Khatami als Präsident Irans bestätigt

Das iranische Establishment rückt gegen die Bevölkerung zusammen

Die allgemein erwartete haushohe Wiederwahl von Irans Staatspräsident Mohammed Khatami ist von allen Fraktionen des iranischen Regimes und den westlichen Regierungen als "Vertrauensbeweis" der iranischen Bevölkerung in dessen Politik und die angebliche Fähigkeit des islamischen Regimes zu demokratischem Wandel interpretiert und begrüßt worden. Tatsächlich haben breite Schichten der faktischen Herrschaft der religiösen Hardliner eine klare Absage erteilt. In Ermangelung einer Alternative kam dies bei der Wahl Khatami zugute - trotz dessen Politik. Khatami vertritt weniger die demokratische Opposition, als den linken Flügel des klerikalen Regimes, das jedes Mal enger zusammenrückt, wenn es unter den Druck der Massen gerät. So auch jetzt wieder, nach dem überwältigenden Wahlsieg Khatamis.

Am Sonntag standen die Endergebnisse der Wahl vom Freitag fest. Laut Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA wurden von gut 28 Millionen Stimmen mehr als 21 Millionen für Khatami abgegeben, etwa 1 Million mehr als bei den letzten Präsidentschaftswahlen vor vier Jahren. Khatami erhielt über 77 Prozent der abgegebenen Stimmen, letztes Mal waren es noch 69 Prozent.

Entsprechend schlecht schnitten seine konservativen Gegenkandidaten ab, obwohl sie sich allesamt bemühten, sich als unabhängig und demokratischen Rechten gegenüber aufgeschlossen zu präsentieren. Die wichtigsten konservativen Organisationen und Persönlichkeiten hatten es sogar vermieden, sich öffentlich für einen der neun rechten Kandidaten auszusprechen, aus Angst, diesem dadurch zu schaden.

Zweitplatzierter wurde der frühere Arbeitsminister und Wirtschaftswissenschaftler Ahmed Tavakoli mit 15 Prozent. Er galt als heimlicher Kandidat der Rechten und wurde insbesondere von den Bassij, religiös-fanatischen Milizen, unterstützt. Dritter wurde der Konteradmiral und bisherige Verteidigungsminister Ali Shamkhani mit 2,5 Prozent. Alle anderen erhielten jeweils weniger als 1 Prozent. Ali Fallahian, früher Geheimdienstchef und wegen seiner mutmaßlichen Verwicklung in zahlreiche Morde während dieser Zeit mit internationalem Haftbefehl gesucht, kam gerade einmal auf 55.000 Stimmen.

Man sollte nicht vergessen, dass die iranischen Wahlen in keiner Weise demokratisch waren. Unbedingte Voraussetzung war die absolute Treue zum System des Velayet-e-Faqih (Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten), wonach in allen Fragen der Klerus und nicht das Volk die letzte Entscheidungsgewalt hat. Über die Zulassung zur Wahl hatte deshalb auch der Wächterrat entschieden, der von konservativen Geistlichen dominiert wird und rein willkürlich 99 Prozent der Bewerber abgelehnt hatte, darunter auch alle Frauen. Sämtliche anderen Bewerber aus dem Lager der "Reformer" und damit auch ernsthafte Konkurrenten für Khatami hatte der Wächterrat ebenfalls schon im Vorfeld disqualifiziert, ohne Angabe von Gründen und ohne nennenswerten Widerstand der "Reformer".

Dem Wächterrat obliegt es auch, die Wahlen zu bestätigen. Wohl um seine Macht gleich noch einmal in Erinnerung zu rufen, machte er am Wochenende dunkle Andeutungen über angebliche Unregelmäßigkeiten, die es gegeben haben solle.

Meldungen über die Wahlbeteiligung waren etwas widersprüchlich. Iranische wie internationale Medien berichteten über eine "massive" Beteiligung an der Wahl. Die Öffnungszeit der Wahllokale am Freitag wurde dreimal um mehrere Stunden verlängert, insgesamt bis Mitternacht.

Trotzdem scheint die Anzahl derjenigen, die gewählt haben, sogar etwas niedriger gewesen zu sein als beim letzten Mal. Damals beteiligten sich 83 Prozent (29 von 35 Millionen) der Wahlberechtigten, eine der höchsten Wahlbeteiligungen überhaupt in der Geschichte der islamische Republik. Dieses Mal waren es 67 Prozent (28 von 42 Millionen). Khatamis Regierung hatte vor der Wahl 80 bis 90 Prozent Wahlbeteiligung vorhergesagt.

