GDL verschärft Tarifkampf

Lokführer benötigen volle Unterstützung der Bevölkerung

Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hat im Tarifkampf mit der Deutschen Bahn AG eine deutlich schärfere Gangart eingeschlagen. Auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main erklärte gestern der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Claus Weselsky, das vom Bahn-Vorstand am Montag vorgelegte Angebot enthalte "nicht die geringsten substanziellen Verbesserungen" und werde daher abgelehnt.

Gleichzeitig kündigte Weselsky bereits für die Nacht zum Donnerstag einen bundesweiten Streik im Regional- und S-Bahn-Verkehr an. Falls der Bahn-Vorstand nicht einlenke und ein verhandlungsfähiges Angebot vorlege, werde der Ausstand am Freitag dieser Woche sowie am Montag, Dienstag und Mittwoch kommender Woche fortgesetzt.

Außerdem gab Weselsky bekannt, dass die GDL Berufung gegen die einstweilige Verfügung des Arbeitsgerichts Chemnitz eingelegt habe. Das Gericht hatte der GDL am 5. Oktober zwar im Regionalverkehr Streiks erlaubt, nicht jedoch im Güter- und Fernverkehr. "Wir erhoffen uns mit dem Widerspruch eine Ausdehnung unserer Streikmöglichkeiten auch auf den Fern- und Güterverkehr", so Weselsky.

Nach "intensiver Prüfung der Langfassung" des 250-seitigen Tarifangebots der Deutschen Bahn sei klar, dass die GDL keinen eigenständigen Tarifvertrag bekommen solle, wie er bereits im "Moderationsergebnis" vor vier Wochen vorgeschlagen worden sei, erklärte Weselsky. "Noch viel schlimmer: Die Bahn will uns mit diesem Tarifvertrag Fesseln anlegen. Wir könnten mit diesem Tarifvertrag künftig keinerlei Forderungen zum Entgelt und zur Arbeitszeit erheben, ohne sie vorher von der Tarifgemeinschaft Transnet/GDBA (TG) genehmigt zu bekommen."

Bahnchef Hartmut Mehdorn wolle offensichtlich die tarifpolitische Eigenständigkeit der GDL ein für allemal eliminieren. "Dass dies den Privatisierungskurs des Bahnvorstandes förderlich sein würde, steht für außer Frage", betonte der GDL-Vize gegenüber der Presse. Das Angebot im Lohnbereich bezeichnete er als "blanken Hohn". Damit provoziere der Bahn-Vorstand regelrecht weitere Arbeitskämpfe.

Zusätzlich zu dem bisherigen Angebot hatte sich die Bahn lediglich bereit erklärt, von den 2007 bereits geleisteten Überstunden wöchentlich zwei, also insgesamt 104 auszubezahlen. Das entspricht einer Einmalzahlung von 1.400 Euro.

Die neue Streikoffensive der Lokführer ist mit einem Wechsel in der Verhandlungsführung auf Seiten der Gewerkschaft verbunden. GDL-Chef Manfred Schell hat am Dienstag einen "bereits mehrmals verschobenen" dreiwöchigen Kuraufenthalt angetreten. Nun übernimmt sein Stellvertreter die Leitung des Arbeitskampfs.

Claus Weselsky kommt aus Ostdeutschland, wo die GDL einen höheren Organisationsgrad hat als im Westen. Vor der Wende steuerte er Diesel- und E-Loks als "Streckenlokomotivführer" von Pirna nach Zittau, Hoyerswerda und Görlitz an der polnischen Grenze. Zu DDR-Zeiten gehörte er weder einer Partei noch einer Gewerkschaft an. Er trat 1990 gemeinsam mit 95 Prozent der ostdeutschen Lokführer in die GDL ein und wurde im vergangenen Jahr zu deren stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Medienberichten zufolge trat Weselsky bereits seit Wochen für schärfere Kampfmaßnahmen ein. Dem Kur-Antritt von GDL-Chef Schell waren offenbar heftige Auseinandersetzungen an der Spitze der GDL vorausgegangen. Viele Lokführer - vor allem im Osten - fordern seit geraumer Zeit eine schärfere Gangart im Tarifkampf. Mehr als 95 Prozent hatten Anfang August in einer Urabstimmung für Streik gestimmt. Die gezielten Provokationen von Bahnchef Hartmut Mehdorn - er verweigerte ernsthafte Verhandlungen, bezeichnete die berechtigten Lohnforderungen der Lokführer als "irrwitzig" und klapperte die Gerichte ab, um ein Streikverbot zu erreichen - haben die Kampfbereitschaft vieler Lokführer noch gesteigert.

