Am 5. März ist der 26jährige Türke Adem Özdamar aus dem nordhrein-westfälischen Hagen an den Folgen eines Polizeieinsatzes vom 17. Februar gestorben. Sein Tod und wie es dazu gekommen ist, wirft viele Fragen auf, die von den beteiligten Polizeibeamten und der ermittelnden Staatsanwaltschaft bisher nicht beantwortet wurden.
Der 26-Jährige Özdamar war auf der Polizeiwache in Hagen ins Koma gefallen, aus dem er nicht mehr erwachte, nachdem die Beamten ihn auf einer Bahre festgeschnallt hatten. Sein Bruder, Salih Özdamar, der ihn auf der Intensivstation des Krankenhauses, in das er eingeliefert worden war, besuchte, sagte gegenüber der Frankfurter Rundschau, die in den letzten Tagen ausführlicher über den Fall berichtete: "Mein Bruder wurde schwer misshandelt."... "Er hat wegen des Polizeieinsatzes sein Leben verloren."
Nach vorliegenden Presseberichten rief Adem Özdamar in der Nacht des 17. Februar selbst die Polizei, weil er sich verfolgt fühlte. Die Polizei kam zu seiner Wohnung, durchsuchte sie und fand niemanden. Die Polizisten nahmen Adem Özdamar mit zur Polizeiwache, weil er nach ihren Angaben psychisch verwirrt wirkte und weil er, wie später in den meisten Erklärungen von Seiten der Polizei betont wurde, unter starkem Kokaineinfluss gestanden hätte. Auf der Polizeiwache soll Özdamar randaliert und sich heftig gegen fünf Polizeibeamte gewehrt haben, die ihn "fixieren" wollten.
Laut dem für diesen Fall zuständigen Oberstaatsanwalt Reinhard Rolfes gebe es bisher kein Anzeichen für ein Fehlverhalten der Polizei. In Bezug auf die Spuren von Misshandlung am Körper des Opfers, räumte er aber ein, dass "sein Widerstand ungewöhnlich groß" gewesen sein soll. "Deswegen wies er später Hämatome und Schürfwunden am ganzen Körper auf." Angeschnallt auf der Trage erlitt Özdamar einen Herzstillstand.
Aussagen von Ärzten und Zeugen, die der Frankfurter Rundschau schriftlich vorliegen und über die sie in einem Artikel vom 11. März berichtete, verstärken die Zweifel an der Darstellung der Staatsanwaltschaft Hagen und der Polizei, dass es "keinerlei Anzeichen für eine äußerliche Gewaltanwendung" gebe, die zum Tod des Opfers geführt haben.
Die Dortmunder Gerichtsmedizinerin Eva Schmidt stellte fest: "Hämatome über der linken Augenbraue sowie am rechten Oberlid (sind) Ausdruck einer stumpfen Gewaltanwendung von außen."
Die Polizei versucht den Herzstillstand von Özdamar als Folge seines Kokainkonsums darzustellen. Bisher gibt es allerdings keine konkreten Angaben darüber, ob Özdamar überhaupt Drogen eingenommen hatte. Sein Herzstillstand kann auch - und darauf deutet einiges hin - die Folge seiner Fesselung in Bauchlage und der möglichen zusätzlichen Misshandlung des wehrlosen Opfers in dieser Lage durch Polizeibeamte sein.
Als die Notärztin Kathrin Hoffmann Adem Özdamar bäuchlings gefesselt auf der Trage vorfand, konnte sie keinen Puls mehr fühlen.
Laut Unterlagen und Zeugenaussagen steht auch fest, dass die Beamten die Kabelbinder an Händen und Füßen ungewöhnlich fest zugezogen hatten. So benötigten die Sanitäter drei Minuten, um die Plastikgurte aufzuschneiden. Erst danach konnte die Reanimation beginnen. Weitere 23 Minuten später schlug das Herz von Özdamar erst wieder. Fotos aus der Notaufnahme des Krankenhauses lassen rote Schnürungen am Gelenk erkennen, die rechte Hand ist geschwollen. Die Bilder zeigen auch ein handtellergroßes Hämatom am Hals und an der Stirn sowie Blutergüsse und Schürfwunden am ganzen Körper.
Die Notärztin gab zu Protokoll: "Der Patient wurde möglicherweise mit dem Kopf gegen eine Wand geschlagen." Sie habe sich außerdem gefragt, ob jemand auf seiner Brust gesessen habe.
Zwischenzeitlich hatte die Familie von Adem Özdamar eine zweite Analyse der Röntgenbilder von seinem Kopf veranlasst. Diese zweite radiologische Untersuchung zeigt eine "Fraktur im Bereich des Nasenbeins". Der Anwalt der Familie, Adam Rosenberg aus Frankfurt sagte dazu: "Der Nasenbruch ist eine eindeutige Körperverletzung und nicht mehr mit der Notsituation von Beamten zu erklären."... "Die Polizisten müssen sich nun dem Vorwurf der billigenden Inkaufnahme, der Körperverletzung mit Todesfolge und der fahrlässigen Tötung verantworten."
