Die Bush-Regierung und die ihr dienenden Medien haben wiederholt die außen- und innenpolitischen Maßnahmen, die im Namen des "Kriegs gegen den Terrorismus" erfolgen, mit dem Kalten Krieg gegen die Sowjetunion verglichen. Entsprechende Töne schlug Verteidigungsminister Rumsfeld an, als er zu Beginn dieses Monats in die frühere Sowjetrepublik Usbekistan aufbrach: "Es wird eher zu einem Kalten als zu einem Heißen Krieg kommen."
Im Kalten Krieg, fuhr er fort, "gab es keine großen Schlachten, sondern kontinuierlichen Druck; es gab die Zusammenarbeit vieler Nationen, es gab den Willen der Bevölkerung in vielen Nationen, sich für ihn einzusetzen und ihn weiterzuführen. Und er endete nicht mit einem großen Knall, sondern durch einen inneren Zusammenbruch. Die Unterstützung für die von uns bekämpfte Lebensweise und Bedrohung der Welt zerfiel einfach von innen heraus."
Auf die Frage, ob der gegenwärtige Konflikt Jahrzehnte dauern könne, ähnlich dem Kalten Krieg, der fast die gesamte zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts umspannte, antwortete Rumsfeld: "Ich habe keine Ahnung."
Der genannte Vergleich beruht auf einer groben Verdrehung der Geschichte und einer Verfälschung der Ziele und Methoden, die der gegenwärtigen Militäroffensive zugrunde liegen. Die Bush-Regierung verbreitet Mythen über den Kalten Krieg, um zu rechtfertigen, wie sie heute die geopolitischen und ökonomischen Interessen des amerikanischen Kapitalismus verfolgt. Zugleich hofft die herrschende Elite in den USA, anstelle der einstigen "roten" Gefahr aus der Sowjetunion nun das Schreckgespenst des globalen Terrorismus als äußere Bedrohung an die Wand malen zu können, um einen innenpolitischen Konsens für ihre reaktionäre Politik im sozialen Bereich und für ihre militaristische Außenpolitik zu schmieden.
Regierungsbeamte, Kommentatoren und Akademiker bemühen sich gemeinsam, die antikommunistische Ideologie der Vergangenheit so umzumodeln, dass sie den Interessen des amerikanischen Imperialismus in der post-sowjetischen Welt entspricht. Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür stellt eine Kolumne dar, die in der New York Times vom 6. Oktober unter der Überschrift "Der 40-jährige Krieg" erschien.
Verfasser dieses Kommentar ist Bill Keller, der frühere Moskau-Korrespondent und heutige Mitherausgeber der Zeitung. Keller zitiert John Lewis Gaddis, den "Hohepriester der Forschungen zum Kalten Krieg": "Der Kommunismus wurde in den 1950ern, wie Professor Gaddis herausstellt, nicht als Rivale angesehen, sondern als eine furchterregende, staatlich unterstützte Verschwörung, die uns sowohl von innen als auch von außen bedrohte. Die amerikanische Antwort war 'Eindämmung', eine Art globaler Treibjagd mit dem Ziel, dem kommunistischen Einfluss entgegenzutreten, wo immer er auftauchte. Zu diesem Zweck setzte man diplomatische und wirtschaftliche Mittel bzw. Stellvertreterarmeen häufiger ein als die militärische Stärke Amerikas. "
Keller fährt fort: "Wie der Kalte Krieg wird auch dieser für die Zeit seiner Dauer allem seinen Stempel aufdrücken. Er wird den Ausschlag darüber geben, wer unsere Freunde sind, er wird als Maßstab unserer Prioritäten und als Probe auf die Elastizität unserer Ideale dienen."
Was aber war der Kalte Krieg und worin besteht seine wirkliche Beziehung zum Krieg in Afghanistan?
Im Wesentlichen war der Kalte Krieg ein von Washington geführter, weltweiter Kampf gegen die Bedrohung, die den außenpolitischen Interessen des amerikanischen Kapitalismus durch die soziale Revolution erwuchs. Er begann im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg. Seine Wurzeln reichen allerdings bis in das Jahr 1918 zurück. Damals stellte das amerikanische Militär einen wichtigen Teil des imperialistischen Expeditionskorps, das nach Russland geschickt wurde, um den soeben entstandenen Sowjetstaat zu erdrosseln. Die imperialistische Offensive zielte auf die Wiederherstellung des Kapitalismus in Russland, um die enorme Anziehungskraft der ersten sozialistischen Revolution auf die Arbeiter und Intellektuellen der ganzen Welt zu brechen.
