Die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD wollen im Bundestag eine Diätenerhöhung durchsetzen, wie es sie bislang noch nicht gegeben hat. Gestaffelt bis zum 1. Januar 2010 sollen die Diäten der 612 Bundestagsabgeordneten von derzeit 7.339 Euro auf 8.159 Euro im Monat angehoben werden.
Bezieht man die Erhöhung mit ein, die sich der Bundestag mit den Stimmen der SPD und Union erst im November vergangenen Jahres zum 1. Januar 2008 verordnet hat, steigt die Abgeordnetendiät sogar um 1.150 Euro innerhalb von nur drei Jahren. Allein diese Erhöhung von fast 16 Prozent ist dreimal mehr als der monatliche Hartz-IV-Regelsatz von 347 Euro.
Als sich die Berliner Politiker im letzten November eine neunprozentige Diätenerhöhung gönnten und die Bevölkerung aufgrund der wachsenden Armut empört reagierte, erklärten die Regierungsparteien, diesen kräftigen Zuwachs mit den vergangenen Nullrunden. Damit in Zukunft den Berliner Parteien keine "Selbstbedienungsmentalität", "Raffgier", "Bereicherung" usw. vorgeworfen werden kann, beschlossen sie, dass zukünftig automatisch der Abschluss des öffentlichen Dienstes übernommen werden sollte. Die Zukunft beginnt am 1. Januar 2009.
Da sowohl der erste Erhöhungsbeschluss vom November in zwei Stufen erfolgt, nämlich 2008 und 2009, die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi eine über zwei Jahre gestaffelte Tariferhöhung für den öffentlichen Dienst abschloss (2009 und 2010), steigen die Abgeordneten Diäten allein zum 1. Januar 2009 um über 8 Prozent. Die Arbeitszeitverlängerung, mit der der Abschluss teilweise erkauft wurde, gilt übrigens nur für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes. Bundestagsabgeordnete haben keine festen Arbeitszeiten.
Altersversorgung zum Nulltarif
Die Regierungsparteien erklären, dass den Abgeordneten dieses Geld zustehe. Sie würden soviel erhalten wie ein Richter an Bundesgerichten oder Bürgermeister von Kleinstädten. Doch selbst wenn man dieses Argument gelten lassen würde: Die rund 8.000 Euro Diät sind beileibe nicht das einzige Einkommen eines Bundestagsabgeordneten.
Zusätzlich erhalten alle eine steuerfreie Kostenpauschale von 3.782 Euro. Sie soll der Einrichtung und Unterhaltung eines Büros im Wahlkreis, der Finanzierung von Büromaterial, Telefon und Reisen dienen. Was aber der einzelne Abgeordnete mit diesen fast 3.800 Euro pro Monat macht, ist letztlich ihm überlassen, da nicht geprüft wird, wie, wo und wozu es eingesetzt wird. Doch damit nicht genug. Für eigene Mitarbeiter seines Bundestagsbüros stehen jedem Abgeordneten monatlich weitere 13.660 Euro zur Verfügung.
Darüber hinaus wird jedem der über 600 Mandatsträger ein Büro in Berlin (54 Quadratmeter), die Nutzung von Dienstfahrzeugen und eine Bahnfreifahrtkarte 1. Klasse (5.900 Euro im Jahr) gestellt. Kosten für Inlandflüge in Ausübung seines Mandats werden ihm zusätzlich erstattet.
Bei der Krankenversicherung haben die Abgeordneten die Wahl zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Entschließen sie sich für die private Assekuranz (wie etwa 60 Prozent der Parlamentarier), zahlen sie die Beiträge selbst, können aber auch zusätzlich die Beamtenbeihilfe in Anspruch nehmen.
Für die Rente zahlen sie überhaupt keinen Cent, erhalten dafür aber umso mehr. Seit diesem Jahr erhält ein Abgeordneter schon nach einem Jahr Parlamentszugehörigkeit eine "Altersentschädigung" (so heißt das wirklich) von 2,5 Prozent einer Monatsdiät. Eine Legislaturperiode von vier Jahren bringt also bereits ein monatliches Altersruhegeld von über 800 Euro, zwei Legislaturperioden oder acht Jahre 1.600 Euro usw. bis zum Höchstsatz von rund 5.500 Euro oder 67,5 Prozent nach 27 Jahren. Bereits nach acht Jahren Parlament hat ein Abgeordneter mit 57 statt mit 67 Jahren Anspruch auf Auszahlung seines Ruhegeldes.
