Die Aufnahmen der sadistischen Folter irakischer Gefangener, die sich im Gewahrsam der US-Truppen befinden, fanden sich nach ihrer ersten Veröffentlichung vergangene Woche auf den Titelseiten der Weltpresse wieder. Nur in zwei Ländern wurde die Berichterstattung darüber niedergehalten - in den USA und im Irak selbst.
Im Irak entschieden sich diejenigen Zeitungen, die auf Anordnung des Leiters der US-Besatzungsbehörde, Paul Bremer, jederzeit verboten werden können, gegen eine Veröffentlichung. Die meisten Iraker sahen die abstoßenden Bilder im arabischen Fernsehen - ihre Landsleute, wie sie nackt und mit verhüllten Köpfen von grinsenden amerikanischen Soldaten malträtiert wurden.
Am vergangenen Freitag, als Menschen in aller Welt die Abscheulichkeiten auf den Titelseiten ihrer Zeitungen sahen, hat keine einzige große amerikanische Tageszeitung in ähnlicher Weise berichtet. Die meisten unterschlugen die Meldung.
Der Fernsehsender CBS News, der die Fotos vergangene Woche als erster in seiner Nachrichtensendung "60 Minutes II" an die Öffentlichkeit brachte, hatte sie auf Wunsch von US-Generalstabschef Richard Myers volle zwei Wochen zurückgehalten. Als der Bericht schließlich doch gesendet wurde, geschah dies in Zusammenarbeit mit dem Pentagon, das sich um Schadensbegrenzung bemühte, bevor die ausländischen Medien Zugang zu den Aufnahmen erhielten.
Doch fällt der Schaden für die US-Politik in der arabischen und muslimischen Welt derart groß aus, dass alle Versuche seiner Begrenzung zum Scheitern verurteilt sind. Das Schicksal der US-Besatzung ist besiegelt, seit die Iraker die Bilder im Fernsehen gesehen haben. Sie bestätigten die weit verbreitete und wohlbegründete Ansicht, dass das Ziel des Krieges, den die Bush-Regierung vom Zaun brach, nicht die Befreiung, sondern die Unterwerfung der irakischen Bevölkerung und der Raub der Ölvorräte des Landes war. Und sie schufen ein riesiges neues Unterstützungsreservoir für die Widerstandsbewegung, die bereits jetzt Massen hinter sich weiß.
Die Iraker, die die Aufnahmen sahen, mussten sich zwangsläufig die Frage stellen, ob sich unter den nackten Männern, die von feixenden Amerikanern gezwungen wurden, sich aufeinander zu legen, sexuelle Akte zu simulieren oder, in einem Fall, mit Elektroden versehen auf einer Kiste zu stehen, nicht vielleicht Verwandte, Nachbarn oder Kollegen befanden. Denn die Köpfe oder Gesichter der Opfer waren verhüllt, und seit Beginn der US-Besatzung sind Zehntausende in deren Konzentrationslagern verschwunden.
Die US-Medien bemühten sich also in erster Linie, die Wirkung dieser Enthüllungen auf die amerikanische Bevölkerung zu dämpfen, wie zwei Zeitungen, die sich als nationale Stimme der herrschenden Politik verstehen, in ihren Editorials am Wochenende deutlich machten. Die Antikriegsstimmung in Amerika war ohnehin schon stärker als je zuvor.
"Als Präsident Bush seiner Abscheu Ausdruck verlieh, sprach er für alle Amerikaner, die ein Gewissen haben", erklärte die New York Times am Samstag unter der Überschrift "Misshandlungen in Abu Ghraib".
Die auf den Fotos festgehaltenen Folterungen und Misshandlungen, hieß es weiter, verstießen gegen "anerkannte Kriegskonventionen". Die Zeitung stellte sich hinter Bushs Auffassung, dass die Verbrechen, die im Gefängnis Abu Ghraib verübt wurden, lediglich das Werk "einiger weniger Soldaten" seien, um die man sich "kümmern" werde.
Die Medien - einschließlich der Times - gefielen sich stets darin, Bush zum "Oberbefehlshaber" auszurufen, als handele es sich um eine Art Königstitel. Doch nun ist er plötzlich zur Stimme des "Gewissens" mutiert, der keine Verantwortung für die Taten der Soldaten trägt, die er angeblich kommandiert.
Man kann getrost davon ausgehen, dass Bush weder schockiert noch empört war. Das Weiße Haus und das Pentagon wissen seit Wochen von diesen Gräueltaten und hatten alles getan, was in ihrer Macht stand, um ihr Bekanntwerden zu verhindern.
Die Behauptung, dass die Folter in den Konzentrationslagern der USA ein Verbrechen sei, das nur von einer Handvoll Reservisten der Militärpolizei begangen wurde, wird von der bloßen Existenz der Fotos widerlegt. Weshalb scheuten sich diese Soldaten überhaupt nicht, ihre kriminellen Handlungen für die Nachwelt festzuhalten? Weshalb konnten sie überhaupt eine große Anzahl nackter Gefangener in einen offenen Raum bringen und sie zu ihrer Belustigung zu einer Pyramide türmen, ohne befürchten zu müssen, entdeckt oder bestraft zu werden?