Die Intervention wurde zwar niedergeschlagen, doch der erbarmungslose Druck des Imperialismus auf den isolierten Sowjetstaat führte zum Wachstum einer privilegierten Bürokratie und zu einem scharfen Rechtsschwenk in der Innen- und Außenpolitik der herrschenden Partei. Washington begrüßte diesen Rechtsschwenk. Im Jahr 1933 erkannten die USA die Sowjetunion an und schlossen mit ihr ein Kriegsbündnis gegen das Dritte Reich. Das stalinistische Regime im Kreml, nun Bündnispartner der USA, hatte zuvor die Führer der Revolution von 1917 in Massensäuberungen und Schauprozessen vernichtet.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich die amerikanische Außenpolitik durchgreifend. Die Truman-Regierung proklamierte ihre Politik der "Eindämmung" der Sowjetunion und des Kampfes gegen die "Ausdehnung des Kommunismus". Washington schob die polizeistaatlichen Methoden des Stalinismus in der UdSSR und Osteuropa vor, um seine imperialistische Politik als Kampf für Demokratie und Freiheit, gegen Tyrannei und Unterdrückung darzustellen.
Der Anspruch, Amerikas Politik des Kalten Krieges sei die Antwort auf die "sowjetische Aggression", war unter ideologischen Gesichtspunkten blanker Unfug. Die UdSSR unter Stalin unterstützte zu diesem Zeitpunkt schon lange keine Revolutionen mehr. Ihre Herrschaft über die osteuropäischen Gebiete, die sie Nazi-Deutschland abgenommen hatte, und die Schaffung sogenannter "Pufferstaaten" war lediglich eine Verteidigungsmaßnahme, mit der sie sich vor künftigen Invasionen aus dem Westen schützen wollte. Dies geschah mit Zustimmung der Imperialisten und sollte eine Region stabilisieren, die seit langem von sozialen und nationalen Unruhen geprägt war. Die beschränkte Unterstützung, die die Sowjetbürokratie nationalistischen Bewegungen in anderen Regionen gewährte, diente der Stärkung ihrer eigenen, nationalen Verteidigung.
Des Propaganda-Anstrichs entkleidet, stellte die amerikanische Politik des Kalten Krieges im Wesentlichen eine äußerst aggressive Antwort auf die wachsende Gefahr von Revolutionen in den Kolonialländern und, weit bedrohlicher, in den kriegszerstörten Ländern Westeuropas und Asiens dar. Dort ging die militante und sozialistisch gesonnene Arbeiterbewegung zum Ende des Kriegs in die Offensive. Auch in den USA selbst fürchtete die Bourgeoisie das Gespenst der Revolution, denn in den Jahren 1945 und 1946 sah sie sich einer beispiellosen Streikwelle gegenüber.
Die Politik des Kalten Kriegs war alles andere als ein Kampf für die Freiheit. Sie zeichnete sich durch militärische Gewalt und Repression aus. Ein Großteil des Konflikts wurde in den unterdrücktesten Ländern der Welt ausgefochten. In Korea und Vietnam führten und verloren die USA Kriege, die Zehntausende amerikanischer Soldaten und Millionen asiatischer Arbeiter und Bauern das Leben kosteten.
Diese Politik beinhaltete außerdem verdeckte Operationen mit dem Ziel, linke Regime zu stürzen und sie durch amerikafreundliche Diktaturen zu ersetzen. So organisierte die Central Intelligence Agency (CIA) 1954 in Guatemala einen Militärputsch gegen die Arbenz-Regierung, die es gewagt hatte, gegen die Hegemonie der United Fruit Company anzugehen. Ebenso deckte Washington den Schah beim Sturz des links-nationalistischen Regimes unter Mossadeq im Iran. Hier sahen die amerikanischen Ölfirmen das populistische Reformprogramm Mossadeqs als Gefährdung ihrer Profitinteressen an.
In beiden Ländern wurden von den USA unterstützte polizeistaatliche Regime eingesetzt, die Hunderttausende Arbeiter, Bauern und Intellektuelle verhafteten, folterten und ermordeten. Washington rechtfertigte diese Interventionen im Namen des Kampfes gegen die "kommunistische Expansion".
