Die heftigen Bomben- und Raketenangriffe Israels auf den Libanon und die Verhängung einer Luft- und Seeblockade über das Land haben den Nahen Osten an den Rand eines allumfassenden Kriegs gebracht. Parallel zum Angriff auf den Libanon, der von der Bush-Regierung uneingeschränkt unterstützt wird, setzt Israel auch seinen Angriff auf die Palästinenser im Gazastreifen fort, wo anderthalb Millionen Menschen schon die vierte Belagerungswoche ohne Strom erleiden, und der Nachschub an Nahrungsmitteln beinahe zum Erliegen gekommen ist.
Die Olmert-Regierung in Israel beruft sich auf zwei Zwischenfälle, bei denen am 25. Juni aus dem Gazastreifen und am letzten Mittwoch an der libanesischen Grenze israelische Soldaten entführt worden sind. Diese Entführungen dienen als Vorwand für eine gigantische Militäraktion, die ganz offensichtlich von langer Hand vorbereitet wurde. Man wird sehen, wie weit die israelische Offensive geht, ob bis Beirut, oder sogar bis Damaskus; doch es ist bereits jetzt klar, dass es dabei um strategische Ziele geht, die mit den Zwischenfällen, die sie angeblich ausgelösten nichts zu tun haben.
Kein Mensch kann ernstlich behaupten, die Bombardierung libanesischer Städte und Dörfer, die Verhängung einer Seeblockade und der Mordversuch an dem Hisbollah-Führer, Scheich Nasrallah seien taugliche Mittel, um die Freilassung der gefangenen israelischen Soldaten zu bewirken. Viel wahrscheinlicher ist es, dass infolge dessen die zwei von Hisbollah festgehaltenen Soldaten entweder von ihren Entführern oder als Ergebnis israelischer Bombeneinschläge, getötet werden.
So wird auch im Gazastreifen die wahllose Tötung Dutzender Palästinenser durch Bomben, Panzergranaten und Luft-Boden-Raketen nichts dazu beitragen, Gilad Schalit zu befreien, den Soldaten, der von islamischen Militanten bei einem Vorstoß über die Gazagrenze nach Südisrael gefangen genommen wurde.
Israel hat langjährige Erfahrung darin, solche Ereignisse als Vorwand für militärische Aktionen zu nehmen, die viel weiter reichende strategische Ziele verfolgen. So wurde 1978 eine ausgedehnte Invasion in den Libanon eröffnet, wofür die Erschießung des israelischen Botschafters in Großbritannien durch palästinensische Freischärler als Vorwand herhalten musste. Erst viel später kam heraus, dass die Invasion von langer Hand geplant war und nur auf einen geeigneten Zwischenfall als passende offizielle Begründung gewartet worden war.
Das gleiche Muster wird heute in Gaza und dem Libanon angewandt. Das israelische Regime macht kein Geheimnis daraus, dass es darauf brennt, die Hamas-geführte Palästinensische Autonomiebehörde zu zerschlagen. Die Wirtschaftsblockade, die nach dem Hamas-Sieg im Januar bei den palästinensischen Parlamentswahlen verhängt worden war, wurde zu einer vollständigen militärischen Sperrung des Gazastreifens ausgedehnt, wo Hamas die größte Unterstützung hat.
Im Libanon ist das Minimalziel Israels die physische Zerstörung der schiitisch-islamischen Hisbollah, die im südlichen Drittel des Landes die Kontrolle ausübt. Eine umfangreiche Invasion israelischer Bodentruppen im Südlibanon ist mehr als wahrscheinlich. Israels Verteidigungsminister Peretz sagte: "Wenn nicht die Regierung des Libanon ihre Truppen einsetzt, wie man es von einer souveränen Regierung erwarten muss, dann werden wir nicht zulassen, dass Hisbollah-Kräfte noch länger an der Grenze zu Israel verbleiben." Anders ausgedrückt: Wenn die libanesische Armee Hisbollah nicht unterdrückt - und davon geht niemand aus - dann wird die israelische Armee das tun.
Eine US-Militärintervention im Libanon ist ebenfalls gut möglich. In den amerikanischen Medien wurde am Freitag vermutet, dass die Anfangsplanung einer solchen Intervention bereits weit fortgeschritten ist und den Einsatz von 2.200 Marinesoldaten mit Helikoptern beinhaltet, die nahe Beirut landen sollen. Sie sollten den Schutz der 25.000 amerikanischen Staatsbürger übernehmen, die durch die israelische Blockade im Libanon festsitzen.
Möglich sind auch getrennte oder gemeinsame amerikanisch-israelische Luftschläge gegen Syrien und den Iran und sogar eine Bodeninvasion in Syrien. Natürlich richtete die Bush-Regierung, ebenso wie die Kongressabgeordneten der Demokraten und Republikaner im Einklang mit den amerikanischen Medien ihre Schuldzuweisungen an Syrien und den Iran die angeblich für die Verschärfung der Situation verantwortlich sind, weil sie die Handlungen der Hisbollah nicht unterbinden.