Unmittelbar für den Tod Özdemars könnte aber die bereits weiter oben beschriebene Fesselung in Bauchlage verantwortlich sein. Diese so genannte Hogtie-Fesselung bezeichnet Amnesty International als "gefährlichen und potentiell lebensbedrohlichen Eingriff" und als "Foltermethode". Insbesondere stark erregten Menschen droht in dieser Zwangslage akuter Sauerstoffmangel. Besonders tückisch dabei: "Der Todeskampf des am Boden Liegenden wird von den Beamten leicht als Widerstand gedeutet, worauf die Fesseln häufig noch enger gezogen werden."
Die Gefährlichkeit dieser Fesselungsart ist inzwischen allerdings weitgehend bekannt und in Ländern wie den USA seit zwanzig Jahren verboten, nachdem es dort im Zusammenhang damit auch zahlreiche Todesfälle gegeben hatte.
Das tragischen Schicksal von Adem Özdamar erinnert an zwei ähnliche Todesfälle durch Polizeigewalt in den letzten Jahren: Den von Stephan Neisius aus Köln, der im Mai 2002 nach schweren Misshandlungen von Polizeibeamten ins Koma fiel und wenige Wochen später an den Folgen der erlittenen Verletzungen starb. Und an den gewaltsamen Tod des afrikanischen Asylbewerbers Aamir Ageeb, der bei seiner Abschiebung im Flugzeug von Polizeibeamten niedergedrückt wurde und erstickte.
Der Frankfurter Arzt Klaus Metz, der auch an dem Prozess gegen die BGS-Beamten, die für Ageebs Tod unmittelbar verantwortlich waren, beteiligt war, sagte zu dem Fall in Hagen: "Ich gehe davon aus, dass Adem Özdamar erstickt ist." Wenn ein Mensch stark erregt sei und randaliere, benötige er ungefähr die 20-fache Menge an Sauerstoff. "In Bauchlage hat der Brustkorb nicht die Kraft, sich zu öffnen, der Patient erstickt." Wenige Minuten später bleibe das Herz stehen, in der Spätfolge könne ein Gehirnödem auftreten, wie es auch bei Özdamar gefunden wurde.
Trotz all der vorliegenden Hinweise auf schwere Misshandlungen von Seiten der Polizei, die zu dem tragischen Tod von Adem Özdamar geführt haben, bleibt die Staatsanwaltschaft in Hagen dabei, seinen Tod den Folgen von Kokainkonsum zuzuschreiben.
Wie die Frankfurter Rundschau in einem Bericht vom 12. März schreibt, war Adem Özdamar alles andere als ein "kaputter Junkie": "Er war sportlich, ging regelmäßig ins Fitnessstudio und war seit acht Jahren bei einer Gevelsberger Kunststofffabrik als Packer angestellt. Im Januar hatte er viele Sonderschichten geschoben und 260 Stunden gearbeitet."
Dies legt nahe, dass sein Zustand in der Nacht auf den 17. Februar auch von Überarbeitung und physischer Erschöpfung herrühren könnte und für den Fall, dass er tatsächlich Kokain konsumiert hatte, dies mit seinen schwierigen Arbeits- und Lebensbedingungen zusammen hing.
So oder so rechtfertigt nichts diesen brutalen Polizeieinsatz mit Todesfolge.
Für den Rechtsanwalt der Familie, Adam Rosenberg stellt sich die Frage, warum Adem Özdamar überhaupt zur Polizeiwache mitgenommen wurde. Er stellte klar: "Auch wenn sich jemand bedroht fühlt, kann er nicht mit zur Wache genommen werden. Diese Art von "Schutzhaft" sei verboten.
Bedenklich sind auch die Drohungen gegenüber dem ersten Anwalt der Familie. So schreibt die Frankfurter Rundschau in ihrem Bericht vom 12. März: "Von Anfang an wehrte die Polizei kritische Fragen ab. Als der erste Anwalt der Familie, Jürgen Klenk aus Hagen, einer Lokalzeitung sagte, die Darstellung der Staatsanwaltschaft stimme nicht mit seinen Akten überein, bekam er prompt einen Anruf aus der Ermittlungsbehörde. Er solle lieber den Mund halten, wurde er aufgefordert, sonst könne man nicht mehr für die Reaktion der Türken in der Stadt garantieren."
Der Vorfall in Hagen ereignete sich nur zwei Wochen nach dem tragischen Brand in Ludwigshafen, dem fünf türkische Kinder und vier Erwachsene zum Opfer fielen. Angesichts der gerade vorausgegangenen ausländerfeindlichen Wahlkampagne von Seiten der CDU bei den Landtagswahlen in Hessen lag die Befürchtung nahe, dass sich Rechtsextreme zu Anschlägen auf Ausländer ermutigt fühlten.
Auch in Hagen ist die Situation angespannt. Ein Trauerzug mit etwa achthundert Teilnehmern zog am 8. März, kurz nachdem bekannt gworden war, dass Adem Özdemar an seinen schweren Verletzungen gestorben war, vor die Polizeiwache in Hagen und legte dort einen Kranz nieder.
Türkische Medien gegriffen den Fall von Özdamar auf und es kam zu Anfragen aus der Türkei bei der Menschrechtskommissarin des Bundestags, Herta Däubler-Gmelin (SPD). Die Frankfurter Rundschau zitiert Frau Däubler-Gmelin mit den Worten: "Ich ärgere mich darüber, dass mir immer noch kein Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft vorliegt."
Auch der Anwalt Adam Rosenberg sieht den Ausgang der Ermittlungen kritisch. "Innerhalb des Polizeiapparats ist das Schweigen immer groß."