Während der folgenden vier Jahrzehnte organisierten die jeweiligen amerikanischen Regierungen die Ermordung populärer nationalistischer Führer (Patrick Lumumba im Kongo), leiteten Militärputsche (der Sturz des Sukarno-Regimes in Indonesien, bei dem eine Million Menschen niedergemetzelt wurden) und errichteten Militärdiktaturen in ganz Südamerika. In den 1980ern sponserte Washington Krieg, Terroranschläge und staatliche Unterdrückung in Nicaragua und El Salvador, die das Leben weiterer Zehntausender forderten.
Im Inneren wurde der Kalte Krieg mit einer Kampagne der staatlichen Unterdrückung und Einschüchterung eingeleitet, in deren Rahmen Hunderte verhaftet wurden. Schwarze Listen mit Tausenden von Namen wurden erstellt, die besonders Künstler aufführten. Der Kalte Krieg führte zu einer Erdrosselung der geistigen und künstlerischen Entwicklung, die das politische und kulturelle Leben Amerikas bis auf den heutigen Tag beeinträchtigt.
Nirgends wurde diese Hexenjagd gründlicher betrieben als innerhalb der bürokratisierten Gewerkschaftsbewegung. Ihre Funktionäre betätigten sich als verlängerter Arm der Regierung, spürten militante, linke Mitglieder auf und unterstützten den Antikommunismus in seiner plumpesten Form. Das Ergebnis war die politisch verkommenste und kraftloseste Arbeiterorganisation der ganzen Welt.
Die treibende Kraft hinter der Politik des Kalten Kriegs war das Streben des amerikanischen Imperialismus nach globaler Dominanz. Trotz ihrer stalinistischen Degeneration stellte die UdSSR ein bedeutendes Hindernis für die hegemonialen Absichten der amerikanischen herrschenden Elite dar. Washington musste stets die Gefahr in Rechnung stellen, dass die amerikanischen Militärinterventionen auf eine sowjetische Gegenreaktion treffen könnten.
Paradoxerweise zwang der Kalte Krieg die amerikanische Regierung auch dazu, begrenzte Sozialreformen im Inneren einzuführen. Denn ungeachtet des Wütens der stalinistischen Bürokratie verkörperte die Sowjetunion in verzerrter Form nach wie vor die Ziele der sozialen Revolution. Besonders die verstaatlichten Eigentumsverhältnisse bargen weiterhin das Potential für eine rational geplante Wirtschaft, die sich an den Interessen der Gesellschaft und nicht am privaten Profit orientiert. Somit war Washington gezwungen, sich mit der UdSSR nicht nur politisch und militärisch, sondern auch ideologisch zu messen. Beispielsweise wurde die Rassentrennung in den 1960ern unhaltbar, als die USA bemüht waren, in Afrika und Asien als Vorkämpfer der Demokratie aufzutreten.
Die gegenwärtige Haltung der amerikanischen herrschenden Elite zu Sozialreformen widerlegt die angebliche Parallele zwischen Washingtons "Krieg gegen den Terrorismus" und dem Kalten Krieg besonders eindringlich. Niemand, der sich auf den Kalten Krieg als Rechtfertigung für den Krieg in Afghanistan beruft, tritt heute für vergleichbare soziale Zugeständnisse ein. Allenthalben wird von der Arbeiterklasse Enthaltsamkeit und Opferbereitschaft gefordert.
Unter historischen und politischen Gesichtspunkten birgt die Analogie zwischen Bushs "Krieg gegen den Terrorismus" und dem Kalten Krieg unzählige Widersprüche und Absurditäten. Der Sowjetstaat verfügte über die größte Militärmacht der Welt und ein enormes nukleares Arsenal. Osama bin Laden hingegen führt in Afghanistan, einem der ärmsten Länder der Erde, von einer Höhle aus ein terroristisches Netzwerk.
Die verbliebene Anziehungskraft, die die Sowjetunion noch auf Millionen Menschen auf der ganzen Welt ausübte, wurzelte in ihrem revolutionären Ursprung und dem Versprechen auf eine neue, fortgeschrittenere Gesellschaftsform. Die Partei, die die Russische Revolution angeführt hatte, hatte den Einfluss der Kirche bekämpft und sich auf die fortschrittlichsten geistigen Errungenschaften der Moderne gestützt. Kann man eine solche Bewegung allen Ernstes mit dem religiösen Fundamentalismus bin Ladens vergleichen, der die Wiedererrichtung eines mittelalterlichen islamistischen Staates anstrebt?
