Es gibt immer noch wenig konkrete Informationen über die angebliche Verschwörung, transatlantische Flüge von Großbritannien in die USA über dem Atlantik in die Luft zu sprengen. Bis jetzt hat die britische Regierung keine Fakten vorgelegt, die ihre Behauptung belegen, dass ein Massenmord in der Luft geplant war.
Bis sie das tut, hat die Öffentlichkeit das Recht und politisch die Pflicht, sich eines Urteils über die Behauptungen der Regierung zu enthalten.
Die meisten Presseberichte befassen sich mit Leben und Hintergrund der 23 Personen, die seit den Polizeirazzien vom vergangenen Donnerstag im Gefängnis sitzen. (Einer der ursprünglich 24 Festgenommenen wurde wieder freigelassen.)
Eine solche Berichterstattung schafft juristische Voreingenommenheit und kommt einer Vorverurteilung gleich. Das veranlasste Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith und Innenminister John Reid bereits zu der Warnung, ein solches Vorgehen der Medien könne spätere Prozesse beeinflussen.
Die Warnung der Regierung ist unaufrichtig. Reid selbst hatte auf einer Pressekonferenz am Morgen nach den Polizeirazzien in London und den West Midlands unverblümt erklärt, man habe die Hauptakteure eines Terrorkomplotts verhaftet.
Am folgenden Tag fror die Bank von England die Konten von neunzehn der Festgenommenen ein und veröffentlichte ihre Namen. Der jüngste von ihnen ist 17, der älteste 35 Jahre alt. Diese vom Finanzministerium autorisierte beispiellose Aktion ließ Hektik unter den Medien ausbrechen, die vor den Wohnungen der Familien in Stellung gingen, Fotos veröffentlichten sowie Anwohner und Freunde ausfragten.
Das Ganze war von Behauptungen begleitet, mehr als tausend britische Bürger seien Anhänger einer fundamentalistischen islamischen Ideologie und an terroristischen Aktivitäten beteiligt. Doch nicht nur diese "Kerngruppe" wurde ausgemacht, sondern Politiker und Medien warfen auch der "muslimischen Gemeinschaft" vor, nicht gegen dieses Krebsgeschwür in ihrer Mitte vorzugehen und in ihrem religiösen Dogmatismus der Realität gegenüber blind zu sein.
Die Sunday Times widmete dem "Feind im Innern" mehrere Leitartikel. Sie personifizierte ihn als fanatischen, in Großbritannien geborenen Moslem, "der in diesem Land aufgewachsen ist und in einer toleranten Demokratie erzogen wurde". Oftmals "erscheint er nur allzu normal, vielleicht als enthusiastischer Rugby- oder Cricket-Fan, der eine normale’ Existenz nach westlichen Standards führt", aber zu einer "Generation von entfremdeten Moslems gehört, für die jeder Vorwand recht ist, ihre Mitbürger zu töten".
In einem Artikel mit dem Titel "Wie wird jemand zum Märtyrer?" schrieb der Sunday Telegraph von einem "fein gesponnenen Netz" islamischer Fundamentalisten, das "viele bisher moderate junge Moslems fängt. Sein Modus Operandi ist inzwischen gut erprobt: ein psychologisches Herangehen mit dem Ziel, unbeschriebene Blätter’ - d.h. bisher Gemäßigte - einer Gehirnwäsche zu unterziehen".
Der Telegraph zitierte einen neueren Bericht der Regierung, der davon ausgehe, dass "unter den jungen Muslimen sowohl Gebildete als auch enttäuschte Arme für Radikalisierung und manchmal auch für den Terrorismus empfänglich sind: Erstere an den Universitäten, Letztere in Moscheen und Gefängnissen. Der Antrieb ist dabei ein Gefühl der Aussichtslosigkeit in ihrem bisherigen Leben."
Wenn man solche Behauptungen ernst nimmt, so wären hunderte junger Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen, bis hin zu den hoch Gebildeten, bereit, mit kaltblütiger Gleichgültigkeit ihre Mitbürger zu töten und zu verstümmeln.
Aber obwohl hier ein äußerst bedrohliches Szenario entworfen wird, machen die Medien und die Regierung keinerlei Anstalten, zu erklären, wie es zu einer solchen Situation kommen konnte. Unisono weisen sie empört die Vorstellung zurück, die Kriege in Afghanistan und im Irak sowie Großbritanniens Unterstützung für Israels Angriff auf den Libanon könnten zu dieser beunruhigenden Lage beigetragen haben.
