Frankreich: Das klägliche Ende der "antikapitalistischen Linken"

Nach der Wahl Ségolène Royals zur Präsidentschaftskandidatin der französischen Sozialistischen Partei ist das Projekt einer "antiliberalen" ("liberal" im Sinne des freien Marktes) oder "antikapitalistischen Linken" kläglich in sich zusammengebrochen.

Ein nationales Treffen der so genannten "Kollektive", zu denen sich vor zwei Jahren die Kommunistische Partei (KPF), die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), diverse Gewerkschaften, soziale Bewegungen, Globalisierungsgegner sowie einzelne Vertreter der Sozialistischen Partei und der Grünen zusammengeschlossen hatten, konnten sich am 9. und 10. Dezember in Seine-Saint-Denis bei Paris nicht auf ein gemeinsames Vorgehen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007 einigen. Die unterschiedlichen Bestandteile der Kollektive sind heillos untereinander zerstritten.

Vor allem die LCR hatte sich unermüdlich dafür eingesetzt, alle linken Organisationen, die beim Referendum vom Mai 2005 für die Ablehnung der EU-Verfassung eingetreten waren, zu einer breiten politischen Bewegung oder Partei zusammenzufassen.

Durch den Erfolg des "Nein" im Referendum sei eine "neue Situation auf der Linken" entstanden, heißt es dazu in den Thesen des 16. Kongresses der LCR vom Januar 2006. Das "Nein" bilde den "Ausgangspunkt für die Vorbereitung einer gemeinsamen Bewegung gegen die Politik der Regierung" und ermögliche es, "zum Aufbau einer neuen antikapitalistischen Kraft fortzuschreiten". Die LCR verpflichtete sich, alle linken Gegner der EU-Verfassung in einer neuen Formation zusammenzuschließen, "die in der Lage ist, das wirkliche Kräfteverhältnis zugunsten einer Linken, die 100 Prozent links ist, politisch auszudrücken".

Große Hoffnungen setzte die LCR dabei auf die Kommunistische Partei, die, so die Kongressthesen, am "Scheideweg" stehe. Sie befinde sich vor der unausweichlichen Wahl "zwischen der Bejahung einer antikapitalistischen Linken in logischer Fortsetzung der Nein-Kampagne und der Versöhnung der linken Organisationen des Nein und des Ja unter der Perspektive der Regierungsbildung". Mit "linken Organisationen des Ja" war die rechte Mehrheit der Sozialistischen Partei gemeint, die sich vehement für die Annahme der EU-Verfassung eingesetzt hatte.

Die KPF ging gern auf das Angebot der LCR ein und beteiligte sich an den Kollektiven. Sie sah darin eine Möglichkeit, ihr linkes Image etwas aufzufrischen, das durch die jahrzehntelange enge Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Partei und die Beteiligung an zahlreichen sozialistische geführten Regierungen schwer lädiert ist.

Doch spätestens im Laufe des vergangenen Jahres wurde klar, dass die KPF nicht im Traum daran dachte, ihre Beziehungen zur Sozialistischen Partei abzubrechen. Überraschen konnte dies niemanden, der sich in der französischen Politik auskennt, ist die KPF doch seit den Volksfrontregierungen der 1930er Jahre und ihrer Beteiligung an der ersten Nachkriegsregierung unter Charles de Gaulle eine verlässliche Stütze des französischen bürgerlichen Staats. 1968 spielte sie eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung des Generalstreiks. 1971 verbündete sie sich mit Mitterrands Sozialistischer Partei und zwischen 1981 und 2002 stellte sie Minister in zahlreichen Regierungen.

Die KPF ist der Sozialistischen Partei nicht nur politisch eng verbunden, sie ist auch organisatorisch von ihr abhängig. Ohne Wahlabsprachen mit den Sozialisten hätte sie aufgrund der Besonderheiten des französischen Wahlsystems kaum Chancen, ihre Mandate in der Nationalversammlung und ihre regionalen und kommunalen Ämter zu behalten, auf denen der gesamte Parteiapparat beruht.