Wenn es überhaupt einen Zusammenhang zwischen dem Kalten Krieg und dem neuen Ausbruch des amerikanischen Militarismus gibt, dann besteht er darin, dass in Bushs "Krieg gegen den Terrorismus" die Methoden aus dem Kalten Krieg zu neuem Leben erweckt werden: Militärputsche, Mordkommandos und Gemetzel, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom amerikanischen Imperialismus ausgiebig angewandt wurden, vor allem in den früheren Kolonien und den unterdrücktesten Ländern. Neben dieser gewalttätigen und aggressiven Außenpolitik bedeutet der "Krieg gegen den Terrorismus" im Inneren eine Rückkehr zur Kommunistenhatz der McCarthy-Ära und zum Einsatz des Inlands-Geheimdienstes FBI als politischer Polizei, um diejenigen zu unterdrücken, die der Politik der herrschenden Elite widersprechen. Damals wie heute dienen diese Methoden nicht der Verteidigung gegen einen äußeren Aggressor, sondern direkt den wirtschaftlichen und geopolitischen Zielen der USA.
Der gegenwärtige Militärangriff, den Washington im Namen des "Krieg gegen den Terrorismus" begonnen hat, wird keinen einzigen der tiefen und explosiven Widersprüche lösen, die der Kalte Krieg hinterlassen hat. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind riesige Rohstoffvorkommen, deren Ausbeutung zuvor große Hindernisse im Wege gestanden hatten, in Reichweite des amerikanischen Kapitalismus gerückt. In erster Linie geht es um die großen Öl- und Gasvorkommen Zentralasiens, wo die USA nun ihr Militär aufmarschieren lassen.
Außerdem hat das Ende der UdSSR die Verhältnisse aus dem Kalten Krieg dahingehend geändert, dass die zwangsweise Eindämmung der Konflikte zwischen den USA und ihren ökonomischen Rivalen in Westeuropa und Asien aufgehoben ist. Diese Rivalen, einst hinter Washington im Konflikt mit Moskau vereint, haben ihre eigenen Ambitionen auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR und Zentralasiens. Ihren gegenwärtigen Solidaritätserklärungen mit Washington zum Trotz können diese Mächte nicht untätig zusehen, wie die USA ihre Militärmacht einsetzen, um ihre politische und wirtschaftliche Vormachtstellung auszubauen.
In diesem Sinn ähnelt der gegenwärtige Konflikt weniger dem Kalten Krieg als den Perioden der Unbeständigkeit und wachsenden Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten, die dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg vorangingen. Auch damals ebneten lokale und regionale Streitigkeiten Kriegen und revolutionären Erhebungen im internationalen Maßstab den Weg.
Der Versuch, das ganze Land mittels eines weltweiten Feldzugs gegen den "Terrorismus" zu einen, kann die tiefen Widersprüche innerhalb der USA nicht verdecken. Sie werden durch die soziale Spaltung der Gesellschaft genährt, die ihrerseits durch die wachsende Wirtschaftskrise verschärft wird. Im Gegensatz zur Periode des Kalten Kriegs wird der Krieg im Ausland nicht von sozialen Zugeständnissen im Inneren begleitet werden. Sämtliche bürgerlichen Ökonomen stimmen darin überein, dass eine Politik nach dem Motto "Kanonen und Butter" im Amerika des 21. Jahrhunderts nicht zur Debatte steht.
Es ist ausgeschlossen, dass die Bevölkerung die militärische Aggression der USA auf längere Sicht unterstützen wird. Der Verlauf der Ereignisse wird ihr immer deutlicher vor Augen führen, dass der jüngste Ausbruch des amerikanischen Militarismus den Profitinteressen einer Wirtschaftselite dient - auf Kosten der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung. Der Versuch, eine ideologische Gleichschaltung zu diktieren und materielle Opfer einzufordern, kann unter diesen Bedingungen nur dazu führen, dass sich der Klassenkampf im Inneren zuspitzt, wenn die USA auf internationaler Ebene weitere Umwälzungen und Erschütterungen auslösen.