Die Bilder von brennenden Asylbewerberheimen sind den Meisten noch in guter Erinnerung. Es ist noch nicht einmal ein halbes Jahr her, als eine Gruppe von Indern in der ostdeutschen Kleinstadt Mügeln von einem rechten Mob verfolgt und attackiert wurde. Übergriffe von Neo-Nazis und rechtsradikalen Skinheads auf Ausländer, Asylsuchende und linken Jugendlichen finden in Deutschland tagtäglich statt.
Nun schüren der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und andere Unionspolitiker erneut rassistische Stimmungen. Deren Forderung nach härterer Bestrafung und beschleunigter Abschiebung von straffällig gewordenen ausländischen Jugendlichen, ist eine direkte Ermutigung für die extreme Rechte und deren Parole "Ausländer raus".
Zum Anlass für diese rassistische Kampagne diente der Angriff zweier türkisch- bzw. griechischstämmiger Jugendlicher auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn kurz vor den Weihnachtsfeiertagen. Seitdem überbieten sich CDU-Politiker allen voran der hessische Ministerpräsident mit Forderungen nach verschärftem Jugendstrafrecht und einer schnelleren Abschiebung straffällig gewordener Ausländer.
Koch, der mitten im Landtagswahlkampf steckt, stellte sich an die Spitze der Kampagne. Bereits am Tag nach dem Überfall in München beschwerte er sich gegenüber der Bild -Zeitung, über "zu viele kriminelle Ausländer" in Deutschland. Am Mittwoch legte er nun ein Sechs-Punkte-Programm vor. Dies sieht unter anderem vor, "kriminelle Ausländer" schneller als bisher abzuschieben. Anders als bisher sollen sie Deutschland bereits verlassen müssen, wenn sie zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt werden. Außerdem wird die Einführung eines "Warnschussarrestes" gefordert. Damit sollen harte Arreststrafen auch bei Bagatelldelikten verhängt werden. Jugendliche Straftäter müssten frühzeitig spüren, "wie sich Gefängnis von innen anfühlt", bemerkte Koch dazu.
Gleiches gilt für die Anwendung des Jugendstrafrechts. Für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren müsse die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts zum Regelfall werden. Darüber hinaus sprach sich der CDU-Politiker dafür aus, die Höchststrafe im Jugendstrafrecht von 10 auf 15 Jahre zu erhöhen.
Von allen im Lande lebenden Ausländern forderte Koch mehr Respekt vor "deutschen Sitten". In übelstem NS-Jargon mahnte er eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte wie Anstand, Disziplin, Fleiß, Ordnung und Pflichtgefühl an. Gleichzeitig unterstellte er hier lebenden Ausländern, die laut Koch anscheinend allesamt "in der Wohnküche schlachten", sich mit diesen Werten nicht identifizieren zu können. Erst Anfang Dezember hatte er versucht, dumpfe islamfeindliche Stimmungen zu schüren, als er verlangte, das Tragen der Burka, des islamischen Ganzkörperschleiers, in den Schulen zu verbieten. Bislang wurde allerdings in keiner hessischen Schule eine Burka gesichtet.
Koch reagiert mit seiner neuerlichen rassistischen Kampagne unmittelbar auf sinkende Umfragewerte für die CDU zur kommenden Landtagswahl in Hessen Ende Januar. Schon 1999, als er in Hessen an die Macht gelangte, mobilisierte er mit seiner Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft den rassistischen Mob.
Doch die schlechten Umfragewerte für die Union müssen im Zusammenhang mit der wachsenden Opposition innerhalb der Bevölkerung gegen die soziale Katastrophe in Deutschland gesehen werden. Seit Wochen dominieren in den Medien Berichte über die rapide Zunahme der sozialen Ungleichheit im Land. Der Spiegel berichtete in seiner vorletzten Ausgabe über eine dramatische Zunahme der Verelendung am unteren Ende der Gesellschaft.
"Die Einkommen der ärmsten Schichten sind gegenüber dem Jahr 1992 preisbereinigt um 13 Prozent gesunken, während die Spitzenverdiener ihre Bezüge im selben Zeitraum um fast ein Drittel erhöhten. "Während das reichste Zehntel der Bevölkerung mittlerweile über fast 60 Prozent des bundesdeutschen Immobilien-, Aktien- oder Geldvermögens verfügt, haben die unteren Einkommensschichten oft gar nichts mehr - außer Schulden", schreibt das Magazin und fügt hinzu: "Die Entwicklung ist erschreckend."
In den letzten Jahren haben zuerst die Bundesregierung aus SPD und Grünen und anschließend die jetzige Große Koalition von CDU/CSU und SPD eine beispiellose soziale Umverteilung organisiert. Noch nie war die Armut nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland größer. Die Konzerne haben die Politik der letzten Jahre begleitet durch eine Offensive gegen die arbeitende Bevölkerung. Personalabbau und Lohndrückerei nahmen unbekannte Ausmaße an, während ein breiter Niedriglohnsektor eingeführt wurde.
Die Empörung in der Bevölkerung über diese schreiende Ungerechtigkeit fand dann einen, wenn auch sehr verzerrten, Ausdruck in der Debatte über den Mindestlohn. SPD-Politiker griffen dieses Thema gerade angesichts der anstehenden Wahlen und der sinkenden Umfragewerte auf, ohne dabei natürlich ihre eigene Verantwortung für das Lohndumping zu erwähnen.
In der Bevölkerung findet die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn große Unterstützung. Koch ist hingegen ein erbitterter Gegner eines gesetzlichen Mindestlohnes oder überhaupt anderer sozialer Zugeständnisse an die Bevölkerung. Im Gegenteil, er tritt sehr offen für eine neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik ein.
