Während der irakische Widerstand gegen die amerikanische Besatzung immer stärker wird, die Kriegsgründe als Lügen entlarvt sind und sich die Bush-Regierung in der tiefsten Krise befindet, seit sie vor drei Jahren die Macht in Washington an sich gerissen hat, nutzte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) seinen Aufenthalt bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York, um Präsident Bush demonstrativ den Rücken zu stärken.
In einem knapp vierzigminütigen persönlichen Gespräch mit Bush betonte der deutsche Kanzler mehrmals, dass die Meinungsverschiedenheiten über den Krieg im Irak der Vergangenheit angehören. Jetzt sei es notwendig gemeinsam in die Zukunft zu blicken. Seine Regierung sei zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit bereit, sagte Schröder.
Ausdrücklich versicherte der Kanzler, die Bundesregierung sei an einer "Stabilisierung der Verhältnisse im Irak" sehr interessiert, was nichts anderes als die Unterstützung der militärischen Besetzung und Ausplünderung des Landes bedeutet. Er versprach finanzielle Hilfe und wiederholte seine frühere Ankündigung, Deutschland werde sich an der Ausbildung irakischer Polizeikräfte und Militärs beteiligen.
An der Unterredung nahmen auch die beiden Außenminister Colin Powell und Joschka Fischer teil. Es war das erste Gespräch zwischen Schröder und Bush seit 16 Monaten.
Anschließend hielt Schröder eine pathetische Rede vor der UN-Vollversammlung, in der er allgemein von "mehr internationaler Zusammenarbeit" und dem "hohen Wert des internationalen Rechts" sprach, ohne die amerikanische Regierung und ihren provokativen Bruch des internationalen Rechts auch nur ein einziges Mal kritisch zu erwähnen.
Schröders und Fischers Verhalten in New York hat weitreichende internationale Konsequenzen und kann nur als politisch kriminell bezeichnet werden. Nachdem genau das Desaster eingetreten ist, vor dem sie vor dem Krieg gewarnt haben, und nachdem klar wurde, dass die Kriegsgründe über Massenvernichtungswaffen faustdicke Lügen waren, eilen sie der Bush-Regierung zur Hilfe.
Anstatt die Rede vor der UN-Vollversammlung zu nutzen, um Bush, Rumsfeld und Cheney anzuklagen, weil sie einen illegalen Angriffskrieg geführt, die Weltbevölkerung über die wahren Kriegsgründe nach Strich und Faden belogen und ein Land widerrechtlich besetzt halten, reicht die Bundesregierung die Hand zur Versöhnung.
Damit unterstützt und stärkt sie die reaktionärsten politischen Kräfte in Amerika und weltweit und ermutigt sie zu neuen militärischen Abenteuern. Schröder und Fischer fallen nicht nur der irakischen Bevölkerung und Millionen Demonstranten in den Rücken. Sie stabilisieren ein Regime, gegen das sich - selbst in der amerikanischen Elite - in den vergangenen Wochen Opposition und Widerstand regte.
Gleichzeitig trägt die feige Anpassung an die Bush-Regierung dazu bei, dass das Sterben amerikanischer und irakischer Soldaten und der irakischen Zivilbevölkerung Tag für Tag weitergeht. Hätte Schröder vor der UNO die amerikanische Kriegspolitik im Irak als das angeklagt, was sie ist: ein klarer Bruch des Völkerrechts und damit ein Kriegsverbrechen, dann hätte dies den Widerstand der amerikanischen Bevölkerung gegen den Krieg und die Regierung unterstützt und ermutigt.
Stattdessen hielt er eine Rede voller Phrasen und Ausflüchte. Er pries die UNO als Völkerfamilie und beschrieb ihre Zukunft mit den Worten: "Es ist ein Weg zu einer universalen Ordnung des Rechts und der Menschenwürde, des verantwortlichen Regierens und der Teilhabe aller Menschen am Wohlstand dieser Welt." Wie viele Lügen passen in einen Satz? Die "universale Ordnung des Rechts" wurde zu Beginn des Irakkriegs gerade abgeschafft, als sich die Bush-Regierung aggressiv und rücksichtslos über geltendes internationales Recht hinwegsetzte und einen nicht provozierten Angriffskrieg durchführte.
Außerdem weigert sich die amerikanische Regierung strikt, den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuerkennen, weil sie weiß, dass ihre Handlungen strafbar sind. Was die "universale Menschenwürde" angeht, stellt sich die Frage: Gilt sie auch für die Kriegsgefangen in Guantanamo, die in Käfigen eines Konzentrationslagers gehalten werden - oder auch für die Asylbewerber in den deutschen Abschiebelagern?
Ganz zu schweigen von der "Teilhabe aller Menschen am Wohlstand dieser Welt". Das sagt ein Kanzler, der gerade einem Regime die Unterstützung zugesagt hat, das die Schaffung von sozialer Ungleichheit zum Wesenskern seiner Politik gemacht hat. Über 40 Millionen Amerikaner können sich keine ausreichende Kranken- und Altersversicherung leisten, während eine reiche Elite an der Spitze der Gesellschaft in Saus und Braus lebt. Auch in Deutschland wurden in den vergangenen fünf Jahren rot-grüner Regierung mehr soziale Rechte abgeschafft und die soziale Ungleichheit weit mehr verschärft, als in den anderthalb Jahrzehnten der konservativen Regierung Kohl.
Dass sich die US-Regierung durch diese neuen Töne aus Berlin gestärkt fühlt, wurde bereits in der Rede deutlich, die Bush vor der UN-Vollversammlung hielt. Ungeachtet aller Tatsachen und Beweise wiederholte er die Lügen über eine angebliche Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und verteidigte die militärische Besetzung des Landes im Namen von Freiheit und Demokratie.