In den Medien taucht permanent die Spekulation auf, die Hisbollah-Entführung der zwei israelischen Soldaten sei von Teheran als Vergeltung dafür angeordnet worden, dass der Iran letzte Woche wegen seines Atomprogramms vor den UN-Sicherheitsrat zitiert worden war. Die Bush-Regierung behauptet außerdem, Syrien sei schuld an dem Aufstand, der zur Zeit die irakische Provinz Anbar erschüttert, da über die syrische Grenze Nachschub und neue Kämpfer in den Irak gelangt seien.
Doch die wirklichen Ursachen für die zugespitzte Situation liegen wo anders. Die US-Invasion und Besetzung des Irak bedeuten für das irakischen Volk eine wahre Massenvernichtung: Das Gemetzel wird immer unerträglicher, Zehntausende Menschen sind bereits von Mordbanden und Milizen durch Autobomben und andere Terrorakte, wie auch durch die Bomben, Raketen, wahllosen Schießereien und brutale Morde der amerikanischen Besatzer getötet worden.
Letzte Woche wurde berichtet, dass allein im Juni 1.595 Leichen in das Leichenschauhaus von Bagdad eingeliefert wurden. Das ist die bisher höchste Zahl im eskalierenden Bürgerkrieg. Die US-Armee hat ihrerseits weit über 2.500 Todesopfer zu beklagen. Rechnet man die Zahl der toten US-Soldaten in Afghanistan hinzu, wird Bush bald mehr amerikanische Menschenleben auf dem Gewissen haben als die Terroristen, die am 11. September 2006 New York und Washington angegriffen haben.
Die Bush-Regierung wird sich nicht aus dem Irak zurückziehen, aber sie kann auch den Status Quo nicht aufrechterhalten, da das Land immer tiefer im Bürgerkrieg versinkt. Gleichzeitig wird der Krieg in der amerikanischen Bevölkerung immer stärker abgelehnt. Viele amerikanische Politiker sind über die katastrophale Situation im Irak frustriert und glauben, die einzige Hoffnung auf einen militärischen Erfolg bestehe darin, "das Problem auszuweiten", wie es Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ausgedrückt hat. Sie glauben, der Iran nutze seinen wachsenden Einfluss auf die Schiitenbevölkerung und auf die Milizen im Irak, um die US-Kontrolle über das Marionettenregime in Bagdad zu untergraben und deshalb sei eine militärische Konfrontation mit Teheran unvermeidlich.
Das Wall Street Journal, die halb-offizielle Stimme dieser Schicht in der Elite, veröffentlichte am Freitag einen Leitartikel mit der Überschrift "Terrorstaaten", in dem Militäraktionen gegen Syrien und den Iran ausdrücklich befürwortet wurden. In dem Artikel heißt es: "Es wird keine Lösung im Libanon und im Gazastreifen geben, bis die Regimes in Syrien und dem Iran davon überzeugt sind, dass sie einen Preis dafür zu zahlen haben..."
Nach Kritik an Außenministerin Condoleezza Rice, die pro forma dazu aufgerufen hatte, "alle Seiten sollten mit Zurückhaltung agieren", heißt es im Wall Street Journal weiter: "Das Weiße Haus hat Syrien und den Iran als Verantwortliche für die Ereignisse dieser Woche benannt, doch sind jetzt kraftvollere Worte und Taten nötig."
Die ausufernde Krise im Nahen Osten ist keine Überraschung: Sie folgt aus der massiven Militärintervention der Vereinigten Staaten im Irak und in Afghanistan und der immer aggressiveren und abenteuerlicheren Politik des amerikanischen Imperialismus in der ganzen Region. Darunter fällt auch, dass die Bush-Regierung Israel freie Hand gegeben hat, um seine von den USA finanzierte und aufgebaute Kriegsmaschinerie gegen seine Nachbarn und gegen die bedrängte und unterdrückte palästinensische Bevölkerung einzusetzen.
Die Politik der Vereinigten Staaten und Israels stützt sich auf eine nicht endende Serie von Kriegen. Die gesamte Außenpolitik der Bush-Regierung basiert auf der Überzeugung, dass die amerikanische Militärmacht und das hochtechnologische Waffenarsenal jedes Problem lösen könne. In ähnlicher Weise definiert sich das zionistische Projekt über uneingeschränkte Gewaltanwendung gegen die Palästinenser und andere Zielobjekte wie die Hisbollah. Für die Menschen in der Region, auch für die jüdische Bevölkerung Israels, hat sich die Politik beider Staaten als katastrophal erwiesen.
Als Satellitenstaat der USA ist Israel schon seit langem von umfangreicher amerikanischer Wirtschafts- und Militärhilfe abhängig. Auf der Grundlage der unbestrittenen internationalen Vorherrschaft der USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat es in den vergangenen zehn Jahren Verhandlungen mit den Palästinensern über Gebietsfragen abgelehnt und stattdessen versucht, der palästinensischen Autonomiebehörde seine Diktate einseitig aufzuzwingen.
Das war die Bedeutung von Scharons Rückzug im vergangenen Jahr aus dem Gazastreifen, als eine Handvoll nicht zu haltender Siedlungen geschlossen wurde, um rings um 1,5 Millionen Palästinenser eine internationale Grenze zu ziehen, und für mindestens die nächsten fünfzehn Jahre eine jüdische Mehrheit in Israel und den übrigen besetzten Gebieten sicherzustellen.
Ähnliche Überlegungen bestimmen den Mauerbau und die Umsiedlungen der Olmert-Regierung im Westjordanland. Im Gegenzug zur Schließung einer Handvoll winziger zionistischer Siedlungen legt Olmerts Regierung einseitig neue Grenzen fest, die das beste Land, einschließlich Jerusalems, den Israelis zusprechen und den Palästinensern einen Rumpfstaat lassen, der gerade einmal noch sechzig Prozent der besetzten Gebiete umfasst.
In den letzten Tagen wurde in den amerikanischen Medien massiv über die Hamas und Hisbollah hergezogen, die als Terrororganisationen hingestellt und als passende Zielobjekte einer massiven Eskalation militärischer Gewalt empfohlen wurden. Aber letztlich sind nicht diese oder jene Organisation im Visier der Vereinigten Staaten und Israels, sondern die unterdrückten Massen des ganzen Nahen Ostens. Ihr Ziel ist die Zerstörung des Kampfeswillens der vielen Millionen Menschen, die die zionistische Vertreibung des palästinensischen Volkes nie akzeptiert haben, und die die amerikanische Eroberung des Irak und die Errichtung eines neokolonialen Marionettenregimes in Bagdad nie akzeptieren werden.
Die Politik der Vereinigten Staaten und Israels hat einen Aspekt, der völlig kontraproduktiv und unlogisch erscheint. Die Bush-Regierung spielte eine entscheidende Rolle bei der Bildung der gegenwärtigen libanesischen Regierung, und der erzwungene Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon wurde als eine ihrer wenigen außenpolitischen Erfolge im Nahen Osten gefeiert. Aber der Angriff Israels droht die Regierung in Beirut zu destabilisieren und zu diskreditieren, da sie nur hilflos zuschauen kann, wie libanesische Bürger momentan zu Dutzenden, bald vielleicht zu Hunderten und Tausenden, getötet werden.
Es mag auch irrational scheinen, dass eine Regierung, die es nicht geschafft hat, den Irak mit seiner Bevölkerung von 26 Millionen Menschen zu unterwerfen, ins Auge fassen könnte, Syrien (mit 18 Millionen Menschen) und sogar den Iran (mit 75 Millionen Menschen) anzugreifen. Aber solche Angriffe sind das logische Resultat der imperialistischen Perspektive, die es dem amerikanischen Imperialismus möglich erscheinen lässt, dem Nahen Osten mit nackter Gewalt seinen Willen aufzuzwingen und die Kontrolle über die riesigen Ölvorräte der Region zu erlangen.
Tatsächlich hat sich die Invasion im Irak für den amerikanischen Imperialismus als ein strategisches Desaster erwiesen. Sie hat die Bevölkerung der gesamten Region und buchstäblich Milliarden Menschen weltweit gegen den US-Imperialismus aufgebracht und ihre potentiellen Illusionen zerstört, dass die Vereinigten Staaten mit Demokratie, Freiheit oder dem Kampf gegen Kolonialismus identifiziert werden könnten.
Seit der Gründung des Staates Israel sind jetzt 58 Jahre vergangen, und 39 Jahre seit dem Sechs-Tage-Krieg, der die zionistische Kontrolle auf das palästinensische Westjordanland und den Gazastreifen ausdehnte. Diese sechs Jahrzehnte waren von nicht enden wollender Gewalt, von Krieg, Unterdrückung, gezielten Ermordungen und der Vertreibung ganzer Bevölkerungsteile geprägt. Jetzt droht ein neuer, noch schrecklicherer Krieg.
Die erste Voraussetzung für eine Lösung der Krise im Nahen Osten besteht darin, dass der amerikanische Imperialismus aus der Region vertrieben wird. Deshalb fordern die World Socialist Web Site und die Socialist Equality Party den sofortigen Rückzug aller US-Truppen aus dem Irak und vom Persischen Golf. Darüber hinaus muss die finanzielle Unterstützung Washingtons für die israelische Vorherrschaft über das palästinensische Volk sofort beendet werden.