Der Berliner Landesvorstand der SPD beschloss auf seiner gestrigen Krisensitzung, die Koalition mit der CDU zu beenden und den Weg zu raschen Neuwahlen möglichst schon im September frei zu machen. Ein außerordentlicher Parteitag soll dies am kommenden Sonntag bestätigen.
Die Selbstauflösung des Abgeordnetenhauses werde im Juli oder Anfang August betrieben, damit etwa Mitte September eine neue Landesregierung im Stadtstaat Berlin gewählt werden könne, erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Klaus Wowereit gegenüber der Presse.
Der schnelle Ausstieg der Berliner SPD aus dem zehnjährigen Regierungsbündnis mit der CDU gleicht dem Griff nach der Reißleine, um einen Fallschirm zu öffnen. Anderenfalls, so befürchten die Sozialdemokraten, könnten sie mit in den Strudel einer Finanzkrise gerissen werden, die täglich neue Kreise zieht.
Seit bekannt geworden ist, dass der größte Berliner Finanzkonzern, die Bankgesellschaft Berlin (BGB), hohe Verluste zu verzeichnen hat, jagt an der Spree eine Hiobsbotschaft die andere. Erst wurde von einer Finanzlücke von einigen Hundert Millionen gesprochen, dann hieß es, die Deckungslücke betrage zwei Milliarden, und in der vergangenen Woche wurde schließlich bekannt gegeben, dass bei dem einflussreichsten Bankhaus der Hauptstadt mit Verlusten von womöglich mehr als vier Milliarden Mark gerechnet werden müsse.
Die Drohung der Bankenaufsicht, dem zehntgrößten deutschen Geldinstitut, bei dem jeder zweite Berliner sein Konto hat, die Lizenz zur Vergabe von Krediten zu entziehen und damit die de facto Einstellung des Geschäftsbetriebs zu verfügen, löste einen Schock aus. Nur eine eilig abgegebene "Patronatserklärung", mit der das Land Berlin - mit über fünfzig Prozent Hauptaktionär der Bank - eine unbegrenzte Bürgschaft für die weitere Geschäftstätigkeit der Bank übernahm, konnte den bevorstehenden Bankrott und damit die größte Bankenpleite der deutschen Nachkriegsgeschichte zumindest vorläufig verhindern.
Ob damit allerdings die Rettung der Bank oder der Bankrott der Bundeshauptstadt und des Bundeslands Berlin eingeleitet wurde, ist noch eine offene Frage. Klar hingegen ist, dass die ganze Last der Finanzkrise auf die Bevölkerung abgewälzt werden soll. Bereits jetzt ist das Land Berlin mit 65 Milliarden Mark hoch verschuldet und muss täglich 12 Millionen Mark Zinsen aufbringen. Die für dieses Jahr geplante Neuverschuldung wird von 3,6 auf 9,6 Milliarden Mark steigen.
Alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien haben ihre Bereitschaft bekundet, drastische Sparmaßnahmen in allen wichtigen Sozialbereichen zu unterstützen. Der noch amtierende CDU-Finanzsenator Peter Kurth wurde in mehreren Zeitungen mit den Worten zitiert, jetzt müsse "rigoros an bisherige Tabus" rangegangen werden: "Sozialhilfe kappen, Schwimmbäder schließen, Sozialmieten erhöhen, Kliniken privatisieren".
In krassem Gegensatz dazu steht die Tatsache, dass der Hauptverursacher des Desasters, der CDU-Spitzenpolitiker Klaus-Rüdiger Landowski, zwar als Verantwortlicher für die Immobiliengeschäfte der BGB und Vorstandsvorsitzender der BGB-Tochter Berlinhyp zurücktreten musste, aber noch zwei volle Jahre sein bisheriges Jahresgehalt in Höhe von 700.000 Mark weiter kassiert und anschließend bis zu seinem Lebensende eine Pension von knapp 30.000 Mark monatlich allein aus dieser Beschäftigung erhält.