Die Desillusionierung unter vielen seiner Unterstützer war groß, wie es aus einem Bericht der Financial Times Deutschland vom 6. Juni hervorgeht: "Als sich Khatami etwa in der vergangenen Woche im überfüllten Teheraner Shirudi-Stadium für eine ‚Abwehr des Extremismus‘ aussprach und seine Anhänger zu,Mäßigung‘ mahnte, verließen Tausende die Arena. Das Ende seiner lang erwarteten Wahlkampfrede (,Wir wollen Demokratie, gepaart mit Religion und geistlichem Leben‘) hielt er vor halb leeren Rängen."

Dass er trotzdem mit überwältigender Mehrheit im Amt bestätigt wurde, hat drei zusammenhängende Gründe:

Erstens die völlige Diskreditierung der konservativen Fraktion. Rechnet man die Stimmen aller konservativen Kandidaten zusammen, dann hat ihr Lager gegenüber der letzten Wahl ca. 2,7 Millionen Stimmen verloren.

Zweitens die Mobilisierung der Jugend. Seit 1997 sind etwa 7 Millionen Erstwähler hinzugekommen; die Wahlberechtigung beginnt im Iran mit 15 Jahren. Unter den Erstwählern war die Mobilisierung am höchsten, sie dürften zum allergrößten Teil für Khatami gestimmt haben. In Zeitungsberichten war zu lesen, wie 15jährige Bilder des Präsidenten verteilten, auf Wahlveranstaltungen den obersten religiösen "Führer" Ajatollah Khamenei kritisierten und die Mullahs mit Rufen wie "Tod den Taliban!" angriffen.

Es hat sich offenbar ausgewirkt, dass in den letzten Monaten die Repression wieder verschärft wurde, mit Zeitungsverboten, bizarren "Geständnissen" verhafteter Studentenführer und vermehrten Aktivitäten der Bassij als "Sittenpolizisten". Zeitungen berichteten, dass Jugendliche, die wegen der Teilnahme an Partys ausgepeitscht wurden, sich damit vor ihren Altersgenossen brüsteten. Im Mai kam es in Teheran zu einer Auseinandersetzung, als eine Gruppe religiöser Fanatiker ein Mädchen wegen ihres zu locker geschlungenen Kopftuchs belästigten und ihr daraufhin eine Gruppe von Studenten zu Hilfe eilte.

Dritter und entscheidender Faktor war der Mangel an sichtbaren Alternativen. Dies kommt nicht einmal so sehr daher, dass die konservative Justiz und Sicherheitskräfte jede Opposition, die etwas radikaler als Khatami auftritt, rücksichtslos verfolgt und unterdrückt - was Khatami zu verurteilen sich weigert. Das Hauptproblem ist vielmehr die Orientierungslosigkeit und der politisch konfuse und sozial heterogene Charakter der allgemeinen Unzufriedenheit.

Wie die Frankfurter Allgemeine vom 11. Oktober dazu treffend bemerkte: "Der politische Islam in Iran ist die einzig zugkräftige Ideologie in der Region. Der westliche Säkularismus wirkt selbst auf junge Iraner abstoßend [Konservative iranische Zeitungen verweisen gern auf den Nachbarn Türkei als abschreckendes Beispiel; JL]. Sie träumen von einem eigenen iranischen Weg, dessen konkrete Definition aber schwer fällt. Auch deshalb ist es bei aller Unzufriedenheit bisher nicht gelungen, eine starke politische Oppositionsbewegung zu formieren. So wird das islamische Regime nicht von einer revolutionären, umstürzlerischen Opposition bedroht, sondern langfristig eher von Aushöhlung, Glaubwürdigkeitsverlust, wirtschaftlichem Niedergang, Massenarbeitslosigkeit und möglichen chaotischen Ausschreitungen."

Das Land hat neun Milliarden Dollar Auslandsschulden, eine Inflation von offiziell 20 Prozent und eine Arbeitslosigkeit von inoffiziell bis zu 30 Prozent, unter Akademikern noch mehr. An die 40 Prozent der Iraner leben trotz des enormen Ölreichtums unter der Armutsgrenze.

Laut Angabe von Werner Schoeltzke, Vorsitzender des Nah- und Mittelostvereins der deutschen Wirtschaft, braucht der Iran 750.000 neue Jobs pro Jahr. Der soziale Sprengstoff sei so groß, dass auch Konservative gezwungen seien, Reformen zuzulassen. Keiner könne es sich leisten, die Öffnung zu stoppen.

