Die rassistische Kampagne des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), in der Jugendliche mit Migrationshintergrund für Gewaltdelikte verantwortlich gemacht und als "undeutsch" gebrandmarkt werden, droht nicht nur ins Leere zu laufen, sondern sich gegen ihren Urheber zu richten. In Umfragen verliert Koch massiv an Unterstützung, die Mehrheit der Befragten hält seine Forderungen nach härteren Strafen und schnelleren Abschiebungen für straffällig gewordene Jugendliche für völlig überzogen.
In dieser für ihn verfahrenen Situation erhält er von unerwarteter Seite Schützenhilfe. Die einflussreiche liberale Wochenzeitung Die Zeit veröffentlichte letzte Woche gleich zwei Artikel, die für Koch in die Bresche springen, indem sie ausländische Jugendliche für Gewaltdelikte verantwortlich machen und insbesondere gegen muslimische Migranten hetzen.
Der Chefredakteur Giovanni di Lorenzo erklärt im Leitartikel auf Seite 1 schon im Untertitel, dass "Linke und Liberale auf die Gewalt junger Ausländer reflexhaft falsch" reagieren. Letztlich schiebt er Kochs Kritikern selbst die Schuld für die andauernde Diskussion um die Verschärfung des Jugendstrafrechts in die Schuhe.
Di Lorenzo meint, dass Koch seine Gegner, "in alle nur erdenklichen Fallen tappen lässt". Diese würden sich genau dort auftun, wo "sich Linke und Liberale traditionell schwer tun", nämlich " Restriktionen und Sanktionen zu fordern auf dem weiten Feld der Inneren Sicherheit und der Integration von Migranten".
Tatsächlich ist es di Lorenzo selbst, der Koch bereitwillig ins Netz gegangen ist. Anstatt dessen Kampagne als das zu bezeichnen, was sie ist, eine substanzlose, rassistische Hetzkampagne, die den rechtesten Kräften Auftrieb verleiht und faktisch zu Übergriffen auf Ausländer aufruft, bestätigt er Kochs Aussage, dass er angeblich für die "schweigende Mehrheit der Deutschen" spricht. Di Lorenzo sieht es als Allgemeinplatz, dass die arbeitende Bevölkerung dem Gegröle nach härteren Strafen und schnelleren Abschiebungen für Ausländer blindlings folgt.
Wie ein Pawlowscher Hund folgt di Lorenzo selbst reflexhaft der unter liberalen und linken Intellektuellen weit verbreiteten These, dass die Arbeiterklasse mehrheitlich reaktionäre und chauvinistische Ansichten vertrete und nicht in der Lage sei, einer populistischen Kampagne eines Roland Koch entgegenzutreten. Und auch seine Reaktion darauf gleicht seinen historischen Vorbildern aus der 68er Generation, nämlich selber rechteste Positionen zu übernehmen.
Die Abneigung Di Lorenzos gegenüber Koch ist reine Rhetorik, in der Sache gleichen sie sich wie eineiige Zwillinge. Seine Kritik erschöpft sich darin, Koch vorzuhalten, dass Gerichtsverfahren bei jugendlichen Straftätern in Hessen überdurchschnittlich lange dauern würden und Koch Stellen bei Justiz und Polizei eingespart hätte. Im Umkehrschluss fordert di Lorenzo damit die Einführung von Schnellgerichten und mehr Polizeikontrollen und -repressionen. Eben genau das Rezept, was Koch auch servieren will. Ins gleiche Horn blies schon am 11. Januar die linksliberale Frankfurter Rundschau, die gleichfalls Koch seine angeblichen Versäumnisse bei der Kriminalitätsbekämpfung in Hessen vorhielt, um unter der Hand genau dessen Forderungen zu propagieren.
Di Lorenzo geht aber noch weiter und hetzt gegen Migranten, verweist fälschlich auf deren angeblich überdurchschnittliche Beteiligung an Gewaltdelikten und macht schließlich eine "Armutseinwanderung" aus, "die dem Land wenig Nutzen, jedoch große Probleme bringt". Der Chefredakteur der Zeit spricht hier die gleiche menschenverachtende Sprache der Rechtsaußen der Unionsparteien, die Migranten und Flüchtlinge aufgrund ihrer "Humankapitalressourcen" einteilen in nützliche Ausländer und "unnütze" Ausländer, die an den Grenzen zurückgewiesen oder umgehend abgeschoben werden sollten.
Der Chefredakteur der Zeit marschiert aber nicht allein nach rechts, auch in der SPD und den Gewerkschaften treffen die Forderungen Kochs und dessen ausländerfeindliche Kampagne hinter vorgehaltener Hand auf breite Unterstützung. Deutlich wird dies anhand eines Artikels, der im Onlineportal der Zeit am 15. Januar veröffentlicht wurde. Der Autor Jürgen Krönig ist nicht nur Auslandskorrespondent des Wochenmagazins in London, sondern schreibt auch regelmäßig Beiträge für die Zeitschrift Berliner Republik, die Hauspostille der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, die von der als "Netzwerk" bezeichneten Gruppe jüngerer Bundestagsabgeordneter der SPD herausgegeben wird. Krönigs Ansichten dürften daher bei der sozialdemokratischen Klientel der Zeitschrift auf breite Zustimmung stoßen.
