Der Bericht der Untersuchungskommission zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001, der am 22. Juli veröffentlicht wurde, ist ein umfangreiches Dokument, das ein sorgfältiges Studium erfordert. Die WSWS wird umfangreiche Analysen darüber anfertigen. Aber man kann aufgrund der Zusammensetzung der Kommission, der Themenstellung der Untersuchung und der Medienberichterstattung über seine Veröffentlichung schon jetzt einige eindeutige Schlussfolgerungen ziehen.
Im Grunde ist der Bericht zum 11. September ein Persilschein. Das 567 Seiten starke Dokument ist voller Kritik an der Regierung Bush und der Regierung Clinton, sowie an den Leistungen der Geheimdienste und der nationalen Sicherheits- und Katastrophenschutzbehörden. Aber die Kommission macht für ihr Versagen immer nur Inkompetenz, Missmanagement oder "mangelnde Fantasie" verantwortlich. Der Untersuchungsbericht geht grundsätzlich von der Annahme aus, dass CIA, FBI, das Militär und das Weiße Haus immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hätten.
Er schließt so von vornherein die wichtigste Frage aus, die durch die Ereignisse vom 11. September 2001 aufgeworfen wird: haben Regierungsbehörden diese terroristischen Gräueltaten absichtlich zugelassen - oder sogar aktiv unterstützt -, um der Bush-Regierung den notwendigen Vorwand für ihre geplanten Kriege in Zentralasien und dem Nahen Osten und für die Stärkung des staatlichen Unterdrückungsapparats im Inland zu liefern?
Die Kommission gesteht den gut dokumentierten Umstand zu, dass die Bush-Regierung schon bei ihrer Amtsübernahme Saddam Husseins stürzen wollte und schon wenige Tage nach dem 11. September mit militärischen Planungen für einen Krieg gegen den Irak begann, obwohl es keinerlei Verbindung zwischen dem Regime in Bagdad und den Terroranschlägen gab, und trotz der langjährigen Feindschaft zwischen Saddam Hussein und Al-Qaeda.
Der ehemalige Anti-Terrorismus Chef der Regierungen Clinton und Bush, Richard Clarke, sagte vor der Kommission aus, dass die Bush-Regierung in den ersten acht Monaten ihrer Amtszeit Schritte gegen Al-Qaeda verhindert habe, obwohl Clarke, CIA Direktor George Tenet und andere Geheimdienstler eindringlich vor einem bevorstehenden schweren Schlag Al-Qaedas gegen die USA gewarnt hatten. Bush selbst erhielt am 6. August 2001 von der CIA den mittlerweile berüchtigten Täglichen Präsidentenbericht mit dem Titel "Bin Laden entschlossen, in den Vereinigten Staaten zuzuschlagen". Aber der Präsident sagte vor der Kommission aus, er könne sich nicht erinnern, daraufhin irgendwelche Schritte unternommen zu haben. (Er setzte seinen Urlaub auf seiner Ranch in Texas weitere vier Wochen fort.)
Der Bericht zum 11. September zählt zehn verschiedene Gelegenheiten auf, bei denen amerikanische Regierungsbehörden "operationelle Möglichkeiten" versäumten, die Verschwörung vom 11. September aufzudecken und möglicherweise zu verhindern. Dabei wurden nicht nur "Zusammenhänge übersehen". Maßnahmen von Geheimdienstmitarbeitern erleichterten die Verschwörung vom 11. September - d.h. praktisch agierten sie zugunsten von Al-Qaeda.
So unterließ es die CIA zum Beispiel, die Polizeibehörden des Landes zu informieren, als zwei bekannte Al-Qaeda Mitglieder - und zukünftige Flugzeugentführer vom 11. September - in Los Angeles einreisten. Die zwei Männer, Khalid al-Midhar und Nawaf al-Hazmi, die auf der Fahndungsliste der CIA waren, standen zeitweise sogar im Telefonbuch von San Diego. Sie reisten im Sommer 2001 unbehelligt im Land umher, als die Erkenntnisse der Geheimdienste über einen bevorstehenden großen Anschlag von Al-Qaeda angeblich am dichtesten waren. Einer der beiden reiste problemlos noch einmal aus und wieder ein, während der andere sein Visum verlängerte.
Der Kommissionsbericht macht deutlich, dass die zwei Männer in Südkalifornien Verbündete hatten, die niemals erwähnt, geschweige denn verhaftet wurden. "Es ist unserer Meinung nach unwahrscheinlich", heißt es im Bericht, dass al-Midhar und al-Hazmi "die Vereinigten Staaten ohne die Hilfe von einem oder mehreren Individuen hätten betreten können, die schon im Voraus über ihre Ankunft informiert waren". Wie man weiß, war mindestens ein FBI-Informant daran beteiligt, ihnen eine Unterkunft zu besorgen.
