Die Bush-Regierung verfügt über weit fortgeschrittene Pläne und Vorbereitungen für einen massiven Luftkrieg gegen den Iran. Auch der Einsatz von taktischen Atomwaffen gegen ausgewählte Ziele wird in Betracht gezogen, wie diese Woche bekannt wurde.
"Ehemalige und heutige amerikanische Militär- und Geheimdienstmitarbeiter haben berichtet, Planungsgruppen der Air Force seien dabei, Listen mit Zielobjekten zu erstellen, und amerikanische Kampftruppen seien verdeckt in den Iran entsandt worden, um Zielkoordinaten zu sammeln und Kontakt mit regierungsfeindlichen nationalen Minderheiten aufzunehmen", schreibt der Enthüllungsjournalist Seymour Hersh in der neuen Ausgabe des Magazins New Yorker vom 17. April.
Der New Yorker -Bericht wird von einem Artikel der Washington Post vom letzten Sonntag weitgehend bestätigt, in dem es heißt: "Zwar wird keine Invasion in Betracht gezogen, aber Offiziere wägen Alternativen ab, die von begrenzten Luftschlägen gegen Schlüsselziele des Nuklearkomplexes bis hin zu einem umfangreichen Bombenkrieg reichen, der eine ganze Reihe militärischer und politischer Objekte zerstören soll."
Die Post fügte hinzu, dass die Regierung "ambitionierte Angriffe mit Bomben und Cruise Missiles in Betracht zieht, die viel weitergehende Ziele als die Zerstörung von Nuklearanlagen verfolgen, wie z.B. die Bombardierung von Geheimdienstzentralen, der Revolutionären Garden und Teilen der Regierung". Auch sie schrieb, die Kriegsplaner zögen "den Einsatz von Atomwaffen in Betracht".
Nach Hershs Darstellung ist "das eigentliche Ziel Präsident Bushs", auch wenn die militärischen Planspiele angeblich der Zerstörung der iranischen Produktionskapazitäten für Atomwaffen dienen, "ein Regimewechsel im Iran".
Beamte haben Hersh erzählt, die Pläne des Pentagon zielten auf die Bombardierung vieler hunderter Ziele im Iran ab, von denen die meisten gar nichts mit dem Nuklearprogramm des Landes zu tun haben.
Einem ungenannten früheren Pentagon-Beamten zufolge, den Hersh in seinem Bericht zitiert, geht die Strategie der Bush-Regierung von der Voraussetzung aus, dass "anhaltende Bombenangriffe auf den Iran die religiöse Führung erniedrigen und zu Unruhen in der Bevölkerung und zum Sturz der Regierung führen" würden. Der frühere Beamte sagte Hersh: "Ich war schockiert, als ich das hörte, und fragte mich, was die wohl geraucht hätten."
Die Vorstellung, dass hohe amerikanische Politiker sich tatsächlich einbilden, amerikanische Bombenangriffe, die zweifellos Tausende Menschenleben kosten und einen bedeutenden Teil der iranischen Infrastruktur zerstören würden, könnten einen pro-amerikanischen Aufstand provozieren, ist wahrhaftig phantastisch.
Noch bedrohlicher ist allerdings die Tatsache, dass es hier Pläne für den ersten Kriegseinsatz mit Atomwaffen seit dem amerikanischen Atombombenabwurf von 1945 auf Hiroschima und Nagasaki geschmiedet werden - und zwar dieses Mal völlig unprovoziert.
Laut Hersh präsentierte das Pentagon dem Weißen Haus in diesem Winter Pläne "für den Einsatz von Bunker-brechenden taktischen Atomwaffen, wie der B61-11, gegen unterirdische Atomanlagen. Ein Ziel ist die zentrale Zentrifugenanlage des Iran in Natanz, etwa 320 km südlich von Teheran."
Weiter wird in dem Artikel ein ehemaliger Verteidigungsexperte mit der Aussage zitiert, amerikanische Kampfflugzeuge hätten von Flugzeugträgern im Arabischen Meer aus "im vergangenen Sommer simulierte Angriffe mit Atomwaffen in Reichweite des iranischen Küstenradars geflogen - Manöver, bei denen das Flugzeug rasch aufsteigt und die als Bombardieren über die Schulter’ bezeichnet werden".
Ein ehemaliger hoher Geheimdienstoffizier sagte Hersh, die USA würden kaum um den Einsatz von Atomwaffen herumkommen, wenn sie die Nuklearanlagen des Iran zerstören wollten, die weit verstreut liegen und teilweise in stark befestigten, unterirdischen Bunkern untergebracht sind. "Alle anderen Optionen lassen nach Ansicht unserer Nuklearwaffen-Befürworter eine Lücke", sagte der Experte. "Das Schlüsselwort der Air Force-Planer lautet entscheidend’. Es ist eine harte Entscheidung. Aber wir haben sie auch in Japan getroffen."
"Wir reden über Atompilze"
Zu den Konsequenzen eines Atomangriffs sagte der Offizier Hersh zufolge: "Wir sprechen hier über Atompilze, Strahlung, Tausende Opfer und jahrelange Verstrahlung. Hier geht es nicht um einen unterirdischen Atomversuch, wo sich die Erde lediglich ein wenig hebt. Diese Politiker haben keine Ahnung, und wenn jemand versucht, das [die nukleare Option] auszuschließen, wird er niedergeschrieen."