Unter dem Titel "Muslimische Gewalt" macht Krönig den Islam als Feind der westlichen Zivilisation aus, dem mit einer harten Law and Order- und strikter Einwanderungspolitik zu begegnen sei. Für Krönig ist es wie für di Lorenzo keine Frage, dass die Jugendkriminalität ein Problem der ethnischen Zugehörigkeit ist und kein soziales, das sich aus Arbeitslosigkeit, miserablen Arbeitsbedingungen, niedrigen Löhnen, schlechten Bildungschancen, Perspektivlosigkeit und Diskriminierungen speist. Verantwortlich für Jugendgewalt sei in erster Linie, dass "massenhafte Einwanderung" erhebliche Probleme schaffe, wobei vor allem "die Integration allen voran der muslimischen Minoritäten" sich als "außerordentlich schwierig erweist".
Aber er geht noch weiter und beruft sich auf den britischen Historiker Timothy Garton Ash, der regelmäßig in der britischen Zeitung Guardian publiziert und New Labour nahe steht. Ash, so Krönig, mache deutlich, dass man auch die muslimischen Migranten in Europa noch weiter nach nationaler Zugehörigkeit unterteilen könne und Deutschland mit seinen türkischen Migranten noch "Glück" hätte. "Richtig ist, dass Frankreich und Spanien in aller Regel mit den Zuwanderern aus dem Maghreb größere Probleme haben. Am schwersten aber, meint Ash, habe es sein Heimatland Großbritannien, dessen Muslime überwiegend aus Pakistan und Südostasien stammen". Muslimische Einwanderer, so Krönig, könnten sich "offenkundig" weniger gut an "liberale Demokratien und ihre Arbeits- wie hedonistisch getränkte Freizeitkultur" anpassen als andere Minderheiten.
Weiter führt Krönig an, dass"muslimische Einwanderer und ihre Sprösslinge in aller Regel ärmer, eher arbeitslos und schlechter ausgebildet als zum Beispiel Immigranten aus Indien oder anderen Ländern Asiens" seien. Vierzig Prozent der muslimischen Ausländer würden von staatlichen Zuwendungen leben, während bei Indern und Chinesen Arbeitslosigkeit fast unbekannt sei. Das ist eine grobe Verkürzung der Lebenssituation von Migranten und Flüchtlingen und sachlich falsch. Aber der Zweck heiligt die Mittel und Krönig geht es darum, eine grundsätzliche Unvereinbarkeit der Muslime mit dem westlichen, "zivilisierten" Lebensstil zu propagieren. So seine die Muslime selbst Schuld an Armut und Arbeitslosigkeit: "Im verhuschten, politisch korrekten Diskurs wird viel zu selten erörtert, ob nicht auch kulturelle und religiöse Gründe die miserable sozioökonomische Stellung bestimmter Minoritäten erklären könnten."
Damit ist aber zunächst weniger das von Koch als "undeutsch" angeführte Schächten von Schafen in Wohnküchen gemeint, sondern Krönig verweist darauf, dass eine traditionell patriarchalische Familienstruktur zu einer angeblich niedrigeren Erwerbsquote muslimischer Einwandererfrauen in Deutschland führe. Zahlen führt er hierzu jedoch nicht an, denn sonst hätte er zugestehen müssen, dass die Erwerbsquote muslimischer Frauen nur wenig hinter der allgemeinen Frauenerwerbsquote zurückhängt, aber die Arbeitslosenquote unter muslimischen Frauen doppelt so hoch ist. Es liegt also nicht an Verboten oder einem fehlenden Willen zu arbeiten, sondern an strukturellen Benachteiligungen von Migranten auf dem Arbeitsmarkt.
Die Wurzel allen Übels sieht Krönig in einer viel zu "laxen Einwanderungspolitik, die unkontrollierte, grenzenlose Familienzusammenführung erlaubt, samt arrangierter Ehen". Auch das ist faktisch falsch, haben sich die deutschen Behörden und Regierungen doch nicht nur seit Jahrzehnten geweigert, internationale Rechtsabkommen für die Familienzusammenführung von Ausländern umzusetzen, sondern auch versucht, eine vergleichsweise liberale EU-Richtlinie mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu torpedieren und zu verhindern.
In diesem Stil von Lügen und Verdrehungen, die ungehindert die Redaktion passierten, geht es weiter, um dann festzustellen, "dass junge Menschen aus Immigrantenfamilien einen überproportional hohen Anteil an kriminellen Delikten begehen". Die Ursachen dafür sieht er in der angeblich völlig andersartigen Kultur der Muslime, die die schlechte "sozio-ökonomische Lage, Bildungsferne, eine gewaltgetränkte Medien- und Unterhaltungskultur, prügelnde Väter, eine Machokultur gerade unter jungen Muslimen, gemischt mit sexueller Frustration und Hass auf die westliche Gesellschaft" hervorbringt.