Dieselben Politiker der Regierungsparteien, die diese Selbstbedienung rechtfertigen, haben sich noch vor kurzem für die außerplanmäßige Erhöhung der Renten um 1,1 Prozent oder durchschnittlich 13 Euro im Monat beweihräuchert. Kritikern wie auch Spöttern entgegneten sie, diese Erhöhung - die im Grunde nur das Aussetzen einer schon lange beschlossenen Kürzung war und obendrein in fünf Jahren wieder verrechnet wird - sei sehr wohl angemessen. Auch die Alten sollten Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung haben.
Die Diätenerhöhung ist noch dreister angesichts der ständig wachsenden Armut.
Mehr als jeder fünfte Arbeiter oder 22 Prozent aller Beschäftigten bezogen 2005 einen Niedriglohn. Man kann davon ausgehen, dass diese Zahl inzwischen angewachsen ist. Im Durchschnitt erhält jeder der 6,5 Millionen Geringverdiener 5,43 Euro pro Stunde in Ostdeutschland, im Westen 7,12 Euro - brutto.
Die Preissteigerung gerade bei Lebensmitteln (plus 8,2 Prozent), Strom (plus 7 Prozent), Sprit (plus 10 bis 20 Prozent) Heizöl (plus 40 Prozent, alles im Vergleich zum Vorjahr) trifft gerade die Ärmsten der Armen, trägt aber auch dazu bei dass die Arbeitenden real immer weniger Geld zur Verfügung haben. Die Lohnerhöhungen der letzten Zeit gleichen diese Steigerungen trotz aller entgegen gesetzten Behauptungen der Gewerkschaften nicht aus.
Über 7 Millionen Menschen erhalten Arbeitslosengeld II. Zwei Millionen davon sind Kinder und erhalten Sozialgeld, also 208 bis 278 Euro im Monat. Das ist jedes sechste Kind unter 15 Jahren.
Im neuen Armuts- und Reichtumsbericht, der von der Bundesregierung noch unter Verschluss gehalten wird, aus dem Spiegel Online aber schon einige Zahlen zitierte, steht zu lesen, dass inzwischen 18 Prozent der deutschen Bevölkerung oder fast 15 Millionen Menschen als arm gelten. Unter den Familien ist der Anteil der Armen noch größer. Jede vierte Familie ist arm.
Die Aber-Millionen von Armen, Geringverdienern und Rentnern haben sich den Regierungs-Slogan "Aufschwung für alle" offensichtlich anders vorgestellt, als die Abgeordneten dies nun mit ihrer Diätenerhöhung ausdrücken.
Die Sprecher der Christ- und Sozialdemokraten haben jegliche Kritik an der geplanten Erhöhung brüsk zurück gewiesen. Erstens seien die über 8.000 Euro Diät sehr wohl angemessen, zweitens zeigten sie ihr Unverständnis über die Aufregung. Das sei doch schon im November so beschlossen worden, erregten sich die Politiker. "Das ergibt sich klipp und klar aus dem Abgeordnetengesetz, erklärte CSU-Landesgruppenchef im Bundestag Peter Ramsauer. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann pflichtete ihm bei, die Übertragung der Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst auf die Abgeordnetenbezüge stehe dort doch Schwarz auf Weiß. Das seien "ganz transparente, klare Regeln".
Wem die Parlamentarier außer ihrem Gewissen sonst noch verpflichtet sind
Mehrere Medien, Oppositionspolitiker und Mitglieder der Regierungsparteien haben die angekündigte Diätenerhöhung als "instinktlos", "unmoralisch" "abgehoben", "ungerecht" usw. bezeichnet. Das ist unabhängig vom Ehrlichkeitsgehalt der Kritiker mit Sicherheit der Fall. Bemerkenswerter sind jedoch die Verteidiger in Politik, Wirtschaft und Medien.
Zahlreiche Kommentatoren rechtfertigten die Diätenerhöhung mit dem Argument, "Gutes Personal muss dem Bürger in der Demokratie auch gutes Geld wert sein."
