Eine Gesellschaft, die darüber diskutiert, ob sie sich Rentner noch leisten kann, hat ihre Existenzberechtigung verwirkt. Misst man die Debatte über die jüngste Rentenerhöhung an diesem Grundsatz, dann ist eine gesellschaftliche Umwälzung in Deutschland überfällig.
Das Bundeskabinett hat am 8. April beschlossen, den so genannten "Riester-Faktor", mit dem die Altersbezüge jährlich abgesenkt werden, für zwei Jahre auszusetzen. Nach drei Nullrunden in den Jahren 2004 bis 2006 sollen die Renten für die 20 Millionen Ruheständler jetzt um 1,1 - statt wie nach der Renten-Formel vorgesehen um 0,46 Prozent - erhöht werden. Dieser "Bonus" soll dann in den Jahren 2012 und 2013 durch eine geringere Erhöhung wieder kassiert werden
Angesichts einer jährlichen Inflationsrate von 3,1 Prozent (März 2008) bedeutet der Beschluss des Bundeskabinetts, dass die Kaufkraft der Rentner auch in diesem Jahr um zwei Prozent sinkt. Die jetzt beschlossene Rentenerhöhung ist also noch nicht einmal ein Almosen. Ein durchschnittlicher Rentner wird ab Juli gerade 13 Euro mehr im Geldbeutel haben - angesichts rasant steigender Lebensmittel-, Benzin- und Heizölpreise ein lächerlicher Betrag. Trotzdem hat der offensichtlich wahltaktisch begründete Kabinettsbeschluss in Unternehmerverbänden und Politikerkreisen einen Schrei der Empörung ausgelöst.
Der Schritt gehe zu Lasten der jungen Generation, kritisierte der SPD-Wirtschaftspolitiker Dieter Wend im Boulevardblatt Bild. Der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, Kurt Lauk, sprach von einer "ordnungspolitischen Sünde".
Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) warnte, die Rentenerhöhung würde Arbeitnehmer und Unternehmen Milliarden kosten. Der Beitragssatz werde bei 19,9 Prozent bleiben und könne nicht auf 19,1 Prozent gesenkt werden.
BDA-Präsident Dieter Hundt beklagte sich in Bild, die Rentenerhöhung bedeute eine Mehrbelastung von mehr als zehn Milliarden Euro. Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des BDA und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Rentenversicherung Bund, sprach sogar von zwölf Milliarden Euro. "Die außerplanmäßigen Rentenerhöhungen 2008 und 2009 kosten die Rentenkassen in den nächsten fünf Jahren rund 12 Milliarden Euro zusätzlich", verkündete er Ende März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Selbst wenn diese Zahlen stimmen sollten - was fraglich ist -, würde dies aufs Jahr umgerechnet nur etwas mehr als zwei Milliarden Euro ausmachen. Im Vergleich zu den massiven Steuergeschenken, die die Wohlhabenden in den vergangenen Jahren erhielten, oder den 43 Milliarden Euro, die der Bund den Banken in diesem Jahr an Zinsen überweist, ist dies ein geringer Betrag.
Die Krone setzte der Kampagne gegen die Rentner Alt-Bundespräsident Roman Herzog (CDU) auf. Er warnte via Bild : "Ich fürchte, wir sehen die Vorboten einer Rentnerdemokratie: Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie. Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Alten die Jüngeren ausplündern."
Es gehört schon eine gute Portion Unverschämtheit dazu, sich gegen eine monatliche Rentenerhöhung von durchschnittlich 13 Euro auszusprechen, wenn man selbst allein aufgrund seiner Amtszeit als Bundespräsident (1994-1999) eine monatliche Pension aus der Staatskasse von fast 17.000 Euro erhält, ohne dafür einen Cent einbezahlt zu haben. Nicht eingerechnet sind weitere Einkünfte Herzogs aus Kapitalanlagen, Vorträgen, Buchveröffentlichungen usw. Der Durchschnittsrentner, der ein Leben lang hohe Beiträge in die Rentenkasse abgeführt hat, bezieht im gesamten Jahr dagegen lediglich 14.000 Euro.