Das FBI spielte eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung mehrerer Warnungen über die potentielle Gefahr von Al-Qaeda-Terroristen, die sich an US-Flugschulen einschrieben. Der bekannteste von ihnen war Zacarias Moussaoui. Dieser, ein Al-Qaeda-Mitglied, wie er selbst zugab, versuchte bei einer Flugschule in Minnesota Flugunterricht zu bekommen und erregte den Argwohn seiner Lehrer, die den Behörden einen Hinweis gaben. Moussaoui wurde im August 2001 wegen Verstoßes gegen die Einwanderungsgesetze verhaftet, und FBI-Agenten vor Ort erbaten die Genehmigung für eine Untersuchung - was ihnen von den höheren Chargen des FBI in Washington verweigert wurde, obwohl zu der Zeit schon Informationen aus französischen Regierungskreisen über Moussaouis Verbindungen zu islamischen Terroristen vorlagen.
Der Kommissionsbericht kritisiert die Untätigkeit im Fall Moussaoui und lässt erkennen, dass die Entführergruppe den Anschlag möglicherweise aus Angst vor einer Vereitelung abgebrochen hätte, wenn seine Verhaftung größere Schlagzeilen gemacht hätte. Aber das Gremium lehnte es ab, konkrete FBI-Beamte beim Namen zu nennen. "Es war nicht unsere Absicht, Schuld zuzuweisen", erklärte der Vorsitzende Thomas Kean. "Verantwortlich für unser Versagen ist nicht ein einzelnes Individuum."
Diese Weigerung, Namen zu nennen und Verantwortlichkeit zuzuweisen, hat eine klare Bedeutung. Würden einzelne Personen im Geheimdienst namentlich genannt, würden sie sich vermutlich verteidigen, indem sie die Verantwortung auf Höhergestellte in der Kommandokette abschieben - was die Untersuchung auf die höchste Ebene des nationalen Sicherheitsapparates und auf das Weiße Haus richten würde. Die Kommission zum 11. September versuchte, ein solches Ergebnis um jeden Preis zu verhindern und so die Schlüsseleinrichtungen des Staates zu schützen.
Es werden zwar zahlreiche CIA- und FBI-Aktionen dokumentiert, die effektiv verhinderten, dass die Verschwörung vor dem 11. September aufgedeckt wurde, doch befasst sich der Kommissionsbericht an keiner Stelle mit einer sehr wichtigen Frage, die sich unmittelbar aufdrängt: Gab es ein Mitglied der Al-Qaeda Aktivisten, besonders unter den Drahtziehern der Selbstmordattentate, das zu irgend einem Zeitpunkt Angehöriger oder Agent eines US-Geheimdienstes war?
Diese Unterlassung ist umso erstaunlicher, weil Al-Qaeda ihre Wurzeln im US-finanzierten Guerillakrieg der Mujaheddin in Afghanistan hat, wo Personen wie Osama bin Laden amerikanische Unterstützung genossen und von der CIA in Waffentechnik, Sabotage und Bombenbau ausgebildet wurden. Chalid Scheich Mohammed, der angebliche Drahtzieher hinter den Attentaten vom 11. September, war ein langjähriger Verbündeter von Abdul Rasul Sayyaf, einem Führer der afghanischen Nordallianz, der heute noch Verbindungen zum US-gestützten afghanischen Präsidenten Hamid Karzai unterhält.
Das Vorgehen der Verschwörer vom 11. September lässt stark vermuten, dass sie eine gewisse Form von offiziellem Schutz genossen. Sie bemühten sich kaum, sich zu verbergen, reisten nach Belieben umher, sowohl innerhalb der Vereinigten Staaten als auch ins Ausland. Sie benutzten Telefone und Kreditkarten, die gleichermaßen leicht zu verfolgen sind. Sie schrieben sich offen, unter ihrem richtigen Namen, bei US-Flugschulen ein und unternahmen mehrere Flüge durch die USA, um die Sicherheit an Bord auszutesten und sich mit der Situation im Flugzeuginnern vertraut zu machen.
Politischer Persilschein
Die Behauptung, alle seien gleichermaßen verantwortlich - "Jeder ist schuldig, somit ist keiner schuldig" - hat einen klaren politischen Zweck: Sie stellt der Bush-Regierung im Vorfeld der Wahlen vom 2. November einen politischen Persilschein aus.
