Die Entscheidung des Weißen Hauses, I. Lewis "Scooter" Libby, dem ehemaligen Stabschef von Vizepräsident Dick Cheney, die Gefängnisstrafe zu erlassen, ist ein schlagender Beweis für den kriminellen Charakter der amerikanischen Regierung und die Ungleichheit, die die amerikanische Gesellschaft kennzeichnet.
Libby war wegen der Straftaten Meineid und Behinderung der Justiz zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Er hatte FBI-Agenten und eine Grand Jury belogen, um die Untersuchung der strafbaren Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame zu behindern. Da die Begnadigung vor seinem Haftantritt erfolgte, kommt er jetzt völlig ungeschoren davon.
Die Umwandlung der Gefängnisstrafe hebt zwar nicht die Verurteilung und auch nicht die 250.000 Dollar Geldstrafe sowie die zweijährige Bewährungsfrist auf, aber Bush lehnte es ab, eine umfassende Amnestie Libbys vor Ende seiner Amtszeit auszuschließen. "Ich schließe gar nichts aus", antwortete Bush auf diese Frage.
So viel zu Bushs salbungsvollen Worten vom Vortag, dass er das Urteil der Jury "respektiere", und zu seinem Gerede über die Schwere der Verbrechen Meineid und Behinderung der Justiz.
Wegen der Geldstrafe wird sich Libby sicher auch keine großen Sorgen machen müssen. Die wird ohne Zweifel von Libbys reichen Hintermännern mehr als zurückgezahlt werden. Diese haben bisher schon fünf Millionen Dollar für seine Verteidigung aufgebracht und eine kleine Armee von Ex-Regierungsmitgliedern, Anwälten, wohlhabenden Immobilienmaklern und führenden Repräsentanten der Republikanischen Rechten für ihn mobilisiert.
Die strafrechtliche Verfolgung Libbys ist für diese gesellschaftliche und politische Schicht zu einem so wichtigen Rechtsfall geworden, weil die Lügen, die Libby den staatlichen Untersuchungsbeamten auftischte, Teil einer größeren Verschwörung waren. Sie diente dazu, viel größere Lügen zu vertuschen, mit denen die amerikanische Bevölkerung in einen kriminellen Krieg gezogen worden war, der für die Profitinteressen der Wirtschaftselite geführt wird.
Plames Identität wurde an den rechten Kolumnisten Robert Novak und andere Medienleute verraten, um ihren Mann, den Ex-Botschafter Joseph Wilson, zu bestrafen und einzuschüchtern. Er hatte einige der gefälschten Beweise über angebliche Massenvernichtungswaffen entlarvt, mit denen der Irakkrieg gerechtfertigt wurde.
Die Untersuchung, die mit der Verurteilung Libbys endete, wurde vom Justizministerium eingeleitet, das auf Drängen der CIA den Chicagoer Staatsanwalt Patrick Fitzgerald als Sonderermittler einsetzte. Die Enttarnung Plames hatte die CIA verärgert, die darin eine Verletzung eines Gesetzes von 1982 sah, das die Enthüllung der Namen von Undercover Agenten zu einem schweren Straftatbestand macht.
Es war von Anfang an klar, dass die Bestrebungen, Wilson zum Schweigen zu bringen, von Cheney und dem Weißen Haus selbst ausgingen. Zu Beginn des Verfahrens stellte Libbys Anwalt seinen Klienten als "Bauernopfer" für höherrangige Regierungsvertreter hin. Die Jury fand diese Bezeichnung offensichtlich zutreffend. Es stellte sich nach dem Prozess heraus, dass einige Juroren zwar Grund genug sahen, Libby zu verurteilen, aber offen die Frage aufwarfen, warum andere - unter ihnen Bushs wichtigster Berater Karl Rove - nicht auch vor Gericht standen.