Mit seiner gezielten Ausländerhetze, die nun von großen Teilen der Union unterstützt wird, versucht Koch gezielt die rückständigsten Teile der Bevölkerung anzusprechen und mit rassistischen Ressentiments zu mobilisieren. Sein Ziel ist es von den wahren Schuldigen für die soziale Katastrophe abzulenken und die wachsende soziale Opposition in rassistische Bahnen zu lenken.
Ausländische Jugendliche sollen zu den Sündenböcken für eine katastrophale Politik, die ausschließlich den Interessen einer kleinen Minderheit an der Spitze der Gesellschaft dient, gemacht werden. Das ist politisch kriminell.
Es ist offensichtlich, dass die Gewalt unter verarmten Schichten von Jugendlichen - unter ihnen viele mit Migrationshintergrund - das Ergebnis der von SPD, Grünen, CDU und CSU geschaffenen sozialen Misere ist. In der neuesten Ausgabe der Wochenzeitung Die Zeit musste Susanne Gaschke eingestehen, dass Jugendkriminalität "kein Ausländer-, sondern ein Unterschichtproblem" ist. Und diese Unterschicht ist in den vergangenen Jahren dank der Politik der letzten zehn Jahre rasch angewachsen. Gerade unter der rot-grünen Regierung wurde mit der Einführung der Hartz-Gesetze der Grundstein hierfür gelegt.
Wie schon bei seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kann Koch auch diese Initiative nur deshalb derart offensiv angehen, weil ihm niemand ernsthaft entgegentritt. Aus den Reihen der CDU/CSU erhält er breite Unterstützung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat erklärt, Erziehungscamps könnten eine sinnvolle Ergänzung im Strafrecht sein. Sie fordere die SPD zu Gesprächen über ein schärferes Jugendstrafrecht auf.
Zuvor erklärte schon der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag Volker Kauder, es müsse jetzt Schluss sein mit dem "Integrationsgesäusel" und dem "Multikulti-Gekuschel". Die CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer kündigte an, sich wie Koch für eine erleichterte Abschiebung straffällig gewordener Ausländer einzusetzen. Gegenüber dem ZDF erklärte sie: "Es kann nicht sein, dass wir zuschauen und über Erziehung und Kuschelpädagogik versuchen, mit solch brutalen Tätern fertig zu werden".
Die Aussagen der Spitzenkandidatin der SPD in Hessen Andrea Ypsilanti, die Koch zwar eine "schmutzige Kampagne" vorwirft, sind völlig unglaubwürdig. Schließlich wurde unter der rot-grünen Bundesregierung die Gesetzgebung für den Zuzug und Aufenthalt von Ausländern und Asylsuchenden in Deutschland maßgeblich verschärft. Auch jetzt, da SPD und Union in Berlin eine Koalition bilden, werden die demokratischen Rechte weiter immens beschnitten oder ganz abgeschafft. Erst werden diese Maßnahmen gegen Flüchtlinge und Ausländer erlassen, um sie anschließend auf die gesamte Bevölkerung auszuweiten.
Bei der Linkspartei verhält es sich nicht anders. Deren Führungsfigur Oskar Lafontaine setzte 1993 in der SPD die Zustimmung zur Abschaffung des Asylrechts durch. Vorbereitet wurde dies damals mit einer entsprechenden Kampagne gegen Flüchtlinge. Der Spiegel titelte damals "Aussiedler, Flüchtlinge, Asylanten - Ansturm der Armen". Gezeigt wurde ein mit Menschen überfülltes Boot. Als Lafontaine dann später in der Linkspartei anheuerte schürte er in rechts-populistischer Manier Ängste vor angeblichen "Fremdarbeitern" aus Polen.
Auch Teile der Medien unterstützen Kochs rassistische Kampagne. So schreibt die leitende Redakteurin des Berliner Tagesspiegel, Dr. Ursula Weidenfeld in einem Kommentar: "Roland Koch schreitet den rechten Flügel der CDU-Wählerklientel ab - genauso wie er das 1999 mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft getan hat." Die CDU habe ihren nationalkonservativen Flügel seit dem Tode Alfred Dreggers vernachlässigt und vergessen. Sie habe zugelassen, "dass politisch Heimatlose der extremen Rechten und der extremen Linken zugelaufen sind". Daher sei der Standpunkt von Roland Koch "nicht nur skrupellos".
"Es ist genauso notwendig wie die Suche nach einer dauerhaften Strategie, den extrem konservativen Rand der CDU innerhalb der Union zu halten und einzubinden", schreibt Weidenfeld.
Der Tagesspiegel ist offensichtlich der Auffassung, man müsse die Rechten bei der Stange halten, indem man ihre Politik übernimmt. Worin der "rechte Rand" der Hessen-CDU besteht, machte der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann deutlich. Zum "Tag der deutschen Einheit" am 3. Oktober 2003 hielt er in seinem hessischen Wahlkreis einen Vortrag bei dem er ungeniert in die Reservatenkammer der Propaganda von Hitler und Goebbels griff. Über ein gutes Drittel seiner Rede beschwörte er das nationalsozialistische Klischee vom "jüdischen Bolschewismus".
Inzwischen musste Hohmann die CDU verlassen. Offensichtlich war er aber nicht ein Einzelfall. Und bekanntermaßen unterhält Koch enge Beziehungen zu diesem rechten Rand der Union und darüber hinaus.
Koch und diejenigen, die ihn unterstützen oder aber nicht entschieden entgegentreten, sind mitverantwortlich dafür, wenn sich demnächst der braune Bodensatz ermutigt fühlt, gegen Ausländer vorzugehen. Die Lehren aus Hitlers Machteroberung, die sich am 30. Januar zum 75. Mal jährt, sind noch immer hoch aktuell.