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Reinhard Göhner hält Abgeordnete "prinzipiell für unterbezahlt". Es sei zunehmend so, "dass Menschen, die beruflich erfolgreich sind, nicht mehr bereit sind ins Parlament zu gehen, weil die finanziellen Opfer zu groß sind".
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beklagt ebenfalls die "kritische Entwicklung", dass im Bundestag "der Anteil der Selbständigen und Unternehmer von früher einem Fünftel auf weniger als 8 Prozent gesunken" sei. Ein Lehrer könne mit dem Einzug ins Parlament sein Gehalt verdreifachen, ein Manager oder Unternehmer sein Einkommen aber halbieren. "Auch aus finanziellen Gründen ist der Bundestag kein Spiegel der Gesellschaft mehr, sondern ein Hort für Berufspolitiker."
Erstens fragt niemand der hoch dotierten Redakteure oder BDA-Chef Göhner, die offenbar mehr erhalten als ein Bundestagsabgeordneter, danach, wie viele ehemalige Arbeiter, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger im Parlament vertreten sind. Denn das bürgerliche Parlament war noch nie "ein Spiegel der Gesellschaft".
Aber hinter der Verteidigung der hohen Abgeordnetendiäten steckt noch mehr. Politik wird einzig und allein als Job und Beruf gesehen. Da mag sich der eine oder andere Redakteur über "Berufspolitiker" (FAZ) ärgern, der Sitz im Bundestag hat offenbar immer weniger mit Politik - mit der Vertretung der Interessen der Bevölkerung - zu tun, dafür umso mehr mit eigenem Geldverdienen, Knüpfen von Kontakten und der Arbeit an der persönlichen Karriere.
Insbesondere die Politiker der Regierungsparteien sowie der FDP nutzen ihr Abgeordnetenmandat als Karrieresprungbrett, um von der Wirtschaft mit einem "Berater-", Aufsichtsrat- oder sonstigen Posten belohnt zu werden und so das Vielfache der läppischen Diät eines einfachen Mitglieds des Bundestages einzustreichen.
Legendär war der Auftritt von Friedrich Merz (CDU) vor zwei Jahren. Gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der Ruhrkohle AG (und ehemaligen Bundeswirtschaftsminister 1998 bis 2002 unter der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder, SPD) Werner Müller ging er in die Sitzung der NRW-Landesgruppe der CDU im Bundestag. Der Chef des RAG-Konzerns schilderte damals allgemein die Vorzüge des bevorstehenden Börsengangs seines Unternehmens. Die Details erklärte anschließend der Anwalt der RAG den verdutzten Abgeordneten. Denn der RAG-Anwalt war niemand anders als Friedrich Merz.
Als Rechtsvertreter der RAG "wolle er den geschätzten Parteifreunden erklären, wie er, der Anwalt, sich den Börsengang des einstigen Bergbauriesen vorstelle", berichtete der Spiegel damals.
Merz war es auch, der sich mit einer ganzen Reihe von Abgeordneten lange weigerte, dem Gesetz zu folgen, nach dem Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte darlegen müssen und hatte sogar gemeinsam mit den Kollegen vor dem Bundesverfassungsgesetz geklagt. Inzwischen müssen alle Abgeordneten per Beschluss dieses Gerichts ihre Einkommen in drei Stufen angeben. "Stufe 1" bedeutet ein Einkommen zwischen 1.000 Euro und 3.500 Euro, "Stufe 2" 3.500 Euro bis 7.000 Euro und "Stufe 3" mehr als 7.000 Euro.
Nach diesem System gibt inzwischen auch Merz seine Nebeneinkünfte an, nur Otto Schily, der ehemalige SPD-Bundesinnenminister weigert sich weiterhin, dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu folgen. Merz gibt neben seiner Tätigkeit bei der Anwaltssozietät Mayer, Brown, Rowe & Maw LLP, Berlin/Frankfurt weitere 16 Arbeitgeber an (darunter AXA, BASF, Commerzbank. DBV Winterthur, Deutsche Börse AG usw.), bei denen er im Verwaltungs- oder Aufsichtsrat sitzt. Meist erhielt er "Stufe 3", also mehr als 7.000 Euro im Jahr. Nach diesem System - niemand weiß, wie viel "über 7.000 Euro" sind - hat Merz ein Einkommen von mindestens 63.000 Euro.