Als Bahnchef Mehdorn in der vergangenen Woche davon sprach, er sehe sich im "Krieg" mit der GDL, herrschte unter vielen Lokführern die Stimmung: "Wenn er Krieg will, kann er ihn haben."

Nach der gestrigen Pressekonferenz und Streikankündigung reagierte der Bahn-Vorstand mit einer erneuten Provokation. Es werde kein neues Angebot geben, ließ Mehdorn mitteilen. Die GDL habe Tarifverhandlungen ausgeschlagen und befinde sich auf "tarifpolitischer Geisterfahrt", sagte Bahn-Personalvorstand Magret Suckale in Berlin. "Unser Verständnis ist restlos am Ende."

Der Konflikt hat nun endgültig den Rahmen einer normalen Tarifauseinandersetzung überschritten. Mehdorn will an den Lokführern ein Exempel statuieren. Er wird dabei von der Bundesregierung, der Justiz, den großen Wirtschaftsverbänden sowie von den DGB-Gewerkschaften unterstützt.

Damit gewinnt der Kampf der Lokführer große Bedeutung für die ganze arbeitende Bevölkerung. Denn wenn es dem Bahn-Vorstand gelingt, die Lokführer in die Knie zu zwingen, hätte dies schwerwiegende Folgen für alle anderen Lohnabhängigen. Jeder Widerstand gegen Lohn- und Sozialabbau, gegen die Umverteilung der Einkommen von unten nach oben, würde eingeschüchtert, verfolgt und kriminalisiert. Eine Niederlage der Lokführer würde die Schleusen für weitere Angriffe auf alle Lohnabhängigen öffnen.

Es ist daher notwendig, dass die gesamte arbeitende Bevölkerung den Kampf der Lokführer unterstützt. Es darf nicht zugelassen werden, dass die Lokführer von den DGB-Gewerkschaften isoliert, vom Bahn-Management an die Wand gedrückt und von der Klassenjustiz kriminalisiert werden! Der Kampf der Lokführer muss zum Ausgangspunkt einer breiten Offensive gegen Lohn- und Sozialabbau und gegen die Große Koalition in Berlin gemacht werden.

In diesem Zusammenhang müssen einige Fakten klargestellt werden.

Auch wenn Bahnchef Mehdorn und viele Medien nicht müde werden, die Tarifforderung der Lokführer als unvernünftig und "außerhalb jeder Normalität" zu bezeichnen, ist diese in vollem Umfang gerechtfertigt. Die Lokführer fordern lediglich einen Teil dessen zurück, was sie in den letzten Jahren verloren haben.

Seit der Bahnreform von 1994 ist die Belegschaft der Bahn auf 185.000 halbiert worden. Die Arbeitsbelastung stieg entsprechend, während die Löhne stagnierten und in den letzten beiden Jahren um 10 Prozent sanken. Das Ergebnis ist eine hohe Belastung durch ständige Schichtarbeit sowie Einkommen, von denen sich kaum leben lässt, schon gar nicht mit einer Familie. Das Bruttogehalt eines Lokführers beträgt heute maximal 2.142 Euro. Selbst bei Berücksichtigung aller Zulagen kommen dabei netto nur 1.500 Euro, im besten Falle 2.000 Euro heraus. In der benachbarten Schweiz verdienen Lokführer rund doppelt so viel.

Die Behauptung, die Forderung könne nicht bezahlt werden, ist eine glatte Lüge. Die Erfüllung würde die Bahn 250 Millionen Euro im Jahr kosten. Das ist gerade ein Zehntel des Überschusses von 2,5 Milliarden Euro, den das einst hochdefizitäre Unternehmen im vergangenen Jahr auf Kosten der Belegschaft erwirtschaftete.

