Akribisch führt die deutsche Polizei ihre Kriminalitätsstatistiken. Die mutmaßlichen Täter werden fein säuberlich registriert nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit, die einzelnen Straftaten werden in verschiedenste Delikte aufgeteilt. Nur Misshandlungen und Gewalttaten durch die Polizei selbst sucht man in den offiziellen Statistiken vergeblich.
Polizisten, die in ihrer Dienstausübung Schläge und Tritte verteilen, beleidigen und demütigen sind dabei keineswegs eine Seltenheit. Zwei Studien von amnesty international und Aktion Courage, die Mitte Januar unabhängig voneinander erschienen sind, erheben zum wiederholten Male schwere Vorwürfe gegen die deutsche Polizei. Zur Untermauerung der Vorwürfe wird dabei umfangreiches Material vorgelegt, das polizeiliche Gewaltexzesse mit zum Teil tödlichen Folgen dokumentiert.
Die Menschenrechtsorganisation Aktion Courage listet in ihrer Untersuchung Polizeiübergriffe auf Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland 2000-2003 insgesamt 70 Fallbeispiele polizeilicher Misshandlungen gegen Ausländer auf, die zumeist auf Presseberichten beruhen und laut Autor Otto Diederichs nur "die Spitze des Eisbergs" darstellen.
Während Aktion Courage nach fünf Berichten aus den 1990er Jahren bereits zum sechsten Mal das Ausmaß polizeilicher Gewalt gegen Ausländer dokumentiert, legt amnesty mit Erneut im Fokus: Vorwürfe über polizeiliche Misshandlungen und den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in Deutschland (http://www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/windexde/LB2004001) nach 1995 und 1997 zum dritten Mal einen entsprechenden Bericht vor. Beispielhaft werden 20 Fälle ausführlich dargestellt, die sich auf persönliche Befragungen der Opfer, Presseberichte und Rechtsdokumente stützen.
Am Pranger steht neben der Polizei aber auch die deutsche Justiz, die sich laut amnesty allzu gern schützend vor die Polizei stellt. Verfahren gegen Polizeibeamte werden jahrelang verschleppt oder augenscheinlich willkürlich eingestellt. Die seltenen Verurteilungen enden mit Strafen, die angesichts der Schwere der Taten oft unangemessen erscheinen.
Da Polizei und Justiz wenig Interesse zeigen, polizeilichen Misshandlungen systematisch nachzugehen, lassen sich nur Mutmaßungen über das wahre Ausmaß anstellen. Angewiesen ist man dabei auf Anfragen in den Bundes- und Länderparlamenten. Danach sind in den Jahren 1995 bis 1999 alleine in Berlin jährlich gegen etwa 1.000 Polizisten Strafermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet worden.
Allerdings dürfte die Dunkelziffer noch weit höher liegen. Viele Opfer von polizeilichen Misshandlungen verzichten darauf, Anzeige wegen Körperverletzung zu erstatten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die berechtigte Angst vor einer Gegenklage durch die Polizei, Unwissenheit um die eigene Rechte gerade bei ausländischen Opfern, das Wissen, dass weder die Polizei selbst noch die Staatsanwaltschaft ernsthaft die Beschuldigungen verfolgen, damit verbunden die geringen Erfolgsaussichten, wegen fehlender gültiger Aufenthaltstitel Angst zur Polizei zu gehen, Einschüchterung durch die prügelnden Polizisten selbst usw.
So bleiben nur die Schilderungen der Opfer selbst.
Beispiele alltäglicher Polizeigewalt
Die meisten der von amnesty und Aktion Courage dokumentierten Fälle folgen einem auffälligen Muster. Ausgangspunkt polizeilicher Gewalttaten ist zumeist ein nur vager Verdachtsfall oder eine grundlose Personenüberprüfung. Sobald eine Person gegenüber der Polizei ihre Rechte einfordert, kommt es zu einem massiven Gewalteinsatz durch die Polizisten. Die Misshandlungen finden dabei fast ausschließlich außerhalb jeder Öffentlichkeit in Privatwohnungen, im Polizeiwagen oder auf der Wache statt, um lästige Zeugen auszuschließen. Erstatten die Opfer Anzeige wegen Körperverletzung im Amt, reagiert die Polizei mit Gegenanzeigen wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, obwohl bei den Polizisten keine Verletzungen registriert wurden. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft schenkt dann in der Regel den Polizisten mehr Glauben als den Opfern, die sich plötzlich selbst als Täter beschuldigt sehen.
