Mit einer prominenten Ausnahme haben sich deutsche Medien und Regierungskreise mit öffentlichen Kommentaren zur wachsenden Gefahr eines amerikanischen Militärschlages gegen den Iran weitgehend zurückgehalten.
Vor zwei Wochen hatte der amerikanische Präsident George Bush seine Äußerungen gegenüber dem Iran verschärft: Er sprach von der Gefahr eines dritten Weltkrieges. Eine Woche später verkündete Außenministerin Condoleezza Rice, die Regierung in Washington habe beschlossen, Irans islamische Revolutionsgarde zum Waffenlieferanten und deren Sondereinheit al-Quds "zur Unterstützerin des Terrorismus" zu erklären. Gleichzeitig verkündete Finanzminister Henry Poulson neue wirtschaftliche Strafsanktionen gegen den Iran.
Bushs Kommentare und die jüngsten Maßnahmen Washingtons machen eine Konfrontation zwischen dem US-Militär und dem Iran immer unvermeidbarer. Trotzdem hat es noch keine offizielle Reaktion der deutschen Regierung gegeben. Stellungnahmen zu einem drohenden Krieg fielen in der deutschen Presse sehr gedämpft aus und haben sich weitgehend darauf beschränkt, ein paar Punkte aus einem Interview mit dem führenden CDU-Politiker Ruprecht Polenz zu wiederholen. Das Interview stammt aus der Sonntagsausgabe des Tagesspiegels.
Ruprecht Polenz ist Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses im Bundestag und Vorstandsmitglied der CDU. Obwohl das Interview, das eine ganze Seite im Berliner Tagesspiegel einnahm, in diplomatisch verbrämten Formulierungen gehalten ist, mit denen der Politiker mit seiner jahrelangen Erfahrungen in der Außenpolitik vertraut ist, übt es sehr direkt Kritik an der Politik der Bush-Regierung gegenüber dem Iran.
Polenz beginnt das Interview mit den Worten: "Die Krise um das Atomprogramm des Iran ist der Konflikt mit dem größten Gefährdungspotenzial, nicht nur für die Sicherheit und Stabilität in der Region des Nahen und Mittleren Ostens, sondern für die der ganzen Welt."
Um einen Kommentar zur Bemerkung des amerikanischen Präsidenten über einen "Dritten Weltkrieg" im Zusammenhang mit dem Iran gebeten, erteilte Polenz Bush eine offene Lektion: "Ich halte von solchen rhetorischen Eskalationen überhaupt nichts. Verantwortliche Politiker sollten auch in ihrer Sprache erkennen lassen, dass sie nach einer Lösung suchen. Die kann im Atomstreit mit dem Iran nur auf dem Verhandlungsweg erfolgen."
Polenz wurde auch zu seiner Meinung zu Presseberichten befragt, laut denen Washington möglicherweise plant, den Iran für den Tod von amerikanischen Soldaten im Irak verantwortlich zu machen, um einen konkreten Kriegsvorwand zu haben. Der Politiker reagierte, indem er die USA vor militärischen Operationen auf iranischem Gebiet warnte, einschließlich "so genannter chirurgischer Schläge" gegen die Revolutionsgarde.
Auf die Frage angesprochen, "was die Folgen von US-Militärschlägen gegen den Iran wären", antwortete Polenz: " Das würde zu einer nicht mehr kontrollierbaren Kettenreaktion führen und die Gewalt dramatisch eskalieren lassen. Deshalb muss man vor solchen Überlegungen energisch warnen."
Polenz zählte dann einige dieser möglichen Folgen eines militärischen Angriffs auf den Iran auf: "Der Iran hätte die Möglichkeit asymmetrischer Vergeltungsschläge, das heißt, er würde nicht nur militärischen Widerstand leisten, sondern Terrorgruppen in anderen Ländern zu Unterstützungsaktionen aufrufen, etwa in Israel oder im Irak gegen die amerikanischen Truppen. Deutsche Soldaten und Entwicklungshelfer könnten unmittelbar bedroht sein, wenn der Iran mit Terroristen in Afghanistan zusammenarbeiten würde."
Polenz kritisierte auch die amerikanischen Wirtschaftssanktionen gegen den Iran: "Sanktionen brauchen eine Legitimation durch den UN-Sicherheitsrat. Ohne diese Grundlage würde die Gefahr steigen, dass sich viele Länder nicht an die Sanktionen halten und sie deshalb unwirksam sind. Sanktionen haben oft unerwünschte Nebenwirkungen: Sie treffen die Bevölkerung, sie verfestigen Schwarzmarkt- und Mafiastrukturen. Deshalb müssen Sanktionen wie bisher gezielt gegen das iranische Atomprogramm und Personen gerichtet werden, die Aktivitäten entwickeln, die nach dem Willen der internationalen Staatengemeinschaft unterbleiben sollen."