Der Vorwurf, die Rentner lebten auf Kosten der jüngeren Generation, geistert auch durch zahlreiche Zeitungsartikel, Radiosendungen und Talkshows. Vor allem junge Karrierepolitiker aus den Reihen der FDP, der Union und auch der Grünen verbreiten ihn eifrig. Begründet wird er in der Regel mit dem so genannten demografischen Faktor, d.h. mit dem Anstieg des Rentneranteils an der Gesamtbevölkerung aufgrund sinkender Geburtenraten und steigender Lebenserwartung. Immer weniger Junge müssten immer mehr Alte finanzieren, wird behauptet, und dies sei nicht länger tragbar.
Stichhaltig ist diese Behauptung nicht. Aufgrund der rapide steigenden Arbeitsproduktivität kann heute ein Arbeitender ein Vielfaches dessen leisten, was noch vor wenigen Jahrzehnten möglich war. Bei einer gerechten und sinnvollen Verteilung des Sozialprodukts wäre es daher kein Problem, auch einer wachsenden Zahl von Rentnern ein gutes Einkommen zu garantieren.
Der eigentliche Grund für die Krise der Rentenkassen ist die systematische Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben, die von der Bundesregierung seit Jahrzehnten in wachsendem Tempo vorangetrieben wird. Die Sozialkassen werden systematisch geplündert, während ein immer größerer Teil des Sozialprodukts in die Taschen von Spekulanten, Kapitalbesitzern und Managern fließt, die keinerlei Beiträge in die gesetzliche Rentenkasse entrichten.
Schon die Regierung Kohl hatte die Kosten der Wiedervereinigung durch die Plünderung der Sozialkassen finanziert, während vermögende Investoren im Rahmen des Aufbauprogramms Ost von Steuern befreit wurden und sich eine goldene Nase verdienten.
Die Regierung Schröder sorgte dann durch Steuergeschenke an die Reichen, das Absenken der Reallöhne und die massenhafte Einführung von Billiglohnarbeit im Rahmen der Agenda 2010 dafür, dass die Beitragsbasis der Sozialkassen immer dünner wurde. Eine schwindende Zahl von Arbeitnehmern mit sozialversicherungspflichtigem Einkommen muss praktisch allein für die Rentenkasse aufkommen, während Millionen Billigjobber dazu nicht mehr in der Lage und die Bezieher von Kapitalerträgen und hohen Einkommen davon befreit sind.
Altersarmut
Leidtragende dieser Entwicklung sind sozial Schwache und Rentner. Experten warnen inzwischen vor einer "absehbaren Rückkehr der Altersarmut", insbesondere in Ostdeutschland. Prognosen zufolge sinkt in den kommenden 30 Jahren auch für kontinuierlich beschäftigte Durchschnittsverdiener das Rentenniveau von heute 63 Prozent des letzten Nettoeinkommens auf rund 43 Prozent. Millionen von Älteren werden ihren Lebensabend in bitterer Armut verbringen müssen.
Vor rund sieben Jahren hat die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) ein Rentenreformgesetz beschlossen, das die gesetzliche Rente Jahr für Jahr absenkt. Verantwortlich war der damalige Arbeitsminister Walter Riester (SPD), der von der Chefetage der IG Metall direkt in die Regierung gewechselt war. Das neue Gesetz führte auch Steuern und Sozialabgaben auf Betriebsrenten ein.
Vor zwei Jahren setzte dann Riesters Nachfolger Franz Müntefering (SPD) die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittalters von 65 auf 67 Jahre durch. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit unter älteren Menschen bedeutet dies eine empfindliche Kürzung der Renten. Schon jetzt arbeiten nur 17,5 Prozent der Arbeitnehmer bis zum Renteneintrittsalter. Von den 16 Millionen 50- bis 65-Jährigen sind lediglich 6 Millionen oder 37,5 Prozent erwerbstätig.
Die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters wird an dieser Altersarbeitslosigkeit nichts ändern. Sie hat aber zur Folge, dass ältere Arbeitslose länger auf Arbeitslosengeld II angewiesen sind, ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen und schließlich mit hohen Abschlägen vorzeitig die Rente beantragen müssen. Die Folgen kumulieren sich zu einem gewaltigen Einkommensverlust.