Dann trat eine unerwartete Wende ein - die Verteidigung verzichtete auf eine weitere Beweiserhebung, ohne Cheney, Rove oder Libby selbst in den Zeugenstand zu rufen. Es war offensichtlich, dass Libby und seine Anwälte entschieden hatten, lieber auf schuldig zu plädieren, als ihre zu Beginn des Verfahrens entwickelte Verteidigungsstrategie weiter zu verfolgen.
Eine wohlbegründete Vermutung wurde damals in den Medien breit diskutiert: Libby habe die Zusicherung erhalten, Bush werde eingreifen und verhindern, dass er auch nur einen Tag im Gefängnis verbringen müsse. Die Entscheidung, Libbys Gefängnisstrafe per Präsidentenerlass mit einem Federstrich aufzuheben, kommt juristisch einem Schweigegeld gleich. Damit wurde Libbys Schweigen über die Verbrechen des Weißen Hauses und Cheneys erkauft, bei denen Libby selbst eine zentrale Rolle spielte.
Bushs Entscheidung, die Strafe umzuwandeln, wurde vom Weißen Haus als ein Gnadenakt hingestellt, mit dem ein "übertriebenes" Strafmaß gemildert werden solle, während gleichzeitig die Verurteilung davon unberührt bleibe. Nichts dergleichen trifft zu. Wie das gesamte Handeln dieser Administration war es ein gesetzloses Vorgehen mit dem Ziel, Verbrechen zu verschleiern und die unbeschränkte Macht der Exekutive zu behaupten.
Die Washington Post wies am Dienstag darauf hin, dass das Strafmaß alles andere als übertrieben war. "Drei von vier Personen, insgesamt 283, die in den letzten beiden Jahren wegen Behinderung der Justiz verurteilt wurden, mussten ins Gefängnis, wie den Statistiken des Justizministeriums zu entnehmen ist", berichtet die Post. Das durchschnittliche Strafmaß betrug mehr als fünf Jahre. Die größte Gruppe von Angeklagten wurde zu 13 bis 31 Monaten Gefängnis verurteilt. Genau in diesen Rahmen wäre Libby gefallen."
Die Entscheidung, Gnade walten zu lassen, die ohne jede Rücksprache mit Fitzgerald oder dem für Begnadigungen zuständigen Staatsanwalt im Justizministerium getroffen wurde, sollte ein Maximum an Geheimhaltung gewährleisten. Eine solche Entscheidung unterliegt keinerlei Überprüfung, und selbst damit in Zusammenhang stehende Dokumente unterliegen nicht den Bestimmungen des Freedom of Information Act.
Die Umwandlung von Libbys Strafmaß bestätigt erneut, dass sich diese Regierung über dem Gesetz stehend wähnt und mehr wie ein Verbrechersyndikat operiert als wie eine demokratische und an die Verfassung gebundene Administration.
Die Reaktion der Medien wie auch der vorgeblichen politischen Opposition, der Demokratischen Partei, auf die Begnadigung Libbys durch das Weiße Haus fiel auffallend zurückhaltend aus.
Die Demokratischen Präsidentschaftskandidaten gaben ein paar Pflichtstatements ab. Hillary Clinton sagte, die Umwandlung zeige, dass in der Bush-Regierung "Vetternwirtschaft und Ideologie vor Kompetenz und Gerechtigkeit gehen", während Barack Obama erklärte, sie "zementiere die Bilanz einer Regierung, deren Politik von Zynismus und Polarisierung geprägt ist". Für Obama stellt die Angelegenheit ein gewisses politisches Problem dar, weil sein Wahlkampfmanager Robert Bauer Libby in einem Artikel mit dem Titel "Progressive Case for a Libby Pardon" (Progressive Gründe für eine Begnadigung Libbys) verteidigt hatte.
Im Unterschied zu den Politikern verurteilte Joseph Wilson das Vorgehen Bushs verärgert und in deutlichen Worten. Er bezeichnete es als charakteristisch für eine Regierung, die "durch und durch korrupt ist".
