Gegen die Boykottierung israelischer Akademiker

Die World Socialist Web Site verurteilt nachdrücklich die internationale Kampagne, die zum Boykott gegen israelische Akademiker aufruft.

Der britische Professor Steven Rose von der Open University war der erste, der sich für den akademischen Boykott stark machte, und einem diesbezüglichen Aufruf haben sich mittlerweile über 700 Akademiker angeschlossen. Der Absicht seiner Urheber nach soll sich der Boykott gegen die erneute Besetzung der palästinensischen Gebiete im Westjordanland und Gazastreifen durch das israelische Militär richten, aber wie gut gemeint er auch immer sein mag, dient er doch nur dazu politische Verwirrung unter Intellektuellen, Arbeitern und Jugendlichen zu stiften.

Nichts illustriert die politischen Gefahren, die in dem Boykott beinhaltet sind, besser als die grösste öffentlichkeitswirksame Aktion, die seine Unterstützer bislang unternommen haben. In diesem Monat wurden zwei israelische Akademiker, Professor Gideon Toury von der Universität Tel Aviv und Dr. Miriam Schlesinger von der Universität Bar-Ilan, von der Mitarbeit an den linguistischen Zeitschriften Translator und Translation Studies Abstract ausgeschlossen. Getragen wurde diese Entscheidung von der Herausgeberin der Magazine, Professor Mona Baker vom Institut für Wissenschaft und Technik der Universität Manchester.

Baker bemühte sich um die Klarstellung, dass ihre Entscheidung eine "politische, keine persönliche" sei. Nichtsdestotrotz bleibt die Tatsache bestehen, dass die beiden aus dem einzigen Grund, israelische Staatsbürger zu sein, aus ihren Positionen geworfen wurden. Dr. Schlesinger war früher die Vorsitzende von Amnesty International in Israel, hat sich regelmäßig an Aktivitäten der Friedensbewegung Peace Now beteiligt und sich über israelische Militärblockaden hinweggesetzt, um palästinensische Städte im Westjordanland zu versorgen. Aber selbst wenn es sich nicht um Menschen mit politisch progressiven Ansichten handeln würde, sollte niemand jemals aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, ethnischen Herkunft oder religiösen Überzeugung diskriminiert und verfolgt werden.

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass solche Methoden dazu beitragen, antizionistischen Stimmungen in Israel mehr Gehör zu verschaffen; vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Indem er auf plumpe Weise die jüdischen akademischen Institutionen mit dem israelischen Staat und seinen Verbrechen gleichsetzt, spielt der Boykott den zionistischen Ideologen direkt in die Hände. Maßnahmen gegen normale israelische Bürger verstärken nur die zionistischen Bemühungen, die fatalistische und zutiefst pessimistische Vorstellung zu verbreiten, dass die ganze Welt gegen das jüdische Volk ist und der Staat Israel seine einzige Zufluchtsstätte darstellt.

Eine richtige Handlungsweise für Akademiker, die die israelische Aggression gegen die Palästinenser ablehnen, wäre das genaue Gegenteil eines solche Boykotts: Sie bestände darin, sich für ein Maximum an Beschäftigung und Zusammenarbeit mit den israelischen und arabischen Kollegen einzusetzen, einen ernsthaften Dialog über die aufgeworfenen Fragen zu unterstützen und somit über nationale Grenzen hinwegzugehen, anstatt sie zu verstärken. Zudem haben israelische Akademiker einige herausragende Beiträge zur wissenschaftlichen Verständigung geliefert, unter anderem ernst zu nehmende Arbeiten zur palästinensischen und arabischen Geschichte. Dieses Material muss kritisch zur Kenntnis genommen und diskutiert und nicht einer moralischen Zensur unterworfen werden, die Akademiker näher an den zionistischen Staat treibt, anstatt ein unabhängiges Denken zu unterstützen.

Der akademische Boykott ist Ausdruck einer demoralisierten Weltanschauung - einer Spielart des empörten Liberalismus, der es für ausgeschlossen hält die israelische Bevölkerung davon zu überzeugen, mit der Politik ihrer herrschenden Elite zu brechen und einen unabhängigen Weg einzuschlagen, und seine politischen Frustration daher an einem wesentlich schwächeren Ziel auslässt. Einzelne Israelis aufs Korn zu nehmen, die für die Politik der Scharon-Regierung nicht verantwortlich sind und sich ihr vielleicht sogar aktiv widersetzen, ist nicht zu rechtfertigen und politisch gefährlich. Wir möchten die Unterstützer solcher Aktionen um folgendes bitten: Achten Sie sehr sorgfältig darauf, welche Signale Sie - auch unbeabsichtigt - aussenden, denn in Europa erleben wir bereits Angriffe auf die jüdische Bevölkerung, ihre Synagogen und Friedhöfe durch arabische Jugendliche, die dies als legitimen Ausdruck ihrer Solidarität mit den Palästinensern betrachten. Nichts darf getan werden, das solchen rückständigen Stimmungen auch nur einen Hauch von Rechtfertigung verleiht.