Mehdorns eigenes Gehalt ist im letzten Jahr um 100 Prozent gestiegen, auf 3,18 Millionen Euro. Die acht Vorstandsmitglieder der Bahn AG kassierten zusammen 20 Millionen Euro. Da drei Viertel ihrer Einkommen aus Erfolgsprämien bestehen, verdienen sie an jedem Euro mit, den sie aus der Belegschaft herauspressen.

Die Streikbrecherrolle von Transnet

Eines der Hauptprobleme, mit dem die Lokführer konfrontiert sind, ist die Streikbrecherrolle von Transnet, die ganz offen und schamlos als gelbe Gewerkschaft fungiert und dabei von den anderen DGB-Gewerkschaften unterstützt wird. Gemeinsam mit der Besamtenvereinigung GDBA unterstützt Transnet die Privatisierungspläne der Bahn.

Beide Organisationen haben den Personalabbau und den Tarifabbau der vergangenen Jahre mitgetragen. Nun beraten sie den Bahnvorstand bei seinem Vorgehen gegen die Lokführer und fordern die eigenen Mitglieder zum Streikbruch auf. Transnet beschimpft die Lokführer als "Tarif-Brecher" und wirft ihnen vor, sie verletzten mit ihren Forderungen die "Solidarität" mit den übrigen Bahnbeschäftigten.

Sie verstehen unter "Solidarität" dasselbe wie die Bundesregierung und die Unternehmerverbände. Anfang der Woche forderte der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Martin Kannegiesser, in einem Interview mit der Berliner Zeitung unter der Überschrift "Ohne Solidarität sind Betriebe nicht führbar" die Aufrechterhaltung der Einheitsgewerkschaft.

Das "betriebliche Miteinander" erfordere ein "Mindestmaß an Solidarität untereinander", daher müssten Gewerkschaften, die einzelne Gruppeninteressen vertreten, verhindert werden, schreibt der Arbeitgeberpräsident. Dass in mehreren Großbetrieben - wie jüngst bei Siemens aufgedeckt - die Unternehmensleitung betriebseigene Spaltergewerkschaften finanziert hat, verschweigt er wohlweislich.

Bei der Bahn hat der Vorstand Transnet zu seiner "Hausgewerkschaft" gemacht. In einer Fernsehdokumentation berichtete ein ehemaliger Transnetfunktionär, dass die Gewerkschaft ohne die direkte und indirekte finanzielle Unterstützung durch Mehdorn und den Bahn-Vorstand nicht in der Lage wäre, ihren hauptamtlichen Apparat zu finanzieren.

Eine Frage der Perspektiven

Die neue Streikoffensive der GDL ist sehr zu begrüßen. In den vergangenen Wochen hat die nachgiebige Haltung der GDL dem Bahnvorstand in die Hände gespielt. Die Verschärfung der Auseinandersetzung erfordert aber ein Programm, das nicht bei gewerkschaftlicher Militanz stehen bleibt. Die Lokführer müssen sich an die Mitglieder der anderen Bahngewerkschaften wenden, um sie gegen die Streikbrecheraktivitäten von Transnet-Chef Hansen und Co. zu mobilisieren. Und der Streik muss auf die gesamte Bahn ausgedehnt und unbefristet geführt werden.

Dabei brauchen die Lokführer die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiterklasse.

Die Verteidigung von Einkommen sowie von sozialen und demokratischen Rechten erfordert eine grundlegend neue politische Strategie. Anstatt der Profitinteressen der Wirtschaft müssen die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung in den Mittelpunkt gestellt und eine sozialistische Zielsetzung verfolgt werden. Die Produktion im allgemeinen und derart wichtige Unternehmen wie die Bahn AG müssen der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als ganzer gestellt werden.

Das kann nur erreicht werden, wenn Arbeiter mit ihren alten, nationalen Organisationen brechen und sich europa- und weltweit zusammenschließen, um für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu kämpfen. Dieses Ziel, den Aufbau einer internationalen sozialistischen Partei, verfolgen die World Socialist Web Site und die Partei für Soziale Gleichheit (PSG).

Siehe auch:
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