Die Rede von US-Außenminister Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat am vergangenen Mittwoch hatte nur geringe Wirkung auf die internationale öffentliche Meinung und die weltweite Opposition gegen einen amerikanischen Krieg gegen den Irak. Medienkommentatoren und Regierungsvertreter außerhalb der USA - außer denen, die wie Tony Blair schon auf Krieg festgelegt sind - werteten die Rede als eine Aneinanderreihung unbewiesener und weitgehend schon bekannter Behauptungen, die sich auf nicht verifizierbare Quellen stützten.
Laut einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung würden die Beweise, die Powell präsentierte, nicht einmal zur Verurteilung eines Hühnerdiebs taugen. Die Argumente des US-Außenministers besäßen keinerlei Beweiskraft, hieß es darin. Nach solchen juristischen Maßstäben könnte nicht einmal ein einzelner Angeklagter bestraft werden, von tödlichen Bombenangriffen auf ein Land mit 23 Millionen Einwohnern ganz zu schweigen.
Die amerikanischen Medien dagegen taten so, als ob Powells Rede die letzten Zweifel daran beseitigt hätte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze und sie an Terroristen weiterzugeben beabsichtige. Liberale wie konservative Leitartikler und Kolumnisten lobten den Auftritt des Außenministers und erklärten, dass einem amerikanischen Angriff auf Bagdad nun nichts mehr entgegenstehen dürfte.
Der wirkliche Zweck dieser konzertierten Unterstützung für Krieg ist die Einschüchterung und Isolierung der Gegner einer US-Aggression im eigenen Land. Das amerikanische Establishment gibt durch seine Sprachrohre in den Medien bekannt, dass jede weitere öffentliche Kampagne gegen den Irakkrieg als illegitim, wenn nicht als regelrechter Hochverrat betrachtet wird.
Die zum Krieg bekehrten Liberalen
Besonders bezeichnend ist die Wende bei den Kolumnisten, die zuvor starke Bedenken gegen einen erneuten amerikanischen Krieg am Persischen Golf hegten oder sogar eindeutig dagegen waren. Zwei davon, Richard Cohen und Mary McGrory, schreiben für die Washington Post, die führende Tageszeitung in der US-Hauptstadt. Beide veröffentlichten am Tag nach Powells Rede Kolumnen, in denen sie sich jetzt überzeugt von der Berechtigung einer Militäraktion zeigten.
Noch vor zwei Wochen äußerte McGrory ihre volle Sympathie mit den Kriegsgegnern, die am 18. Januar an den Kundgebungen in Washington teilgenommen hatten. Doch ihre Kolumne vom Tag nach Powells Rede trug die Überschrift "Ich bin bekehrt" - eine passende Inschrift für den politischen Grabstein der achtzigjährigen Liberalen.
McGrory schreibt: "Ich habe mich gegen die Kriegsvorbereitungen gegen den Irak gestellt, weil ich glaubte, George W. Bush suche aus völlig falschen Gründen Streit mit dem falschen Gegner- im Interesse der Ölindustrie und der extremen Rechten. Die Leute, die den Krieg am meisten wollen, sind nicht die Leute, deren Banner ich folgen könnte... Unter den Leuten, die ich kenne, war niemand für Krieg."
Aber Powells Rede hat sie wie Saulus auf der Straße nach Damaskus ereilt: "Seine Stimme war stark und fest. Er trug seine Argumente ohne Schauspielerei vor, ohne verbale Ausschmückungen... Der Gesamteindruck war bestechend. Es erinnerte mich an jenen lange zurückliegenden Tag, als John Dean, ein Speichellecker im Weißen Haus, Richard Nixon beschuldigte, und man das Entsetzen in den Gesichtern der Republikaner lesen konnte, die wussten, dass ein Impeachment jetzt unausweichlich war."
Sie schließt: "Noch bin ich nicht bereit zum Krieg. Aber Colin Powell hat mich überzeugt, dass er vielleicht der einzige Weg ist, einen Unhold zu stoppen, und dass wir, wenn wir es tun, allen Grund dazu haben."
