Der deutsche Bundestag berät am heutigen Freitag in zweiter und dritter Lesung das Gesetz über die "Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder" und die "Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes". Ihre Verabschiedung durch die schwarz-rote Regierungsmehrheit gilt als sicher.
Beide Gesetze stellen schwerwiegende Eingriffe in demokratische Grundrechte dar. Sie heben die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten auf, die nach den Erfahrungen mit der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei der Nazis, im Grundgesetz verankert worden war. Und sie erlauben es den Geheimdiensten, wegen Gesinnungsdelikten zu schnüffeln.
Bisher hat sich nur wenig Protest gegen diese Aufrüstung des Staatsapparats erhoben. Die Öffentlichkeit wird mit dem Hinweis eingeschläfert, sie sei notwendig aufgrund einer allgegenwärtigen Terrorgefahr. Und da diese Terrorgefahr bisher rein abstrakt ist, helfen ihr Politiker, Medien und staatliche Stellen etwas nach.
In diesem Zusammenhang muss die Meldung über einen vereitelten Terroranschlag am Frankfurter Flughafen gesehen werden, die am 21. November Schlagzeilen machte. "Deutschland im Visier", titelte Die Welt, "Gruppe plante Attentat am Flughafen Frankfurt" die Süddeutsche Zeitung und "Flughafen im Visier der Terroristen" die Frankfurter Rundschau.
Zwei Tage später erwiesen sich die Meldungen als aufgebauscht und übertrieben. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung handelte es sich um einen Fall, der "wegen seiner Nichtigkeit längst zu den Akten gelegt" werden sollte. Gegen die Beschuldigten hätten sich zu keiner Zeit ernsthafte Verdachtsmomente ergeben.
Doch dieses Dementi erzeugte keine Schlagzeilen. In der Öffentlichkeit verblieb der Eindruck, ein schwerwiegender Terroranschlag sei kurz vor seiner Verwirklichung durch die Sicherheitsbehörden vereitelt worden. Eine Rekonstruktion des Falles zeigt, wie Justiz- und Sicherheitsbehörden, Politik und Medien zusammenarbeiten, um die öffentliche Meinung in die Irre zu führen.
Eine Meldung der Bundesanwaltschaft
Am 20. November meldete die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, dass sie und das Bundeskriminalamt einen Anschlagsplan auf ein Passagierflugzeug vereitelt hätten. Sechs arabischstämmige Männer, die angeblich seit Monaten geplant hatten, Sprengstoff am Flughafen Frankfurt in ein Flugzeug zu schmuggeln, seien wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung festgenommen worden.
Wörtlich heißt es in der Pressemitteilung: "Die Beschuldigten sind verdächtig, in der Bundesrepublik Deutschland für bislang unbekannte Hintermänner einer terroristischen Vereinigung mit den Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag auf ein Verkehrsflugzeug begonnen zu haben."
Tatsächlich befanden sich fünf der sechs Beschuldigten längst wieder auf freiem Fuß, als die Pressemitteilung die Redaktionsstuben erreichte. Der sechste verbüßte eine Haftstrafe wegen einer anderen Straftat.
Bundeskriminalamt und Bundesanwaltschaft hatten in der Woche zuvor die Wohnungen der Verdächtigen durchsucht, nachdem es ihnen trotz mehrmonatiger Observation und Telefonüberwachung nicht gelungen war, konkrete Hinweise und Indizien für einen Tatverdacht zu finden. Die Ermittlungen stützten sich auf die Angaben eines Flughafenmitarbeiters, der behauptet hatte, er sei von den Sechs aufgefordert worden, einen Sprengstoffkoffer an Bord eines Flugzeugs zu schmuggeln.
Auch die Wohnungsdurchsuchungen und Verhöre der Beschuldigten ergaben keine neuen Verdachtmomente. In den Wohnungen wurden weder Sprengstoff noch andere gefährliche Gegenstände gefunden. Die Hinweise sind so vage, dass gegen die sechs Männer nicht wegen des "versuchten Angriffs auf den Luftverkehr" ermittelt wird, sondern ganz allgemein wegen des Anfangsverdachts auf eine "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" - die es aber offensichtlich nie gegeben hat.
Laut Informationen der Süddeutschen Zeitung aus Sicherheitskreisen haben die Sechs lediglich einmal von einem "israelischen Flugzeug" geredet, ein "großartiges Komplott" habe jedoch zu keinem Zeitpunkt existiert. In den Verhören hätten die Beschuldigten erklärt, dass es sich bei der ganzen Sache um einen "Witz" gehandelt habe.
Trotzdem gab die Bundesanwaltschaft eine Pressemitteilung heraus, die den Eindruck erweckte, die vermeintlichen Terrorplanungen seien schon in die Phase der Umsetzung übergegangen. In den Redaktionsstuben wurde diese Meldung dann in entsprechende Schlagzeilen und in wilde Spekulationen übersetzt.
