Das Bush-Lager und seine Verbündeten in den Medien haben mit rasender Wut auf die am Dienstag verkündete Entscheidung des Obersten Gerichts von Florida reagiert, wonach umstrittene Stimmzettel von Hand nachgezählt und beim Endergebnis berücksichtigt werden müssen. Diese Reaktion unterstreicht eine Tatsache von immenser Bedeutung: die Republikanische Partei ist zum Werkzeug ultrarechter Kräfte geworden, die bereit sind, ihre Ziele mit außerparlamentarischen und gewaltsamen Methoden zu erreichen.
Die Gerichtsentscheidung bestätigt lediglich den in der Verfassung festgelegten Grundsatz, dass alle Stimmen in fairer Weise berücksichtigt werden müssen. Aber Sprecher für George W. Bush und republikanerfreundliche Medien reagierten darauf mit Aufforderungen an die Legislative von Florida, sich dem Gericht zu widersetzen, und mit Appellen an das Militär, die einem verdeckten Aufruf zum Aufstand gleichkommen.
Die Flut von Lügen und Fehlinformationen - Klagen, das Gericht habe "die Regeln geändert" und "das Wahlgesetz umgeschrieben", Vorwürfe an Al Gore, er wolle in Gangstermanier die Wahl stehlen, Appelle an rassistische und antisemitische Vorurteile - zeigte den gewünschten Effekt. Am Mittwoch Morgen belagerte ein Mob von Bush-Anhängern das Wahlbüro im Bezirk Miami/Dade, packte einen demokratischen Anwalt und bedrohte die Stimmenzähler. Wenige Stunden später gab die von Demokraten dominierte Wahlkommission bekannt, sie stelle die Nachzählung ein, und entmündigte damit Hunderte von Gore-Wählern, deren Stimmen bei der ursprünglichen maschinellen Zählung nicht berücksichtigt worden waren.
Die offiziellen Reaktionen des Gore- und des Bush-Lagers auf die Gerichtsentscheidung hoben sich scharf voneinander ab. Gore appellierte am Dienstag Abend in einer landesweiten Fernsehansprache an die nationale Einheit und forderte das Bush-Lager auf, sich dem endgültigen Ergebnis der Nachzählung in Florida zu fügen. Er wiederholte seine Einladung zu einem persönlichen Zusammentreffen mit Bush. Gore zeigte sich als bürgerlicher Politiker, der sich ernsthafte Sorgen darüber macht, dass ein offener Zwist im politischen Establishment eine ordentliche Machtübergabe verhindern und unvorhersehbare, explosive Folgen haben könnte.
Bushs Vertreter, der frühere Außenminister James Baker, machte sich noch nicht einmal die Mühe, Gores Einheitsaufrufe und Einladungen zu einem Treffen mit Bush offiziell zur Kenntnis zu nehmen. Stattdessen bezeichnete er das Gerichtsurteil als "inakzeptabel" und ermutigte die von den Republikanern dominierte Legislative Floridas, das Gericht zu missachten. Er sagte: "Niemand sollte sich wundern, wenn die Legislative von Florida jetzt versucht, die ursprünglichen Regeln wieder in Kraft zu setzen."
Baker hatte sein Stichwort vom Wall Street Journal erhalten, das bereits vor der Verkündung des Urteils in einem Editorial geschrieben hatte: "Die Legislative hat die Möglichkeit, unserer Meinung nach sogar die Pflicht, deutlich zu machen, dass sie bereit ist, jeden Konflikt zwischen Mrs. Harris [der republikanischen Innenministerin und stellvertretenden Leiterin der Bush-Kampagne in Florida] und den Demokraten im Obersten Gericht zu entscheiden. Da die Republikaner die Legislative fest kontrollieren, haben sie den Sieg in der Hand."