Belege für dieses Sammelsurium an pauschalen Verdächtigungen und Spekulationen führt er keine an. Dem Leser soll auch nur eingehämmert werden, dass muslimische Einwanderer selbst das Problem sind, nicht die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Parallel zu di Lorenzo plädiert auch Krönig für ein Ende der angeblich vorherrschenden "Kuschelpädagogik" in der Justiz und im Jugendstrafvollzug. So sollen "die ideologischen Scheuklappen abgelegt werden, die Debatten um Law and Order wie Einwanderung erschweren". Mit anderen Worten: Feuer frei für eine rassistische Kampagne, für schärfere Ausländergesetze und mehr staatliche Überwachung und Kontrolle.
Das lässt sich das Flagschiff des deutschen Konservatismus, die Frankfurter Allgemeine Zeitung nicht zweimal sagen. Ebenfalls am 15. Januar bombardierte sie die Leserschaft gleich mit zwei Artikeln, dem Leitartikel auf Seite 1 von Regina Mönch und einem Artikel im Feuilleton von FAZ -Herausgeber Frank Schirrmacher.
Während Regina Mönch noch erwartungsgemäß die "muslimisch-archaische Tradition und Kultur" der Muslime für Gewaltkriminalität verantwortlich macht, geht es bei Frank Schirrmacher nicht unter dem Szenario eines drohenden Bürgerkriegs.
Als Aufhänger dient ihm dabei der Ausspruch "Scheiß-Deutscher", mit dem der Rentner von den beiden Jugendlichen tituliert wurde, die ihn in der Münchner U-Bahn brutal zusammenschlugen. Aus diesem Vorfall wird bei Schirrmacher gleich ein Vorwurf des grassierenden Rassismus, den ausländische Jugendliche gegenüber Deutschen pflegen würden.
Ist der pauschale Rassismusvorwurf schon absurd, versteigt sich Schirrmacher gar noch zur gewagten These: "Uns war historisch unbekannt, dass eine Mehrheit zum rassistischen Hassobjekt einer Minderheit werden kann." Ein Blick in die Kolonialgeschichte, gerade auch die deutsche, hätte seinen Blick etwas schärfer können, ebenso die Kenntnisnahme der Rassentrennung in Südafrika, deren offizielle Beendigung noch keine 20 Jahre zurück liegt.
Der Rassismusvorwurf, verstärkt durch die falsche Behauptung, dass sich dabei um einen historischen Präzedenzfall handelt, führt Schirrmacher aber zu seiner eigentlichen These: Ausländische Jugendliche, die Begriffe wie "Scheiß-Deutscher" oder "Schweinefresser" benutzen, würden einen schwelenden Konflikt zwischen Deutschen und muslimischen Migranten "bereits in die Sphäre des Kriegs der Kulturen" transportieren.
Schirrmacher lässt dabei keinen Zweifel, wer für ihn die Verantwortung dafür trägt. Heißt es doch im letzten Absatz, "dass die Mischung aus Jugendkriminalität und muslimischem Fundamentalismus potentiell das ist, was heute den tödlichen Ideologien des zwanzigsten Jahrhunderts am nächsten kommt".
Ganz abgesehen davon, dass die Gleichsetzung von Kommunismus und Stalinismus, die hier unter der Hand vorgenommen wird, als auch die Gleichsetzung dessen mit der faschistischen Tötungsmaschinerie der Nazis, der übliche reaktionäre Standpunkt ist, der mit einfachen Schlagwörtern eine wissenschaftliche Analyse der Geschichte ersetzt, ist die Quintessenz der Aussage ein Verhöhnung sowohl der Opfer des Holocaust als auch des stalinistischen Terrors.
Vereinzelte deutschfeindliche Aussagen ausländischer Jugendlicher auf eine Stufe zu stellen mit dem Rassenwahn der Nazi-Regimes und dessen quer durch Europa errichteten Vernichtungslagern ist nicht nur ein geschichtsvergessener Relativismus. Schirrmachers apokalyptische Ausrufung des Kampfs der Kulturen folgt vielmehr dem festen Ziel, Muslime generell als Feindbild hinzustellen.
Es ist bezeichnend, dass Die Zeit, die über die Herausgeber Michael Naumann und Helmut Schmidt (beide SPD) über großen Einfluss auf die Berliner Politik verfügt, diese rechte Rhetorik in "liberalen" Kreisen hoffähig macht. Die jahrelange Politik des Sozialabbaus und gleichzeitige obszöne Bereicherung einer kleinen Clique hat zu einer tiefen Spaltung in der Gesellschaft geführt. Der damit einhergehende fortschreitende Zerfall demokratischer Prinzipien in Deutschland, der in immer neuen Attacken auf demokratische Rechte der Bevölkerung sichtbar wird, bricht sich Bahn im Aufkommen eines antimuslimischen Chauvinismus.