* Swetlana Lauer soll im Februar 2002 von vier Polizeibeamten, drei Männer und eine Frau, in ihrer Wohnung in Bamberg malträtiert worden sein, nachdem sie den Beamten den Einlass verwehrt hatte, da diese keinen Durchsuchungsbescheid vorlegen konnten. Nach dem Bericht von amnesty haben sich die Polizisten gewaltsam Zutritt verschafft und die Frau mit Faustschlägen und Fußtritten traktiert, ihren Kopf gegen die Wand gestoßen und ihre Kleidung zerrissen. Halb nackt wurde Swetlana Lauer in den Polizeiwagen gezerrt und auf der Wache wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt unter Anklage gestellt. Ein Arzt stellte bei Swetlana Lauer multiple Prellungen und Hautabschürfungen am ganzen Körper fest. Nach einem Jahr stellte die Staatsanwaltschaft Bamberg das Verfahren wegen Körperverletzung gegen die Polizisten ein.
* Miriam Canning wurde nach dem Bericht von amnesty im Juli 2001 in Stuttgart in ihrer Wohnung von Polizisten misshandelt, als sie etwas lautstark dagegen protestierte, dass ihr Sohn und ihr Cousin in Handschellen von einer Personalienüberprüfung nach Hause gebracht wurden. Sie wurde in ein Zimmer gestoßen, wiederholt getreten und als "Nigger" beschimpft, bis sich schließlich ein Beamter auf die am Boden liegende Frau stellte, um sie "zu fixieren". Die Anzeige gegen die Polizei wurde mit einer Gegenanzeige beantwortet. Während das Verfahren gegen die Polizisten eingestellt wurde, erhielt Miriam Canning ein Strafbefehl über 400 Euro wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt, Körperverletzung und Beleidigung.
* Im Dezember 2000 wurde der Lieferwagen von Josef Hoss von einem Spezialeinsatzkommando der Polizei Köln auf offener Straße gestoppt. Der 51-jährige Fliesenleger wurde aus dem Wagen gezerrt, auf den Boden geworfen und mit Knüppeln, Faustschlägen und Fußtritten malträtiert. Josef Hoss, der sich als Opfer eines Raubüberfalls wähnte, da sich die Beamten nicht als Polizisten zu erkennen gaben, wurde vorgeworfen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen zu haben. Ein Nachbar, selbst Polizist und mit Josef Hoss im Streit, hatte der Polizei einen Tipp gegeben. Tatsächlich besitzt Josef Hoss jedoch nur fünf Dekorationsgewehre. Josef Hoss musste wegen der erlittenen physischen und psychischen Schäden seinen Beruf aufgeben. Im Juni 2003 wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Der Sonderberichterstatter über Folter bei den UN, Tho van Boven, richtete jedoch eine Anfrage an die Bundesregierung, die bestätigt hat, "dass die erhobenen Vorwürfe weitgehend zutreffend seien".
Insbesondere die Schwächsten und Ärmsten der Gesellschaft werden von der Polizei zuweilen wie Freiwild behandelt. Obdachlose werden nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 5. Dezember 2003 regelmäßig in den Innenstädten von der Polizei aufgegriffen und kilometerweit von jeder Bushaltestelle entfernt außerhalb der Stadtgrenze wieder ausgesetzt.
Aktion Courage dokumentiert, wie Asylbewerber bei Abschiebungen geschlagen und getreten, gefesselt und geknebelt, mit der Schusswaffe bedroht oder stundenlang aufrecht stehend mit über den Kopf gefesselten Händen zum Flughafen gefahren werden. Asylsuchende berichten, dass sie in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAST) im brandenburgischen Eisenhüttenstadt bisweilen tagelang in einem so genannten "Beruhigungszimmer" auf ein speziell konstruiertes Bett geschnallt werden. Dabei werden Hände und Füße an die Bettpfosten gefesselt und ein spezieller Bauchgurt angelegt, so dass die Flüchtlinge bewegungsunfähig werden. Nicht selten sollen die Asylsuchenden während der Fesselung geschlagen worden sein.