Der CDU-Politiker ergänzte: Während die Interessen von deutschen Unternehmen und Banken im Iran zunehmend durch solche Sanktionen gefährdet seien, unterhielten amerikanische Firmen wie Coca-Cola, Pepsi-Cola und Halliburton weiter geschäftliche Beziehungen mit Teheran.
Zum Schluss des Interviews fragte der Tagesspiegel : "Herr Polenz, es ist ungewöhnlich, wenn sich ein Unionspolitiker in so wichtiger Funktion öffentlich so kritisch mit der US-Regierung auseinandersetzt. Was wollen Sie damit bewirken?"
Polenz machte deutlich, dass er Politiker in den USA ermutigen wolle, sich Bushs Kriegsplänen zu widersetzen. "Ich möchte Politiker unterstützen, die eine Eskalation ebenso ablehnen wie ich. Und ich will zu direkteren Kontakten von Amerikanern und Iranern ermutigen."
Das deutliche Interview von Polenz ist die offenste Kritik an den USA, die ein führender deutscher Politiker seit der Bildung der großen Koalition von CDU und SPD im Jahr 2005 geübt hat.
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Mann wie Polenz, der über jahrelange Erfahrung in der Außenpolitik verfügt, aber keinen Kabinettsposten innehat, ein solches Interview in Eigeninitiative gibt. Polenz hat enge Beziehungen zu Kanzlerin Angela Merkel, und es ist wahrscheinlich, wenn nicht sogar sicher, dass das Interview von führenden Mitgliedern der Regierung offiziell gebilligt wurde. Sein Interview zeigt, dass die Regierung sich der katastrophalen ökonomischen und wirtschaftlichen Rückwirkungen auf die eigenen Interessen bewusst ist, die sich durch einen Überfall der USA auf den Iran ergäben.
Während Polenz offen die Befürchtung äußert, aus jedem militärischen Angriff auf den Iran könne ein internationaler Großbrand resultieren, hat Kanzlerin Merkel in den letzten Tagen auf öffentliche Stellungnahmen zur Gefahr eines Krieges verzichtet.
Ebenso zurückhaltend wie die Regierung behandeln auch die deutsche Presse und die Medien die Pläne der Bush-Administration gegen den Iran. Bringt man Polenz’ Interview und das Ausbleiben von Reaktionen von Regierung und Medien zusammen, wird deutlich, dass es transatlantische Spannungen gibt und dass deutsche Regierungskreise tief besorgt über einen möglichen Überfall der USA auf den Iran sind, dass die große Koalition in Berlin aber nicht bereit ist, ihre langjährigen Beziehungen mit Amerika zu gefährden.
Wie lässt sich das erklären?
Als erstes will Deutschland am außenpolitischen Ziel festhalten, das Gleichgewicht zwischen Ost und West zu erhalten.
Es versucht, gute Arbeitsbeziehungen zu den USA zu bewahren, die Deutschland während der gesamten Nachkriegszeit eine wichtige politische Stütze waren und immer noch ein wichtiger Handelspartner sind. Als die Regierung Merkel 2005 an die Macht kam, war sie entschlossen, den Graben zu Washington zu schließen, der sich aufgetan hatte, als ihr Vorgänger Gerhard Schröder den Irakkrieg ablehnte.
Nach Osten akzeptiert Berlin die Notwendigkeit, gute Beziehungen mit Russland zu pflegen, das ein wichtiger Energielieferant ist. Gleichzeitig hat die aggressive Opposition Wladimir Putins gegen die USA - er verglich Bushs Iranpläne vor einer Woche "mit einem Verrückten, der mit einem offenen Rasiermesser herumläuft" - dem deutschen Außenministerium zusätzliche Kopfschmerzen bereitet. Wachsende Spannungen zwischen Russland und den USA über das neue amerikanische Raketenabwehrsystem, das in osteuropäischen Ländern stationiert werden soll, sowie Russlands Rückzug aus internationalen Abkommen, haben unmittelbare Rückwirkungen auf Deutschlands Bemühungen, eine Mittelposition einzunehmen.