Kaum war die Meldung durch den Ticker, wusste die Online-Redaktion der Zeitung Die Welt schon, dass es die Gruppe auf ein Flugzeug der israelischen Gesellschaft El Al abgesehen hatte. Die Frankfurter Rundschau stellte in einem Hintergrundbericht eine "andere Dimension des Terrors" fest, denn die Festgenommen hätten nicht aus religiösen Überzeugungen die Anschlagspläne vorangetrieben, sondern um damit Geld zu machen. Hier hätten "nicht Überzeugungstäter einen Terroranschlag vorbereitetet, sondern sich offenbar Kriminelle in den Dienst des Terrors stellen wollen".
Kaum anders fielen die Reaktionen der offiziellen Politik aus. Der Sprecher des Bundesinnenministeriums Stefan Kaller erklärte gegenüber der Presse, der Fall zeige, dass die Gefahr durch Terroristen keine rein abstrakte sei. "Wir müssen damit rechnen, dass es immer wieder Leute gibt, die konkrete Anschlagsplanungen mit sich tragen."
Der innenpolitische Sprecher der CDU Wolfgang Bosbach wies gegenüber dem Fernsehsender N24 darauf hin, dass Deutschland nicht nur Teil eines großen Gefahrenraumes sei, sondern direkt im Visier des Terrors. Weiter erklärte er, "wir dürfen uns ja nicht in Sicherheit wiegen, dass sie [die imaginären Hintermänner] nunmehr Anschlagspläne in Deutschland aufgeben werden".
Als Konsequenz aus dem Fall verlangte Bosbach die sofortige Verabschiedung der beiden Anti-Terror-Gesetze, die heute im Bundestag beraten werden. Außerdem müsse "man sich die Menschen, die auf Dauer nach Deutschland kommen, insbesondere solche aus Problemstaaten, viel genauer ansehen, als das in der Vergangenheit der Fall war".
Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz erklärte der Süddeutschen Zeitung : "Der internationale Terror ist keine Veranstaltung, die nur im Ausland stattfindet." Vielmehr gebe es "viele gefährliche islamistische Gruppen" in Deutschland, bei denen man nie sicher sei, wann ihre extremistischen Worte in Taten umschlügen.
Und der hessische Innenminister Volker Bouffier beklagte sich gegenüber der Süddeutschen Zeitung : "Die Stimmung in Deutschland ist aber auch nach dem Fund der Kofferbomben und dem vereitelten Anschlag in Frankfurt noch immer so, als wenn uns der internationale Terror nichts anginge."
Politische Beweggründe der Terrorhysterie
Die Bundesanwaltschaft wies jede Kritik an ihrem Vorgehen von sich. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte ein Sprecher von Generalbundesanwältin Monika Harms, sein Haus habe sich "vollständig korrekt" verhalten. "Wir haben niemals Panik geschürt und von Anfang an gesagt, dass der Anschlag nicht einmal in die Nähe der Umsetzung gelangt war", behauptete er. Das liest sich in der zitierten Pressemitteilung jedoch ganz anders.
Nicht nur die politische Nähe zur Bundestagsdebatte weist darauf hin, dass das Vorgehen der Bundesanwaltschaft politisch motiviert war. Es ist auch zu beachten, dass der Generalbundesanwalt anders als normale Staatsanwälte nicht nur gegenüber der Politik weisungsgebunden ist, sondern die Besonderheit aufweist, "politischer Beamter" zu sein. Er ist damit formal nicht Teil der Judikative, der rechtsprechenden, "dritten" Gewalt, sondern "gehört organisatorisch zur Exekutive", also zur Bundesregierung, wie die Homepage des Generalbundesanwaltes sagt.
Seine "beamtenrechtlichen Bestimmungen sehen vor, dass er sich in Erfüllung seiner Aufgaben in fortdauernder Übereinstimmung mit den für ihn einschlägigen kriminalpolitischen Ansichten und Zielsetzungen der Regierung befindet". Als Druckmittel dient dafür die Drohung, dass der Generalbundesanwalt "jederzeit ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden" kann.
Da die Aufgaben des Generalbundesanwalts unter anderem die Strafverfolgung von Staatsschutzdelikten und terroristischen Gewalttaten beinhalten, kann er gerade im Bereich der Inneren Sicherheit von der jeweiligen Regierung instrumentalisiert werden. Außerdem ist davon auszugehen, dass die derzeitig amtierende Generalbundesanwältin Monika Harms im ständigen Austausch mit den Bundesministerien für Justiz und Inneres steht und von dort Vorgaben erhält.
