Die Autobombe, die am Dienstag das Hauptquartier der Vereinten Nationen in Bagdad in die Luft gesprengt hat, erschütterte die Behauptung der Bush-Regierung, sie sei bei der Befriedung des Irak schon gut vorangekommen. Der Bombenangriff, so kurz nach den Explosionen, die Iraks nördliche Ölpipeline zerrissen und die Wasserversorgung für den größten Teil der Hauptstadt unterbrachen, wie auch die täglich den US-Truppen zugefügten Verluste, sind ein klarer Hinweis darauf, dass der Widerstand gegen die US-Besatzung tief verwurzelt ist und immer noch wächst.
Bushs Weißes Haus und die Medien verurteilten nach dem Anschlag gebetsmühlenartig den "Terrorismus". "Die Terroristen, die heute zugeschlagen haben, haben erneut ihre Verachtung für Unschuldige gezeigt", erklärte Bush. "Sie haben ihre Angst vor dem Fortschritt und ihren Hass auf den Frieden gezeigt." Er bezeichnete sie als "Feinde des irakischen Volkes" und "Feinde der zivilisierten Welt".
Diese Schuldzuweisungen sind der Gipfel der Heuchelei. Der Irak ist ein von einer fremden Macht besetztes Land. Das Attentat auf das UN-Gebäude steht im Zusammenhang eines Widerstandskampfs gegen diese Besatzung, der von breiten Schichten der irakischen Bevölkerung unterstützt wird.
Wenn Bush jene, die den Anschlag auf die UNO geplant und durchgeführt haben, der "Verachtung für Unschuldige" zeiht, dann ist das milde ausgedrückt unverschämt. Er selbst hat in offener Verletzung des internationalen Rechts Krieg gegen den Irak geführt. Nach vorsichtiger Schätzung haben mindestens 5.000 irakischen Zivilisten bei der US-Invasion ihr Leben verloren, viele von ihnen infolge amerikanischer Bombenangriffe auf Objekte, die inmitten oder in der Nähe von Wohngebieten lagen. Mindestens weitere 20.000 erlitten ernste Verletzungen und leiden noch immer unter den Folgen. Washington hat das Massaker, das gegen diese unschuldigen Opfer entfesselt wurde, als "Kollateralschaden" abgetan.
Die Behauptung, dass ein Angriff auf die Vereinten Nationen ein besonders abscheuliches Verbrechen sei, weil das einzige Ziel der internationalen Organisation darin bestehe, "dem Irak zu helfen", ist falsch. Zweifellos befinden sich unter den Getöteten auch Menschen, die der Meinung waren, sie dienten den Interessen einfacher Iraker. Aber mehr als zehn Jahre lange bittere Erfahrungen haben bewiesen, dass die UNO bei der Tragödie, die der Bevölkerung dieses geschundenen Landes zugefügt wurde, keineswegs ein unschuldiger Zuschauer war.
Die UNO billigte und unterstützte die wirtschaftlichen Strafmaßnahmen, die Washington nach dem Golfkrieg von 1991 forderte, und die zu massenhaftem Hunger und Krankheiten führten, die das Leben von schätzungsweise einer halben Million irakischer Kinder forderten. Sie hielt ein Regime von Waffeninspektionen aufrecht, das als Vorwand dafür herhalten musste, die Sanktionen nicht zu lockern, indem es vom Irak die unmögliche Aufgabe forderte, ein Negatives zu beweisen, nämlich die Nicht-Existenz von verbotenen Waffen oder Waffenprogrammen auf seinem Boden.
Schließlich hat der UN-Sicherheitsrat erst eine Woche vor dem Bombenanschlag den jüngst gebildeten irakischen Regierungsrat begrüßt, ein im Wesentlichen machtloses Gremium von Quislingen, das von Washingtons Prokonsul in Bagdad, Paul Bremer, handverlesen wurde, um der US-Militärbesatzung ein "irakisches Gesicht" zu verleihen. Zudem billigte er ein Hilfsprogramm der Vereinten Nationen, das die Ausbildung einer neuen irakischen Polizeitruppe einschließt.
So haben die UN alles getan, um eine illegale Militärbesatzung zu legitimieren und Kräfte auszubilden, die den Widerstand unterdrücken sollen. Die Tatsache, dass die Gegner der Besatzung die UN angriffen, ist wohl kaum eine Überraschung.
Der irakische Widerstand kämpft mit den Methoden, die in der Geschichte jedes Volk benutzt hat, das sich gegen eine fremde Besatzung wehrte. Da sich die Widerstandskämpfer nicht mit der überwältigenden Übermacht der amerikanischen Kriegsmacht messen können, stützen sie sich auf einen wichtigen strategischen Vorteil: es handelt sich um ihr Land. Ihr Ziel besteht darin, es für die Besatzer unregierbar zu machen.
Jene, die den illegalen Krieg gegen den Irak eröffnet haben, tragen heute die volle politische und moralische Verantwortung für die Gewalt und das Blutvergießen in diesem Land. Dass sie jeden als "Terroristen" beschimpfen, der die US-Invasoren nicht als "Befreier" begrüßt, ist auch nichts Neues. So war es in Vietnam, Algerien, Südafrika und in jedem Land der Erde, wo unterdrückte Völker das Joch des Kolonialismus und der Fremdherrschaft abzuschütteln versuchten.
Man sollte nicht vergessen, dass die Nazis, die als erste die Politik des von Bush übernommenen "Präventivkriegs" anwandten, automatisch jeden, der im Zweiten Weltkrieg die deutsche Besatzung bekämpfte, als "Terroristen" verurteilten. Aber die Gegner der Nazi-Aggression lobten die Schläge des Widerstands, dessen Heldentaten in nicht wenigen Hollywood-Filmen besungen wurden.
Das Attentat vom Dienstag in Bagdad hat eine Flut von Medienkommentaren provoziert, die in der einen oder anderen Form nahe legen, Washington solle den Anschlag mit noch größerer Repression beantworten. "Die Bush-Administration muss ausreichende zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, und wenn nötig zusätzliche Truppen..." erklärte die New York Times in ihrem Leitartikel vom Mittwoch. "Die Iraker sollen sehen, dass Washington den Willen und die Mittel hat, um ihr Land wieder auf die Beine zu bringen."
In der gleichen Zeitung verfasste die Kolumnistin Maureen Dowd einen besonders zynischen Kommentar. Sie gibt zu, dass die Bush-Regierung vor dem Krieg "die Gefahr für Amerika übertrieben" und "Verbindungen zwischen Saddam und Al Quaida erfunden" hat. Weiter weist sie darauf hin, dass vor dem Krieg im Irak keine Gefahr von bewaffneten islamistischen Gruppen bestand, die Invasion und Besatzung aber Bedingungen herbeigeführt hat, in denen diese Organisationen aufblühen können. "Das Bush-Team hat jetzt genau das Monster geschaffen, das es beschworen hatte, um die Amerikaner dazu zu bringen, einen Krieg gegen Irak zu unterstützen", schreibt sie.
Sie gelangt jedoch zum Schluss: "Wir können nicht weggehen, und wir können nicht für immer dort bleiben. Wir müssen es einfach durchstehen."
"Es durchstehen" bedeutet, dass noch mehr junge Amerikaner in Uniform getötet oder verwundet und noch viel mehr Iraker und Jugendliche aus andern arabischen Ländern geopfert werden sollen. Dies ist nichts weniger als eine Rechtfertigung für die Fortsetzung eines brutalen neokolonialen Krieges.
Niemand weiß, wie viele Iraker bis jetzt schon getötet, gefangen oder gefoltert wurden, weil das Pentagon solche Informationen nicht herausgibt. Tausende werden noch in riesigen Gefangenenlagern festgehalten, die von amerikanischen Soldaten rings um Bagdad errichtet wurden. Irakische Häftlinge - darunter auch Kinder - haben ausgesagt, unmenschlich behandelt worden zu sein. Viele werden unter der prallen Sonne in Ketten gehalten oder tagelang in glutheißen Zellen eingesperrt.
Ende dieses Monats wird ziemlich sicher die Zahl der amerikanischen Soldaten, die seit dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen am 1. Mai ihr Leben verloren, die Zahl derjenigen übertreffen, die während der Invasion selbst zu Tode kamen.
Der Bombenanschlag auf die UN-Zentrale wird fraglos zum Vorwand für noch mehr Gewalt gegen das irakische Volk genommen werden. Auf Widerstand muss mit Unterdrückung reagiert werden. So war es in ähnlichen Besatzungskriegen, von den Nazi-Massakern im tschechischen Lidice, über die Schlacht von Algier bis hin zur "Operation Phönix" in Vietnam. Als Bush erklärte: "Die zivilisierte Welt wird sich nicht einschüchtern lassen", spielte er auf bevorstehende Massenrazzien und weitere Opfer an.
Unterschwellig gehen manche Argumente für eine Fortsetzung und sogar Intensivierung der Besatzung des Iraks von der Vorstellung aus, aus einem illegalen Aggressionskrieg könne doch noch etwas Gutes entstehen, selbst wenn er unter falschen Vorspiegelungen und aus kriminellen Motiven geführt wurde - nämlich der Eroberung der irakischen Ölquellen. Dies ist eine ähnlich krasse Illusion, wie sie vor dreißig Jahren zum Tod von beinahe 60.000 Amerikanern und Millionen Vietnamesen geführt hat.
Keine noch so große Zahl US-Soldaten und keine angeblich guten Motive Washingtons werden den Widerstand gegen die Fremdherrschaft beenden. Das Volk des Irak und die übrige arabische Welt haben eine lange Geschichte im Kampf gegen Kolonialherrschaft, die nicht einfach durch leere Rhetorik über "Demokratie" und "Befreiung" ausgelöscht werden kann.
Wie viele Menschen - Iraker wie Amerikaner - müssen wohl noch sterben, bis dieses kriminelle Abenteuer schließlich beendet wird?
Das amerikanische Volk muss diesem schmutzigen Krieg im Kolonialstil ein Ende setzen. Es darf nicht akzeptieren, dass amerikanische Jugendliche auch nur einen einzigen Tag länger unnötigerweise und rücksichtslos der Gefahr ausgesetzt werden, und es muss die mörderische Unterdrückung zurückweisen, die von der Bush-Administration in seinem Namen durchgeführt wird. Es muss den sofortigen und bedingungslosen Rückzug sämtlicher US-Kräfte aus dem Irak verlangen.
Außerdem muss eine vollständige und öffentliche Untersuchung über die Art und Weise gefordert werden, wie der Krieg dem amerikanischen Volk aufoktroyiert wurde. Kongress und Demokraten sind ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden und haben es versäumt, in den Monaten vor der Invasion die falschen Behauptungen der Bush-Administration zu widerlegen oder auch nur in Frage zu stellen. Aber die Verantwortlichen müssen juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Die Politiker, die in dieses schlimmste Verbrechen gegen das Völkerrecht - die Verschwörung zur Durchführung eines Aggressionskriegs - verwickelt sind, müssen bestraft werden. Das ist eine Voraussetzung, um in Zukunft neue Aggressionskriege zu verhindern.