Die tödlichen Folgen der Polizeigewalt
Die von amnesty und Aktion Courage dokumentierte Liste der durch polizeiliche Gewalt erlittenen Verletzungen reicht von Prellungen und Hautabschürfungen über Schädeltraumata bis hin zu Nasen-, Jochbein- Arm- und Beinfrakturen. Ein Opfer ist durch ein Schlag ins Gesicht auf dem rechten Auge erblindet. In mehreren Fällen konnten die Betroffenen aufgrund der schweren Verletzungen ihre Berufsausübung nicht fortsetzen.
Besonders schwer wiegen jedoch die vier Fälle, in denen die Opfer infolge der Misshandlungen ihren Verletzungen erlagen. Hinzu kommen noch zahlreiche Fälle polizeilicher Todesschüsse, die als vollkommen unverhältnismäßig und überzogen gelten müssen.
* Der Sudanese Aamir Ageeb starb im Mai 1999 während seiner Abschiebung vom Frankfurter Rhein-Main-Flughafen. Mehrere Beamte trugen den bereits gefesselten Ageeb in das Flugzeug, wo er mit insgesamt elf Plastikfesseln, vier Klettbändern und einem 490cm langen Seil an den Sitz gebunden wurde. Als der Sudanes beim Start gegen seine Abschiebung protestierte, drückten drei Beamte des Bundesgrenzschutz Kopf und Oberkörper des Opfers trotz der Fesseln zwischen die Knie. Aamir Ageeb erstickte. Erst nach über zweieinhalb Jahren wurde gegen die Beamten Anklage erhoben. Doch der zuständige Amtsrichter fühlte sich nach einem Bericht des Spiegel vom 6. Oktober 2003 mit dem Fall völlig überfordert und schob die Prozesseröffnung bis auf den 2. Februar 2004 hinaus. Mitverantwortlich dafür ist aber auch das Bundesinnenministerium, das laut Spiegel dem Bundesgrenzschutz einen Maulkorb verhängte, wodurch wichtiges Beweismaterial dem Gericht vorenthalten wurde.
* Im Januar 2001 starb John Amadi, der sich vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof einer Drogenrazzia der Polizei entziehen wollte. Sechs Polizeibeamte verfolgten ihn und warfen ihn zu Boden. Dort soll er geschlagen, gewürgt und getreten worden sein. Noch vor Ort verstarb der Nigerianer. Nach Polizeiangaben hat John Amadi einen mit Drogen gefüllten Zellophanbeutel verschluckt, der im Magen platzte. John Amadi sei darauf an einer Überdosis gestorben. Ein erster Obduktionsbericht jedoch konnte die Todesursache nicht klären und mahnte dringend ein chemisch-toxisches Gutachten an. Doch dazu kam es zunächst nicht und erst eine Intervention der nigerianischen Botschaft konnte eine von der Polizei angeordnete Verbrennung der Leiche verhindern. Eine zweite Obduktion konnte "keine krankhaften Veränderungen, die einen natürlichen Tod erklären könnten" finden. Die Polizeiversion vom angeblichen Drogentod wird dadurch mehr als zweifelhaft.
* Im Dezember 2001 starb in Hamburg der 19-jährige Kameruner Michael Nwabuisi nach einem polizeilich angeordneten Brechmitteleinsatz. Polizeibeamte hatten gesehen, wie Michael Nwabuisi Drogenpäckchen verschluckte. Da der Kameruner sich gegen die Einnahme des Brechmittels wehrte, wurde er in das Universitätskrankenhaus Eppendorf gebracht, wo ihm zwangsweise über eine Nasensonde das Brechmittel eingeflößt wurde. Beim dritten Versuch erlitt Michael Nwabuisi einen Herzstillstand, rutschte vom Stuhl und fiel ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Als Todesursache wurden akuter Sauerstoffmangel und Einblutungen in der Luft- und Speiseröhre festgestellt, beides Folge der unmenschlichen Verabreichung des Brechmittels. Trotz der auch schon zuvor bekannten Gefahren der gewaltsamen Einflößung von Brechmitteln hielt die Hamburger Landesregierung an diesem Verfahren fest. Sämtliche Ermittlungsverfahren wurden eingestellt, inklusive angestrengter Klageerzwingungsverfahren.
