Entgegen den Aussagen der alten und der neuen Bundesregierung hat der Bundesnachrichtendienst (BND) die USA im Irakkrieg massiv unterstützt. Das geht aus einem Bericht des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele hervor, der für die Grünen im parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) für die Geheimdienste sitzt.
Die ARD-Sendung Panorama und die Süddeutsche Zeitung hatten Mitte Januar über die Aktivitäten zweier BND-Agenten berichtetet, die während des Kriegs in Bagdad stationiert waren und dort Ziele für die vorrückenden amerikanischen Truppen identifiziert haben sollen. Das PKG ist diesen Vorwürfen in den vergangen Wochen nachgegangen. Es versuchte außerdem, Licht in die Entführung des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri durch den US-Geheimdienst CIA und die Vernehmung des Deutsch-Syrers Mohammed Zammar durch deutsche Beamte in einem syrischen Foltergefängnis zu bringen. Auch die Gefangenenflüge der CIA in Europa waren Thema der Gremiensitzungen.
Nach übereinstimmender Aussage aller Teilnehmer erteilte die Bundesregierung dem PKG weitgehende Auskünfte. Sie wollte so vermeiden, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss gebildet wird, der im Gegensatz zum geheim tagenden PKG öffentlich arbeitet und über besondere Aufklärungsbefugnisse verfügt.
Am Donnerstag veröffentlichte die Bundesregierung dann selbst neunzig Seiten aus dem Bericht, den sie dem Gremium vorgelegt hatte. Das ist ein Novum in der Geschichte des PKG, dessen Mitglieder sonst selbst gegenüber der eigenen Fraktion zu striktem Stillschweigen verpflichtet sind. Andere Teile des Berichts wurden dagegen mit der Begründung, es gelte geheimdienstliche Quellen zu schützen, unterdrückt.
Der veröffentlichte Bericht bemüht sich, die Verantwortlichen in Regierung und Geheimdienst von allen Vorwürfen reinzuwaschen. Die Regierung rechtfertigt den Irak-Einsatz des BND und andere Aktivitäten der Sicherheitsbehörden und weist jede Kritik daran zurück. Sie gibt zwar zu, dass der BND Meldungen seiner in Bagdad stationierten Agenten an die USA weitergegeben habe, aber diese hätten nicht der Identifizierung von Kriegszielen, sondern dem Schutz von Einrichtungen gedient. Von der Entführung el-Masri durch die CIA hätten deutsche Stellen erst nach seiner Rückkehr erfahren, über CIA-Gefangenenflüge lägen der Bundesregierung keine Informationen vor.
Der Bericht der Regierung rechtfertigt auch die Verwertung von Verhören, die von ausländischen Ermittlern geführt werden, auch wenn dabei gefoltert wird - bzw., wie es in dem Bericht beschönigend heißt, diese "im Einzelfall mit einer Verletzung von Rechten der Befragten einhergehen".
Die Vertreter der Regierungsparteien Union und SPD akzeptierten diesen Bericht bereits am Mittwoch, als er im PKG abschließend beraten wurde, und entlasteten Regierung und Sicherheitsbehörden von allen Vorwürfen. Der Vertreter der Grünen, Hans-Christian Ströbele, reagierte, indem er seinerseits das Schweigen brach und eine elfseitige "abweichende Bewertung" veröffentlichte, die die Behauptungen der Regierung Punkt für Punkt wiederlegt.
Ströbele erhebt dabei Vorwürfe gegen den BND, die weit über das hinausgehen, was Panorama und die Süddeutsche Zeitung vor einigen Wochen berichtet hatten. Er gelangt zum Schluss: "Die Vorstellung, dass die beiden BND-Mitarbeiter in Bagdad für die Kriegführung der US-Streitkräfte eine relevante Rolle gespielt haben können, ist keineswegs abwegig, wie die Mehrheit des Gremiums bewertet hat."
Als erstes zerpflückt Ströbele die Behauptung der Regierung, es habe für die betroffenen BND-Mitarbeiter "eine klare und eindeutige Auftrags- und Weisungslage gegeben, keine Unterstützung für operative Kampfhandlungen der US-Streitkräfte im Irakkrieg zu leisten".
Solche Anweisungen seien zwar mündlich erteilt worden, sie seien aber weder schriftlich festgehalten noch sei ihre Einhaltung von der BND-Spitze überprüft worden. Mindestens ein befragter BND-Mitarbeiter habe von diesen Anweisungen nie erfahren. Dieser Mitarbeiter, so Ströbele, habe "nach eigenen Angaben mit den BND-Mitarbeitern in Bagdad einerseits und anderseits auch mit den US-Stellen während des Krieges täglich per Telephon Informationen ausgetauscht. Da er von den vorgegebenen Begrenzungen der Weitergabe nie erfahren hat, konnte er diese bei seinen Telephonaten, die täglich manchmal mehrfach geführt wurden, auch nicht einhalten."