Während die Politik ein Interesse daran hat, Terrorhysterie zu schüren, betrachten dies Teile des Sicherheitsapparats als Problem. So offenbarten hohe Sicherheitsbeamte in Berlin der Süddeutschen Zeitung, dass die Mitteilung der Bundesanwaltschaft aufgebauscht gewesen sei. "Das schürt Hysterie. Wir müssen auf diesem schwierigen Feld jeden Anflug von Alarmismus vermeiden", erklärten sie.
Auch der Vorsitzende des Bundes der Kriminalbeamten Klaus Jansen, der alles andere als ein Gegner eines starken Polizeiapparates ist, bezeichnete gegenüber der Frankfurter Rundschau das Schüren von Hysterie durch die Bundesanwaltschaft als "gefährlich und unverantwortlich". Er äußerte die Vermutung, die Meldung sei absichtlich zum jetzigen Zeitpunkt publiziert worden: "Die angeblichen Attentatsplanungen in Frankfurt passen jedenfalls auffällig zu den Beratungen im Bundestag zur Anti-Terror-Datei und zu den Umbauplänen des Innenministeriums für die Bundespolizei."
Auch andere Ereignisse passen dazu.
So hatten Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) nur wenige Tage zuvor den Sicherheitsbericht der Bundesregierung vorgestellt. Der Bericht gelangt zum Schluss, dass Deutschland im internationalen Vergleich bei Tötungs- und anderen ausgesuchten Delikten als "sehr sicher" zu bezeichnen und die Angst vor Terroranschlägen in der Bevölkerung in den letzten drei Jahren deutlich zurückgegangen sei.
Schäuble passte dies offensichtlich nicht ins Konzept. Er warnte, dass auch ohne Anhaltspunkte für konkrete Anschlagsplanungen "wir uns stets vor Augen halten müssen, dass die abstrakte Gefährdung durch den internationalen Terrorismus unverändert hoch und Deutschland Teil des Gefahrenraums ist". Die angeblichen Anschlagspläne von Frankfurt kamen da wie gerufen.
Nur wenige Tage zuvor hatte der Haushaltsauschuss des Bundestages grünes Licht für die Aufstockung der Bundesmittel für die Innere Sicherheit um 132 Millionen gegeben. Mit dem zusätzlichen Geld soll die Videoüberwachung öffentlicher Räume verstärkt, die Nutzung biometrischer Verfahren und Daten intensiviert und vor allem die Überwachung des Internets vorangetrieben werden.
Dazu wird am Gemeinsamen Terror-Abwehr-Zentrum von Polizei und Geheimdiensten eine "Internet Monitoring und Analysestelle" (IMAS) eingerichtet. Die IMAS soll Foren, Chaträume und Blogs durchkämmen, verdächtige Personen identifizieren und Anleitungen zum Bombenbau und so genannter Hetzpropaganda aus dem Internet verbannen. Nach dem Willen Schäubles wird damit die Überwachung privater PC-Benutzer ebenso ermöglicht wie eine politische Zensur von Webinhalten. Bis heute ist dabei nicht offen gelegt, ob die IMAS auch Zugriff auf Festplatten und andere informationstechnische Systeme im Internet haben wird und etwa private PCs "knacken" darf, wie die Website heise.de meldet.
Außerdem fand in Wiesbaden die Herbsttagung des Bundeskriminalamtes statt, die sich dem Thema "Migration, Kriminalität und Terrorismus" widmete. Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Ernst Uhrlau forderte dort eine High-Tech-Überwachung verdächtiger Personen, verstärkte Kontrollen und rigorose Grenz- und Zuwanderungsvorgaben.
Er begründete dies mit der Bemerkung, Deutschland rücke "aufgrund seines markanten außen- und sicherheitspolitischen Profils verstärkt ins Zielspektrum terroristischer Anschläge". Mit dem "markanten Profil" ist dabei nichts anderes gemeint, als die zunehmend aggressive Außenpolitik Deutschlands, die sich in den weltweiten Bundeswehreinsätzen, unter anderem in Afghanistan und im Libanon, manifestiert. Der Militarismus nach Außen geht dabei zwangsläufig mit einer Staatsaufrüstung im Innern einher.
Die geplanten Maßnahmen zur "Terrorbekämpfung" greifen tief in die demokratischen Grundrechte der Bevölkerung ein. Sie sind ein hervorragendes Instrument, um missliebige oppositionelle Strömungen zu überwachen und zu unterdrücken. Begriffe wie "Terrorismus", "Gewalt" und "Volksverhetzung" werden dabei bewusst vage gehalten, so dass Anti-Kriegsdemonstrationen ebenso darunter fallen können wie eine Streikbewegung. Um der Kritik gegen diese Maßnahmen den Wind aus den Segeln zu nehmen, sind Meldungen von Terroranschlägen, die in letzter Minute verhindert werden konnten, stets willkommen.