"Die Tatsache, dass der Präsident unser Rechtssystem umgangen hat, indem er Scooter Libby das Gefängnis erspart hat, beseitigt jeden Anreiz für Libby, die Wahrheit zu sagen. Das garantiert, dass eine dunkle Verdachtswolke über dem Präsidentenamt hängen bleibt und der Präsident ein potentieller Verdächtiger in einem Fall der Behinderung der Justiz ist", erklärte Wilson. "Diese Entscheidung wurde getroffen, um die Wahrheit zu unterdrücken", fügte er hinzu.
Von den Medien protestierte das Wall Street Journal am lautstärksten - für Libby. Es veröffentlichte einen Leitartikel, der Libbys missliche Lage eine "persönliche Tragödie" nannte, und Bushs Versäumnis, eine umfassende Amnestie zu gewähren, zu "einem schwarzen Tag in der Geschichte der Regierung" erklärte.
Die Washington Post, die der Strafverfolgung Libbys schon immer kritisch gegenüber stand, stimmte der Strafumwandlung zu, meinte aber, Bush sei etwas zu weit gegangen, als er dem Ex-Berater die gesamte Gefängnisstrafe erließ. Die Post argumentierte ähnlich wie die Republikanische Rechte, indem sie Libbys Fall mit dem von Ex-Präsident Bill Clinton verglich, der "unter Eid gelogen hatte, aber weder des Amtes enthoben noch ins Gefängnis gesteckt wurde".
Dass Clinton dazu verleitet wurde, in einer völlig privaten Angelegenheit zu lügen, die nur für ihn selbst und seine Familie von Bedeutung war, während Libbys Lügen Teil einer politischen Verschwörung zur Führung eines illegalen Aggressionskriegs waren, dem schon Hunderttausende Iraker zum Opfer gefallen sind und der zum Tod und zur Verstümmelung Zehntausender amerikanischer Soldaten geführt hat, scheint den Herausgebern der Post entgangen zu sein.
Die New York Times ließ sogar durchblicken, dass der Straferlass das Ziel verfolgt, Libbys Schweigen zu erkaufen. "Präsidenten haben die Vollmacht, Gnade walten zu lassen und zu amnestieren", schrieb die Times. "Aber in diesem Fall hörte sich Präsident Bush nicht wie ein Führer an, der eine schwierige Entscheidung für Gerechtigkeit trifft. Er hörte sich vielmehr wie jemand an, der sich darüber sorgt, was einer seiner ehemaligen Anhänger wohl sagen könnte, wenn er tatsächlich in eine Gefängniszelle starrt." Aber nachdem sie angedeutet hatte, dass Bush selbst der Behinderung der Justiz schuldig sein könnte, rührte die Zeitung nicht einmal an die Frage, ob nicht auch Bush oder andere zur Verantwortung gezogen werden sollten.
Es steht außer Frage, dass Bush mit dieser zahmen Reaktion der Medien und der Demokraten rechnete - im Unterschied zum Schäumen der Republikanischen Rechten. Aufgrund dieser Einschätzung glaubte er es sich erlauben zu können, nur einen Tag nach der Umwandlung des Strafmaßes eine umfassende Amnestie für Libby in den Raum zu stellen.
Wie kann man dieses Fehlen echter Empörung in den Kreisen des ehemaligen liberalen Establishments in der Demokratischen Partei und Teilen der Presse erklären? Es fällt umso mehr auf, als die Ablehnung des Straferlasses in der Bevölkerung überwältigend ist und nach Umfragen bei mindestens 70 Prozent liegt.
Letztlich ist Libbys wirkliches Verbrechen nicht, dass er über die Entlarvung einer einzelnen CIA-Agentin log, obwohl führende Demokraten die Frage begierig aufgriffen, um die Republikaner als "Verräter" und Feinde der nationalen Sicherheit hinzustellen. Das Verbrechen, das Libby, Cheney und der ganze Rest begangen haben und dann mit der Plame-Wilson Affäre zu verschleiern versuchten, ist das Herbeiführen eines auf Lügen gegründeten illegalen Krieges.
