Die deutsch-amerikanische Partnerschaft gründe sich auf "gemeinsame demokratische Überzeugungen und Werte", auf Grundlage dieser Werte wollten Deutschland und die USA "gemeinsam die neuen Herausforderungen und Bedrohungen des 21. Jahrhunderts meistern". Mit diesen Worten begrüßte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am vergangenen Dienstag die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice zu einem Kurzbesuch in Berlin. Sie sagen viel über Merkel selbst und über den Charakter ihrer Regierung aus.
Von welchen "Werten" spricht Merkel?
In den Tagen vor Rice’ Ankunft beherrschten Meldungen über die gesetzeswidrigen Machenschaften des amerikanischen Geheimdiensts CIA die deutschen und internationalen Schlagzeilen. Immer neue Details über illegale Verhaftungen, Entführungen, Überstellungen und Folter kamen ans Licht. Die Berliner Zeitung fasste die Rolle der amerikanischen Regierung mit den Worten zusammen: "Keine US-Regierung hat jemals ins internationale Völkerrecht solche Schneisen der Verwüstung geschlagen - der rechtswidrige Angriffskrieg wurde zum legitimen Mittel, die durch Folter erpresste Aussage zum legalen Zweck erklärt..."
Doch Merkel hatte dazu nichts zu sagen. Stattdessen begrüßte sie öffentlich die Versicherung der US-Außenministerin, die USA handelten gemäß ihren internationalen Verpflichtungen und hielten sich bei der Bekämpfung des Terrorismus an Völkerrecht und nationales Recht - eine Versicherung, die in krassem Widerspruch zu allen bekannten Fakten steht.
Eine Woche zuvor hatte Merkel in ihrer Regierungserklärung noch die Erwartung geäußert, dass die US-Regierung unverzüglich mitteile, ob die Berichte über geheime Gefängnisse und Gefangenentransporte im europäischen Luftraum zuträfen. Am Dienstag war davon keine Rede mehr.
Und Rice, die ihrem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier bei seinem Antrittsbesuch in Washington noch Aufklärung zugesichert hatte, verweigerte jede konkrete Stellungnahme. Wie eine Gebetsmühle wiederholte sie immer wieder, dass der Krieg gegen den Terror in Übereinstimmung mit den amerikanischen und internationalen Gesetzen geschehen müsse - ohne auf eine einzige konkrete Frage einzugehen.
Als Merkel auf der gemeinsamen Pressekonferenz erklärte: "Wir haben über einen Fall gesprochen, der von der Regierung der Vereinigten Staaten als ein Fehler akzeptiert wurde", löste dies in Rice’ Mitarbeiterstab erboste Reaktionen aus. "Wir sind uns nicht ganz darüber im klaren, was sich im Kopf der Bundeskanzlerin abgespielt hat", diktierte ein Mitarbeiter auf dem Weiterflug nach Rumänien dem Reuters-Korrespondenten in den Notizblock.
Merkel hatte auf den Fall des deutschen Staatbürgers libanesischer Abstammung Khalid al-Masri angespielt, der von der CIA während eines Mazedonien-Urlaubs verhaftet, nach Afghanistan entführt und fünf Monate lang misshandelt worden war. Al-Masri hat mittlerweile vor einem amerikanischen Gericht Klage erhoben. Obwohl seine Entführung bestens dokumentiert ist, war Rice noch nicht einmal in diesem Fall bereit, ein Fehlverhalten einzugestehen.
Stattdessen verteidigte sie die Praxis der illegalen Entführungen. "Die Haltung der USA ist, dass die renditions’ rechtmäßige Praxis sind, mit Hilfe derer Terroristen auf der Straße aufgegriffen worden sind", sagte sie in den Tagesthemen der ARD. Unter "renditions" wird die heimliche Festnahme Terror-Verdächtiger und ihre Überstellung in Länder verstanden, in denen gefoltert wird.
In ihrer Regierungserklärung hatte Angela Merkel, die in der DDR aufgewachsen ist, den Fall der Mauer als "größte Überraschung meines Lebens" und "Geschenk der Freiheit" bezeichnet und sich ausdrücklich zur Demokratie bekannt. Ihr freundlicher Empfang für Rice zeigt nun, was von diesem Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie zu halten ist. Obwohl die illegalen Machenschaften der CIA die Verbrechen der DDR-Staatssicherheit in vieler Hinsicht in den Schatten stellen, schweigt sie dazu oder deckt sie ab.
Dabei geht es nicht um diplomatische Höflichkeit. In anderen Fällen reichen weit geringere Vorkommnisse aus, um den Botschafter eines Landes einzubestellen und eine geharnischte Protestnote zu verfassen. Merkels Verhalten zeigt, was von ihrer Regierung zu erwarten ist, wenn es um die Einhaltung demokratischer Rechte geht. Der Hauptgrund für ihr Schweigen besteht darin, dass sowohl die neue wie die alte Bundesregierung über die illegalen Praktiken bestens Bescheid wissen und als Komplizen daran mitwirken.