Mit anderen Worten, der Verbindungsmann zwischen den BND-Agenten in Bagdad und den amerikanischen Geheimdiensten wusste nicht, dass er keine Informationen über Angriffsziele weiterleiten durfte. "Welche Informationen tatsächlich von den BND-Mitarbeitern in Bagdad an die US-Stellen gelangt sind, bleibt somit zum großen Teil ungeklärt," folgert Ströbele.
Ströbele belässt es aber nicht dabei. Er weist an Einzelfällen nach, dass der BND "neben Objekten, die von Bombardierungen ausgenommen werden sollten, ... auch eindeutig militärische Objekte schriftlich und mündlich gemeldet (hat), die als Ziele für Bomben- oder Raketenangriffe in Betracht kamen." Konkret nennt er vier schriftliche Berichte mit 11 militärischen Objekten, die weitergegeben wurden. Diese Objekte waren meist "mit Koordinaten versehen oder die Koordinaten waren bereits vorher bekannt".
Bundesregierung und BND hatten bisher strikt geleugnet, für die US-Geheimdienste Angriffsziele ausgekundschaftet zu haben. In einer mit dem Kanzleramt abgestimmten Stellungnahme gegenüber der Süddeutschen Zeitung hatte der BND noch am 11. Januar erklärt: "Entgegen anderslautender Unterstellungen ist festzuhalten, dass den Krieg führenden Parteien keinerlei Zielunterlagen oder Koordinaten für Bombenziele zur Verfügung gestellt worden sind."
Das erweist sich nun als Lüge. Nach Ströbeles Veröffentlichung musste der BND erstmals zugeben, dass er "vier Meldungen" mit "Koordinaten zu sieben militärischen Teileinheiten beziehungsweise Objekten sowie zum Restaurant im Stadtteil Mansur" weitergegeben habe.
Das "Restaurant im Stadtteil Mansur" war von US-Jets bombardiert und zerstört worden, weil sich dort angeblich Saddam Hussein aufhielt. Dabei kam es zu zahleichen zivilen Opfern. Der BND hatte stets geleugnet, US-Stellen Informationen über dieses Restaurant gegeben zu haben.
Nun heißt es, die Angaben zu Mansur seien den USA erst übermittelt worden, nachdem das Restaurant bereits zerstört war. Auch die anderen gemeldeten Ziele hätten sich erwiesenermaßen nicht für US-Angriffe geeignet. Das von den BND-Agenten benutzte Navigationsgerät sei zudem viel zu ungenau, da es eine Abweichung von mindestens 50 Metern habe.
Auch diesen Beschönigungsversuchen widerspricht Ströbeles Bericht. "Die aufgeführten Koordinaten mögen zwar nicht allein für diesen Zweck ausreichen, aber sie sind ein wichtiger Faktor, der mit anderen Komponenten aus Luftbildern und sonstigen Erkenntnissen kombiniert, ein verlässliche Zielerfassung möglich macht", schreibt er.
Er macht außerdem deutlich, dass die bekannten und von ihm detailliert dokumentierten Fälle nur die Spitze des Eisbergs waren. Die Behauptung, die im Irak stationierten BND-Agenten hätten nicht direkt mit US-Stellen kommunizieren können, sei unhaltbar. "Grundsätzlich konnte mit den Telephonen überall hin telephoniert werden. Die Verbindungen waren mit der ganzen Welt möglich."
Vorbereitend habe es im Herbst 2002 und in den ersten Tagen und Wochen des Jahres 2003 mehrere Treffen zwischen BND-Agenten und amerikanischen Geheimdienstmitarbeitern gegeben, über die es angeblich keine Aufzeichnungen geben solle. Ein BND-Mitarbeiter sei zur Jahreswende sogar zu Absprachen in die USA gereist.
Ströbele bilanziert: "Die Informationen aus Bagdad waren - anders als die Mehrheit des Gremiums annimmt - für die alliierten Streitkräfte für konkrete Kampfhandlungen ganz offensichtlich von Belang und dazu geeignet, die Streitkräfte in der taktischen operativen Kriegführung zu unterstützen."
Ströbele lässt offen, wie weit die rot-grüne Bundesregierung über die Einzelheiten des BND-Einsatzes informiert war oder wie weit die Agenten auf eigene Initiative handelten. Sein Bericht bestätigt dennoch, dass die Regierung Schröder-Fischer weit tiefer in den Irakkrieg verwickelt war, als sie das in der Öffentlichkeit zugeben wollte.