* Über die Tötung von Stephan Neisius durch Kölner Polizeibeamte im Mai 2002 hatte die WSWS bereits mehrfach berichtet. Der zum Zeitpunkt des Vorfalls unter psychischen Störungen leidende Stephan Neisius reagierte hysterisch auf das gewaltsame Eindringen von Polizeibeamten in die von ihm und seiner Mutter bewohnten Wohnung. Stephan Neisius wurde unter dem Einsatz von Pfefferspray, Fausthieben und Fußtritten überwältigt und an Händen und Füßen gefesselt zur Polizeiwache gebracht. Dort wurde er bereits von weiteren Beamten erwartet und brutal zusammengeschlagen. Aufgrund seiner schweren Blutungen musste das Opfer in ein Krankenhaus gebracht werden, wo Stephan Neisius kollabierte und ins Koma fiel, aus dem er nicht mehr erwachte. Nur durch die Aussagen von zwei Polizeibeamten, die Zeugen der Misshandlungen wurden, wurde außergewöhnlich zügig Anklage gegen sechs Beamte erhoben. Im Juli 2003 wurden sie der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig befunden. Gegen die äußerst milden Bewährungsstrafen zwischen 12 und 16 Monaten legten sie inzwischen Berufung ein.
* René Bastubbe machte sich im Juli 2002 im thüringischen Nordhausen mit einem Freund an einem Zigarettenautomaten zu schaffen, als die wegen Ruhestörung herbeigerufene Polizei die Beiden überraschte. René Bastubbe soll sich einer Verhaftung widersetzt haben, indem er mit Pflastersteinen auf den Polizisten warf. Der Beamte setzte daraufhin Pfefferspray ein. Nach seiner Meinung ohne Wirkung, denn René Bastubbe soll sich erneut nach einem Pflasterstein gebückt haben. Nach anderen Interpretationen hat das Pfefferspray sehr wohl gewirkt und der junge Mann hat sich vor Schmerzen gekrümmt und gebückt. Der Polizist feuerte jedenfalls danach einen Schuss ab, der René Bastubbe in den Rücken traf, die Hauptschlagader zerfetzte und ihn verbluten ließ. Ein Warnschuss, wie die Dienstanweisung zwingend vorschreibt, wurde nicht abgegeben. Das Landgericht Mühlhausen sprach den Polizisten von der Anklage der fahrlässigen Tötung frei und entschied auf Notwehr.
Die Reaktion der Polizei: Abwiegeln und die Opfer diffamieren
Selbst die UN hat durch ihren Menschenrechtsausschuss und den Ausschuss gegen Folter mehrfach ihre Besorgnis ausgedrückt über Misshandlungen durch die deutsche Polizei und die geringe Quote von Strafverfolgungen und Verurteilungen bei behaupteten Fällen polizeilicher Misshandlungen. Aber die Polizei beweist nicht nur bei den Gewalttaten, sondern auch in ihrer Reaktion auf die erhobenen Vorwürfe "eine erschreckende Kontinuität", wie amnesty bemerkte.
Misshandlungen werden von der Polizei als "bedauerliche Einzelfälle" abgetan, die von "wenigen schwarzen Schafen, die es überall gibt" zu verantworten seien. Sie weist die von amnesty und Aktion Courage vorgelegten Berichte als Diffamierungen und populistische Hetze zurück. Den beiden Menschenrechtsorganisationen wird dabei vorgeworfen, Gerichtsurteile zu ignorieren und rechtsstaatliche Mittel nicht zu akzeptieren. Dabei zeigen die Studien vor allem, dass der Staat gerne wegschaut, wenn Polizisten wehrlose Menschen misshandeln.
Konrad Freiberg, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, geht gegenüber der Süddeutschen Zeitung dabei so weit, die Opfer selbst zu diffamieren, denn die Anzeigen "werden erstattet von Betrunkenen, geistig Verwirrten, von Menschen, die im Konflikt mit der Polizei in Hitze geraten sind, oft auch von festgenommenen Asylbewerbern, aber auch von Tätern aus der organisierten Kriminalität". Und diese dürfen, soll das wohl heißen, von der Polizei misshandelt werden.
In das gleiche Horn stieß der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Wolfgang Arenhövel. Er wies nicht nur jeden Vorwurf der Kumpanei zwischen Polizei und Justiz zurück, sondern behauptete, dass es bei vorläufigen Festnahmen schon mal zu "Rangeleien" kommt, die von den Betroffenen nur falsch interpretiert würden.