Wie schon während der Impeachment-Verschwörung gegen Präsident Clinton dient das Wall Street Journal als Sprachrohr für die ultrarechten Kräfte, die sich seit dem Wahltag bemühen, die öffentliche Meinung mit wilden Beschuldigungen und Fehlinformationen zu vergiften und die Wahl für die Republikaner zu kapern. Es steht auch an der Spitze der Bemühungen, innerhalb des Militärs Stimmungen für eine regelrechte Meuterei gegen einen möglichen Gore-Sieg zu schüren. Es macht sich dabei die Tatsache zunutze, dass mehrere Hundert Briefwahlstimmen, die zum größten Teil von im Ausland stationierten Militärangestellten stammen, zurückgewiesen wurden, weil sie nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprachen.
Am Mittwoch veröffentlichte das Wall Street Journal eine Kolumne unter dem aufwiegelnden Titel: "Der Krieg der Demokratischen Partei gegen das Militär". Die Zurückweisung der Briefwahlstimmen wird darin als "weitere Schlacht im anhaltenden Kulturkrieg zwischen dem Kern der Demokratischen Partei und dem amerikanischen Militär" bezeichnet. Es folgen rassistische und schwulenfeindliche Bemerkungen und offener Hass auf die Arbeiterklasse. Der Autor spricht vom "zuckenden Kadaver" der demokratischen Parteilinken, die aus "Lehrergewerkschaften, feministischen Aktivisten, Schwulen, die sich ungerecht behandelt fühlen, schwarzen Kirchen und Studentenclubs" bestehe.
Mit dem Fortschreiten der Wahlkrise waren aus dem Kreise der Bush-Anhänger immer deutlicher kaum verhüllte rassistische und antisemitische Anspielungen zu hören. Das Auftreten des schwarzen Demokraten Jesse Jackson wurde von Bush-Unterstützern benutzt, um Vorurteile gegen Schwarze zu schüren, und die hohe Zahl jüdischer Rentner in Palm Beach, einem umstrittenen Stimmbezirk, um christliche Fundamentalisten aufzuwiegeln.
Auch dem Wall Street Journal sind solche Töne nicht fremd. In dem bereits zitierten Editorial werden die jüdischen Einwohner Floridas mit zweideutigen Bemerkungen verächtlich gemacht. So heißt es darin, Mrs. Harris stehe "unter Beschuss, weil sie aus der südlichen Aristokratie und nicht aus der New Yorker Schickeria stammt". Später werden die Demokraten angegriffen, sie hätten "Jesse Jackson importiert, um die Rassenfrage aufzubauschen".
Zusammengenommen ist das Editorial ein Aufruf an die Republikanische Partei, traditionelle verfassungsmäßige Rücksichtsnahmen beim Kampf um das Weiße Haus fallen zu lassen. Es endet mit einer kaum verhüllten Aufforderung, das Bush-Lager solle im Falle eines Sieges seine Administration nach autoritären Richtlinien aufbauen:
"Es gilt als Binsenweisheit, dass Gouverneur Bush, sollte er aus diesem Theater siegreich hervorgehen, ein schwacher Präsident sein wird. Vielleicht. Aber wir halten es für ebenso gut möglich, dass Standhaftigkeit gegenüber dem Angriff, der zur Zeit in Florida stattfindet, die beste Vorbereitung für das sein könnte, was kommen mag. Es liegt in Gouverneur Bushs Natur, Dinge mit Samthandschuhen anzufassen, aber er und seine Partei werden mehr Erfolg haben, wenn sie zeigen können, dass darin eine eiserne Faust steckt."
Bezeichnenderweise trug das Editorial den Titel "Die zartbesaiteten Republikaner?" Das Wall Street Journal wählt seine Worte sorgfältig, in diesem Fall einen Begriff, der eine Abneigung gegen Blutvergießen ausdrückt. Was die Herausgeber der Zeitung damit ausdrücken wollten, ist nicht misszuverstehen: Ein republikanischer Präsident muss bereit sein, seine reaktionäre Sozialpolitik mittels Gewalt und Unterdrückung durchzusetzen. Die Eroberung des Weißen Hauses durch die Unterdrückung von Stimmen und die Missachtung des Volkswillens ist eine hervorragende Vorbereitung, um mit dem fertig zu werden, "was kommen mag" - d.h. einer breiten Opposition in der Bevölkerung.