Trotz all dem schürte die LCR die Illusion, die KPF könnte zu einem wichtigen Bestandteil einer "neuen antikapitalistischen Kraft" werden. Noch in den Kongressthesen vom Januar bescheinigte sie ihr, sie habe "trotz der Rückzüge der vergangenen Jahre eine militante Haltung und einen Einfluss im ‚kommunistischen Volk’ bewahrt, die es ihr ermöglicht haben, in der Referendumskampagne eine zentrale Stellung einzunehmen".

Im Laufe des Herbsts sah die LCR dann den Zeitpunkt gekommen, sich sachte von ihrem eigenen Projekt zu distanzieren. Es ließ sich nicht länger leugnen, dass die KPF weiterhin ein Regierungsbündnis mit der Sozialistischen Partei anstrebte. Und dies, obwohl sich letztere anschickte, mit Ségolène Royal eine Vertreterin des rechten Parteiflügels zur Präsidentschaftskandidatin zu küren. Royal ist eine skrupellose Karrieristin, deren Politik sich in keiner Weise von der ihres gaullistischen Widersachers Nicolas Sarkozy unterscheidet. Sie bewundert den britischen Premier Tony Blair und ist bemüht, Sarkozy auf dem Gebiet der inneren Sicherheit und der Ausländerpolitik rechts zu überholen.

Nun zog sich die Mehrheit der Ligue unter Führung von Alain Krivine und Olivier Besancenot aus den Kollektiven zurück. Eine Minderheit unter Christian Piquet, die etwa einen Drittel der LCR repräsentiert, blieb in den Kollektiven und signalisierte damit ihre Bereitschaft, sich als linker Flügel an einer Neuauflage der "pluralen Linken" zu beteiligen, der Koalition aus Sozialisten, Kommunisten, Grünen und bürgerlichen Radikalen, auf die sich schon die Regierung von Lionel Jospin gestützt hatte.

Nach dem Rückzug der LCR versuchte die KPF, die Kollektive zum Wahlverein für ihre eigene Vorsitzende, Marie-Georges Buffet, umzufunktionieren. Doch das stieß auf Widerstand der anderen Mitglieder. Eine nationale Versammlung der Kollektive, die am 9. und 10. Dezember in Seine-Saint-Denis tagte, erbrachte keine Mehrheit für Buffet. Sie wird nun voraussichtlich ausschließlich als Kandidatin der KPF zur Wahl antreten.

Mitte Dezember zog die LCR eine vorläufige Bilanz ihrer Bemühungen um "Einheitskandidaturen" bei den Wahlen 2007. Es habe sich schnell gezeigt, schreibt sie, dass die KPF nicht bereit sei, ein zukünftiges parlamentarisches oder Regierungsbündnis mit der Sozialistischen Partei auszuschließen, und "alle Möglichkeiten einer Übereinkunft mit der SP offen hält". Da eine "Einheitskandidatur der Kräfte des linken Nein" nur sinnvoll sei, wenn sie die KPF daran beteilige, werde auch die LCR mit ihrem eigenen Kandidaten, Olivier Besancenot, in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen.

Das ist Augenwischerei. Die ganze Kampagne für eine linke Einheitskandidatur war von Anfang an ein zynisches Manöver, das vor allem eines verhindern sollte: Dass Arbeiter die Lehren aus dem Niedergang der Sozialistischen und der Kommunistischen Partei ziehen und eine revolutionäre sozialistische Alternative aufbauen, die unabhängig von den alten reformistischen Organisationen und ihren Anhängseln unter den kleinbürgerlichen Radikalen ist.

Diese Aufgabe hat die Kampagne für eine "antikapitalistische Linke" - zumindest vorläufig - erfüllt. Ségolène Royal wird in die Präsidentschaftswahl ziehen, ohne dass sie ernsthaft von links herausgefordert wird. Olivier Besancenot, die KPF-Vorsitzende Marie-Georges Buffet und einige andere "linke" Kandidaten werden zwar zur ersten Wahlrunde am 22. April antreten - aber nur, um dann in der zweiten Runde zwei Wochen später Royal als angeblich "kleineres Übel" zu unterstützen. Die massive soziale und politische Opposition der Bevölkerung, die sich in den vergangenen Jahren immer wieder in wochenlangen Streik- und Protestbewegungen äußerte, wird in der Wahl dagegen keinen Ausdruck finden.

Besancenot betont schon jetzt bei jeder Gelegenheit, dass es ihm keineswegs gleichgültig sei, ob Sarkozy oder Royal die nächste Regierung bilde. Bei der letzten Wahl vor fünf Jahren hatten LCR und KPF in der zweiten Runde sogar den Gaullisten Jacques Chirac unterstützt, der gegen den faschistischen Bewerber Jean-Marie Le Pen antrat.

Es wäre falsch, hinter den zynischen Manövern der LCR politische Naivität oder Verwirrung bei ansonsten guten Absichten zu vermuten. Die LCR und die internationale Tendenz, der sie angehört, das pablistische Vereinigte Sekretariat, haben sich seit Jahrzehnten darauf spezialisiert, revolutionären Entwicklungen die Spitze zu brechen, indem sie sie ins Fahrwasser der konservativen bürokratischen Apparate lenken.

Michel Pablo, der Namensgeber der Tendenz, Ernest Mandel, der langjährige Führer des Vereinigten Sekretariats, und sein französischer Schüler Alain Krivine haben zu diesem Zweck immer wieder stalinistische, reformistische oder nationalistische Bewegungen und Führer glorifiziert und erklärt, diese ersetzten und erübrigten den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Partei der Arbeiterklasse.

Die algerische FLN, die Bewegung Fidel Castros und die nicaraguanischen Sandinistas gehörten ebenso zu den Vorbildern des Vereinigten Sekretariats, wie Michael Gorbatschow und Boris Jelzin und - in jüngster Zeit - der venezolanische Präsident Hugo Chavez und sein bolivianischer Amtskollege Evo Morales.

Die Ergebnisse dieser Bemühungen waren immer dasselbe: Die von den Pablisten glorifizierten Führer und Bewegungen wandten sich entweder scharf nach rechts oder ebneten rechten Kräften den Weg. Die revolutionären Stimmungen der Arbeiterklasse, die ihnen an die Macht verholfen hatten, wurden unterdrückt und verraten. Nicht selten bezahlten die Arbeiter dafür einen hohen, blutigen Preis.

In jüngster Zeit sind die Sektionen des Vereinigten Sekretariats dazu übergegangen, Ministerämter in bürgerlichen Regierungen zu übernehmen. In Brasilien haben sie sich der Arbeiterpartei von Präsident Lula da Silva angeschlossen und stellen in dessen Regierung einen Minister. In Italien sind sie in der Führung von Rifondazione Comunista aktiv, die einen tragenden Bestandteil der Koalitionsregierung von Romano Prodi bildet.

Man sollte sich von den Beteuerungen der LCR, niemals eine Regierungskoalition mit der Sozialistischen Partei einzugehen, nicht täuschen lassen. Die gesamte Logik ihrer Politik läuft darauf hinaus, dass auch sie Ministerposten übernehmen wird, sollte sich die soziale Krise weiter zuspitzen und die französische Bourgeoisie zur Sicherung ihrer Herrschaft auf eine "linke" Regierung angewiesen sein.

Siehe auch:
Olivier Besancenot und LCR: Hilfstruppen der Bürokratie
(1. April 2006)
Französische LCR geht weiter nach rechts
( 27. Januar 2006)
Die radikale Linke in Frankreich
( 7. Mai 2004)
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