Diese demütigende Misshandlung war ganz offensichtlich das normale Vorgehen des US-Militärs. Die Folter wurde akzeptiert und gefördert.
Die Aufnahmen sind nur die Spitze des Eisbergs
Die Menschenrechtsgruppe Amnesty International bezeichnete die Szenen, die auf den Fotos gezeigt werden, als "Spitze des Eisbergs". In einem Bericht aus dem Jahr 2003 erklärte sie: "Viele Häftlinge erheben den Vorwurf, dass sie während des Verhörs von Soldaten der USA und Großbritanniens gefoltert und misshandelt wurden. Zu den Methoden, von denen sie berichten, gehören oft Schläge, lang anhaltender Schlafentzug, langes Verharren in schmerzhaften Stellungen, manchmal in Verbindung mit lauter Musik, lange Verhüllung des Kopfes und starke Lichteinstrahlung." Die Organisation dokumentiert eine ganze Reihe Fälle, in denen Häftlinge zu Tode geprügelt oder gequält wurden.
Am selben Tag, an dem die Times ihr Editorial veröffentlichte, brachte die Website der Zeitschrift New Yorker einen Artikel von Seymour Hersh. Er zitierte eine 53-seitige interne Untersuchung eines Generals der US-Armee, der zu dem Schluss kam, dass "sadistische, eklatante und willkürliche kriminelle Misshandlungen" in Abu Ghraib an der Tagesordnung waren.
Generalmajor Antonio Taguba nannte im Einzelnen folgende Vergehen: "Das Zerbrechen chemischer Leuchtstäbe und das Ausgießen der Phosphorflüssigkeit über den Inhaftierten, das Übergießen nackter Gefangener mit kaltem Wasser, das Schlagen von Gefangenen mit einem Besenstiel und einem Stuhl, die Androhung einer Vergewaltigung gegenüber männlichen Häftlingen... die sexuelle Misshandlung mit einem Leuchtstab und eventuell einem Besenstiel sowie das Ängstigen und Einschüchtern der Häftlinge mit Hilfe von Militärhunden. Man drohte, sie auf die Gefangenen zu hetzen, und in einem Fall wurde ein Häftling auch wirklich gebissen."
Hersh weist darauf hin, dass viele der Tausenden Gefangenen, die in Abu Ghraib einsitzen, einfach deshalb im Gefängnis sind, weil sie bei Razzien in Wohnvierteln oder an militärischen Checkpoints ins Schleppnetz gerieten.
Der Artikel enthält außerdem einen erschreckenden Hinweis darauf, wie stark die Militärführung den Soldaten vermittelt hat, dass die Iraker - bzw. alle Araber und Muslime - Untermenschen seien, die man ungestraft grausam behandeln dürfe. Ein Soldat erklärte in einer Aussage gegen andere Angehörige seiner Einheit, er habe gesehen, wie ein anderer Soldat "einen Häftling in die Seite seines Brustkorbs schlug". Dabei verwendete er die Wörter "its ribcage" anstatt "his ribcage" - der Gefangene wurde nicht als Mensch, sondern als Ding aufgefasst.
Generalmajor Tagubas Bericht kommt weiterhin zu dem Schluss, dass die Reservisten der Militärpolizei - einschließlich der sechs Personen, die bislang als Einzige angeklagt wurden - vom militärischen Geheimdienst und den für Verhöre zuständigen CIA-Beamten aufgefordert wurden, die "physischen und mentalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zeugenvernehmung" zu schaffen. Mit anderen Worten, die Häftlinge sollten mit Folter und Misshandlungen "gebrochen" werden. Die Zeugen, auf die sich der Bericht beruft, zitieren lobende Äußerungen von Offizieren des Militärgeheimdienstes für diejenigen, die sich dieser Verbrechen schuldig machten. "Gute Arbeit, sie knicken echt schnell ein", sagte einer.
Die Verantwortung für diese Verbrechen reicht bis ganz an den Anfang der Befehlskette, wo der Präsident selbst steht. Taguba verlangt die Bestrafung eines Leutnants und eines Oberstleutnants, die für die Verhöre des militärischen Geheimdiensts zuständig sind.
Die Herausgeber der Times, die sich mit Bush solidarisieren, räumen ein, dass das üble Verhalten der US-Soldaten in Abu Ghraib gegen "anerkannte Kriegskonventionen" verstößt. Doch das gilt ebenso für die gesamte Invasion und Besetzung des Irak. Washington führte einen Angriffskrieg, um einen souveränen Staat zu erobern, der keine Bedrohung für die USA darstellte. Das Ziel bestand darin, sich die Bevölkerung zu unterwerfen und die Kontrolle über die Ölvorkommen zu übernehmen.
Die Bush-Regierung brüstete sich bereits mit ihrer arroganten Weigerung, irgendwelche internationalen Rechtsvorschriften anzuerkennen. Sie ordnet sich nicht dem Internationalen Strafgerichtshof unter und verlangt, dass ihre Soldaten und Zivilisten in denjenigen Ländern, in denen ihre Armee operiert, Immunität genießen, wenn es um Anklagen wegen Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverstößen geht.