Es ist an der Zeit, den wirklichen Charakter der republikanischen Rechten nicht länger mit dem Begriff "konservativ" zu verschleiern. Es handelt sich um faschistische Elemente, die mit den traditionellen Methoden der bürgerlichen Demokratie brechen.
Die Politik hat ihre eigene Logik. Sind einflussreiche Teile der herrschenden Elite einmal zum Schluss gelangt, dass sie ihre Ziele nicht mit demokratischen Mitteln erreichen können, und greifen zum Mittel der Verschwörung und Unterdrückung, befinden sie sich auf dem direkten Weg zum Bürgerkrieg.
Es geht hier nicht darum, die unmittelbare Errichtung einer Militärdiktatur zu prophezeien. Aber es wäre der Gipfel der Unvernunft, die deutlichen Anzeichen einer solchen Gefahr für die Zukunft zu übersehen. Wenn die republikanische Kampagne um das Weiße Haus immer stärker an die verdeckten Operationen erinnert, mit denen die CIA gegen die liberalen und linken Gegner des US-Imperialismus in Lateinamerika - z.B. in Chile - vorgegangen ist, so folgt daraus, dass eine Pinochet-Lösung eine ernsthaft erwogene Option darstellt. Es steht außer Zweifel, dass der Herausgeber des Wall Street Journals,Robert Bartley, und die Reaktionäre in seiner Redaktion bereits die Argumente ausfeilen, mit denen die Anwendung von Gewalt gegen ihre politischen Gegner und die Arbeiterklasse gerechtfertigt werden kann.
Das Wall Street Journal spricht für einflussreiche Teile der amerikanischen Wirtschaft. Diese Kräfte innerhalb der Finanzelite haben sich verstärkt den Standpunkten der extremen Rechten zugewandt und das Wachstum faschistischer Elemente mit finanziellen und anderen Mitteln unterstützt, weil sie verstanden haben, dass sie ihre sozialpolitischen Ziele nicht mit normalen demokratischen Mitteln verwirklichen können.
Sie stützen sich auf das rechte Pack, das in den von Wirtschaftsinteressen beherrschten Medien so zahlreich vorhanden ist, um ihre anti-demokratischen Ziele zu verschleiern und die Sendekanäle mit Halbwahrheiten und Lügen zu überfluten. Ihre Stärke beruht nicht auf einer großen öffentlichen Unterstützung - im Gegenteil, ihre Unterstützung in der breiten Bevölkerung ist minimal.
Die Stärke der republikanischen Rechten beruht darauf, dass sie die Interessen der amerikanischen Wirtschaftelite konsequenter und kompromissloser als jede andere bürgerliche politische Gruppierung artikuliert. Die radikale Rechte weiß, was sie will, und ist bereit, sich rücksichtslos über die öffentliche Meinung hinwegzusetzen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Republikaner spielen nicht nach den normalen Regeln der Verfassung, während ihre bürgerlichen Gegner in der Demokratischen Partei ohnmächtig danebenstehen, die Hände wringen und passiv zuschauen. Letztere verkörpern den demoralisierten Liberalismus, dessen verwässerte Reformperspektive von der herrschenden Kasse weggeworfen worden ist.