Angesichts der Tatsache, dass führende CDU-Politiker tief in die Bankenkrise verwickelt sind, betonen sozialdemokratische Funktionäre, dass ein politischer Wechsel notwendig sei, weil die "regierende CDU nicht mehr in der Lage ist, von der Bevölkerung glaubwürdig die notwendigen finanziellen Opfer zu fordern und deutliche Einschnitte im Haushalt durchzusetzen". (Wowereit)
Die SPD strebt eine Regierungszusammenarbeit mit den Grünen und der PDS an und macht keinen Hehl daraus, dass die Konsolidierung des Landeshaushalts und die Verwirklichung eines strikten Sparkurses ihr wichtigstes Ziel ist. Unter anderem will die SPD bei den drei Hochschulen der Stadt 150 Millionen Mark einsparen. Als der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Alexander Kaczmarek erklärte: "Die Vorkommnisse um die Bankgesellschaft zeigen doch: Der Staat ist ein schlechter Unternehmer", und damit einen strikten Privatisierungskurs begründete, nannte ein SPD-Sprecher dies "zynisch". Aber auch die SPD will den Verkauf der landeseigenen Bäderbetriebe mit ihren 83 Schwimmbädern ebenso prüfen, wie die Privatisierung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und des Klinikums Benjamin Franklin im Stadtteil Steglitz.
Sowohl die Grünen als auch die PDS haben bereits ihre Unterstützung für einen derartigen Sparkurs und Sozialkürzungen signalisiert.
Zu einer Finanzpolitik der "tiefen und schmerzlichen Einschnitte in allen Bereichen" gebe es aufgrund der katastrophalen Verschuldung der öffentlichen Hand in Berlin keine Alternative, betonte der Fraktionsvorsitzende der PDS im Abgeordnetenhaus, Harald Wolf auf einer Pressekonferenz.
Die aufgrund der Bankenkrise zu erwartende Nettoneuverschuldung von 9,6 Milliarden Mark "sprengt alle Dimensionen", so Wolf. Für den Fall, dass die SPD zu einem "Neuanfang für die Stadt ernsthaft bereit" sei, werde sich die PDS "nicht der Verantwortung entziehen". Dann müsse auch tabulos darüber diskutiert werden, "was sich die Stadt überhaupt noch leisten kann". Über Kulturinstitutionen müsse dabei ebenso geredet werden, wie über die Existenz von zwei Universitätskliniken.
Der Wechsel an der Regierung sei vor allem nötig, um in der Bevölkerung die nötige Akzeptanz für die "schmerzhaften Einschnitte" zu schaffen, erklärte Wolf. Auf die Frage, wie dieser Standpunkt mit der bisherigen Opposition gegen die "Kahlschlagpolitik des Senats" zu vereinbaren sei, antwortete er, für die PDS sei "Haushaltskonsolidierung zu keinem Zeitpunkt ein Fremdwort gewesen".
Der neue Berliner Kurs in Richtung Regierungsbeteiligung der PDS hat auch eine bundespolitische Dimension. Wenn die PDS bereit ist, eine aggressive Privatisierungspolitik mit schmerzhaften Einschnitten gegen die Bevölkerung in der Hauptstadt mitzutragen, und wenn gleichzeitig der heftige Antikommunismus vieler Westberliner SPD-Funktionäre, der noch aus den Tagen des Kalten Krieges und der Frontstadtstellung Berlins stammt, überwunden wird, steht einer späteren Regierungsbeteiligung der PDS auf Bundesebene kaum mehr etwas im Wege.
Ausdrücklich hat der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder während einer "privaten Unterredung" am Vorabend des Koalitionsbruchs den Berliner SPD-Funktionären "freie Hand in Bezug auf eine Zusammenarbeit mit der PDS" gegeben. Angesichts der wachsenden sozialen Spannungen in den ostdeutschen Bundesländern und der Tatsache, dass die Grünen dort nicht den geringsten Einfluss haben, will sich Schröder die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit der PDS, wie bereits in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, unbedingt offen halten.
Als der frühere PDS-Vorsitzende und noch immer bekannteste Spitzenmann der Partei, Gregor Gysi, am Donnerstag Abend gefragt wurde, ob er bei den kommenden Neuwahlen für den Posten des Regierenden Bürgermeisters von Berlin kandidieren werde, signalisierte er seine Bereitschaft. Es würde ihn sehr interessieren, aber er brauche noch einige Tage Bedenkzeit.