Der Landesverfassungsschutz von Berlin hat in den letzten drei Jahren systematisch das Berliner Sozialforum ausspioniert, das sich in der Hauptstadt gegen die Politik des Sozialbbaus gegründet hat. Diese Affäre enthüllte der Spiegel vergangenen Monat, und sie wurde inzwischen durch eine Anhörung vor dem Berliner Abgeordnetenhaus bestätigt.
Beim Berliner Sozialforum handelt es sich um ein im Jahr 2003 gegründetes loses Bündnis aus kleineren linken Parteien, Erwerbsloseninitiativen und anderen politische Organisationen, das sich für die Wahrung der Rechte von Hartz-IV-Empfängern einsetzt und durch politische Veranstaltungen, Diskussionen und Aktionen versucht, Druck auf die Regierung auszuüben, um diese zu einer sozialeren Politik zu bewegen. Die Regierung - die in Berlin aus Vertretern der SPD und der Linkspartei.PDS besteht - reagierte auf diesen Druck jedoch, wie nun bekannt wurde, indem sie den Verfassungsschutz in die Organisationen schickte, um deren Mitglieder auszuspionieren.
Besonderes Augenmerk galt dabei offenbar der Bespitzelung des Sozialwissenschaftlers Peter Grottian, der eine Professur für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin innehat und ehrenamtlich an vielen sozialen Initiativen mitwirkt.
Grottian ist vor allem mit der Initiative Berliner Bankenskandal ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Die Initiative hatte insbesondere 34.500 Unterschriften von Berliner Bürgern gesammelt, um mit einem Volksbegehren die Rücknahme der von der rot-roten Berliner Landesregierung abgegebenen Bürgschaft über 21,6 Milliarden Euro für die Immobilienrisiken der Berliner Bankgesellschaft zu bewirken. Auch sollten mit dem Volksbegehren härtere Konsequenzen für die verantwortlichen Manager und Politiker des Bankenskandals erzwungen werden, von denen einige bis heute mit Hilfe üppiger Rentenzahlungen des Landes auf Kosten der geprellten Bevölkerung ein angenehmes Leben führen.
Nachdem weitaus mehr als die erforderliche Anzahl von Unterschriften eingereicht worden war, lehnte der Senat die Durchführung des Volksbegehrens kurzerhand mit der fadenscheinigen Begründung ab, das Ergebnis des Volksbegehrens könnte einen Eingriff in den Berliner Landeshaushalt zur Folge haben. Ein derartiger Eingriff sei durch die Berliner Landesverfassung jedoch ausgeschlossen und das Volksbegehren deshalb als unzulässig abzulehnen. Die Initiative legte daraufhin Einspruch beim Verfassungsgericht Berlin ein. Grottian stellte fest, dass direkte Demokratie offenbar immer dort aufhöre, wo es um Geld geht.
Im Übrigen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft gegenwärtig gegen Professor Grottian, weil er die Öffentlichkeit in groben Zügen über die Anklage der Staatsanwaltschaft informiert hatte, die in einem Prozess im Zusammenhang mit dem Bankenskandal erhoben worden war. Das Amtsgericht Tiergarten verhängte zudem ein Strafbefehl über 3.000 Euro gegen ihn, weil er die Berliner Empfänger von Arbeitslosengeld II zum Schwarzfahren aufgerufen hatte. Grottian hatte allerdings die Übernahme der 40 Euro Strafgebühr pro Schwarzfahrer angeboten. Mit dieser Aktion sollte Druck auf den Senat ausgeübt werden, das Sozialticket wieder einzuführen, das wie viele andere Sozialleistungen der rücksichtslosen Haushaltssanierung durch SPD und Linkspartei.PDS zum Opfer gefallen ist.
Nachdem die Bespitzelung des Berliner Sozialforums aufgeflogen war, rechtfertigte der Innensenator, dessen Aufsicht das Landesamt für Verfassungsschutz untersteht, die geheimdienstlichen Aktivitäten damit, dass das Berliner Sozialforum von "autonomen Gruppen" unterwandert worden sei, die verfassungsfeindliche Ziele vertreten würden.