Bush widersetzte sich verbissen der Einsetzung einer Untersuchungskommission zum 11. September, obwohl dies der blutigste einzelne Anschlag auf amerikanische Bürger auf US-Boden war. Dies ließ an sich schon vermuten, dass seine Regierung etwas zu verbergen hatte.
Angesichts der Schlussfolgerungen der fast zwei Jahre dauernden Untersuchung konnten das Weiße Haus und die Bush-Wiederwahlkampagne jedoch erleichtert aufatmen, und Bush selbst hatte einen vielbeachteten Auftritt mit Kean und dem demokratischen Vizevorsitzenden Lee Hamilton, um den Kommissionsbericht entgegenzunehmen. Bush erklärte, das Gremium habe einen "tollen Job" gemacht, und lobte die im Bericht enthaltenen "sehr soliden, vernünftigen Empfehlungen für das weitere Vorgehen".
Die US-Medien begrüßten den Bericht zum 11. September als abschließende, objektive und kritische Einschätzung der Ereignisse vor und während der Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon, ohne den leisesten Hinweis darauf, dass das im Bericht enthaltene Urteil, es habe ein "Mangel an Vorstellungskraft" geherrscht, in Wirklichkeit etwas weit Schlimmeres vertuschen könnte.
So schwärmte die Washington Post : "[D]er Kommissionsbericht zum 11. September vermittelt das lebendige Gefühl von Geschichte, die Bestand haben wird; das ist politischem Druck und Gerichtsentscheidungen zu verdanken, die über 2,5 Millionen Seiten Informationen und Zeugenaussagen von 1.200 Befragten zugänglich machten. Obwohl schnell gefällt, scheint das historische Urteil überzeugend: die amerikanische Führung hat auf ganzer Linie versagt."
Die Analyse der New York Times begann: "Monatelange Untersuchungen der Kommission zum 11. September und des Geheimdienstausschusses des Senats haben jetzt einen breiten Konsens über zwei kolossale Fehler der Geheimdienste hervorgebracht: verpasste Gelegenheiten haben die Vereinigten Staaten für Attacken von Al-Qaeda verletzlich gemacht, und falsch interpretierte Hinweise über nicht-konventionelle Waffen haben die Entsendung amerikanischer Truppen für einen Angriff auf den Irak nach sich gezogen."
Die Lügen der Bush-Regierung über irakische Massenvernichtungswaffen als "falsch interpretierte Hinweise" oder als Resultat eines "Geheimdienstfehlers" hinzustellen, heißt die Intelligenz der amerikanischen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zu beleidigen. Es gilt mittlerweile in den USA und fast überall auf der Welt als unbestrittene Tatsache, dass die Bush-Regierung "Geheimdiensterkenntnisse" über irakische Massenvernichtungswaffen vorsätzlich konstruierte, von denen sie genau wusste, dass sie nicht stimmten, und dass sie ohne jeden Beweis extreme Behauptungen aufstellte, um eine unprovozierte Invasion als Akt der "Selbstverteidigung" hinzustellen. Sogar ein Teil der amerikanischen bürgerlichen Medien hat dies zugegeben.
Die Kommission zum 11. September selbst dokumentiert die Tatsache, dass führende Politiker der Bush-Regierung schon wenige Stunden nach den Anschlägen auf New York und Washington darauf drängten, einen Krieg zu führen, um das Regime von Saddam Hussein zu stürzen. Im Bericht heißt es zum Beispiel, dass Bush das Pentagon am 17. September 2001 anwies, sich für eine Besetzung der irakischen Ölfelder bereit zu halten, falls Bagdad "gegen US-Interessen handeln" sollte.
Wenn die US-Regierung bereit war, zu vorsätzlichen Lügen zu greifen, um einen Vorwand für einen Krieg zu schaffen, in dem Zehntausende ihr Leben verlieren mussten, warum sollte man dann glauben, sie sei außerstande, im Zusammenhang mit den terroristischen Angriffen auf New York und Washington ähnliche Methoden anzuwenden?
Es ist außerordentlich plausibel - und auf der Grundlage der verfügbaren Beweise sogar ziemlich wahrscheinlich - dass die US-Geheimdienste die wichtigsten Protagonisten der Entführungen vom 11. September lange kannten, ehe diese die Unglücksmaschinen bestiegen. Mohammed Atta zum Beispiel, der angebliche Rädelsführer, war vor dem 11. September in Europa fast zwei Jahre lang unter US-Überwachung, wie Berichte in den deutschen Medien enthüllt haben. Dennoch wurde diesem Terrorverdächtigen erlaubt, in die USA ein- und auszureisen, eine amerikanische Flugschule zu besuchen und mehrere inneramerikanische Flüge zu buchen.
