US-Vizepräsident billigt Israels Politik der Mordanschläge

Zu Beginn des Monats hat der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney in ungewöhnlicher Weise öffentlich die Politik Israels gebilligt, palästinensische Aktivisten zu ermorden. In den Fox News vom 2. August Donnerstag erklärte er: "Wenn eine Organisation z.B. einen Selbstmordbombenanschlag geplant hat oder plant, und sie [die Israelis] eindeutige Beweise haben, wer ihn ausführen wird und wo sich diese Person aufhält, dann denke ich, ist es einigermaßen gerechtfertigt, wenn sie sich durch einen vorbeugenden Schlag verteidigen."

Seit den Verhandlungen, die 1993 unter Präsident Bill Clinton zum Abkommen von Oslo führten, haben die USA versucht, ihre traditionell pro-israelische Haltung etwas in den Hintergrund treten zu lassen, um bei der Suche nach einer politischen Lösung des Nahostkonflikts als "ehrlicher Makler" auftreten zu können. Cheneys Erklärung war deshalb für die USA ein schwerer diplomatischer Fehltritt und brachte viele ihrer zentralen arabischen Verbündeten im Nahen Osten in Verlegenheit, auf die sie sich stützen, um die Kontrolle über die Arbeiterklasse und die unterdrückten Massen aufrechtzuerhalten und ihren Zugang zu den Ölreserven der Region zu sichern.

Präsident Bush musste seine Nahostpolitik gegen die Forderung Ägyptens, Jordaniens und anderer Länder nach einer festeren Haltung gegen Israel verteidigen. Aus seinem einmonatigen Urlaub in Texas erklärte Bush Reportern, dass "beide Seiten die Verantwortung haben, aus dem Kreislauf der Gewalt auszubrechen."

Cheneys Bemerkungen machen deutlich, dass die Politik der USA im Nahen Osten weiterhin Israel begünstigt und darauf angelegt ist, ein Abkommen durchzusetzen, das dem zionistischen Staat entgegenkommt. Aber es gibt Anzeichen, dass es in der Regierung zwischen dem Außenministerium und dem Weißen Haus gewisse Differenzen über die Frage gibt, wie stark sich die USA von der allzu offenen Kriegstreiberei der Likud-Regierung von Ariel Sharon distanzieren müssen, um ihre Zusammenarbeit mit den arabischen Regimen nicht zu gefährden.

Am Tag vor Cheneys Interview telefonierte Außenminister Colin Powell mit dem israelischen Premierminister und kritisierte in diesem Gespräch den Angriff vom Vortag auf ein Büro der Hamas in Nablus auf der Westbank. Israelische Kampfhubschrauber hatten die Büros zerstört und drei Hamas-Führer, Jamal Mansour, Jamal Salim und Fahim Dawabshe, sowie fünf weitere Personen, darunter zwei Kinder, getötet. Als Reaktion auf die Bombardierung hatte es zornige Demonstrationen gegeben.

Bis jetzt hat Israel mehr als fünfzig Palästinenser bei solchen Zielattacken getötet.

Die Bush-Regierung sah sich zu einer Schadensbegrenzungsaktion genötigt, in deren Zentrum die Leugnung jeglicher Differenzen in der Nahostpolitik der USA stand. Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, sagte, die Bush-Regierung bedaure "Gewalt auf allen Ebenen, und das schließt auch die Zielattacken ein. Die USA sind gegen diese Morde. Der Vizepräsident, der Präsident und der Außenminister sehen in gleicher Weise die Notwendigkeit, die Gewalt in Israel zu beenden."

Es gibt Vermutungen, dass die etwas versöhnlichere Position Powells lediglich die Öffentlichkeit, die arabischen Alliierten der USA und die Kritiker in der demokratischen Partei und in Europa beruhigen soll. Robert Satloff, der Direktor des Washingtoner Instituts für Nahostpolitik, betonte: "Cheneys Ausführungen drücken analytische Ehrlichkeit aus, keine diplomatische Rücksichtnahme." Aber die Differenzen in der Regierung über den Nahen Osten und andere wichtige außenpolitische Fragen bestehen wirklich. Powell hat sich auch besorgt über die Auswirkungen einer zunehmend unilateralen und kriegerischen Haltung in Fragen wie der geplanten Raketenabwehr, des Kyoto-Protokolls, des Balkans, Chinas und Koreas auf die amerikanisch-europäischen Beziehungen geäußert.

Das Bush-Lager hat Powell mehrfach widersprochen. Am auffälligsten war die Intervention von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, China betreffend. Als Powell während seiner kürzlichen Reise nach Peking von verbesserten Beziehungen zu China sprach, reagierte Rumsfeld mit einem Interview, in dem er diejenigen kritisierte, die China gegenüber Schwäche zeigten. Schon vor dem jüngsten Ausbruch Cheneys sah sich die Bush-Regierung veranlasst, ihre gemeinsame Haltung in der Außenpolitik zu betonen und Vorwürfe des Unilateralismus als nicht zutreffend zu bezeichnen.