Als dann bekannt wurde, dass von den V-Leuten mehrere Aktenordner voll detaillierter Protokolle von Diskussionen samt Namensnennungen angefertigt und aufbewahrt wurden, räumte die Verfassungsschutzbehörde einen gewissen Übereifer ein und der Innensenator bot an, die einschlägigen Akten sogleich zu vernichten, und zwar noch vor Abschluss einer Untersuchung durch den Verfassungsschutzausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Dies konnte bislang verhindert werden.
Die systematische Bespitzelung der Mitglieder des Berliner Sozialforums kann nicht einfach als ein Versehen abgetan werden. Vielmehr ist sie Ausdruck einer tiefgehenden gesellschaftlichen Veränderung. Die enorme soziale Polarisierung, die in der Hauptstadt vom rot-roten Senat in den vergangenen vier Jahren im Rekordtempo vorangetrieben wurde, ist in zunehmendem Maße unvereinbar mit der Aufrechterhaltung selbst der elementarsten demokratischen Grundrechte der Bevölkerung.
Die offizielle Politik kennt als Antwort auf den wachsenden sozialen Protest nur Repression und Einschüchterung. Bereits auf einer kleineren Demonstration gegen Sozialabbau, die Anfang Juni in Berlin stattfand, traten Berliner Polizeikräfte mit unverhältnismäßigen Mitteln gegenüber den Demonstranten auf und versuchten, massiv die Abschlusskundgebung zu stören.
Gegen den unbequemen Professor Peter Grottian wurde von dem CDU-Politiker Nicolas Zimmer sogar schon ein Disziplinarverfahren gefordert, mit dem Ziel einer möglichen Entlassung aus dem Staatsdienst.
Besonders bemerkenswert in der Bespitzelungsaffäre ist die Rolle der Linkspartei.PDS. Diese fordert zwar in ihrem Programm die Abschaffung der Geheimdienste, und Gruppierungen in ihren eigenen Reihen werden seit geraumer Zeit unter dem Vorwurf des "Linksextremismus" selbst vom Verfassungsschutz überwacht. Dennoch akzeptiert sie im Wesentlichen die Aktivitäten des Landesverfassungsschutzes in Berlin. Ihre Kritik beschränkt sich darauf, dass die vorgeschriebenen Kriterien für eine Überwachung durch den Verfassungsschutz - die Geheimhaltung von Aktivitäten oder die Vorbereitung staatsfeindlicher Aktivitäten - beim Berliner Sozialforum nicht erfüllt gewesen seien.
Bisher lässt sich nicht sicher sagen, inwieweit die Linkspartei.PDS, die immerhin in der Landesregierung sitzt, unmittelbaren Einblick in die Aktivitäten des Landesamtes für Verfassungsschutz hatte. Während sie offiziell jede Kenntnis der Bespitzelungen abstreitet, ist sie mit Steffan Zillich selbst mit einem Mitglied im Verfassungsschutzausschuss des Abgeordnetenhauses vertreten.
Die Linkspartei.PDS ist kein unbeschriebenes Blatt. Als frühere Staatspartei der DDR hat sie eine lange Tradition in der Unterdrückung jeglicher politischer Opposition. Nach mehrfacher Umbenennung und deutlichen Bekenntnissen zur Marktwirtschaft ist sich diese Partei in einem zentralen Punkt stets treu geblieben: Sie fürchtet nichts mehr, als eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiterklasse. Eine solche Bewegung zu verhindern, betrachtet sie als ihre wichtigste Aufgabe.
Es gibt mithin keinen Grund zu der Annahme, dass die Linkspartei.PDS nicht auf die Mittel der Bespitzelung und Unterdrückung zurückgreifen wird, die bereits die SED gegen die Arbeiterklasse in der DDR benutzt hat. Auf eine Verschärfung der sozialen Spannungen wird diese Partei zweifellos mit einem zunehmend aggressiven rechten Kurs reagieren.