In der Aktion gegen die beiden Akademiker zeigt sich auf jedem Fall eine Betrachtungsweise des Zionismus, die ihn als eine Frage der persönlichen Moral behandelt und nicht das geringste Verständnis dafür aufbringt, welch komplexer Kampf erforderlich ist, um einer politischen Tendenz entgegenzutreten, deren Aufstieg eine rückwärts gerichtete Reaktion auf die tragische Erfahrung des europäischen Judentums zugrunde liegt. Sie zeigt auch, dass kein Verständnis dafür vorhanden ist, wie ein erfolgreicher Kampf gegen den israelischen Staat geführt werden kann, der als bewaffneter Vorpostens des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten fungiert.

In diesem Zusammenhang könnte man fragen, warum der Vorwuf einer Kollektivschuld nur gegen israelische Staatsbürger gerichtet werden sollte. Der amerikanische und britische Imperialismus haben im Laufe ihrer Geschichten die brutalsten Verbrechen an unschuldigen Völker weltweit begangen, weitaus schlimmere als Israel. Beide Länder bombardieren derzeit regelmäßig Afghanistan und den Irak und planen einen weiteren Krieg gegen die Bevölkerung des Iraks, die bereits viel erlitten hat. Außerdem ist sich jeder halbwegs politisch gebildete Mensch darüber im Klaren, dass hinter Scharons Kriegsmaschine die Bush-Regierung und die Labour-Regierung von Toni Blair stehen. Also warum sollte man dann nicht zum Boykott von britischen und amerikanischen Akademikern aufrufen?

Wir stellen diese Frage nur, um den undemokratischen Charakter der Aktion gegen die zwei israelischen Intellektuellen zu illustrieren. Man kann sich nur vorstellen, dass bei einem solchen Boykottaufruf viele von denen peinlich berührt wären, die unüberlegt ihren Namen unter den vorhandenen Aufruf gesetzt haben.

Die World Socialist Web Site lehnt vehement alle Versuche ab, der israelischen Bevölkerung eine Kollektivschuld an der Unterjochung der Palästinenser zuzuschreiben. Solche Vorwürfe einer nationalen Schuld und die Vorgehensweisen, die sich daraus ergeben, sind in jegliche Hinsicht zutiefst reaktionär.

Israel ist wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien und jedes andere Land zutiefst von sozialen Widersprüchen und Klassengegensätzen gekennzeichnet. Diese finden bereits einen politischen Ausdruck in oppositionellen Stimmungen gegen das zionistische Establishment und seine Kriegsverbrechen, und diese Opposition muss in der Zukunft größere Dimensionen annehmen. Wer dies leugnet, leugnet jede Möglichkeit, die jüdischen Arbeiter und Akademiker von einer politischen Alternative zum Zionismus überzeugen zu können; und dies ist der Grund, warum die Unterstützer des Boykotts auf die Mittel der Ächtung und des Zwangs zurückgreifen.

Die Unterstützer des Boykotts führen das Beispiel der Kampagne gegen das Apartheidregime in Südafrika als historisches Vorbild an. Dies verdient eine Antwort. Es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Aufruf, in Südafrika keine Investitionen zu tätigen, keine Konzerte zu geben oder irgendwie sonst öffentlich aufzutreten, was legitime Formen der politischen Opposition gegen die Apartheid waren, und der Praxis, israelische Akademiker auf eine schwarze Liste zu setzen und sie aus Großbritannien zu verbannen. Es wäre etwas gänzlich anderes, wenn britische Akademiker sich dazu entschlössen, Vorträge oder Lehraufträge an israelischen Universitäten aus Gewissensgründen abzulehnen - obwohl es unsere Meinung nach sinnvoller wäre, wenn sie die Vorlesungssäle als Plattform nutzen würden, um die Politik der israelischen Regierung öffentlich anzugreifen.

Wir befürworten gut durchdachte Anstrengungen, um Widerstand gegen die anhaltende Verfolgung der Palästinenser zu mobilisieren. Protestaktionen, wie der Aufruf zur Blockade von Militärgerätschaften und andere Maßnahmen zur Isolierung der Scharon-Regierung, sollten sich gegen diejenigen richten, die die Schuld an den Verbrechen im Westjordanland und Gazastreifen tragen, und als Teil eines größeren politischen Kampfes verstanden werden, der sich gegen die Regierungen von Bush und Blair richtet.

Die World Socialist Web Site hat sich immer grundsätzlich in Opposition zum Zionismus gestellt, aber wir tun dies gestützt auf das Programm des sozialistischen Internationalismus und durch die Methoden des Klassenkampfes. Wir versuchen israelische Arbeiter und Intellektuelle davon zu überzeugen, dass sie eine falsche politische Perspektive und Ideologie zurückweisen müssen: Eine sichere und blühende Zukunft des jüdischen Volks liegt nicht in der militaristischen Politik, wie sie von Ariel Scharon vertreten wird, sondern in der Schaffung einer egalitären Gesellschaft für Juden und Araber gleichermaßen - den Vereinigten Sozialistischen Staaten des Nahen Ostens. Im Kampf gegen den Zionismus sind nur solche Methoden erlaubt, die die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse und den Zusammenschluss von arabischen und jüdischen Arbeitern gegen ihren gemeinsamen Feind erleichtern.

Siehe auch:
Protest der israelischen Armeereservisten eröffnet neues Kapitel im Kampf gegen den Zionismus
(14. Februar 2002)
Israels Schritte zum Krieg und das Erbe des Zionismus
( 18. Oktober 2000)
(Dieser Artikel ist auch in der gleichheit - September/Oktober 2002 enthalten.)
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