Schröder und Fischer machten vor der UNO deutlich, dass ihre Ablehnung des Irak-Kriegs in den zurückliegenden Monaten nie ernsthaft und von grundlegenden politischen Überzeugungen geprägt war. Stattdessen standen immer die unmittelbaren wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen im Vordergrund. Nachdem Deutschland und Frankreich in den Achtzigerjahren die wichtigsten Handelspartner des Irak waren, drängten die Wirtschaftsverbände in beiden Ländern vor dem Krieg darauf, die amerikanischen Kriegspläne zu stoppen. Weil das nicht gelang, fordern sie nun, unter keinen Umständen zuzulassen, dass sich die USA als dominierende Macht im Irak festsetzen.
Vor allem wollen die deutschen und französischen Wirtschaftsverbände nicht zulassen, dass die Privatisierung aller großen Staatsbetriebe, die unter der Leitung der US-Besatzung in den kommenden Wochen durchgeführt wird, ohne sie stattfindet. Darüber hinaus würde eine uneingeschränkte US-Kontrolle über die großen irakischen Öl- und Gasvorkommen die europäischen Länder, die nicht über große eigene Energievorräte verfügen, in starke amerikanische Abhängigkeit bringen.
Hinter dem Feilschen um Formulierungen einer UN-Resolution und Auseinandersetzungen über die Frist bis zur Durchführung von Parlamentswahlen im Irak findet der Kampf um Macht und Einfluss der Großmächte statt, wobei alle an einer hemmungslosen kolonialen Ausbeutung des geschundenen Landes interessiert sind.
Dazu kommt noch, dass das Amerika-Geschäft der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Monaten stark gelitten hat. So musste Daimler-Chrysler seine Produktion in den USA deutlich einschränken. Angesichts der ohnehin sehr angespannten wirtschaftlichen Situation in Deutschland wird daher der Ruf nach einer Verbesserung der transatlantischen Beziehungen aus den Konzernzentralen immer lauter.
Warum?
Die Frage, warum sich die Schröder-Fischer-Regierung gerade jetzt und derart demonstrativ auf die Seite der Bush-Regierung stellt, erschöpft sich aber nicht mit dem Verweis auf die nackten Wirtschaftsinteressen. Es gibt noch weitere Gründe. Vor allem macht sich im Kanzleramt die Angst vor einem völligen Zusammenbruch der staatlichen Ordnung und einer Massenrebellion im ganzen Nahen Osten breit. Schröder und Fischer befürchten, dass der zunehmende US-Terror, der gegenwärtig bereits zu durchschnittlich täglich sechzig toten irakischen Soldaten und Zivilisten führt, eine Gegenbewegung auslöst, die nicht unter Kontrolle gehalten werden kann.
Deshalb hat die Bundesregierung sich der Stimme enthalten, als in der vergangenen Woche eine UN-Resolution im Sicherheitsrat diskutiert wurde, die den Aufruf der israelischen Regierung zum Mord an Palästinenserpräsident Arafat verurteilen sollte. Abgesehen davon, dass sich bereits hier zeigte, was von Schröders hochtrabenden Worten über die Notwendigkeit, der "Rechtlosigkeit Einhalt zu gebieten" zu halten ist, machte diese Entscheidung deutlich, dass die Bundesregierung im Fall eines palästinensischen Aufstands auf brutale Gewalt und Unterdrückung setzt.
Zweitens ist die Berliner Wende in der Irakpolitik direkt mit europäischen Entwicklungen verbunden.
Spätestens das Ergebnis des Referendums in Schweden hat deutlich gemacht, dass die europäische Vereinigung im Interesse der Banken und Konzerne nur gegen den erbitterten Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden kann. In sämtlichen großen europäischen Ländern stoßen der Abbau des Sozialstaats, die massenhafte Einführung von Billiglöhnen und die steuerliche Begünstigung von Großverdienern auf weit verbreitete Opposition. Je mehr die Schröder-Regierung versucht, in Europa amerikanische Verhältnisse einzuführen, desto stärker empfindet sie eine gewisse Wesensverwandtschaft mit dem Bush-Regime.
Drittens steht Schröder mit seinem Bückling in New York in guter alter sozialdemokratischer Tradition. Schon in den frühen Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben sich die Sozialdemokraten als Statthalter und Gehilfen des stärksten Imperialismus bemüht. Hart, konsequent und brutal sind sie immer nur gegen die Arbeitklasse gewesen. Nicht umsonst schrieb Trotzki: Der verfaulteste Teil des faulenden europäischen Kapitalismus ist die Sozialdemokratie.
Doch der Händedruck im New Yorker Nobelhotel Waldorf-Astoria leitet keine neue Periode transatlantischer Harmonie ein, wie einige Kommentatoren behaupten - ganz im Gegenteil. Bush reagiert auf die Berliner Annäherung mit Verachtung und nutzt sie, um die Richtigkeit seiner Politik zu betonen. Während Schröder Bushs Rede vor der UNO lobte - "es ist sehr positiv, wie sich der Präsident zur Rolle der UNO geäußert hat" - machte Bush keinerlei inhaltliche Zugeständnisse und beschränkte die Rolle der UNO auf humanitäre Hilfe und die Vorbereitung von Wahlen. Der Gegensatz zwischen den verächtlichen Bemerkungen, die Bush während der Vollversammlung über Frankreich fallen ließ, und der eher günstigen Behandlung Schröders lässt darüber hinaus erkennen, dass die amerikanische Regierung auch weiterhin die europäischen Regierungen gegeneinander auszuspielen versucht. Ungeachtet der öffentlich zur Schau getragenen Harmonie und Versöhnung in New York machte die Vollversammlung deutlich, dass sich die Differenzen innerhalb der UN immer mehr zuspitzen.