Hersh berichtet, der drohende Einsatz von Atomwaffen gegen den Iran stoße auf entschiedenen Widerstand hoher Offiziere des Militärkommandos. Einige hätten deswegen mit Rücktritt gedroht. In der Washington Post hieß es dazu: "Viele Offiziere und Spezialisten sind über das Säbelrasseln besorgt. Ein Schlag gegen den Iran würde sein Nuklearprogramm bestenfalls um ein paar Jahre zurückwerfen, warnen sie, dafür aber die internationale Meinung gegen die Vereinigten Staaten aufbringen, besonders in der muslimischen Welt und im Iran selbst. Die US-Truppen im Irak wären dann ein leichtes Ziel für Vergeltungsschläge."
Es wird spekuliert, dass solche Berichte Teil der Strategie der Bush-Regierung sind, die iranische Regierung so weit einzuschüchtern, dass sie ihr Nuklearprogramm kampflos aufgibt. Andererseits gibt es Grund zur Annahme, dass hohe Offiziere der militärischen Hierarchie die Diskussion über Atomangriffe an die Öffentlichkeit bringen, um sie zu vereiteln, bevor die Bush-Regierung sie in die Tat umsetzen kann.
Die iranische Regierung hat die Kriegsdrohung als Einschüchterungstaktik abgetan. "Wir betrachten das [die geplanten Luftschläge] als psychologische Kriegsführung, die das Ergebnis von Amerikas Wut und Hilflosigkeit sind", sagte der Sprecher des Außenministeriums Hamid Resa Asefi den Medien. Gleichzeitig beschuldigte er Washington, eine Krise provozieren zu wollen. "Sie wollen keine Vereinbarung mit der Internationalen Atomenergiekommission und mit den Europäern", sagte er.
Washingtons wichtigster Verbündeter im Irakkrieg, Großbritannien, wies die Vorstellung der tatsächlichen Gefahr eines US-Kriegs gegen den Iran ebenfalls zurück. "Es gibt keinen rauchenden Colt, es gibt keinen casus belli ", sagte der britische Außenminister Jack Straw. "Wir haben noch keine Gewissheit über die Absichten des Iran, und es gibt deshalb noch keine Grundlage, auf der jemand autorisiert wäre, militärische Maßnahmen zu ergreifen."
Laut der Washington Post hat die Blair-Regierung aber "ihre eigene Planung für den Fall eines möglichen Schlags der USA begonnen. Sie studiert die Sicherheitsvorkehrungen für ihre Botschaft und Konsulate, für britische Bürger und Firmeninteressen im Iran sowie für Schiffe in der Region und britische Truppen im Irak".
Viele Beobachter weisen darauf hin, dass es unvernünftig wäre, einen Krieg gegen den Iran unter Umständen zu beginnen, unter denen das US-Militär bereits im benachbarten Irak überansprucht ist und unter denen Luftschläge jenseits der Grenze ohne Zweifel Aufstände der irakischen Schiiten auslösen würden, was die US-Besatzung noch unhaltbarer machen würde.
Solche Vertröstungen gehen von der ungerechtfertigten Annahme aus, dass vernünftige Überlegungen bei der Ausarbeitung der Politik der Bush-Regierung eine vorrangige Rolle spielen. Ein kriminelles und waghalsiges militärisches Abenteuer ist sehr gut möglich, nicht zuletzt aufgrund der wachsenden innenpolitischen Krise der Bush-Regierung, deren Umfragewerte auf ein historisches Tief gesunken sind und die durch eine Reihe politischer Zeitbomben bedroht wird: Durch die Verschlechterung der Lage im Irak, durch wirtschaftliche Instabilität und durch Ermittlungen wegen Korruption und Machtmissbrauch.
Es ist sehr wohl möglich, dass sie einen weiteren Krieg beginnt, um die öffentliche Meinung abzulenken und einzuschüchtern. Ein Angriff auf den Iran würde der Bush-Regierung vermutlich auch einen wirklichen "Krieg mit dem Terror" bescheren und damit ihre Angriffe auf demokratische Rechte in den USA erleichtern und weitere militärische Abenteuer gegen China und Russland rechtfertigen. Die Meisten, die mit den politischen Verhältnissen in der Region vertraut sind, gehen davon aus, dass ein US-Schlag gegen den Iran eine Vergeltungskampagne gut organisierter und ausgerüsteter Kräfte gegen amerikanische Ziele auslösen würde, und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb der Vereinigten Staaten.
Von Seiten der Führung der Demokratischen Partei gab es so gut wie keinen Protest gegen die angedrohten Nuklearschläge. Viele führende Vertreter der Partei, einschließlich Senatorin Hillary Clinton, haben Bush in der Iran-Frage wiederholt von rechts angegriffen und der Regierung vorgeworfen, sie verfolge gegenüber Teheran keinen ausreichend harten Kurs.
Laut Hershs Bericht war mindestens ein führender demokratischer Kongressabgeordneter anwesend, als die Regierung mit Kongressmitgliedern über Kriegspläne gegen den Iran diskutierte. Unter Berufung auf einen ungenannten Abgeordneten berichtet Hersh, es habe bei der Unterrichtung lediglich Fragen über die technischen Möglichkeiten des Militärs gegeben, einen wirkungsvollen Schlag zu führen. "Von Seiten des Kongresses gibt es keinen Druck" gegen die Durchführung eines Militärschlags gegen den Iran, sagte der Abgeordnete.
Hinter der allgemeinen Übereinstimmung des herrschenden Establishments der USA in der Frage eines Militärschlags gegen den Iran stehen dieselben Interessen wie beim Irakkrieg, der ebenfalls von beiden Parteien unterstützt wird. Wie "ein hochrangiger Diplomat" Hersh erklärte, ist "die wirkliche Frage, wer in den nächsten zehn Jahren den Mittleren Osten und sein Öl kontrolliert".