Cohens bisherige Bedenken gegen den Irakkrieg waren beschränkter, und seine Bekehrung von einer Menge Lobhudelei für die Powells Auftritt begleitet: "frösteln machende Details", "so stark, so überzeugend", "es gibt keine Alternative."
Cohen hat dieselben Illusionen über Powell als einen Mann des Friedens, die unter liberalen Träumern weit verbreitet sind: "Es war die Gesamtheit des Materials und die Tatsache, dass Powell selbst es präsentierte. In diesem Fall war der Bote vielleicht wichtiger als die Nachricht selbst. Diesmal war der Ankläger der Mann, der bisher als ein Mann von Besonnenheit galt, was in der Bush Regierung geradezu als ein Schimpfwort gilt. Hier saß ein vernünftiger Mann, der seine Sache vernünftig begründete."
Nicht uninteressant ist, wie schnell diese beiden Kolumnen verfasst wurden. Um den Redaktionsschluss ihrer Tageszeitung nicht zu verpassen, mussten sie wohl schon zu schreiben begonnen haben, noch bevor Powell zu Ende gesprochen hatte. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass einer von ihnen sich die Zeit nahm, eine Niederschrift der Rede zu studieren oder gar die Beweise zu prüfen.
Monatelang hatte McGrory konsequent die Kriegstreiberei kritisiert, während Cohen diverse Vorbehalte vorgebracht und sich unübersehbar verächtlich über Bush persönlich geäußert hatte. Aber innerhalb von Stunden nach Powells Rede hatten beide Episteln verfasst, in denen sie ihre Bekehrung zur Sache des Krieges verkündeten. Derart ist die Oberflächlichkeit des Liberalismus der heutigen Tage und die Naivität und Unterwürfigkeit seiner Vertreter gegenüber einer zum Krieg entschlossenen Regierung.
McGrory stellte in ihrer Kolumne Vergleiche mit der Vietnamkriegsära an. Sie weiß sehr gut, dass die US-Regierung den Vorwand für die militärische Intervention in Vietnam, den Zwischenfall im Golf von Tonkin, absichtlich fälschte. Aber sie zieht daraus nicht die Schlussfolgerung, dass es im Lichte dieser Geschichte ratsam sei, die Behauptungen einer amerikanischen Regierung zum Krieg besonders streng zu prüfen. Im Gegenteil, sie schluckt unbesehen den heutigen Tonkin-Zwischenfall, d. h. die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak.
Vielleicht haben McGrory und Cohen die juristischen Standards übernommen, die Verteidigungsminister Donald Rumsfeld entwickelt hat. Die Washington Post berichtete am 30. Januar über eine Pressekonferenz des Pentagon, in der Rumsfeld behauptete, "je größer die Bedrohung ist, desto weniger Beweise sind für einen Angriff notwendig." Mit anderen Worten, je schwerwiegender und weitreichender die Vorwürfe gegen den Irak sind, desto schwächer dürfen die Beweise sein.
Die Isolation der Kriegstreiber
Diese Medienliberalen kapitulieren vor der Kriegstreiberei Bushs nicht, weil die Opposition gegen den Krieg unpopulär wäre, sondern im Gegenteil, weil die amerikanische herrschende Elite sich am Vorabend des Feldzugs zunehmend isoliert fühlt und versucht, jede öffentliche Opposition zu unterdrücken.
Die bewusstesten Teile der herrschenden Elite sind sich völlig über die massenhafte Opposition in der Bevölkerung gegen den Krieg im Klaren. Dieses Wissen schien in einem Kommentar von Thomas Friedman, dem außenpolitischen Chefkolumnisten der New York Times, vom 5. Februar durch. Er warnte, dass die Pläne der Bush Regierung für einen Krieg gegen den Irak in der öffentlichen Meinung der USA sehr wenig Unterstützung genössen.
Die Kolumne beginnt: "Bei Gesprächen mit Mitgliedern der Bush-Regierung in der letzten Zeit fiel mir ein unglaublicher Kontrast auf. Es ist der Kontrast zwischen der atemberaubenden Kühnheit dessen, was sie im Irak tun wollen - eine Kühnheit, der ich mich, wie ich zugeben muss, nicht ganz entziehen kann -, und der unglaublich geringen Unterstützung, die heute in Amerika für dieses kühne Projekt existiert."
Friedman schreibt, dass die wirkliche Sorge derer, die wie er selbst eine amerikanische Militäraktion gegen den Irak unterstützen, nicht die Haltung der arabischen Staaten, der Türkei oder Frankreichs ist, und auch nicht eine mögliche Reaktion der arabischen Massen, sondern die Haltung der amerikanischen Bevölkerung. "Ich mache mir Sorgen um meine Nachbarn", sagt er. "Ich hatte seit September die Möglichkeit durch das ganze Land zu reisen und kann mit Bestimmtheit sagen, dass ich nicht ein einziges Mal zu einem Publikum sprach, von dem ich den Eindruck hatte, es sei mehrheitlich für den Krieg im Irak."
Dieses Eingeständnis hat eine enorme politische Bedeutung, wenn man bedenkt, dass Friedman zu den konsequentesten Befürwortern einer amerikanischen Aggression im Nahen Osten zählt. (Eine Kritik an Friedmans jüngsten Stellungnahmen zugunsten eines Krieges enthalten folgende Artikel auf der World Socialist Web Site : "Inventing a pretext for war against Iraq, Friedman of the Times executes an assignment for the Pentagon" und " New York Times ' Thomas Friedman: No problem with a war for oil")
Friedman behauptet, dass die "Kühnheit" der Regierung Bush in dem Versuch bestehe, den Irak in eine funktionierende Demokratie zu verwandeln und dadurch den gesamten Nahen Osten umzukrempeln. Das ist nicht nur an den Haaren herbei gezogen, sondern auch vollkommen zynisch. Die Kühnheit, die er wirklich bewundert, ist die Entschlossenheit der Bush-Regierung, die Ölreserven des Irak zu kontrollieren und die ganze Region der amerikanischen Vorherrschaft zu unterwerfen. Friedman ist im Großen und Ganzen ein Bewunderer der Anwendung von Gewalt - auch in dieser Kolumne kann er seine klammheimliche Freude nicht verbergen, dass im Falle einer erfolgreichen Invasion "der Irak von der eisernen Faust der US-Armee und ihrer Verbündeten kontrolliert wird".
Ganz unabhängig vom unmittelbaren Ausgang eines US-Kriegs gegen den Irak wird der Versuch, eine solche "eiserne Faust" gegen die Völker des Nahen Ostens zu richten, unvermeidlich wachsenden Widerstand auslösen - nicht nur in dieser Region, sondern international und vor allem in den Vereinigten Staaten selbst.
Der Kampf gegen Krieg
Die einheitliche Unterstützung für die Kriegstreiberei in dem gesamten politischen Spektrum liberaler und konservativer Couleur bedeutet, dass eine Antikriegsbewegung sich in den Vereinigten Staaten nur in Opposition zum gesamten politischen Establishment entwickeln kann.
Eine gesellschaftliche Massenbewegung heute wird nicht einfach eine Wiederholung der Vietnam-Ära sein. Anders als in den sechziger Jahren wird heute kein Teil des politischen Establishments mehr mit demokratischen Reformen und sozialem Fortschritt in Verbindung gebracht, mit wirklichen Verbindungen zur Masse der Bevölkerung. Der gesamte politische Überbau steht im Dienste der Interessen einer schmalen Finanzelite, die den Reichtum monopolisiert und die Gesellschaft in einem Maße dominiert, wie es seit den Tagen der großen Industriebarone nicht mehr der Fall war.
Natürlich gibt es im politischen Establishment und seinen Medien Differenzen. Aber die von Friedman angesprochene tiefe Kluft zwischen der Stimmung unter den Massen und den Ansichten der Elite rührt von der fundamentalen sozioökonomischen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft her. Die Bush-Regierung und die herrschende Elite sind sich ihrer Isolation und Unpopularität wohl bewusst, wie Friedmans Warnungen zeigen. Hinter den Kulissen bereiten sie unter dem Vorwand terroristischer Bedrohungen brutale Maßnahmen gegen eine Bewegung von unten vor.