Bush selbst sonnt sich in illegalen Gewalttaten und rühmt staatlich angeordnete Morde als Mittel, Washingtons Gegnern "Gerechtigkeit" widerfahren zu lassen. Zu behaupten, dass ein solches Individuum die Stimme des "Gewissens" sei und für "alle Amerikaner" spreche, ist obszön.
Die Washington Post, die autoritative Stimme des politischen Establishments in Washington, veröffentlichte ihrerseits ein Editorial unter der Überschrift "Die Herrschaft der Gesetzlosigkeit". Während die Vorkommnisse in Abu Ghaib nach außen hin verurteilt werden, ist das Editorial zugleich in einer Weise abgefasst, die sie herunterspielt und sogar rechtfertigt.
"Insgesamt zeigen die Fotos einige der denkbar entwürdigendsten, demütigendsten und schändlichsten Misshandlungen von Gefangenen, die noch keine physische Folter im eigentlichen Sinne darstellen", schreibt die Post.
Doch es ist Folter, wenn Männer gezwungen werden, nackt und mit verhüllten Köpfen übereinander zu liegen, oder wenn einem Menschen Elektroden angelegt werden und man ihm sagt, er werde durch Elektroschock hingerichtet, sobald er das Gleichgewicht verliere und von einer Kiste falle. Eine Reihe Iraker haben außerdem erklärt, dass sie die sexuelle Erniedrigung durch US-Aufseher schlimmer fanden als die physische Folter, die von der Geheimpolizei Saddam Husseins ausgeübt wurde.
Die Post beklagt die Existenz der Fotos aufgrund "des Schadens, den sie Amerikas Ruf in der Welt, dem Ziel der Stabilität im Irak und der Sache der Demokratie im Mittleren Osten überhaupt zugefügt haben".
In Wirklichkeit sind diese Aufnahmen ein unverkennbarer Ausdruck des kriminellen Charakters und der verbrecherischen Ziele des Einmarsches im Irak. Der Krieg und die Besatzung haben nichts mit Demokratie zu tun. Die Grausamkeit, die in diesen Aufnahmen gezeigt wird, ist seit jeher ein Merkmal jedes Krieges, den eine imperialistische Macht gegen ein Volk führt, das sie kolonialisieren möchte.
Die Post fährt fort: "Die Tatsache, dass einige Soldaten, die für das Gefängnis verantwortlich waren, mittlerweile ihrer Posten enthoben oder bestraft wurden, wird im Ausland bestimmt übersehen werden, und die Tatsache, dass die Häftlinge zuvor Truppen der USA angegriffen hatten, spielt für das ausländische Publikum überhaupt keine Rolle."
Dieses Argument, mit dem das US-Militär von seiner Schuld freigesprochen werden soll, ist aus freien Erfindungen und Lügen zusammengesetzt. Die Personen, gegen die Anklage erhoben wurde, waren überhaupt nicht "für das Gefängnis verantwortlich", sondern sind eine Handvoll Reservisten niedrigen Ranges, auf die das Pentagon leicht verzichten kann. Und woher will die Post wissen, dass die gequälten Häftlinge "zuvor Truppen der USA angegriffen hatten"? Kennt sie die Namen und die Geschichte der nackten, maskierten Männer? Die Insassen der Gefängnisse und Folterlager der USA wurden in ihrer überwiegenden Mehrheit wegen irgendwelcher Nichtigkeiten verhaftet und werden unbefristet festgehalten, ohne dass sie einem Richter vorgestellt würden. Es werden nicht einmal Anklagen erhoben.
Und schließlich wirft die Post der Bush-Regierung vor, dass sie den Häftlingen, gegen die keine Anklage erhoben wurde - nicht nur im Irak, sondern auch in Afghanistan, Guantanamo Bay und anderswo - ein "ordentliches Gerichtsverfahren" vorenthält.
"Besser als jede juristische Abhandlung belegen diese Fotos, dass das Klima der Gesetzlosigkeit in diesen Gefängnissen korrumpierend wirken kann", schließt das Editorial. "Es muss aufhören."
Doch die korrumpierende Wirkung der Gesetzlosigkeit begann nicht erst in den Gefangenenlagern des Militärs. Die Folter, die dort begangen wird, ist der vollkommene Ausdruck des korrupten und gesetzlosen Charakters des herrschenden Establishments in den USA und der Politik der bewaffneten Eroberung, die es im Irak, in Afghanistan und andernorts betreibt.
Die herrschende Elite in den USA, die Republikaner ebenso wie die Demokraten, und insbesondere die kommerziellen Medien, sind allesamt mitverantwortlich für die abscheulichen Verbrechen, die in Abu Ghraib und anderen US-Konzentrationslagern und Gefängnissen rund um die Welt verübt wurden. Die Taten ihrer Untergebenen im Militär bedeuten, dass Bush, Cheney, Rumsfeld und andere sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben.