Der deutsche Journalist Robert Misik ist der jüngste Vertreter einer absurden internationalen Kampagne, deren Ziel es ist, das Treiben der neokonservativen Ideologen in der Bush-Regierung in die Nähe des Trotzkismus zu rücken.
Diese Debatte fand bis jetzt hauptsächlich in rechten Journalisten-Kreisen in Amerika statt. Einige Ultrakonservative haben Leute wie den stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, den ehemaligen Vorsitzenden des Defence Policy Board, Richard Perle, und William Kristol, den Herausgeber von Weekly Standard, beschuldigt, widerrechtlich die Macht in der Republikanischen Partei an sich gerissen zu haben, und behaupten deren wahre intellektuellen Wurzeln lägen in der trotzkistischen Bewegung.
Mitte Juni veröffentlichte nun die TAZ einen Artikel mit dem sich der Autor Robert Misik ins Getümmel stürzte. Er steuerte ein grobes Stück historischer Fehlinformation bei, das den Nachweis zu liefern versucht, Trotzkis Theorie der Permanenten Revolution habe in dem, was er als das neokonservative Konzept einer "permanenten Konterrevolution" bezeichnet, ihre Fortsetzung gefunden.
Misik unterscheidet sich nur insoweit von Pat Buchanan und Konsorten und den halbfaschistischen Elementen in den USA, die dieses Thema angestimmt haben, als er selbst als ehemaliger "Linker" gilt.
In den achtziger Jahren, ehe er den Beruf des Journalisten ergriff, war Misik Mitglied der österreichischen Revolutionären Marxistischen Gruppe (RMG), die zum Vereinigten Sekretariat Ernest Mandels gehörte. (Nach 1986 gab sich die Gruppe den Namen Sozialistische Alternative.)
Das Vereinigte Sekretariat, das sich trotzkistisch nennt, entstand 1953 aus einer Spaltung in der Vierten Internationale. Die Anhänger von Mandel wiesen Trotzkis Analyse des Stalinismus als durch und durch konterrevolutionäre Kraft zurück und postulierten stattdessen die "Selbstreform" der sowjetischen Bürokratie. Sie gaben die wesentliche Perspektive des Trotzkismus auf - den Aufbau von unabhängigen revolutionären Parteien der Arbeiterklasse - und versuchten in der Nachkriegszeit, ihre Mitgliedschaft in die stalinistischen, sozialdemokratischen und bürgerlich-nationalistischen Organisationen aufzulösen.
Als die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten in Osteuropa zusammenbrachen, setzten Mandel und die ihm angeschlossenen Organisationen ihre Hoffnungen auf jene Schicht der stalinistischen Bürokratie, die von Michael Gorbatschow geleitet wurde, der die Politik von Perestroika und Glasnost befürwortete. Das Ende der Sowjetunion und die Verwandlung führender Persönlichkeiten der früheren Nomenklatur in kapitalistische Manager rief in diesen Kreisen eine enorme Krise hervor.
Misiks eigene Entwicklung ist nicht untypisch. Nachdem er sich aus der radikalen Politik verabschiedet hatte, versuchte er, seine oberflächlichen Kenntnisse aus der Mandel-Organisation für seine weitere journalistische Karriere nutzbringend anzuwenden. Er ist beispielsweise der Autor eines Buches mit Namen Marx für Manager, in dem er behauptet, dass eine Prise marxistischer ökonomischer Analyse jedem modernen kapitalistischen Manager gut tue.
Der Taz -Artikel dient einem entsprechenden Zweck, und Misik bietet darin seine "Expertise" als "ex-Trotzkist" feil, um die angebliche Verbindung zwischen Trotzkismus und dem aktuellen Ausbruch des US-Militarismus zu erklären.
Am Anfang seines Artikels unter der Überschrift Schneidig wie Leo Trotzki bezieht sich Misik auf die Intervention der Roten Armee in Polen im Sommer 1920. Er versucht, eine Parallele zwischen dieser Militäroffensive vor über achtzig Jahren und der präventiven Kriegspolitik der heutigen amerikanischen Neokonservativen zu ziehen.
In Bezug auf Polen 1920 behauptet Misik: "...die Episode passt eben zu gut zu dem, was man die trotzkistische Mentalität' nennen könnte: absolute Zukunftszuversicht, ein Extremismus, was den unbedingten Glauben an die Realisierbarkeit auch noch des ehrgeizigsten Zieles angeht, und eine Art totaler Voluntarismus von dem Typus: Wenn etwas gut ist für den Lauf der Welt, dann muss man es anpacken'. Hat die Realität widrige Details parat, dann zum Teufel mit der Realität."
Auf der Grundlage dieser grotesken und dummen Karikatur einer trotzkistischen Orientierung argumentiert Misik, die Neokonservativen hätten ihre radikale Feindschaft gegen die Sowjetunion auf Trotzkis Kritik am Stalinismus aufgebaut. Über die angebliche Gemeinsamkeit der Perspektive zwischen den Neokonservativen und dem Trotzkismus schreibt er: "Beide sind auf ihre Weise besessen von der Idee der Weltrevolution." Am Ende seines Artikels kehrt er zur Frage der bolschewistischen Kriegspolitik zurück und behauptet, sie sei der Außenpolitik der Neokonservativen ähnlich, wie sie im US-Krieg gegen den Irak zum Ausdruck kam.
Alles in allem ist dieses Machwerk nur ein weiterer Beweis dafür, dass ein derartiges Halbwissen eine gefährliche Sache ist, besonders in der Hand eines professionellen Lügners.
Den schwachen Strohhalm, an dem Misik seine Gleichsetzung von Neokonservatismus und Trotzkismus festmacht, stellen zwei Personen dar - Irving Kristol und Norman Podhoretz -, die angeblich das lebendige Verbindungsglied zwischen diesen diametral entgegengesetzten Bewegungen verkörpern sollen. Beide spielen zwar in den neokonservativen Think Tanks eine Rolle, aber ihre Verbindung zum Trotzkismus ist in dem einen Fall dürftig und im anderen nicht-existent.
Kristol war als junger Universitätsstudent 1939-40 einmal eine kurze Zeit in der amerikanischen trotzkistischen Bewegung, der damaligen Socialist Workers Party. Er brach mit der Bewegung, als er der Tendenz von Max Shachtman folgte, und von da an bewegte er sich unaufhaltsam nach rechts und wies Sozialismus und Marxismus zurück. Podhoretz hatte überhaupt nie etwas mit trotzkistischer Politik zu tun. Am Anfang seiner politischen Karriere war er - wie die meisten Neokonservativen - ein Mitglied des liberalen Flügels der Demokratischen Partei, ehe sein Abdriften nach rechts einsetzte.
Misiks Versuch, die bolschewistische Außenpolitik nach der russischen Revolution, insbesondere die Intervention der Roten Armee in Polen, als Präzedenzfall für die Präventivkriegspolitik von Präsident Bush und dessen neokonservativer Hintermänner darzustellen, ist eine grobe Geschichtsfälschung.
Die Bolschewiki kamen 1917 in Russland mit dem Versprechen an die Macht, das Land aus dem imperialistischen Krieg herauszuführen, den Deutschland 1914 begonnen hatte. Als sie die Kontrolle im Staat übernahmen, setzten die bolschewistischen Führer jeder Geheimdiplomatie sofort ein Ende, übersetzten und veröffentlichten wichtige Dokumente über den Krieg und begannen Verhandlungen mit den alliierten Ländern über einen sofortigen Waffenstillstand.
Nach der Niederlage des deutschen Rivalen eröffneten die alliierten imperialistischen Kräfte eine sofortige Offensive an mehreren Fronten, um in Russland einzudringen und die von Lenin und Trotzki geführte Regierung zu stürzen. Das war der Hintergrund für den Konflikt mit Polen, der seinen Höhepunkt im Sommer 1920 erreichte.
In seiner Autobiographie Mein Leben macht Trotzki klar, dass die Bolschewiken gegen den Krieg mit Polen waren. "Wir wollten mit allen Kräften diesen Krieg vermeiden", schreibt er. "[W]ir erstrebten aus allen Kräften den Frieden, selbst um den Preis großer Konzessionen." (Frankfurt a.M. 1974, S.392)
Weil jedoch die westlichen imperialistischen Länder ihre Armeen gegen die Sowjetunion mobilisierten und sich mit dem polnischen Staatschef, dem rechten Nationalisten Josef Pilsudski, verbündeten, war die Rote Armee unter Trotzkis Führung gezwungen, sich auf einen Kampf gegen die polnische Armee einzulassen, um die Sowjetunion zu verteidigen.
Nach einer Reihe bedeutender militärischer Erfolge kam es in der bolschewistischen Führung zu einer Diskussion über den weiteren Verlauf dieses Konflikts, die sich um die Frage drehte, ob der Feldzug auch auf polnischem Boden fortgesetzt werden sollte. Nach der Befreiung der polnisch besetzten Stadt Kiew durch die Rote Armee befürwortete Lenin ein Vordringen auf polnisches Territorium, weil er davon ausging, dass polnische Arbeiter und Bauern die Ziele der revolutionären Kräfte unterstützen würden. Lenins Politik war durch seine internationalistische Perspektive inspiriert, und besonders hoffte er, die russischen Kräfte würden die Möglichkeit erhalten, der gleichzeitig in Deutschland aufbrandenden revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse zu Hilfe zu kommen.
In seinem Taz -Artikel präsentiert Misik Trotzki als jemanden, der unrealistisch dachte und für politische Phantastereien anfällig war. In Wirklichkeit war Trotzki, auch wenn er Lenins allgemeine Perspektive teilte, davon überzeugt, dass die Rote Armee schon den Höhepunkt ihres möglichen Erfolges erreicht hatte, und er sprach sich gegen eine militärische Intervention in Polen aus. Doch in dieser Frage setzte sich in der bolschewistischen Führung Lenins Position durch. Die Truppen der Roten Armee marschierten in Polen ein und erlitten in der Folge vor Warschau eine bittere Niederlage. Die sowjetischen Kräfte waren gezwungen, sich aus Polen zurückzuziehen. Es zeigte sich, dass Trotzkis durch und durch realistische und nüchterne Einschätzung der politischen, gesellschaftlichen und militärischen Beziehungen korrekt gewesen war.
Misiks Bemühungen, Ähnlichkeiten zwischen Trotzkis Kriegspolitik und derjenigen der Bush-Regierung zu konstruieren, sind einfach bösartig und unhistorisch, und seine Versuche, eine Parallele zwischen den strategischen Zielen der kommunistischen Bewegung und denen der Neokonservativen in Washington zu ziehen, sind schlicht absurd.
Die Perspektive, die die Neokonservativen antreibt, ist im Wesentlichen eine Wiederbelebung der brutalsten und aggressivsten Form imperialistischer, auf militärische Gewalt gestützter Herrschaft. Diese Strategie, die im 20. Jahrhundert größtes Unheil anrichtete, fand im Bolschewismus ihren unversöhnlichsten Gegner - vor allem in der Perspektive der Permanenten Revolution, wie sie von Trotzki erarbeitet wurde. Erst der stalinistische Verrat an dieser Perspektive, der in der Auflösung der Sowjetunion gipfelte, ermöglichte ein Wiederaufleben jener Form militaristischer Aggression und kolonialer Eroberungen.
Misik behauptet in seinem Taz -Artikel auch, dass die Neokonservativen Trotzkis Kritik am Stalinismus übernommen hätten. In Wirklichkeit gründen sich Trotzkis Opposition gegen Stalin und die Feindschaft der Neokonservativen gegen die Sowjetunion auf genau entgegengesetzte politische Perspektiven. In seinem Kampf gegen die stalinistische Bürokratie verteidigt Trotzki entschieden das durch die russische Revolution Erreichte und warnt davor, dass Stalins nationalistischer Kurs die Errungenschaften der Sowjetunion untergraben und den Gefahren einer kapitalistischen Restauration preisgeben werde. Trotzki führte seinen Kampf gegen Stalin, indem er die russische und internationale Arbeiterklasse mit einem Programm bewaffnete, das die politische Überwindung der Kreml-Bürokratie, die Wiederherstellung der sowjetischen Demokratie und die Schaffung von Bedingungen für ein Wiederaufleben der sozialistischen Bewegung auf der ganzen Welt beinhaltete.
Trotzkis letzter Kampf, den er in den Monaten vor seiner Ermordung im August 1940 führte, war gerade gegen jene in der amerikanischen trotzkistischen Bewegung gerichtet, die unter Führung von Max Shachtman dem Druck der öffentlichen Meinung in der Mittelklasse nachgaben und sich weigerten, die Sowjetunion gegen den Imperialismus zu verteidigen.
Die WSWS hat schon früher auf diesen groben Versuch geantwortet, den Trotzkismus für Ansichten verantwortlich zu machen, die er unermüdlich bekämpft hat [siehe die unten angegebenen Artikel]. Shachtman brach mit dem Trotzkismus, und Trotzki sagte ihm 1940 mit untrüglicher Sicherheit voraus, wohin dieser Weg ihn führen werde.
Was immer der Beitrag der Neokonservativen - von denen einige von Shachtman beeinflusst waren - zur Verfeinerung der offiziellen Ideologie des Antikommunismus in den USA war, ihre fanatische Feindschaft gegen die Sowjetunion wurzelte in Klasseninteressen. Sie spiegelte die Frustration der amerikanischen herrschenden Klasse über die Tatsache wider, dass ein riesiger Teil des Globus der kapitalistischen Ausbeutung entzogen war. Gleichzeitig war sie Ausdruck der immer noch existierenden Befürchtungen, eine Wiederbelebung des Sozialismus auf der Grundlage der Errungenschaften der Oktoberrevolution könnte die Bastionen des Kapitalismus selbst bedrohen.
Es ist interessant, dass einige von Misiks Verfälschungen des Trotzkismus die Verleumdungen wiederholen, die vor 75 Jahren vom Stalinismus vorgebracht wurden. Im Kampf gegen die trotzkistische Linke Opposition in den zwanziger Jahren beschuldigten Stalin und seine Anhänger Trotzki oft des "Voluntarismus" und bezeichneten seine internationalistische Perspektive als "unrealistisch". In den dreißiger Jahren ging Stalin noch viel weiter und organisierte nach seinem Verrat an mehreren revolutionären Kämpfen der internationalen Arbeiterklasse seine monströsen Schauprozesse gegen die Anhänger Trotzkis, in denen er sie der Kollaboration mit diversen imperialistischen Mächten beschuldigte.
Das Echo dieser Verleumdungen ist kein Zufall. Die Gruppe, der sich Misik in den achtziger Jahren kurzzeitig angeschlossen hatte, und die von den Anschauungen Mandels inspiriert war, hatte einen grundlegenden Bruch mit dem Trotzkismus vollzogen und dem Stalinismus und anderen nicht-marxistischen und sich nicht auf die Arbeiterklasse stützenden Strömungen revolutionäre Eigenschaften zugesprochen. Vom Zusammenbruch dieser falschen Perspektive demoralisiert, haben sich viele dieser Elemente dem Antikommunismus zugewandt und richten ihren erbittertsten Hass gegen die einzige Tendenz, die den unvermeidlichen Niedergang des Stalinismus vorhergesehen hatte - den Trotzkismus.
Misik hat einen Mischmasch angerührt, der dem politischen Geschmack der deutschen Bourgeoisie gefallen soll. Er liefert das "Exposé" einer aggressiven militaristischen Tendenz in der amerikanischen Außenpolitik, die Berlin als gegen ihre eigenen geopolitischen Interessen gerichtet sieht, und die im vergangenen Frühjahr Millionen auf die Straße gebracht hat. Gleichzeitig verleumdet er den Trotzkismus, die einzige sozialistische und internationalistische Tendenz, die für die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen imperialistischen Krieg eintritt.
Misiks Weg unterscheidet sich nicht gar so sehr von dem Irving Kristols, dem angeblichen "Guru" des Neokonservatismus. Beide hatten flüchtige Beziehungen mit Organisationen, die sich auf den Trotzkismus berufen, gingen dann scharf nach rechts und versuchten, ihren "linken" Ruf in den Dienst des Lagers der Reaktion zu stellen. Ob das offizielle Berlin dem deutschen ex-Radikalen die Anerkennung angedeihen lassen wird, deren Kristol sich in den republikanischen Zirkeln in Washington erfreut, muss sich aber erst noch herausstellen.