Teil der verhaltenen Reaktion ist zweifellos auch ein "Gerade noch mal davongekommen" von Leuten, die an den korrupten und kriminellen Aktivitäten der US-Regierung mit beteiligt waren. Sie arbeiten schließlich in der gleichen abgeschotteten und privilegierten Luftblase wie Libby und seine Komplizen.
Einige Demokraten im Repräsentantenhaus haben Anhörungen zu der Strafumwandlung vorgeschlagen. Aber selbst wenn es dazu kommen sollte, werden sie unvermeidlich der Schadensbegrenzung dienen, weil das gesamte politische Establishment bis zum Hals in Betrug und Korruption steckt.
Noch eine weitere soziale und politische Dynamik ist hier am Werk. Im gesamten politischen und Medienestablishment herrscht die feste Überzeugung, dass das brutale System des "Strafvollzugs" in den USA nicht für die Reichen und Mächtigen wie Libby gedacht ist. Gefängnisse und harte Strafen sind dafür da, die Masse der armen und arbeitenden Bevölkerung zu unterdrücken und zu kontrollieren.
Die Zahl der Gefängnisinsassen in Amerika hat den absoluten Rekord von 2.245.000 erreicht, die höchste Zahl aller Länder dieser Erde und fast 40 Prozent mehr als das nächstplatzierte, China. Ende Juni vermeldete das Justizministerium für 2006 den stärksten Zuwachs bei der Zahl der Insassen seit 2000. Der Anstieg wurde hauptsächlich Gesetzen zugeschrieben, die verpflichtend Gefängnisstrafen vorschreiben. Die Regierung will diese Bestimmungen noch weiter verschärfen. Im Fall Libby dagegen wurde genau so eine Vorschrift außer Kraft gesetzt.
In einer Erklärung, in der er die Strafumwandlung für Libby verteidigte, beklagte Bush, dass "Frau und Kinder des Beraters des Vizepräsidenten ebenfalls schwer gelitten haben" und dass "seine Verurteilung ihn dauerhaft beschädigt."
Solche Anteilnahme wird den Millionen, die in amerikanische Gefängnisse geworfen werden, nicht zuteil - viele wegen geringfügiger Vergehen, andere, die geistig nicht in der Lage sind, das Verfahren durchzustehen, wieder andere sind Jugendliche, die nach Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden. Ohne das Geld und die Macht eines Libby sind sie in einem gnadenlosen Justizsystem gefangen, das weiterhin Menschen zum Tode verurteilt.
In seinem vorherigen Amt als Gouverneur von Texas zeigte Bush keinem der dortigen Todeskandidaten das Mitgefühl, das er für Cheneys Untergebenen aufbrachte. Er schickte 150 Männer und Frauen in den Tod - er ließ mit Karla Faye Tucker in Texas die erste Frau seit 100 Jahren hinrichten, und machte sich noch öffentlich über ihr Gnadengesuch lustig.
Dieses gnadenlose Justizsystem ist eine Widerspiegelung der Brutalität, die gegen die arbeitende Bevölkerung insgesamt geübt wird. Millionen werden ihre Arbeitsplätze und Renten geraubt, werden die Löhne gesenkt oder sie verlieren ihre Häuser durch Zwangsversteigerung, ohne eine Spur von Mitleid seitens der Regierung oder der Wirtschaftselite, die sie vertritt.
Libby - sowie Bush, Cheney und andere im militärischen und politischen Establishment - sind genau des Verbrechens schuldig, das den Hauptgrund der Anklage gegen die Nazis in Nürnberg vor 60 Jahren bildete: die Verschwörung zur Führung eines Aggressionskriegs.
Dass Libby nicht einmal für die begleitenden Vergehen Behinderung der Justiz und Meineid bestraft werden kann, zeigt, dass das gesamte politische Establishment, die Demokraten und die Medien eingeschlossen, in dieses eigentliche Verbrechen verwickelt sind.