noch größere Ketten hätten sich noch nicht bewegt. "Ich bin dafür, den Druck aufrecht zu erhalten, bis alle großen Lebensmittelketten feste Zusagen gemacht haben. Aldi und REWE sind noch größer. Wir sollten nicht nachlassen, bis alle Discounter nachgegeben haben."
Sören war vollkommen dagegen, die Preissteigerungen an die Verbraucher weiterzugeben: "Die Besitzer der Lebensmittelketten gehören zu den reichsten Männern Deutschlands. Die Gebrüder Albrecht von Aldi stehen an der Spitze der Liste der Reichen. Sie machen schon genug Profit, um uns einen anständigen Preis für unsere Produkte zahlen zu können. Ich bin dagegen die Preiserhöhung an die Verbraucher weiterzugeben."
Moritz und Andreas sind von der Weser in Nordrhein-Westfalen angereist. Auch Andreas sprach über die schwierige Lage der Klein- und Mittelbauern in seiner Region. Andreas arbeitet auf einem Hof mit 70 Kühen.
"Wir alle waren von der großen Solidarität überrascht, die uns in der Öffentlichkeit entgegengeschlagen ist. Viele haben uns gesagt, dass sie bereit sind, mehr für ihre Milch zu bezahlen, weil sie einsehen, dass die gegenwärtige Milchpreispolitik falsch ist. Die gesamte Bevölkerung leidet unter Preissteigerungen, und ich glaube, sie weiß, wie wir uns fühlen. Die Unterstützung aus anderen Ländern zeigt, dass es hier nicht um ein deutsches Problem geht. Bauern in ganz Europa sitzen im gleichen Boot."
Moritz und Andreas waren gegen ein überstürztes Ende des Protestes: "Wir sehen jetzt erste Reaktionen auf unseren Lieferboykott, aber das geht noch nicht weit genug. Wir sollten weiter machen, bis wir belastbare Resultate haben. Andernfalls stehen wir nach kurzer Zeit wieder auf der Straße."