Vorbereitungen auf einen Polizeistaat
Ebenso wichtig wie die Vertuschung der Rolle der US-Regierung beim 11. September sind die Empfehlungen der Kommission, die sich auf zwei Aufforderungen reduzieren lassen: aggressivere militärische Aktionen gegen die angebliche terroristische Bedrohung im Ausland, und eine enorme Steigerung der Vollmachten für Unterdrückungsmaßnahmen der Bundesregierung im Inland.
Die Hauptkritik, die das Gremium an der Clinton-Regierung übte, besteht darin, dass sie 1998-99 in ihren Militärschlägen gegen Osama bin Laden und andere Al-Qaeda Ziele zu zögerlich vorgegangen sei, und dass sie nicht auf den Bombenanschlag auf das Schiff USS Cole im Jemen reagiert habe.
Was die Bush-Regierung angeht, so pries die Kommission ihre Invasion in Afghanistan und den Sturz des Taliban-Regimes, war jedoch auffällig schweigsam über den Sinn des Kriegs gegen den Irak, den viele Kommissionsmitglieder offen als Ablenkungsmanöver einschätzten. Aber was auch immer ihre Vorbehalte gegen den Krieg sein mochten, die Kommission kam zum Schluss - getreu dem Wahlkampf des demokratischen Präsidentschaftskandidaten John Kerry - dass ein US-Sieg über die Aufständischen im Irak entscheidend sei, um zu verhindern, dass ein weiterer "gescheiterter Staat" entsteht, der Terrorgruppen Zuflucht gewähren könnte.
Der Bericht zum 11. September vertritt zudem deutlich die Auffassung, es gebe eine Verbindung zwischen Al-Qaeda und dem Iran. Er liefert so politische Munition für eine mögliche Militäraktion gegen das zweite der drei Länder, die Bush im Zusammenhang mit seiner berüchtigten "Achse des Bösen" erwähnt hatte. Extrem rechte Kriegstreiber, wie der Kolumnist Charles Krauthammer und die Herausgeber des Wall Street Journal, die sich am Anfang höchst kritisch über die Kommission zum 11. September geäußert hatten, hoben diesen Aspekt des Berichts zustimmend hervor. Krauthammer bemerkte in einer Kolumne vom 23. Juli in der Washington Post, dass die Bush-Regierung, die den Irak besiegt und 140.000 US-Soldaten an die Grenzen des Irans gebracht habe, in einer guten Position sei, um einen weiteren präventiven Krieg zu führen.
Die meisten der 41 Empfehlungen des Berichts betreffen die Verstärkung und Konsolidierung des US-Geheimdienstapparates, darunter die Einrichtung eines wahren Geheimdienst-Zars mit Autorität über die CIA, den militärischen Abschirmdienst und die Antiterrorabteilung des FBI. Diese Maßnahmen würden einer Einzelperson beispiellose Polizei- und Überwachungsvollmachten verleihen. Dies wäre das Ende für das traditionelle Verbot von CIA-Aktivitäten und militärischer Überwachung auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten. Außerdem würde es den Weg zur systematischen Überwachung und Unterdrückung aller Opponenten der US-Regierung im Inland frei machen.
Zudem rief das Gremium dazu auf, die Aufnahme biometrischer Informationen im Pass einzuführen und die Anforderungen für den Führerschein für alle 50 Bundesstaaten zu vereinheitlichen. Dies sind Schritte hin zur Einrichtung einer nationalen Identitätskarte und einer zentralisierten Bundesdatenbank mit persönlichen Schlüsselinformationen über jeden US-Bürger.
Die Demokratische Partei und ihr voraussichtlicher Präsidentschaftskandidat John Kerry lobten als erste die Arbeit der Kommission zum 11. September. Kerry wiederholte seine altbekannte Forderung nach einem nationalen Geheimdienstdirektor und sagte: "Dies ist überfällig, und wenn ich Präsident werde, wird das gemacht."
Diese Unterstützung beider großer Parteien für umfassende neue Angriffe auf demokratische Rechte macht deutlich, in was für einem Klima der Präsidentschaftswahlkampf 2004 stattfindet: Beide großen bürgerlichen Parteien stimmen in der Frage des Irakkriegs und des unbefristeten "Kriegs gegen Terror" überein, sie stimmen in der Notwendigkeit verschärfter Angriffe auf demokratische Rechte im Inland überein; und sie stimmen auch überein, wenn es darum geht, die Interessen des einen Prozents Superreicher zu verteidigen, das die amerikanische Gesellschaft beherrscht. Sie unterscheiden sich nur darin, welches die besten Methoden sind, um diese Ziele zu erreichen.