Gleichzeitig spürt die republikanische Rechte, dass sie nur kurze Zeit die Möglichkeit hat, ihre Ansprüche durchzusetzen. Das Wahlergebnis hat ihr den Atem verschlagen. Gore erhielt insgesamt mehr Stimmen als Bush, und würde die Absicht der Wähler in Florida offiziell anerkannt, verfügte er auch über die Mehrheit der Wahlmännerstimmen. Die Summe der Stimmen für Gore und den grünen Kandidaten Ralph Nader zeigt, in einem sehr allgemeinen Sinn, dass eine beachtliche Mehrheit der Wähler eher eine liberale oder linksorientierte Politik unterstützt und die immer offenere Dominanz der amerikanischen Politik durch die Wirtschaft ablehnt.
Ein Blick auf die Karte der Wahlergebnisse unterstreicht die Tatsache, dass die Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft als ganzer nicht zugunsten der radikalen Rechten verläuft. Bush sammelte die überwiegende Mehrheit seiner Wahlmännerstimmen in den rückständigeren und ländlichen Gebieten des Landes - im Süden, Südwesten und Teilen des Mittleren Westens. Die mehr städtischen, industrialisierten, dicht besiedelten und kulturell pulsierenden Regionen gingen an Gore. Im Rahmen dieses allgemeinen Schemas kam der Ausschlag für Gore bei der Gesamtstimmenzahl von Schwarzen und anderen stark unterdrückten Schichten der Arbeiterklasse, deren Wahlverhalten ein tiefes Misstrauen in die Republikaner und die Entschlossenheit zum Ausdruck brachte, früher erkämpfte soziale Errungenschaften und Bürgerrechte zu verteidigen.
Hinzu kommt, dass sich die ökonomischen Voraussetzungen für die Entstehung jener Schicht von Neureichen, die einen kritischen Bestandteil der sozialen Basis der republikanischen Rechten bilden, deutlich zurückentwickeln. Der Börsenboom, der zu einem großen Teil auf spekulativem Kapital, Parasitentum und offenem Schwindel beruhte, flaut ab und hinterlässt eine Gesellschaft, die stärker polarisiert ist als je zuvor im vergangenen halben Jahrhundert, sowie ein Spektakel von Raffsucht und Kriminalität in gigantischem Ausmaß.
Die republikanische Rechte reagiert darauf mit wachsender Hysterie. Ihre Hektik und Rücksichtslosigkeit sind Ausdruck der Rebellion einer Minderheit, die spürt, dass sie alles auf den sofortigen Sieg setzen muss, weil ihre zukünftigen Chancen schwinden. Die Republikaner fühlen, dass die Wahl 2000 ihre beste und vielleicht letzte Chance ist, alle Zweige des Staatsapparats unter ihre Kontrolle zu bringen. Verlieren sie das Weiße Haus, drohen interner Zwist und Desintegration.
Trotz offensichtlicher Unterschiede gibt es auffallende Parallelen zwischen der politischen Krise nach der Wahl 2000 und der unruhigen Periode, die dem Bürgerkrieg von 1861 vorausging. Eine besteht in der Ähnlichkeit von Psychologie und Methoden der heutigen republikanischen Rechten und der Vertreter der südlichen Sklavenhalter vor 150 Jahren. In beiden Fällen trieb ein Gefühl der Verzweiflung die reaktionärsten Elemente der Nation dazu, zu äußerst provokativen und rücksichtslosen Methoden zu greifen. Ursprung dieser Verzweiflung war die Tatsache, dass sich die historische Entwicklung gegen sie richtete.
Ein großer Unterschied, um bei der historischen Analogie zu bleiben, besteht darin, dass es heute in keiner Fraktion der bürgerlichen Politik eine Kraft gibt, die bereit oder fähig wäre, sich der radikalen Rechten entgegenzustellen. Die kraftlosen Reihen des Liberalismus, verkörpert in der demokratischen Partei, haben immer wieder ihre organische Unfähigkeit demonstriert, ernsthaft für die Verteidigung demokratischen Rechte zu kämpfen. Diese Aufgabe fällt nun der Arbeiterklasse zu, die ihre eigene sozialistische Massenpartei aufbauen muss, um sie zu verwirklichen.