Dem Regime scheinen aber eher "Reformen" nach chinesischem Vorbild vorzuschweben: Wirtschaftsreformen bei fortgesetzter politischer Unterdrückung.

Noch am Wahltag rief Khatami die Konservativen zur Zusammenarbeit auf: "Alle Kräfte in unserer Gesellschaft müssen zusammenarbeiten, um die historischen Erwartungen des iranischen Volkes erfüllen zu können." Als sein Wahlsieg dann feststand, ermahnte er seine Anhänger wie üblich zu "Geduld und Mäßigung".

Khamenei sprach sich ebenfalls für Zusammenarbeit aus: "Heute endet die Rivalität, und ich sage zu allen, dass sie ihre Rivalität beiseite legen und dem nächsten Präsidenten bei der Lösung der Probleme des Landes helfen müssen." Auch Hashemi Rafsanjani und andere führende Konservative äußerten sich ähnlich. Es geht ihnen dabei darum, die wirtschaftliche Liberalisierung voranzutreiben und politische Liberalisierung zu vermeiden.

Die staatliche Nachrichtenagentur IRNA berichtete am Samstag von einer entsprechenden Erklärung des führenden konservativen Politikers Hamid Reza Taraqi. IRNA schrieb: ",Die ungezügelte Freiheit in der ersten Amtsperiode von Präsident Khatami hat zur Entweihung von Heiligtümern und Angriffen auf Persönlichkeiten einschließlich des Präsidenten selbst geführt‘, sagte er [Taraqi]. Er empfahl Präsident Khatami, politische Rivalitäten hinzunehmen und mit der Hilfe kompetenter Technokraten die Solidarität zu stärken und die großen (wirtschaftlichen) Probleme des Landes zu lösen."

Khatami scheint diesen Forderungen nachkommen zu wollen. Das hat er bereits im Wahlkampf deutlich gemacht. Vor Basarhändlern, so CNN, erklärte er: "Jede Regierung, die an die Macht kommt, sollte Arbeitsplätze für junge Leute schaffen... Investoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Investitionssicherheit sollte den Boden bereiten, dass Investitionen sprudeln können."

In ähnlicher Richtung äußerte er sich nach der Wahl: "Die dringende Aufgabe von heute und Morgen ist die Vertiefung der Demokratie, Gewährleistung der legitimen Rechte des Volkes im Rahmen der (islamischen) Religion, Prioritätensetzung im wirtschaftlichen Bereich und die Lösung grundlegender Probleme auf kluge Weise."

Und die Washington Post berichtete, oberste Priorität hätte laut Khatamis Bruder Mohammed Reza, einem Führer der "Reformer", nun die "Umstrukturierung des Haushalts", was allerdings Konflikte mit den Konservativen mit sich bringen könnte, die mittels religiöser Stiftungen über weite Teile der nationalen Wirtschaft verfügen. Trotzdem scheint der Wächterrat ein im Mai verabschiedetes Gesetz zur Erleichterung von Investitionen nicht blockiert zu haben.

Die entscheidenden Gegensätze bestehen nämlich nicht zwischen "Konservativen" und "Reformern", sondern zwischen dem Establishment und der arbeitenden Bevölkerung. Bei weitreichenden Deregulierungen und Privatisierungen, ohne die größere Zuflüsse von Investitionen kaum denkbar sind, sind Konflikte mit der Arbeiterklasse unvermeidlich. Das ist der Hauptgrund, warum Khatami es so vehement ablehnt, das Volk zu mobilisieren und statt dessen immer nur die Konservativen vor dem Volk warnt. Jede größere Mobilisierung würde sofort die unterschiedlichen sozialen Interessen deutlicher hervortreten lassen, die alle ihre eigenen Vorstellungen von "Reformen" und "Demokratie" haben.

Schon die Tage nach der Wahl deutete sich an, dass dem Iran trotz aller Aufrufe zur "Mäßigung" und "Zusammenarbeit" auch in Zukunft heftige Konflikte ins Haus stehen. In verschiedenen Städten feierten einige Jugendliche das Wahlergebnis und wurden prompt von Schlägern religiöser Milizen attackiert und von der Polizei verhaftet.

Siehe auch:
Präsidentschaftswahlkampf im Iran hat begonnen
(24. Mai 2001)
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