Arbeitslosengeld II ist eine Sozialleistung, sie wird nur gewährt, wenn das eigene Vermögen aufgebraucht ist. Das Bundessozialgericht hat erst diese Woche entschieden, dass ein Arbeitsloser sogar eine für die Altersvorsorge angelegte Lebensversicherung verkaufen muss, bevor er Anspruch auf Arbeitslosengeld II hat. Der Kläger, ein 50-jähriger Selbständiger, hatte nur wenig in die gesetzliche Rentenkasse einbezahlt, sein monatlicher Rentenanspruch beläuft sich nur auf 90 Euro. Trotzdem entschied das Gericht, er müsse zunächst von dem Rückkaufswert seiner Lebensversicherung leben, bevor er Arbeitslosengeld II beziehen kann.
Wer von seinen Ersparnissen oder Arbeitslosengeld II lebt, kann seinen Rentenanspruch kaum mehr erhöhen. Er steigt pro Jahr Arbeitslosengeldbezug gerade um 2,19 Euro monatlich. Und schließlich ist er gezwungen, die Rente vorzeitig zu beantragen, was frühestens fünf Jahre vor dem Rentenalter möglich und mit hohen Abzügen (18 Prozent bei fünf Jahren) verbunden ist.
Wer also im Alter über 50 arbeitslos wird und in die Schleife von Hartz IV und Frührente rutscht, kann sicher sein, dass er im Alter bettelarm ist - selbst wenn er zuvor hart gearbeitet und sich einiges angespart hat.
Doch selbst wer bis zum Rentenalter arbeitet, entgeht der Armut nicht. Die Kaufkraft der Rentner sinkt rapide. So trifft die seit 2007 von 16 auf 19 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer vor allem Ärmere (jung und alt), die einen großen Teil ihres Einkommens, bzw. ihrer Rente für die Produkte des täglichen Lebens ausgeben müssen. Die explodierenden Kosten für Sprit und Heizkosten tun das Ihrige. Allein die Heizkosten haben sich in den letzten sieben Jahren verdoppelt.
Die Kaufkraft der Rentner wird schon zum Ende dieses Jahres um insgesamt 8,5 Prozent niedriger liegen als 2003. Das geht aus einer Untersuchung der Bank UniCredit hervor. Sie hat die Entwicklung der realen Einkommen von Rentnern während der letzten 40 Jahre untersucht und seit 2003 einen "historisch einmaligen Rückgang" der Altersbezüge festgestellt. "In den vergangenen Jahrzehnten hat es keinen vergleichbaren Zeitraum gegeben, in dem die Rentenentwicklung so schlecht war", sagte Andreas Rees, der Chefvolkswirt Deutschland der UniCredit. Für das laufende Jahr betrage das Minus trotz der 1,1-prozentigen Erhöhung mindestens 1,3 Prozent.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) erwartet, dass der tatsächliche Kaufkraftverlust für viele Rentner sogar über zehn Prozent liegt, wenn man die gestiegenen Gesundheitsausgaben mit einbezieht.
Die wachsende Altersarmut führt dazu, dass immer mehr Senioren gezwungen sind zu arbeiten. Einer Untersuchung zufolge ist die Zahl der Rentner mit einem Mini-Job oder einer regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seit 2002 von 615.000 auf 817.000 gestiegen. Rund 702.000 davon übten einen Mini-Job (bis 400 Euro im Monat) aus, 115.000 gingen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach.
Aufgrund der Lohnsenkungen und der hohen Arbeitslosigkeit der vergangenen Jahre sinken die Altersbezüge der Neurentner kontinuierlich. Forscher des Internationalen Instituts für Empirische Sozialforschung (INIFES) haben dies schon im letzten Jahr in einer Studie festgestellt. Vor allem in westdeutschen Ländern mit "Problemen im Strukturwandel" mache sich dies bemerkbar, also in den Ländern mit ehemals starker Kohle- und Stahlindustrie, Nordrhein-Westfalen und das Saarland.
Große Unterschiede bei den Altersbezügen gibt es auch zwischen Männern und Frauen, zwischen Ost und West (im Osten sind die Renten niedriger als im Westen) sowie zwischen Stadt und Land (auf dem Land sind die Renten niedriger als in Ballungsgebieten). So erhält die Durchschnittsrentnerin im Landkreis Kusel (Rheinland-Pfalz) nur 325 Euro im Monat.