Der weit rechts stehende Telegraph erklärte: "Die Extremisten, die Massenmord planen, scheinen sich aber kaum von den Einzelheiten der britischen Außenpolitik beeinflussen zu lassen." Der eher liberale Observer wies empört die Vorstellung als "absurde Lüge" zurück, dass Großbritanniens Auslandsaktivitäten als antiislamisch aufgefasst werden könnten. Man könne die Außenpolitik nicht von Leuten bestimmen lassen, die "die Grenze zu psychopatischer Kriminalität überschritten haben", erklärte die Zeitung.
Eine ähnliche Litanei wird bis zum Erbrechen von der Blair-Regierung wiederholt, um jede Kritik an ihren Kriegen und Aggressionen im Nahen und Mittleren Osten zu unterdrücken. Sie passt zu Präsident Bushs Erklärung: "Entweder ihr seid für uns oder für die Terroristen."
Solche Behauptungen stellen die Wirklichkeit auf den Kopf. Nicht jene gefährden das Leben der britischen Bevölkerung, die sich gegen imperialistischen Krieg wenden und vor seinen politischen Folgen warnen, sondern die Architekten und Befürworter dieser Kriege.
Die Medien leugnen zwar, dass die britische Außenpolitik eine Rolle spielt, bieten aber keine andere Erklärung für den Einfluss von islamischem Fundamentalismus. Die Bomben vom 7. Juli 2005 in London, der 11. September und die Anschläge von Bali und Madrid werden einfach einer "Gehirnwäsche" zugeschrieben. Der Observer erwähnt nebenbei, dass die Entfremdung junger Muslime ernst genommen werden müsse, sagt aber weder, woher diese kommt, noch was dagegen getan werden kann.
Eine Woche vor den Polizeirazzien hielt Blair in den Vereinigten Staaten eine Rede über britische Außenpolitik, in der er "den reaktionären Islam" anklagte und angeblich "globale Werte" als Alternative anpries. Die Grundlage dieser Werte sei "Freiheit, Respekt für Andersartigkeit und Vielfalt". Aus dem Mund eines Mannes, der über Bürgerrechte und demokratische Prozesse hinwegtrampelt, der sich an Verschwörungen beteiligt und gelogen hat, um das Völkerrecht mit Füßen zu treten, können solch heuchlerischen Worte nur Verachtung hervorrufen.
Blair verlangt von den Unzufriedenen, dass sie dem Altar des Mammons huldigen und Washingtons Behauptung schlucken, die Kriege für einen "Regimewechsel" seien dazu bestimmt, "Demokratie" zu verbreiten, wo sie doch Teil der Jagd auf Öl und andere lebenswichtige Ressourcen sind.
Die Wirkung der Kriege im Irak, in Afghanistan und im Libanon ist in Wirklichkeit ein wichtiger Ausgangspunkt, wenn man die wachsende Entfremdung junger Muslime in Großbritannien erklären will. Aber hieraus ergibt sich noch nicht, warum sich Antikriegsstimmungen, die von der Mehrheit der britischen Bevölkerung geteilt werden, in mörderischen und reaktionären Anschlägen niederschlagen sollten.
Das gilt auch für die wachsende soziale Polarisierung in Großbritannien, die viele junge Menschen in große Not stürzt. Millionen Menschen haben als Heranwachsende kaum die Aussicht, viele der Dinge zu erreichen, die für ihre Eltern noch selbstverständlich waren - beruflicher Aufstieg, ein eigenes Haus, einen sicheren und gut bezahlten Arbeitsplatz - und sie haben das Gefühl, in einer Welt zu leben, die sich ihnen gegenüber gleichgültig verhält.
Dies alles zusammen nährt Feindseligkeit gegen die existierende politische und wirtschaftliche Ordnung. Aber damit daraus die Bereitschaft entsteht, Unschuldige zu töten und sich dabei selbst umzubringen, müssen andere Faktoren im Spiel sein.
Früher sahen Millionen Menschen in Großbritannien und international in der Arbeiterbewegung das Werkzeug für politischen und sozialen Wandel. Der Widerstand gegen wirtschaftliche Unterdrückung, Angriffe auf demokratische Rechte und Militarismus fand politischen Ausdruck in den sozialistischen Hoffnungen, die arbeitende Menschen und besonders die junge Generation begeisterten.