Ende Juli betonte Powell, dass die Republikaner "Bündnisverpflichtungen und internationale Verträge einhalten". Rumsfeld schloss sich an und fügte hinzu: "Ich spreche jeden Tag mit Colin Powell und wir treffen uns mehrmals die Woche; von Meinungsverschiedenheiten ist mir nichts bekannt."

Was der Stand der internen Spannungen in der Bush-Regierung auch sein mag, auf jeden Fall haben Cheneys Bemerkungen der Likud-Labour-Koalition von Sharon den Rücken zu einem Zeitpunkt gestärkt, da Israels Militäroperationen die Kritik mehrerer europäischer Regierungen auf sich gezogen hatten. Anfang der Woche berief Sharon eine Sondersitzung ein, um zu diskutieren, wie Israel den, wie er es nannte, "Propagandakrieg" gegen die Palästinenser gewinnen könne. Führende Mitglieder von Likud beklagten "eine Welle von Antisemitismus" in Europa, womit sie die zunehmende Kritik in der Europäischen Union an der israelischen Politik der "juristisch nicht gedeckten" Morde meinten.

Am Dienstag warnte der pensionierte Chef der militärischen Aufklärung, Shlomo Gazit, in der Jerusalem Post, dass seiner Ansicht nach eine Politik der "gezielten Eliminierung" gegen palästinensische Kämpfer zwar gerechtfertigt sei, dem Ansehen des Landes aber schade. "Der Einsatz schwerer Waffen - Kampfhubschrauber oder Panzer - gegen einen einzelnen Terroristen führt zu dem Bild eines israelischen Goliath, der gegen einen palästinensischen David kämpft", sagte er.

Unter diesen Umständen wird Sharon Cheneys Äußerungen dazu benutzen, Israels Mordkampagne auszuweiten. In einem Interview mit der italienischen La Stampa sagte der Führer der palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Arafat, dass das israelische Kabinett einen Plan namens "Oranin", hebräisch für "Inferno", gebilligt habe, der beinhaltet, viele führende Palästinenser zu töten. Israel hat das abgestritten, aber in seinem eigenen Interview mit Fox Television vom Sonntag hatte Sharon die Morde als "defensive antiterroristische Maßnahme" verteidigt. Er sagte, Israel habe den Palästinensern eine Liste mit "etwa 100 Terroristen" übermittelt, deren Verhaftung man von der Autonomiebehörde erwarte. Sharon machte deutlich, dass Israel "sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen werde," wenn das nicht geschehe.

Am Montag, dem 6. August, verlangte Israel von der Autonomiebehörde offiziell die Verhaftung von sieben mutmaßlichen Kämpfern, und es muss angenommen werden, dass diese jetzt auf der Abschussliste der israelischen Armee stehen. Am nächsten Tag kündigte die Armee ihre seit Mai praktizierte Politik der Zurückhaltung auf und gab bekannt, sie werde ihren Soldaten wieder erlauben, das Feuer auf Palästinenser zu eröffnen, auch ohne vorher angegriffen worden zu sein. Sharon beschrieb diese neue Politik als "aktive Selbstverteidigung".

Ein weiterer Punkt der weitreichenden Konsequenzen von Cheneys Erklärung muss betont werden. Wenn er staatlich angeordnete Morde verteidigt, so sagt das mehr über die Haltung der amerikanischen herrschenden Elite zu diesen Methoden aus, als noch so viele offizielle Verurteilungen derartiger Praktiken. Erstens hat Cheney nur öffentlich ausgesprochen, was das politische Establishment und sein Militär- und Sicherheitsapparat sonst nur hinter verschlossenen Türen diskutieren. Zweitens aber ist seine Rechtfertigung der Aktionen Israels nur ein Echo der Argumente, mit denen die USA ihre eigenen Verbrechen im Ausland offen rechtfertigen.

Die USA haben sich regelmäßig das Recht angemaßt, ihre Gegner, ob Individuen, Organisationen oder ganze Völker, mit den äußersten Sanktionen zu belegen. Im April 1986 bombardierten amerikanische Kampfflugzeuge den Palast von Libyens Oberst Gaddafi und töteten fünfzehn Zivilisten, darunter eine seiner Töchter. Im August 1998 bombardierten amerikanische Flugzeuge zivile Ziele im Sudan und in Afghanistan, wobei sie über dreißig Menschen töteten und die einzige pharmazeutische Fabrik des Sudan zerstörten. Diese kriminellen Taten wurden als angemessene Reaktion auf eine terroristische Bedrohung gerechtfertigt, die sich von der Begründung der israelischen Angriffe auf die Palästinenser durch nichts unterscheidet.

Die Ernennung ganzer Nationen zu "Schurkenstaaten" oder "terroristischen Ländern", mit der während der Kriege gegen den Irak und gegen Serbien die Bombardierung Bagdads und Belgrads gerechtfertigt wurde, fällt in die gleiche Kategorie. Die amerikanische politische Elite steht unter den imperialistischen Mächten in dieser Hinsicht nicht alleine da. Insbesondere Großbritannien hat alle Aktionen der USA voll unterstützt; und der ehemalige MI-6-Agent, David Shayler, behauptet sogar, Großbritannien habe selbst versucht, Gaddafi zu ermorden.

Siehe auch:
Sharon sucht nach Vorwand für militärischen Angriff
(11. August 2001)
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