Die Bush-Administration hat, um die Vorwürfe aus Europa zum Schweigen zu bringen, entsprechende Informationen an die Presse lanciert. So veröffentlichte die Washington Post einen Bericht über den Fall al-Masri, aus dem hervorgeht, dass der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) vom amerikanischen Botschafter frühzeitig über den Fall informiert worden war. An den Verhören al-Masris in Afghanistan soll sogar dein deutscher Geheimdienstmann teilgenommen haben.
Der Fall al-Masri war aber nur die Spitze des Eisbergs. Laut Neuer Zürcher Zeitung erhält der deutsche Bundesnachrichtendienst BND von der CIA regelmäßig gekürzte Protokolle solcher Verhöre. Die Aussagen von CIA-Gefangenen seien für den BND und andere westliche Nachrichtendienste eine der wichtigsten Informationsquellen über den islamistischen Terror. "Berlin profitiert also von der Anti-Terror-Strategie der USA und empört sich zugleich über die dabei angewandten Methoden", folgert die NZZ.
Der Fall al-Masri zeigt das volle Ausmaß der Komplizenschaft der deutschen Regierung. Obwohl es sich um einen deutschen Staatsbürger handelt, hat sie nichts unternommen, um ihn zu schützen oder den Fall aufzuklären. Die Münchener Staatsanwaltschaft, die wegen al-Masris Entführung "gegen Unbekannt" ermittelte, tappte monatelang im Dunkeln, obwohl die maßgeblichen Regierungsstellen in Berlin längst Bescheid wussten.
Durch ihr Verhalten hat sich die Regierung selbst strafbar gemach. Die Süddeutsche Zeitung spricht von einem "Abgrund", "weil sich Tatbestände aufreihen, die man mit einer deutschen Bundesregierung nicht in Verbindung bringen möchte: beispielsweise Folter, also schwerste Körperverletzung, begangen durch Unterlassen. Oder Strafvereitelung im Amt, weil die Aufklärung und Verfolgung einer schweren Straftat, nämlich der Verschleppung eines deutschen Staatsbürgers, verhindert oder zumindest behindert und die ermittelnde Staatsanwaltschaft genasführt worden ist."
Der Fall al-Masri hat inzwischen derart hohe Wellen geschlagen, dass Merkel sich zu einer Reaktion gezwungen sah. Sie versprach, Außenminister Frank-Walter Steinmeier werde dazu vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags aussagen. Steinmeier hat inzwischen zugegeben, dass er im Sommer 2004 durch den Anwalt al-Masris über dessen Entführung informiert worden war. Vermutlich weiß er aber noch viel mehr. Als Chef des Kanzleramts unterhielt er die Verbindung zu den Geheimdiensten und koordinierte die Arbeit aller Ministerien, war also über alle wichtigen Vorkommnisse informiert.
Eine Aussage vor der PKG dient allerdings nicht der Aufklärung, sondern der Vertuschung. Das Gremium tagt nämlich geheim und seine Mitglieder sind zu striktem Stillschweigen verpflichtet. Es ist zudem vom neuen Bundestag noch gar nicht gewählt worden, weil die Union verhindern will, dass der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Neskovic für die Linkspartei in die PKG einzieht.
Inzwischen mehren sich allerdings Rufe nach einem öffentlichen parlamentarischen Untersuchungsausschuss. FDP-Chef Guido Westerwelle - dessen Partei selbst lange Zeit dem Außenministerium und dem BND vorstand und dabei nicht gerade durch Transparenz glänzte - bezeichnete die Entführung al-Masris als "Verbrechen eines ausländischen Geheimdiensts", das "vor den Augen der Öffentlichkeit" aufgeklärt werden müsse.
Außenminister Steinmeier könnte so zum ersten Mitglied der neuen Regierung werden, das in den Strudel einer öffentlichen Affäre gerät. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Der enge Vertraute von Bundeskanzler Gerhard Schröder gilt als Architekt der Irakpolitik der rot-grünen Bundesregierung, die damals zu heftigen Konflikten mit Washington geführt hatte. Seine Ernennung zum Außenminister, die noch von Schröder persönlich durchgesetzt worden war, gilt als Garantie dafür, dass die Regierung Merkel nicht zu stark ins Fahrwasser Washingtons gerät. Sollte er nun über den CIA-Skandal stürzen, hätte dies voraussichtlich eine weitere Annäherung zwischen Washington und Berlin zur Folge.
Zurzeit scheint es allerdings wenig wahrscheinlich, dass Steinmeier sein Amt verliert. Eines haben die jüngsten Enthüllungen dennoch deutlich gezeigt: Wie eng die rot-grüne Regierung in die illegalen Praktiken der Bush-Administration verstrickt war. Ihre Ablehnung des Irakkriegs ging nicht auf rechtliche oder moralische Skrupel zurück, sondern entsprang ausschließlich den Interessen des deutschen Imperialismus, der im Nahen Osten und im Irak seine eigenen Ziele verfolgt.