Er wiederholte damit das Argument des Berliner Innensenators vom November 2000, der in einer Antwort auf eine kleine Anfrage feststellte, dass gegen Polizisten eingeleitete Ermittlungsverfahren "Ergebnis eines bei den von polizeilichen Maßnahmen Betroffenen vorliegenden Fehlverständnisses polizeilicher Arbeit" seien. Der Berliner Innensenator stellte seinen Polizisten mit diesen Äußerungen praktisch einen Freibrief aus, Gewalttaten als "polizeilich notwendige Maßnahmen" zu betrachten und dementsprechend auch zu vollziehen.
Erscheint es auf den ersten Blick, dass die Innenminister von Bund und Ländern sich schützend vor die Polizei stellen, lenken sie damit tatsächlich nur von ihrer eigenen Verantwortung ab. Als drei thüringische Polizisten verurteilt wurden, die brutal zwei Demonstrationsteilnehmer niedergeschlagen hatten, die sich im Nachhinein als Zivilpolizisten aus Schleswig-Holstein herausstellten, kündigte der Thüringer Innenminister Trautvetter (CDU) an, bei Demonstrationen in anderen Bundesländern nur noch dann Amtshilfe zu leisten, wenn vorher sicher sei, dass keine Zivilpolizisten eingesetzt werden. Der Rechtsanwalt Rolf Gössner schlussfolgerte in der Frankfurter Rundschau vom 12. August 2003: "Dann ließe sich, so muss der CDU-Minister verstanden werden, künftig wieder ungestört auf echte Demonstranten einprügeln, denen im Falle der rechtlichen Gegenwehr ohnehin niemand glaubt." Gewalttaten der Polizisten sind für die verantwortlichen Politiker kein Problem, so lange sie nur die Richtigen treffen: die einfache Bevölkerung.
Die Ursachen der Polizeigewalt
Das Problem der Misshandlungen der Polizei lässt sich nicht auf individuelles Fehlverhalten reduzieren, das durch Charakterschwächen, Dienststress oder eine gewalttätige "Cop Culture" erzeugt wird. Die Polizei ist weder ein Sammelbecken von Rassisten oder Schlägertypen, noch ist die Polizeigewalt ein genuin deutsches Problem.
Auch der viel zitierte Korpsgeist der Polizei, der Beamte, die gegen ihre Kollegen aussagen, dem Vorwurf des "Nestbeschmutzers" aussetzt, hilft hier nicht weiter. Die von amnesty erhobene Forderung nach einem unabhängigen Gremium, das Vorwürfe gegen Polizisten prüft, greift daher zu kurz. Zweifellos würde die rechtliche Stellung der Opfern durch die Schaffung von Ombudsmännern verbessert, die Polizeigewalt selbst würde damit aber kaum eingedämmt.
Es ist kein Zufall, dass die Opfer der Polizeiübergriffe fast ausschließlich Asylsuchende, Ausländer, Behinderte, wie etwa Stephan Neisius, oder Obdachlose und Sozialhilfeempfänger sind. Die Diskriminierung dieser Schwächsten der Gesellschaft ist längst offizielle Politik. Die schrittweise Abschaffung des Asylrechts sowie der fortschreitende Sozialabbau stigmatisiert sie immer deutlicher als rechtlose Außenseiter der Gesellschaft.
Durch die Ausweitung der Polizeibefugnisse durch die "Anti-Terror-Pakete" der Bundesregierung und der Landespolizeigesetze sind diese Personen einem noch höheren Verfolgungsdruck ausgesetzt. Insbesondere die Schleierfahndung führte zu einer enormen Ausweitung der verdachtsunabhängigen Personenkontrollen zum Wohle der "Inneren Sicherheit".
Durch den fortschreitenden Sozialabbau und den permanenten Angriffen auf die arbeitende Bevölkerung verschärft sich die soziale Krise. Und die Herrschenden haben keine andere Antwort darauf als zunehmende Repressalien und den dramatischen Abbau demokratischer Rechte. In dieser Situation werden dann auch gerne wieder autoritäre Herrschaftsformen angewandt, um soziale Proteste im Keim zu ersticken. Sind es im Augenblick noch die Schwächsten, die der Schlagstock der Polizei am Härtesten trifft, so zeigt der Fall Josef Hoss und die auf Demonstranten einschlagenden Polizisten aus Thüringen, dass die gesamte Bevölkerung in den Fokus prügelnder Staatsbeamter geraten kann.