Das Manager Magazin schätzt Merz "Nebeneinkünfte" insgesamt auf eine Viertel Million Euro per anno - neben seinen Diäten und zusätzlichen Vergünstigungen.
Alle Abgeordneten zusammen erhielten so mindestens rund 7 Millionen Euro. Es können aufgrund des systembedingten großen Graubereichs natürlich auch 14, 21 oder noch mehr Millionen sein. 85 Prozent davon teilen sich SPD und CDU/CSU auf zu etwa gleichen Stücken auf.
Hier noch einige Beispiele, der Vielbeschäftigten unter den Abgeordneten. Sozialdemokrat Walter Riester, ehemaliger stellvertretender Bundesvorsitzende der IG Metall und ehemaliger Bundesarbeits- und Sozialminister und Namenspatron der privaten "Riesterrente", eingeführt 2000/2001, tourt durch die Republik und hält Vorträge, für die er meist "mehr als 7.000 Euro" erhält. Für das Jahr 2007 gibt er 46 Arbeitgeber an, soviel wie niemand sonst, errechnetes Mindesteinkommen durch die Nebeneinkünfte: 169.000 Euro. Auf Platz den Plätzen zwei bis fünf, was die Einnahmen anbelangt, folgen allesamt SPD-Abgeordnete: Dr. Barbara Hendricks (mindestens 161.000 Euro), Klaus Brandner (mindestens 129.500 Euro), Klaas Hübner (mindestens 120.000 Euro) und Anette Kramme (mindestens 112.500 Euro).
Erst dann folgen die CSU-Politiker Michael Glos (gleichzeitig Bundeswirtschaftsminister) und Horst Seehofer mit knapp unter 100.000 Euro. Bei der FDP dürfte Parteichef Guido Westerwelle mit Abstand das meiste nebenher verdienen. Er gibt 29 Arbeitgeber und mindestens 84.000 Euro an. (Quelle: www.nebeneinkuenfte-bundestag.de)
Die Nebentätigkeiten sind natürlich noch nichts gegen die Jobs, die Politiker nach ihrer Zeit im Bundestag annehmen, erst recht, wenn sie gar Regierungsmitglied waren. Ex-Kanzler Schröder ist nach seiner verlorenen Wahl durch seine vielen Berater-, Verwaltungs- und Aufsichtsratsposten (u.a. beim russischen Energie-Multi Gazprom) mit einem Schlag zu Millionen gekommen. Wolfgang Clement (SPD), ehemaliger Wirtschaftsminister unter Schröder, sitzt u.a. in den Aufsichtsräten der RWE Power AG (Essen), der Dussmann-Gruppe, DuMont Schauberg.
Clement sitzt außerdem im Aufsichtsrat des fünftgrößten deutschen Zeitarbeitsunternehmens Deutscher Industrie Service (DIS). Als Bundesminister schuf er die gesetzlichen Möglichkeiten der Ausbreitung der Leiharbeit mit dem "Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt". DIS gehört inzwischen zum Schweizer Konkurrenten Adecco, wo Clement den Vorsitz des neuen Adecco Institute zur Erforschung der Arbeit übernahm.
Die Grünen haben kaum Nebeneinkünfte, aber auch sie nutzen ihre Kontakte nach ihrer Zeit im Bundestag. So sitzt Rezzo Schlauch, ehemaliger Staatssekretär der Grünen, im Beirat beim Atomstromkonzern EnBW, ist Aufsichtsratsvorsitzender der Textilfirma Spredshirt AG und Berater eines Entsorgungsunternehmens.
Matthias Berninger, ehemaliger Staatssekretär im Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, ist inzwischen Abteilungsleiter in der Europazentrale des US-Nahrungsmittel- und Süßwarenkonzerns Mars, zuständig für Ernährungs- und Gesundheitsfragen. Die ehemalige Parteivorstandssprecherin Gunda Röstel war im Oktober 2000 Managerin für Projektentwicklung und Unternehmensstrategie bei der Gelsenwasser AG geworden, damals Tochter des Atomstromkonzerns E.ON. Seit Juli 2004 ist sie Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden GmbH. Simone Probst, ehemalige Staatssekretärin im Umweltministerium ist heute Aufsichtsratsmitglied beim Energiedienstleister Techem.
Die Liste ließe sich fortsetzen.