Heute ist kein solcher Weg sichtbar. Stattdessen sind die Labour Party und die Gewerkschaften fest mit den Großkonzernen, mit rassistischen Einwanderungsgesetzen und einer "Identitätspolitik" verbunden, die sich auf ethnische Herkunft, Geschlecht und Religion stützt und benutzt wird, um jedes klassenbewusste Herangehen an gesellschaftliche Probleme zu untergraben.
Das ist das Ergebnis eines Prozesses, der sich über Jahrzehnte erstreckte und einen höchst schädlichen Einfluss auf das politische Bewusstsein der arbeitenden Bevölkerung ausübt. Seit Mitte der siebziger Jahre hat die offizielle Arbeitervertretung systematisch daran mitgewirkt, die soziale Lage der Arbeiterklasse zu verschlechtern. Zunächst unter den konservativen Regierungen von Margaret Thatcher und John Major und ab 1997 unter Premierminister Blair von der Labour Party haben die alten Arbeiterorganisationen eine neokonservative Politik eingeschlagen, die Großbritannien in ein Niedriglohnland und ein Steuerparadies für transnationale Konzerne und die Superreichen verwandelt hat.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, haben sie dies zur besten aller möglichen Welten erklärt und eine internationale Kampagne geführt, um den "Tod des Sozialismus" zu feiern.
Diese Regierung, die sich ihrer Entschlossenheit rühmt, den Volkswillen zu missachten und die Interessen der Finanzoligarchie durchzusetzen, verwehrt der arbeitenden Bevölkerung systematisch jedes Mittel zur Lenkung und Umgestaltung der Gesellschaft. Nicht einmal in so lebenswichtigen Fragen wie einem Krieg darf die arbeitende Bevölkerung ihren Einfluss geltend machen. Das hat Blair durch seine Geringschätzung der Massenproteste gegen den bevorstehenden Irakkrieg im Februar 2003 deutlich gezeigt.
Zunächst griff die offizielle Arbeiterbewegung das sozialistische Bewusstsein an, indem sie die proletarische Bewegung auf die so genannten "Brot-und-Butter-Fragen" des gewerkschaftlichen Kampfes beschränkte. Schon lange bevor der Kampf für eine neue Gesellschaft offiziell aufgegeben wurde, war er zur weit entfernten Utopie erklärt worden. Millionen Menschen wissen genau, dass Labours Hinwendung zum Kapitalismus eine Katastrophe für den Lebensstandard der Arbeiterklasse bedeutete. Sie müssen allerdings verstehen, dass dies auch ideologisch einen hohen Preis gefordert hat.
Zerfall und Auflösung der Arbeiterbewegung haben ein politisches Vakuum geschaffen, das letztlich Wasser auf die Mühlen der Fundamentalisten ist. Sie können das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein, ausbeuten und auf den westlichen Militarismus verweisen, wenn sie die reaktionäre Politik der herrschenden Kapitalisten als Krieg gegen den Islam darstellen. Natürlich vertreten sie eine reaktionäre Überzeugung, aber ihre Verheißungen erscheinen attraktiv, weil sie eine Welt versprechen, die besser ist als die bestehende.
Wenn man die Behauptungen des politischen Establishments und der Medien akzeptiert, die weitere Angriffe auf demokratische Rechte und neue imperialistische Militärabenteuer rechtfertigen sollen - dass sich bereits breite Schichten der muslimischen Jugend von der Gesellschaft abgewandt haben - dann lässt dies nur einen Schluss zu: Das kapitalistische System, das die gleichen Wortführer verteidigen, hat sich als vollkommen und unumkehrbar gescheitert erwiesen.
Nur das Wiederaufleben der Arbeiterbewegung auf wirklich internationalistischer und sozialistischer Grundlage kann die religiöse Verdummung überwinden, indem es in Arbeitern und Jugendlichen die Begeisterung für eine wissenschaftliche Perspektive und die Vereinigung der arbeitenden Menschheit entzündet. Die objektiven gesellschaftlichen und politischen Bedingungen für das Auftauchen einer solchen Bewegung werden täglich besser.
Dies sind die entscheidenden Fragen, die inmitten der Hysterie über die behauptete terroristische Verschwörung von Heathrow gestellt und beantwortet werden müssen wird. Auf ihrer Grundlage muss sich die Bevölkerung eine Meinung bilden.