Der andere Grund für die zweideutige und extrem leise Kritik an Washington durch deutsche Regierungskreise besteht in ihrer Furcht, dass jede offene Debatte über Fragen der US-Militärstrategie zum Wiederaufleben einer breiten Antikriegsstimmung in Deutschland führen könnte. Deutsche Politiker aus allen politischen Parteien, darunter die Grünen, bemühen sich verzweifelt, mit der eigenen militärischen Mission in Afghanistan voran zu kommen, die in der deutschen Bevölkerung zutiefst unbeliebt ist. In seinem Interview mit dem Tagesspiegel sah sich Ruprecht Polenz auch gezwungen einzuräumen, dass eine große Mehrheit in der deutschen Bevölkerung solche Interventionen ablehnt.
Ein amerikanischer Angriff auf den Iran würde zweifellos eine massive Antikriegsstimmung in Deutschland auslösen; er hätte gleichzeitig das Potenzial, den Afghanistankonflikt in einen Flächenbrand zu verwandeln, der große Gebiete in Zentralasien und des Nahen Ostens erfasst. Das hilft zu verstehen, warum ein US-Schlag gegen den Irak von der deutschen Regierung und der deutschen Presse zurzeit mit Samthandschuhen behandelt wird.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Um die SPD als Gegner des Militarismus zu profilieren, hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Frage militärischer Gewalt gegen den Iran letzte Woche in Hamburg beim SPD-Parteitag kurz aufgegriffen.
Steinmeiers Rede beim Parteitag war bemerkenswert wegen der vorsichtigen Kritik, die er in mehreren außenpolitischen Fragen an Kanzlerin Merkel übte - darunter Kritik an ihrer Unterstützung des US-Krieges gegen den Irak 2003 und die Aufforderung an sie, einen offiziellen Besuch in Afghanistan zu machen, um das abflauende Engagement der deutschen Armee dort zu stärken.
Bei seiner Stellungnahme zum Iran schloss sich Steinmeier allerdings der deutschen Kanzlerin an und vertrat die offizielle Linie der Regierung: "Militärische Abenteuer sind kein Beitrag zu einer Lösung", nukleare Waffen dürfen nicht in "die Hände von Leuten" gelangen, "die den Holocaust leugnen". Deutschland bevorzuge eine diplomatische Lösung unter Zusammenarbeit mit den USA, China und Russland.
Für Deutschland stehen auch materielle Interessen im Iran und den umliegenden Gebieten auf dem Spiel, die von US-Sanktionen bedroht sind, und durch einen Krieg leicht völlig verloren gehen können. Die drei größten Handelspartner des Iran sind Deutschland, Frankreich und Italien, deren gesamter Export 2006 einen Wert von 9,802 Milliarden Dollar erreichte.
Große Teile der vom iranischen Staat kontrollierten Industrie hängen von technologischen Exporten Deutschlands ab. 65 Prozent davon gelangten 2005 mit von der Regierung gestützten Exportkrediten ins Land. Deutschland ist intensiv bei der Ausschreibung für die geplante Nabucco-Pipeline engagiert, die den Iran zu einem Schlüsselpartner in der Energieversorgung der EU und Deutschlands machen würde.
Die rückgratlose Reaktion aus Berlin zeigt trotzdem deutlich, dass die deutsche Regierung im Falle eines militärischen Schlages der USA gegen den Iran entweder keinen Widerstand leisten oder sich sogar auf die Seite der USA stellen wird. Wenn es zum Krieg kommt, wird sie damit fortfahren, ihre Allianz mit Washington als beste Garantie ihrer eigenen imperialistischen Interessen in dieser Region zu betrachten - selbst wenn das Endresultat ein großer Schritt zu dem von Bush vorhergesagten dritten Weltkrieg bedeutet.
Das Dilemma des Establishments in Deutschland ist, dass es seine Hoffnungen für einen Kurswechsel in Washington auf Bushs politische Komplizen setzt. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte kürzlich: "Berlin sollte auch jene Kräfte in Washingtons unbeliebter Regierung unterstützen, die entschieden aber friedlich vorgehen wollen. Wer die Sanktionen nicht unterstützt, riskiert, Vizepräsident Dick Cheney die Oberhand im Weißen Haus zu verschaffen. Wenn Condoleezza Rice und Robert Gates ... sich bei George Bush Gehör verschaffen wollen, brauchen sie jetzt Hilfe von außerhalb."
In seinem Interview mit dem Tagesspiegel appellierte Polenz in ähnlich pathetischer Weise an US-Politiker, obwohl alle Erfahrungen der Präsidentschaft Bushs beweisen, dass Mäßigungsappelle seiner Mitläufer und Kriegsmitverschwörer auf taube Ohren gestoßen sind.